Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: kritik Seite 9 von 10

Trommeln, Glocken und anderes Geklöppel

Gran­di­os: Die Eröff­nung des die­jäh­ri­gen Mainz­Mu­sik-Fes­ti­vals der Main­zer Musik­hoch­schu­le. Ein Fest für ent­de­cken­de Ohren, für offe­ne Köp­fe und Sin­ne.

Banner am Gebäuder der Musikhochschule

Aus der ange­kün­dig­ten Eröff­nung mit dem Pau­ken­schlag wur­de dann doch nichts. Das Rady­an-Ensem­ble hat­te für das Eröff­nungs­kon­zert der dies­jäh­ri­gen Aus­ga­be von Mainz­Mu­sik näm­lich über­haupt kei­ne Pau­ke mit­ge­bracht. Dafür waren auf der Büh­ne im Roten Saal der Musik­hoch­schu­le aber jede Men­ge ande­re mehr oder weni­ge unge­wöhn­li­che Schlag­in­stru­men­te. Und ja, ein paar Trom­meln waren auch dabei. Aber die spiel­ten gar kei­ne so gro­ße Rol­le.

Schon beim Auf­takt, einem Teil von Guo Wen­jings „Dra­ma“, kam das Per­cus­sion-Quar­tett ganz ohne Trom­mel aus: Nur mit drei Paa­ren des chi­ne­si­schen Beckens, wie es eigent­lich aus­schließ­lich in der Volks­oper Chi­nas ver­wen­det wird, arbei­te­ten die Musi­ker. Das reich­te aber, um eine fas­zi­nie­ren­de Viel­falt des dra­ma­ti­schen Aus­drucks, des genau struk­tu­rier­ten Auf und Ab her­zu­stel­len. Das schep­per­te durch­aus mal kräf­tig, dröhn­te dumpf in den Ohren oder klirr­te flir­rend durch den Saal.

Ein viel­ver­spre­chen­der Beginn. Und das Rady­an-Ensem­ble lös­te das Ver­spre­chen den Rest des Abend ein: Ein genau geplan­ter Ablauf, der nichts dem Zufall über­lässt, und naht­lo­se Über­gän­ge machen aus der Rei­hung ver­schie­dens­ter Kom­po­si­tio­nen machen ihren Auf­tritt zu einem Ereig­nis, einer wun­der­ba­ren Ent­de­ckungs­rei­se in die Welt der kom­ple­xen Rhyth­men.

Sicher tau­chen da auch Sku­ri­li­tä­ten auf: Ob Vito Zura­js „Top Spin“, das hier urauf­ge­führt wur­de, wirk­lich dadurch gewinnt, dass die drei Spie­ler am run­den Tisch mit den aus­ge­leg­ten Instru­men­ten immer mal wie­der ihre Plät­ze wech­seln und die Stim­me des ande­ren fort­set­zen? Beim ers­ten Hören zumin­dest nicht. Es scheint, so der Klang­ein­druck, jeden­falls eine irr­sin­nig kom­pli­zier­te Par­ti­tur zu sein. Immer mal wie­der schält sich aber aus dem ver­meint­li­chen Cha­os so etwas wie Ord­nung her­aus – aber viel­leicht istauch das nur eine Täu­schung, eine Illu­si­on des Zuhö­rers.

Doch genau dar­um geht es hier ja: Neue Klän­ge ent­de­cken, neue Kom­bi­na­tio­nen erspü­ren, die Offen­heit des Hörens zu erfah­ren. Das kön­nen etwa die Uchi­wa Taikos sein, chi­ne­si­sche Trom­meln ohne Zar­ge, die fast nur aus dem Schlag­fell bestehen. Jar­rod Cagwin, der auch selbst mit­spielt, hat für die­se Instru­ment mit „Mut­te­kopf“ eine Art Natur­schil­de­rung geschrie­ben – zumin­dest hat er sich bei der Kom­po­si­ton von der Berg­welt um den Mut­te­kopf inspi­rie­ren las­sen. Mit mini­ma­len Ton­hö­hen­ver­schie­bun­gen, erzeugt durch wan­dern­de Schlag­punk­te auf den fächer­ar­ti­gen Trom­meln, und mit über­la­gern­den Rhyth­men erzeugt er fas­zi­nie­ren­de Mus­ter, aus denen man dann wirk­lich den Was­ser­fall, den hin­ab­stür­zen­den Stein oder den schnel­len Abstieg ins Tal her­auzu­hö­ren meint.

Und sol­che Fas­zi­na­tio­nen gibt es immer wie­der eine Men­ge an die­sem Abend – etwa Sal­va­to­re Sciar­ri­nos klei­nes Glo­cken­stück „Appen­di­ce alla per­fe­zio­ne“ oder das gro­ße „Psap­p­ha“ von Ian­nis Xena­kis. Genau sol­che Ent­de­ckun­gen sind ja das Ziel von Mainz­Mu­sik – und des­halb war das Rady­an-Ensem­ble ein wun­der­ba­rer Griff für das Eröff­nungs­kon­zert.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Die Zukunft der Musik?!

Die Zukunft der Musik – dar­un­ter macht Alvin Cur­ran es nicht. Mit die­sem The­ma hat sich der ame­ri­ka­ni­sche Pio­nier der Elek­tro­ni­schen Musik und der Klang­kunst in Mainz als Com­po­ser in Resi­dence vor­ge­stellt. Cur­ran, auch schon über 70 Jah­re alt – was man ihm über­haupt nicht anmerkt – war seit den 1960er Jah­ren immer wie­der maß­geb­lich an der Wei­ter­ent­wick­lung der viel­fäl­ti­gen For­men elek­tro­ni­sche Musik betei­ligt. Im Som­mer­se­mes­ter ist er nicht nur als Kom­po­nist am der Hoch­schu­le für Musik, son­dern zugleich auch GFK-Fel­low des For­schungs­schwer­punk­tes Medi­en­kon­ver­genz.

Gro­ße Pro­ble­me wirft er auf, in sei­ner Vor­stel­lung, die zugleich Vor­le­sung und Per­for­mance, Rück­schau und Pro­gno­se ist: Nicht nur um die Zukunft der Musik geht es in der Black Box der Musik­hoch­schu­le, son­dern auch um die ganz gro­ßen Fra­gen: Was ist Kunst? Was ist Musik? Mit Bei­spie­len aus sei­nen eige­nen Wer­ken zeigt er, wie sei­ne Ant­wor­ten aus­se­hen kön­nen: Kunst als Befrei­ung des Men­schen zum Bei­spiel, aber auch ein­fach als Form der ver­gnüg­li­chen Nich­tig­kei­ten.

Dass sein Auf­en­halt in Mainz nicht nur von der Musik­hoch­schu­le, son­dern auf vom For­schungs­schwer­punkt Medi­en­kon­ver­genz getra­gen wird, passt wun­der­bar. Denn Musik, dass ist für Cur­ran viel mehr als Noten oder her­kömm­li­che Instru­men­te. Musik ist für ihn eine Spra­che, die jeder Mensch spricht, ist mensch­lisch orga­ni­sier­ter Klang. Und der kann über­all sein. Des­halb bemüht sich Cur­ran auch seit lan­gem, die Musik aus den Kon­zert­sä­len zu befrei­en und in die Welt brin­gen – als Per­for­mance auf der Them­se, an den Hän­gen des Ätnas zum Bei­spiel. Oder als com­pu­ter­ge­steu­er­te Klang­in­stal­la­tio­nen in einem Schloss­park.

Bei sei­nen Über­le­gun­gen zur Zukunft der Musik ver­weist er immer wie­der auf die ein­ma­li­ge Situa­ti­on der Gegen­wart: So ziem­lich die gesam­te je gedach­te, geschrie­be­ne, auf­ge­führ­te Musik ist uns zugäng­lich, per Knopf­druck abruf­bar. Dar­in sieht er gro­ße Chan­ce – eben die Zukunft der Musik. Und beweist das am Schluss sei­nes Auf­tritts in der Black Box der Musik­hoch­schu­le auch, mit einer kur­zen Live-Ver­si­on sei­nes „Trans­Dad­aEx­press”. Für das ursprüng­lich für den SWR ent­stan­de­ne Stück sam­mel­te der Klang­for­scher Samples mit gespro­che­nen Wor­ten, Musik­fet­zen, all­täg­li­chen oder elek­tro­nischn Klän­gen und pro­gram­miert sein Key­board damit – auf dem er dann impro­vi­siert und so den Plan einer Kom­po­si­ti­on mit der Spon­ta­ni­tät der Impro­vi­sa­ti­on ver­bin­den kann.

In den nächs­ten Mona­ten wird er nicht nur Stu­den­ten der Musik­hoch­schu­le hel­fen, gemein­sam Klän­ge zu for­men und Musik zu ent­de­cken. Cur­ran wird außer­dem eine Instal­la­ti­on für den von Peter Kie­fer betreu­ten Klang­gar­ten in der Bun­des­gar­ten­schau ent­wi­ckeln. Und er wird mit eini­gen Kol­le­gen am 30. Juni im Rah­men von Mainz-Musik mit einem gro­ßen mul­ti­me­dia­len Kon­zert zei­gen, wie die Zukunft der Musik klingt und aus­sieht. Zumin­dest die Zukunft sei­ner Musik.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Bläser en masse & en detail

Gel­lend meckern die Kla­ri­net­ten, von sanft schwin­gen­den Flö­ten gleich behut­sam beru­hig. In der Tie­fe brum­meln die Fagot­te und im Hin­ter­grund schrubbt der Kon­tra­bass dazu. Die Obo­en wie­seln der­weil ele­gant über Hoch und Tief, wäh­rend die Hör­ner unauf­ge­regt zwi­schen druck­vol­lem Schmet­tern und gelas­se­nen Kan­ti­le­nen wech­seln.

Ja, es ist eine Men­ge los, wenn so ein Blä­ser­de­zett ein Kon­zert gibt. Auch wenn, wie beim drit­ten Kam­mer­kon­zert in Klei­nen Haus des Staats­thea­ters, manch­mal nur neun oder acht statt der zehn Holz- und Blech­blä­ser aus dem Phil­har­mo­ni­schen Orches­ter im Ein­satz sind. Dafür haben sie aber auch nicht nur art­frem­de Unter­stüt­zung durch den Kon­tra­bass – der gehört ja qua­si dazu, auch wenn nie­mand ihn mit­zählt. Son­dern sie haben für ihr aus­ge­wähl­tes Publi­kum auch hoch­ka­rä­ti­ge Unter­stüt­zung dabei. Gene­ral­mu­sik­di­rek­to­rin Cathe­ri­ne Rück­wardt setzt sich für das Phil­har­mo­ni­sche Blä­ser­de­zett am Ende ihrer Main­zer Zeit noch ein­mal an den Flü­gel. Mit den „Varia­ti­ons sur un thè­me plaisant“ von Jean Françaix tut sie das für eine ange­neh­me Kom­po­si­ti­on, bei der nicht nur das The­ma gefällt. Gemein­sam mit dem Phil­har­mo­ni­schen Blä­ser­de­zett lässt sie die neo­klas­si­zis­ti­schen Varia­tio­nen immer wie­der char­mant chan­gie­ren zwi­schen Hei­ter­keit und Nach­denk­lich­keit. Blä­ser und Pia­nis­tin spie­len das mit viel Esprit, immer locker, genau und vor allem aus­ge­spro­chen inspi­riert.

Als zwei­te Solis­tin hat­te das Ensem­ble die jun­ge Sopra­nis­tin Alex­an­dra Samouil­idou ver­pflich­tet. Die sang die Fünf frü­hen Lie­der Gus­tav Mahlers – in einer auch wie­der aus Mainz stam­men­den Bear­bei­tung für Blä­ser­de­zett. Ob die wirk­lich bes­ser ist als die Orches­trie­rung von Lucia­no Berio sei ein­mal dahin­ge­stellt. Im Klei­nen Haus ist jeden­falls ein Genuss. Das ist sowohl ein Ver­dienst der klar arti­ku­lie­ren­den Sän­ge­rin, die sich eng in den Blä­ser­klang inte­griert, als auch eben die­ser zehn Blä­ser, die das dicht geweb­te Arran­ge­ment sehr plas­tisch aus­for­men.

Die hat­ten ihr Haupt­werk und ein ech­tes Heim­spiel aber noch vor sich: Die Suite aus Sme­ta­nas Oper „Die ver­kauf­te Braut“, für die das Dezett zur Har­mo­nie­mu­sik schrumpf­te. Nun waren sie zwar nur noch zu acht (plus dem ein­sa­men Kon­tra­bass), aber immer noch gewitzt und spiel­freu­dig. Die sicht­li­che und vor allem hör­ba­re Freu­de, die­se Oper – die ja auch auf dem Spiel­plan des Gro­ßen Hau­ses stand – mal ganz allein, ohne stö­ren­de Sän­ger, Strei­cher, Diri­gen­ten und den gan­zen Kram auf der Büh­ne in Angriff zu neh­men, zog sich sowohl durch die Tanz­stü­cke als auch die Duet­te und Ensem­bles. Andre­as Tark­manns Bear­bei­tung bie­tet auch vie­le reiz­vol­le Mög­lich­kei­ten der Ent­fal­tung für die Har­mo­nie­mu­sik – und macht die­ser Beset­zung, eigent­lich vor allem eine Sache des spä­ten 18. Jahr­hun­derts, auch tsche­schi­che Natio­nal­oper des spä­te­ren 19. Jahr­hun­derts zu eigen. Und die wie­der­um klang beim Phil­har­mo­ni­schen Blä­ser­de­zett so frisch und unver­braucht, als wäre sie erst vor eini­gen Wochen kom­po­niert wor­den und nicht schon 155 Jah­re alt.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

Es ist vollbracht: Gardiners Brahms-Aufnahmen

John Eli­ot Gar­di­ner hat eine Vor­lie­be für gro­ße und unge­wöhn­li­che Pro­jek­te. Nach der Bach-Pil­grimage hat er sich inzwi­schen einem ande­ren gro­ßen B zuge­wen­det: Brahms und sei­nen Sin­fo­nien. Des­sen vier Sym­pho­nien rei­chen aber nicht, das war dem Diri­gen­ten offen­bar zu wenig. Also hat Gar­di­ner für sei­ne Live-Auf­nah­men noch gro­ße Chor­wer­ke hin­zu­ge­fügt – vorn Brahms, sei­nen Zeit­ge­nos­sen, aber auch von ganz alten Meis­tern wie Gabrie­li, Schütz und Bach. Er will damit vor allem die Vok­al­tät der Brahms­schen Orches­ter­wer­ke her­vor­he­ben. Inzwi­schen ist er damit auch fer­tig: Vier wun­der­schön klin­gen­de und auch schön anzu­schau­en­de CDs sind es gewor­den, die er mit „sei­nem“ Orches­ter, dem Orchest­re Révo­lu­ti­on­naie et Roman­tique, und dem Mon­te­ver­di-Choir ein­ge­spielt hat und auf sei­nem eig­nen Label Soli Deo Glo­ria ver­öf­fent­licht hat (vgl. Neue Chor­zeit xx/​xx).

Die drit­te Sym­pho­nie wird aus­schließ­lich von Chor­wer­ken des Meis­ters selbst gerahmt. Vor allem der „Gesang der Par­zen” und die „Nänie” ste­chen posi­tiv her­vor: Mit Augen­maß lässt Gar­di­ner den Mon­te­ver­di-Choir sowohl den dra­ma­ti­schen Ges­tus als auch fei­ne Details der Text­aus­deu­tung rea­li­sie­ren.

Auch die vier­te CD die­ser Rei­he fängt ganz aus­ge­spro­chen dra­ma­tisch an, mit Beet­ho­vens Corio­lan-Ouver­tü­re. Und geht dann auch so wei­ter . Geschmei­dig und dis­zi­pli­niert zugleich ist Gar­di­ners Inter­pre­ta­ti­on aller vier Sym­pho­nien, die schwung­voll die Dra­ma­tik der Par­ti­tur weckt, ohne je bemüht zu wir­ken. Genau­so natür­lich und ganz ent­spannt selbst­ver­ständ­lich (dar­in wir­ken die­se Auf­nah­men fast klas­sisch) lässt er den Mon­te­ver­di-Choir auch die Vokal­wer­ke sin­gen. Selbst die etwas sprö­de­ren Brahms­schen „Fest- und Gedenk­sprü­che” flie­ßen bei ihm ganz har­mo­nisch aus den Laut­spre­chern. Nicht nur hier, auch bei den aus­ge­wähl­ten Chor­sät­zen von Gio­van­ni Gabrie­li, Hein­rich Schütz und Johann Sebas­ti­an Bach, zeich­nen sich die­se Auf­nah­men immer durch eine ange­neh­me Kom­bi­na­ti­on aus Freu­de an der Detail­ge­nau­ig­keit und groß­zü­gi­ger klang­li­cher Gestal­tung aus.

Ob die unmit­tel­ba­re Nach­bar­schaft der gro­ßen Vokal­wer­ke die Sym­pho­nien nun wirk­lich in einem ganz ande­ren Licht erschei­nen lässt, ist eigent­lich egal. Jeden­falls gelin­gen Gar­di­ner alle vier in vor­züg­li­cher Wei­se. Und wenn es dazu noch inter­es­san­te Chor­mu­sik gibt – umso bes­ser.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit.)

Romantik en masse

Von Fer­ne tönen sie schon vor dem Beginn, die Hör­ner. Sie sol­le heu­te, im 7. Meis­ter­kon­zert, eine beson­de­re Rol­le spie­len. „Die Roman­ti­ker“ ist das Kon­zert mit der Deut­schen Staats­phil­har­mo­nie Rhein­land-Pfalz unter Karl-Heinz Stef­fens beti­telt. Und da gehö­ren Hör­ner unbe­dingt dazu – schließ­lich ist das Horn neben der Har­fe wohl eines der roman­ti­schen Instru­men­te über­haupt. Sie sind das, auch wenn das zwei­te Horn­kon­zert von Richard Strauss natür­lich m enge­ren Sin­ne nicht mehr zur eigent­li­chen Roman­tik gehört: Die Urauf­füh­rung des druck­fri­schen Wer­kes fand 1943 statt und sei „ganz nett aus­ge­fal­len“, wie der Kom­po­nist anmerk­te.

Nun ist „nett“ meis­tens kein beson­ders wohl­wol­len­des ästhe­ti­sches Urteil. Aber es trifft doch sehr gut, was Strauss hier geschrie­ben hat. Und der Hor­nist Ste­fan Dohr steigt gleich mit den ers­ten Tönen voll ein. Mit viel Ein­satz lässt er alle Sei­ten der Musik leben­dig wer­den: Das kraft­vol­le Schmet­tern eben­so wie die wei­chen Melo­die­li­ni­en. Gera­de die sanf­ten Kan­ti­le­nen gelin­gen ihm her­vor­ra­gend, aber auch sei­ne wun­der­ba­re Über­gän­ge zum for­schen, kraft­vol­len Spiel, mit dem er das Orches­ter mühe­los domi­niert, zei­gen Dohr als über­leg­ten Solis­ten. Zumal Steff­fens sich und das Ensem­ble sehr zurück­hält und sich vor­wie­gend auf das Beglei­ten kon­zen­triert. Zusam­men ergibt das eine sehr vita­le, leben­dig strö­men­de Musik – vor allem dank des ener­gi­schen Zugriffs Dohrs, der aus der manch­mal etwas tro­cke­nen Par­ti­tur alles her­aus­holt, was sie an begeis­tern­dem Witz und Esprit über­haupt her­gibt.

Unzwei­fel­haf­te zur Roman­tik gehört Bruck­ners vier­te Sym­pho­nie – die trägt das ja schon im Bei­na­men. Und Stef­fens sucht genau das auch gezielt zu ver­wirk­li­chen. Mit einem aus­ge­spro­chen geheim­nis­um­wit­ter­ter­ten Beginn fängt er an. Und die dunk­len, etwas ver­schat­te­ten Sei­ten der Musik blei­ben das Bes­te in Stef­fens Inter­pre­ta­ti­on. Auch sonst setzt der Diri­gent wei­ter­hin vor allem auf Stim­mun­gen statt Struk­tu­ren und ist nicht so sehr auf die Sub­ti­li­tä­ten des Klang­ge­sche­hens aus, son­dern vor allem auf sei­ne Wir­kung. Und dafür hat er ein geschick­tes Händ­chen: Er ver­liert sich nicht in Details, er lässt die monu­men­ta­le Sin­fo­nik Bruck­ners nicht erstar­ren, son­dern hält sie als Diri­gent, der immer auf den jewei­li­gen Moment bedacht ist, in unab­läs­si­ger Bewe­gung. Gera­de des­halb bleibt das hier aber auch sehr irdisch. Und manch­mal, vor allem zum Ende hin, neh­men die gro­ße Ges­ten etwas über­hand. Dabei lässt Stef­fens auch eini­ge lose Fäden hän­gen und Über­gän­ge uner­le­digt. Immer­hin, die Staats­phil­har­mo­nie hält durch und bleibt bis zum Schluss sehr klang­ge­wal­tig und durch­set­zungs­stark. Und damit ist bei Bruck­ner schon das meis­te getan – und der Roman­tik auch zu ihrem Recht ver­hol­fen.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Musik aus Stein

Hek­ti­sche Betrieb­sam­keit herrscht im Kon­zert­saal des Peter-Cor­ne­li­us-Kon­ser­va­to­ri­um: Fern­seh­ka­me­ras wer­den jus­tiert, die Pho­to­gra­phen ver­tei­len sich an stra­te­gisch güns­ti­gen Posi­tio­nen im gan­zen Saal, die letz­ten Besu­cher suchen ver­geb­lich nach frei­en Sitz­plät­zen. Es ist ganz deut­lich: Hier geschieht etwas Beson­de­res, die Erwar­tung liegt in der Luft.

„East meets West” heißt das, was hier gleich pas­siert. Und es soll die Fra­ge beant­wor­ten: Wie klingt Stein? Denn nicht nur tref­fen hier im Main­zer Kon­ser­va­to­ri­um chi­ne­si­sche und deut­sche Musik und Musi­ker zusam­men, die Instru­men­te aus Chi­na sind außer­dem auch aus einem ganz beson­de­ren Stoff: Aus Stein eben. Zhong­ti­an Shao hat sie gebaut. Das ist auch wie­der unge­wöhn­lich, denn Shao ist eigent­lich Bild­hau­er. Aber er hat die Soft­ja­de, einen spe­zi­el­len Stein, für sich ent­deckt und irgend­wann nicht nur Plas­ti­ken bear­bei­tet, son­dern auch tadi­tio­nel­le chi­ne­si­sche Musik­in­stru­men­te aus dem grün schim­mern­den Stein geformt: Eine Erhu zum Bei­spiel, eine ein­fa­che zwei­sei­ti­ge chi­ne­si­sche Fie­del. Oder die Pipa, eine Art Lau­te. Und auch grö­ße­re Instru­men­te wie die Guz­h­eng, eine Zither­va­ri­an­te und ein chi­ne­si­sches Hack­brett, Yang­qing genannt, ent­stan­den aus dem für Instru­men­ten­bau­er unge­wöhn­li­chen Stoff.

Vier Solis­tin­nen aus Chi­na führ­ten die vier Instru­men­te vor, mit mehr oder weni­ger tra­di­tio­nel­ler Musik aus allen Tei­len des Rei­ches. Und über­ra­schen­der Wei­se klingt der Stein gar nicht so anders: Etwas weni­ger Kör­per, weni­ger Volu­men haben die Sai­ten­in­stru­men­te in ieser Form. Aber ihr cha­ra­ke­ris­ti­scher Klang bleibt durch­aus erhal­ten und zu erken­nen.

Die Musi­ke­rin­nen zei­gen die Fähig­kei­ten der tra­di­tio­nel­len Instru­men­te mit pas­sen­der Musik: Pit­to­res­ke Ton­ma­le­rei­en vor allem, immer mit pro­gram­ma­ti­schen Titeln, sie schil­dern Land­schafts­schön­hei­ten und die brav arbei­ten­den Leu­te dort. Das heißt dann Pfer­de­ren­nen, Tanz der gol­de­nen Schlan­ge, Kampf gegen den Tai­fun oder „Klei­ne Schwes­ter auf der Step­pe”. So poe­tisch die Titel sind, so gefäl­lig ist die Musik – über­ra­schend fast, wie wenig fremd das klingt. Am stärks­ten und beein­dru­ckens­ten gelingt das bei der von Hang Zhang vir­tu­os gespiel­ten Guz­h­eng – auch wegen der fremd­ar­ti­gen Stim­mung und der

Eigent­lich war außer­dem für die wirk­li­che, direk­te Begeg­nung von Ost und West eine Urauf­füh­rung vor­ge­se­hen, die die öst­li­chen Instru­men­te mit dem Marim­ba­phon von Mar­tin Fuchs ver­eint hät­te – lei­der ist der Kom­po­nist Min­gxin Du aber krank gewor­den. Immer­hin hat das chi­ne­si­sche Quar­tett mit Fuchs zusam­men in der kan­to­ne­si­schen Unter­hal­tungs­mu­sik „Xi Yan Yan” von Liu Ming Yan einen Ersatz gefun­den. Der Titel ver­heißt Fröh­lich­keit – und die Musik löst das auch ein. Eine beschwin­gen­de, posi­tiv gestimm­te Musik aus einer hei­len Welt.

Und weil das Marim­ba­phon schon auf der Büh­ne stand, spiel­te Fuchs dann auch gleich noch das ers­te Marim­ba­phon-Kon­zert von Ney Rosau­ro. Das bot vor allem ihm viel Raum, sei­ne vir­tuo­se und nuan­cen­rei­hen Schlag­tech­nik zu bewei­sen – gemein­sam mit dem eben­falls enga­giert und bes­selt musi­zie­ren­den Orches­te des Kon­ser­va­to­ri­ums unter Ger­not Sah­ler.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Kreuz und quer durch die Musikgeschichte

Von Mozart zu Šen­dero­vas, dann noch ein­mal von Mahler zu Are­n­sky (zurück ins tie­fe­re 19. Jahr­hun­dert): Das Kon­zert in der Vil­la Musi­ca mit den Dozen­ten Kal­le Ran­da­lu und David Gering­as sowie einer Men­ge Sti­pen­dia­ten fin­det kei­ne Ruhe:

Grö­ße­re Gegen­sät­ze sind kaum denk­bar: Einer­seits ste­hen Mozart und Mahler auf dem Pro­gramm. So hat die Vil­la Musi­ca ihr Sti­pen­dia­ten­kon­zert auch beti­telt. Aber das reicht noch nicht für ein Kon­zert. Also kom­men noch zwei Wer­ke von Ana­to­li­jus Šen­dero­vas und Anton Are­n­sky dazu. Zwei halb oder gar nicht bekann­te Kom­po­si­tio­nen, die dann aber wesent­lich span­nen­der und inter­es­san­ter waren als der Rest.

Denn Mozarts Kla­vier­quar­tett in Es-Dur schien hier eher belang­los und als brav absol­vier­te Pflicht­übung. Mahlers Quar­tett­satz immer­hin kam breit aus­ge­spielt und kraft­voll ent­schlos­sen mit gro­ßem Ges­tus daher – ein­deu­tig als ein unein­ge­lös­tes Ver­spre­chen: Was hät­te Gus­tav Mahler nicht auch für die Kam­mer­mu­sik leis­ten kön­nen, wenn er sich nicht auf orches­tra­le Groß­wer­ke beschränkt hät­te. Das kur­ze Werk des jugend­li­chen Genies ist eine ein­zi­ge Vor­ah­nung auf Spä­te­res. Und genau so, mit dem Wis­sen der spä­te­ren Ent­wick­lung des Kom­po­nis­ten, spiel­ten die die Sti­pen­dia­ten um Kal­le Ran­da­lu die ein­zi­ge erhal­te­ne Kam­mer­mu­sik Mahlers auch.

Im a‑Moll-Quar­tett des rus­si­schen Kom­po­nis­ten Anton Are­n­sky läuft das Den­ken in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung: In die Ver­gan­gen­heit. Denn die­ses Streich­quar­tett in der unüb­li­chen Beset­zung mit Vio­li­ne, Brat­sche und zwei Cel­li ist von Are­n­sky als Toten­kla­ge auf sei­nen Freund Tschai­kow­sky kom­po­niert. Vir­tu­os und weit aus­ho­lend beginnt es, spiel­tech­nisch anspruchs­voll bleibt es auch in den Varia­tio­nen über The­ma von Tschai­kow­sky – ein berüh­ren­der Satz, gründ­lich durch­ge­ar­bei­tet und getra­gen von der Dun­kel­heit des Abschie­des. Die drei Sti­pen­dia­ten und Dozent David Gering­as am Cel­lo spie­len das glei­cher­ma­ßen wuch­tig und ath­mo­sphä­risch, fol­gen den ele­gi­schen Erin­ne­run­gen mit viel Klang­sinn und Gespür für die mach­mal schmerz­vol­le, manch­mal weh­mü­ti­ge und manch­mal auch etwas ver­träum­te Musik.

Ath­mo­sphä­ri­sche und stim­mungs­vol­le Klän­ge bie­tet auch­das zwei­te Kla­vier­trio des Litau­ers Ana­to­li­jus Šen­dero­vas. 1984 kom­po­niert, wie Are­n­skys Quar­tett in memo­ri­am eines Freun­des geschrie­ben, bie­tet es in moder­ne Ton­spra­che eine brei­te Aus­drucks­pa­let­te. Und jun­gen Musi­ker wid­men sich dem mit viel Hin­ga­be und Kon­zen­tra­ti­on und kön­nen die vol­le Viel­falt die­ser Musik ein­dring­lich beschwö­ren. So ent­steht, von den ers­ten Fla­geo­letts als Bild der fah­le Wirk­lich­keit über wei­te Kan­ti­le­nen und harsch-dra­ma­ti­sche Ein­brü­chen, aus dem sprach­lo­sen Raum der Trau­er und der Erin­ne­rung eine ech­te See­len­mu­sik. Frei von for­ma­len Zwän­gen, ganz dem Aus­druck ver­schrie­ben, setzt Sen­dero­vas der scha­len Rea­li­tät die man­nig­fal­ti­gen Mög­lich­kei­ten der Kunst ent­ge­gen. Viel­falt ist eben immer wie­der ein gro­ßer Gewinn. Und wenn sie nur dazu führt, unbe­kann­te Musik zu ent­de­cken.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Vocal Percussion und Beatbox selbst gemacht

Das Beat­bo­xen und die Vocal Per­cus­sion ist ja eine ver­gleichs­wei­se jun­ge Art des „Sin­gens“, deren Geheimi­nis­se, Tech­ni­ken, Moda­li­tä­ten und Ideen fast nur im direk­ten Kon­takt, in Clubs – und über You­Tube – wei­ter­ge­ge­ben wur­den. Aber das ändert sich gera­de – weil Beat­bo­xen aus der Club­ni­sche befreit wur­de und immer brei­te­re Ver­brei­tung fin­det. Es kommt also gera­de recht, dass Richard Filz die Basics die­ser Pro­fes­si­on ver­mit­teln will. Und die DVD ist dafür natür­lich ein nahe­lie­gen­des Medi­um – mit einem Buch lie­ße sich das Nach­ah­men von Schlag­in­stru­men­ten höchs­tens halb so gut errei­chen. Bei „vocal per­cus­sion basics“ darf man nicht nur Erklä­run­gen lau­schen, son­dern Filz auch dabei zuse­hen, wie das alles ent­steht. Und Filz ist nicht nur ein Beat­bo­xer, son­dern auch ein Coach mit viel Erfah­rung.

Die gibt er mehr als zwei Stun­den auf die­ser DVD wei­ter. Sein Kon­zept ist ein­fach, schlüs­sig und über­sicht­lich: Aus­ge­hend von den Grund­sounds des Mund-Schlag­werks ent­wi­ckelt er ein­fa­che grund­le­gen­de Rhyth­men vom Rock über Funk, Hip Hop & Swing zu Latin Groo­ves, baut die­se aus ver­schie­de­nen Bau­stei­ne zusam­men, stellt mög­li­che Fills und Ergän­zun­gen vor, bis hin zur eigent­li­chen Songbe­glei­tung – immer mit dem Ziel der prak­ti­schen Anwen­dung, schieß­lich soll das Geüb­te auch im musi­ka­li­schen Zusam­men­hang erprobt wer­den. Und Filz ermun­tert dar­über hin­aus aus­drück­lich zum eige­nen Expe­ri­men­tie­ren und Impro­vi­sie­ren mit den hier ver­mit­tel­ten Grund­la­gen.

Durch­weg merkt man die Erfah­rung des Unter­rich­tens: Richard Filz macht das näm­lich nicht nur vor, son­dern kann auch sehr genau erklä­ren, was wo mit wel­chem Teil des Mun­des zu tun ist, was beson­ders am Anfang hilf­reich ist, wie man das mit etwas Übung wei­ter­ent­wi­ckeln kann. Und neben­bei zeigt er auch immer wie­der, wel­che Klän­ge und Instru­men­te man als Vocal Per­cus­sio­nist eigent­lich imi­tiert.
Der eigent­li­che Lehr­gang, ein inter­ak­ti­ver Work­shop im „Call and Response“-Verfahren, wird auch immer wie­der von hilf­rei­chen Ergän­zun­gen zur Atmung, zur Visua­lie­rung der Sounds (dem Air­d­rum­ming, bei dem die Hän­de das Schlag­zeug­spiel par­al­lel zum Mund­werk mit­voll­zie­hen) oder zum Lip­pen-Warm-Up und der Mikro­fo­nie­rung unter­bro­chen.

„Vocal Per­cus­sion basics“ wird beglei­tet von einem klei­nen Heft mit notier­ten Basis-Rhyth­men (das den etwas hoch­ge­grif­fe­nen Titel „Vocal Groo­ve Lexi­kon“ trägt) und einem frei zugäng­li­chen Inter­net-Ange­bot unter http://www.vocal-percussion.com. Filz ist über­zeugt: „Vocal Per­cus­sion kann jeder machen“ – immer und über­all, bei­lei­be nicht nur Sän­ger, auch Schlag­zeu­ger. Und mit die­ser DVD soll­te zumin­dest der Ein­stieg mög­lich wer­den.

Richard Filz: Vocal Per­cus­sion basics. Inter­ak­ti­ver Work­shop. DVD, 124 Minu­ten. Uni­ver­sal Edi­ton UE 45017. 2009.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit.)

Routine und lichte Momente: Ein Klavierabend alter Schule

Man merkt es an jeder Bewe­gung, vom ers­ten Auf­tre­ten über das Platz­neh­men bis zum letz­ten Dank: Ivan Mora­vec ist schon lan­ge im Geschäft. Über fünf­zig Jah­re ist der tsche­schi­che Pia­nist schon unter­wegs – immer am Kla­vier. Auch in Mainz, der SWR hat ihn für das Febru­ar-Kon­zert der Rei­he „Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten“ ver­pflich­tet. Und so sehr man ihm die Rou­ti­ne des Auf­tre­tens auch anmerkt, die Musik kann er davon frei­hal­ten. Zumin­dest teil­wei­se.

Denn sein wei­te Tei­le der Musik­ge­schich­te umfas­sen­des Pro­gramm – von Bach bis Debus­sy reicht der Bogen – prä­sen­tiert er mit sehr unter­schied­li­chem Geschick und sehr unter­schied­li­chem Gelin­gens­gra­den. Johann Sebas­ti­an Bachs Chro­ma­ti­sche Phan­ta­sie und Fuge ist ohne Zwei­fel ein eher sprö­des, abs­trak­tes Stück. Aber so lang­wei­lig wie hier muss es nicht unbe­dingt sein. Doch auch Debus­sys klei­ne Suite „Pour le pia­no“ ver­rät im Frank­fur­ter Hof kein ein­zi­ges Geheim­nis, zeigt nichts, was nicht schon der Blick auf die Noten klar machen wür­de, und ist – trotz der geschwin­den Tem­pi und der siche­ren Nuan­cie­rung – ein­fach nur lang­wei­lig.

Aber dann, nach der frü­hen Pau­se, ist alles anders. Dabei sitzt genau der sel­be Pia­nist am Flü­gel, dabei sind es die sel­ben Spiel­wei­sen und Inter­pre­ta­ti­ons­tech­ni­ken, die Mora­vec benutzt. Nur hier, bei den Kla­vier­wer­ken Cho­pins, ist das pas­send und vor allem inspie­riert. Gut, das zwei­te Scher­zo spie­len jün­ge­re Pia­nis­ten dras­ti­scher, tra­gi­scher und stär­ker kon­tu­riert. Aber zu wirk­li­chen Groß­ta­ten ist Mora­vec eben durch­aus auch fähig. Die As-Dur-Polo­nai­se beweist das. Wor­an es liegt, ist unklar – aber irgend etwas an die­ser Musik befä­higt Mora­vec nun doch zu mehr als Rou­ti­ne: Jetzt auf ein­mal tas­tet er sich wirk­lich vor ins Inne­re der Musik, in ihrem Ideen- und Gefühls­kos­mos – auch wenn da vie­le dunk­le Stel­len lau­ern. Kein Wun­der, dass das Fun­da­ment die­ser so harm­los Polo­nai­se-Fan­tai­sie beti­tel­ten Musik unsi­cher abbrö­ckelt – der Zusatz „Fan­tai­sie“ weist ja schon dar­auf hin: Mit über­lie­fer­ten Mus­tern und kla­ren Vor­ga­ben ist es in die­ser unbe­dingt sub­jek­tiv und indi­vi­du­el­len Schöp­fung nicht mehr weit her. Aber ihre inne­re Span­nung und den dra­ma­ti­schen Sinn, ihr eige­ner Klang und bestän­di­ge Unbe­stän­dig­keit – Mora­vec ver­wirk­licht alles, was zu einer voll­ende­ten Inter­pre­ta­ti­on not­wen­dig ist.

Wie er die­se Polo­nai­se hier zau­ber­haft deut­lich und genau dar­stellt, wie er mit traum­wand­le­ri­scher Sicher­heit ihren ganz eige­nen Gehalt für sich erfasst und in die­sem Moment zu Klang wer­den lässt: Das ist ein­fach groß­ar­tig, span­nend und inspi­rie­rend – und alles ander als Rou­ti­ne. Auch nach über fünf­zig Jah­ren Kon­zert­da­sein.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung)

Anfangs war der Faust noch ziemlich komisch

… meint zumin­dest das Thea­ter haut­nah:

Da steht er nun also, der arme Tor, und ist genau­so klug wie zuvor. Zwar steht er die­ses Mal nicht auf den Bret­tern, die die Welt bedeu­ten, son­dern im Altar­raum der Alt­müns­ter­kir­che. Aber auch der hei­li­ge Raum bringt Faust kei­ne beson­de­re Erleuch­tung.

Zumin­dest nicht in der Insze­nie­rung des haut­nah-Thea­ters. Die Trup­pe gas­tiert gera­de mit ihrem „Urfaust” in Mainz – und bringt eine Men­ge Leben in die Kir­che. Denn Regis­seur Rolf Bidin­ger hat den Urfaust, die ers­te Ver­si­on des Faust­dra­mas aus der Feder Goe­thes, stark kon­zen­triert und deut­lich auf die komi­sche Sei­te der Ver­wick­lun­gen zwi­schen Faust und Goe­the fokus­siert. Sei­ne Insze­nie­rung und die fast über­deut­li­che Aktio­nen der haut­nah-Schau­spie­ler sor­gen des­halb für eine Men­ge Lacher und viel Hei­ter­keit. Und das nicht ohne Grund – der Text des Wei­ma­rer Dich­ters hat durch­aus sei­ne Komik, oft genug in einer recht der­ben und hand­fes­ten Vari­an­te.

Zugleich ist er aber auch – durch­aus schon im Urfaust – mehr als eine tra­gi­ko­mi­sche Lie­bes­ge­schich­te. Schließ­lich lau­ert der Teu­fel von Anbe­ginn im Hin­ter­grund, schon beim Vor­spiel ist er immer prä­sent und war­tet auf sei­ne Gele­gen­heit. Und er bleibt es fast die gan­ze Zeit – der Teu­fel ist in der Alt­müns­ter­kir­che fast zen­tra­ler als Faust oder sein Gret­chen. Das liegt auch an Dani­el Kröh­nert, der den Mephis­to mit läs­si­ger Ele­ganz, süf­fi­san­tem Sar­kas­mus und gro­ßer Prä­senz aus­füllt und ver­kör­pert. Dage­gen bleibt der Faust von Jan Schuba etwas bläss­lich – anfangs, im Zim­mer des Gelehr­ten vor allem, trifft er sei­ne Rol­le sehr gut. Aber je kon­kre­ter und direk­ter sei­ne Lie­be zu Gre­te wird, des­to unwahr­schein­li­cher wirkt sei­ne Dar­stel­lung.
Gre­te dage­gen macht eine sehr glaub­haf­te Wand­lung durch: Vom keck-koket­ten Mäd­chen (das frei­lich bei Goe­the die Reli­gi­on viel erns­ter nimmt als hier) zur gefal­le­nen Dir­ne und Kinds­mör­de­rin, die im Gefäng­nis vor Ver­zweif­lung irr wird, ver­leiht Dana Kröh­nert ihrem Gret­chen eine sehr leben­di­ge und plas­ti­sche Gestalt.

Abge­run­det und ergänzt wird das Spiel des haut­nah-Thea­ters durch die Kan­to­rei von St. Johan­nis. Unter Vol­ker Ellen­ber­ger tritt sie wie ein klas­si­scher Thea­ter­chor kom­men­tie­rend, war­nend und vor­aus­schau­end auf: Mit dem Cho­ral „Ach wie flüch­tig, ach wie nich­tig” kom­men­tiert der Chor das Gesche­hen im Wirts­haus, mit „Es ist ein Schnit­ter, heißt der Tod” warnt er Gre­te vor dem ver­füh­re­ri­schen Faust und ergänzt und über­höht so das thea­tra­li­sche Gesche­hen, ohne direkt in die Hand­lung ein­zu­grei­fen – die haben die Schau­spie­ler voll im Griff.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

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