Die vielen Kisten und Instrumentenkoffer des Orchesters stehen noch im Eingangsraum – die Christuskirche ist eben keine Konzerthalle. Auch im Kircheninneren ist es voll, schon der Bachchor und der unterstützende Chor der Musikhochschule brauchen einigen Platz, dazu dann noch die üppig besetze Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Aber für das Publikum ist noch genügend Platz. Zum Glück. Denn der ganze Aufwand der fast zweihundert Musiker ist ja kein Selbstzweck. Und Anton Bruckners dritte Messe in f‑Moll, das Hauptwerk des Konzertes am Tag der Deutschen Einheit, sorgt dafür, dass die Christuskirche auch akustisch gut gefüllt wird.
Aber die Fülle des Klangs wurde nie drückend, der machtvolle Klangapparat – und Bruckner nutzt den durchaus ausgiebig – beschert dem Publikum keinswegs eine beschwerliche Enge. Ganz im Gegenteil. Der prägendste Eindruck nicht nur bei der Bruckner-Messe, sondern auch schon in der Altrhapsodie von Johannes Brahms, war die feine Ausgestaltung aller Klänge. Und das ist ein unbedingtes Verdienst Ralf Ottos. Ein wirklich großes noch dazu. Die geradezu verrückt wirkende Detailgenauigkeit in Chor und Orchester geht nämlich mit einer ungeahnten Offenheit der Brucknerschen Musik einher. Was da an Vorbereitung dahinter stecken muss!
Erstaunlich intim klingt die größte Messe Bruckner in der Christuskirche. Das ist nicht gerade kammermusikalisch, aber trotz der teilweise mächtig geschichten Chor- und Orchesterklänge – irgendwie muss Bruckner ja noch zu erkennen sein – doch immer ganz direkte Musik, die sich nicht nur dem unbedingten Glauben ihres Schöpfers verdankt, sondern diese felsenfeste Gewissheit auch weitergeben kann – ohne zu verhehlen, dass vieles anders sein könnte. Der gern mal auftrumpfende, besserwisserische Bruckner kommt hier nicht zum Klingen. Ob es nun die berückende Innigkeit des Gloria ist oder die großartig ausgeformten Kontraste des Credo: Überall in dieser Messe herrscht ein lebendig-atmender Klang, der vor allem eine Geborgenheit in überlegter Gestaltung vermittelt, die sich den Rausch immer wieder versagt – und so vieles überhaupt erst zu erkennen gibt.
Der Bachchor singt das wie ein gebändigter Tiger: Voller Kraft, mit pulsierender Wildheit und natürlichem Instinkt, die aber ganz dem Willen des Dirigenten-Dompteurs Otto unterworfen sind und – ohne gebrochen zu weden, ohne an Ausstrahlung zu verlieren – zivilisiert wurden. Das ist immer ein schmaler Grat zwischen banalem Klangrausch und gefühlsduseligem Kitsch, den Bruckner im Idealfall von seinen Dirigenten verlangt. Und noch dazu technisch nicht ohne Tücken. Otto wandelt sicher – und führt das Publikum so nicht nur zum Erleben, sondern zum ganz neuen Kennenlernen dieser großen Messe.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
Schreibe einen Kommentar