Es war wie bei der Uraufführung: Das Publikum war von Béla Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagwerk und Celesta“ so begeistert, dass das Orchester den letzten Satz wiederholen musste. Damals, vor fast 75 Jahren in Basel genau so wie jetzt im Kurfürstlichen Schloss. Das Orchester der Mainzer Musikhochschule unter Wolfram Koloseus war schuld an dieser Parallelität. Denn beim Abschluss der diesjährigen „MainzMusik“-Konzertreihe bot es ein spannendes und überraschendes Programm, bei dem der Schlussapplaus vollkommen gerechtfertigt war.
Der Beginn des Konzertes war aber etwas aktueller, mit der Streichermusik „Der Opfer Hiroshimas gedenkend“. Uwe Lohrmann — geboren im Jahr der Uraufführung der Bartók-Musik – schrieb dieses Stück für doppeltes Streichorchester und Solovioline zur Erinnerung an und aus Anlass des 60. Jahrestages des ersten Atombombeneinsatz. Dichte, komplexe Akkorde der vielen Streicherstimmen sind das, die das schreckliche Geschehen sehr bildhaft einfangen. Vor allem aber ist es eine Musik der Trauer, des Schmerzes und des Verlustes – und darin ganz unmittelbar. Genau darauf legt es auch Koloseus, der 2005 schon die Uraufführung dirigierte, an. Und auch Benjamin Bergmann als Solist, der aber als solcher gar nicht sehr heraussticht, sondern sich eng in das Orchestergeschehen integriert, folgt ihm eng. Zusammen widmen sie sich Lohrmanns Musik sehr effektiv und kontrolliert: Sie machen bewegende, emotionale Musik, ohne sich in Sentimentalitäten zu verlieren.
Der Trauermusik folgt dann ein unerwarteter Abstecher in die Wiener Klassik: Mozarts große g‑Moll-Sinfonie. Und es funktionierte. Denn Mozarts vorletzte Sinfonie erweist sich im Schloss als wunderbare Ergänzung, wie ein Kommentar aus der Vergangenheit. In gewisser Weise ist das ein bisschen wie ein Rückkehr in die Normalität, die aber auch nie eine heile Welt war – denn Koloseus führt auch die Abgründe und Brüche dieser Musik vor, ohne sich darin zu verlieren. Geschmeidig und für ein Studentenorchester sehr klangkultiviert navigiert er sicher durch Mozarts Spätwerk.
Wie überhaupt vieles klappte an diesem Abend. Selbst die kleinen Ungenauigkeiten, die sich in Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagwerk und Celesta“ hin und wieder einschlichen, gehören dazu: Denn Koloseus wirft sich und das Hochschulorchester betont ungestüm in die kultivierte Wildheit Bartóks, ihre ewig drängenden Unruhe und rastlosen Bewegung, die nur kurze Momente des Innehaltens, der idyllischen Inseln der Harmonie im Meer der Unrast erlaubt. Und das ist so mitreißend, dass selbst der Dirigent aufpassen muss, auf der Bühne nicht einfach loszutanzen.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
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