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Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

elisabeth hagedorn singt sich durch die romantik

zum abschied aus dem mainz­er ensem­ble hat die sän­gerin elis­a­beth hage­dorn sich aus­gerech­net einen lieder­abend aus­gedacht — mit einem ziem­lich kun­ter­bun­ten pro­gramm und dur­chaus wech­sel­haften qual­itäten:

was wohl passieren würde, wenn diese frau wirk­lich am rhein stünde und sänge? gut, ihre haare sind ein wenig kurz – aber son­st möchte man sich lieber nicht vorstellen, welche fol­gen ein lied­vor­trag eliz­a­beth hage­dorns am lorelei-felsen auf die rhein­schiff­fahrt hätte. im kleinen haus set­zte sie in gülden­em kleid und rotem schal jeden­falls scham­los so ziem­lich alle ver­führungskün­ste ein, über die eine sän­gerin von ihrem for­mat gebi­etet. und wenn sie dann also traumver­loren am flügel lehnt und die berühmten verse der „lorelei“ in der ver­to­nung von franz liszt singt, ist die volle macht der musik zu spüren. darum geht es ihr an diesem abend, einem abschied aus dem mainz­er ensem­ble, offen­bar. so ganz klar war das zunächst aber nicht. denn während der noten­stän­der kon­tinuier­lich von ein­er seite auf die andere wan­dert, wird ganz schnell klar: das spie­len ist ihre wahre domäne. da, wo sie als sän­gerin und schaus­pielerin gefragt ist, singt sie auch am besten: bei richard strauss, bei franz liszt und alban berg und auch noch bei den liedern von charles ives. mit robert schu­mann und johannes brahms hat sie allerd­ings noch zwei kom­pon­is­ten auf ihrem pro­gramm, die viel mehr intim­ität und absolute klarheit im detail fordern. und das ist ihre stärke an diesem abend nicht so ganz. schu­manns „bel­sazar“ singt sie etwa mit spek­takulärem stimm­lichen aufwand – das reißt schon mit. aber das lässt auch viel unterge­hen, von der ironie des heines-gedicht­es ist nicht mehr viel zu spüren. auch die schlicht­en volk­slied­ver­to­nun­gen von brahms passen nicht so recht zu ihrem stil: selb­st hier sucht sie noch nach der großen bühne, dem the­ater in der musik.

dort, wo der kom­pon­ist genau das ver­langt, ist sie dann aber auch wirk­lich beein­druck­end. etwa richard strauss – schon das erste lied von ihm, „die nacht“, zeigt nicht nur die streng kon­trol­lierte tech­nik, son­dern auch die tre­f­fende sub­til­ität und das klan­gliche eben­maß ihrer stimme. auch ihr pianist andreas stoehr kann mit spin­nweb-feinen begleit­fig­uren wirk­lich überzeu­gen.

und so geht es dann auch den restlichen abend weit­er. ob mit der idyl­lisch-reinen süße von liszts „fis­cherkn­abe“ oder alban bergs „nachti­gall“: eliz­a­beth hage­dorn serviert immer genau die richtige por­tion expres­siv­ität, wech­selt vom empfind­samen ver­weilen zu schweben­den traumgedanken und lässt schließlich auch noch die schlichte poe­sie der musik von charles ives erblühen. und immer wieder wan­dert der noten­stän­der von der einen seite zur andern. ein glück nur, das diese geballte por­tion ver­führung und verzück­ung auf der bühne des kleinen haus­es nie­man­den von seinem weg ablenken kon­nte.

ironische musik? schumanns heine-vertonungen unter der lupe

robert schu­mann und hein­rich heine, die bei­den großen genies der roman­tik, haben in diesem jahr ihren 150. todestag — auch wenn sich mozart vor­drängt. dabei ist ger­ade dieses traumpaar viel inter­es­san­ter. und es ist auch noch lange nicht alles gesagt. bei­de verbindet näm­lich nicht nur das jahr ihres todes, son­dern auch ein blick für die jew­eils andere kun­st. bei­de waren außer­dem wun­der­bare musikschrift­steller. und nicht zulet­zt hat schu­mann eben heine öfter ver­tont als jeden anderen dichter. diese lieder mussten allerd­ings im laufe der zeit so einige unbill erfahren. genau das hat thomas syn­ofzik, direk­tor des robert-schu­mann-haus­es in zwick­au, offen­bar gereizt. denn seine pünk­tlich zum jubiläum erschienene studie hat zwei ziele: zum einen will syn­ofzik mit der rezep­tion­s­geschichte mal so richtig aufräu­men. und er will das ver­hält­nis von musik und ironie unter die lupe nehmen. der titel ver­spricht dabei allerd­ings ein wenig mehr als das buch ein­lösen kann. denn sein fokus bleibt beschränkt: es geht um die heine-lieder — und um nichts anderes.

der ver­such, der roman­tis­chen ironie über­haupt ana­lytisch hab­haft zu wer­den, macht den anfang. syn­ofzik sieht sie vor allem als aus­druck der ambivalenz und der ambi­gu­i­tät. das beobachtet er in heines lyrik und danach sucht er in seinen detail­lierten har­monis­chen, metrischen, melodis­chen und struk­turellen analy­sen der musik. und er find­et dabei so viele und ein­deutige musikalis­chen umset­zun­gen der ironie, dass man die früheren ver­suche, genau das schu­manns ver­to­nun­gen abzus­prechen, kaum glauben mag. ob es nun die boden­lose har­monik des chor­satzes “die lotus­blume”, die tonale ambivalenz von “im wun­der­schö­nen monat mai”, die rossi­ni-per­si­flage in “die rose, die lilie, die taube” oder die para­dox­en schluss­wen­dun­gen und iro­nis­chen pointen — syn­ofzik spürt sie mit viel ana­lytis­chem geschick und scharf­blick auf. was seinem buch ger­ade am ende der lek­türe allerd­ings ein wenig abge­ht, ist der größere zusam­men­hang. inter­es­sant wäre schon noch, wie sich diese beobach­tun­gen mit anderen lieder schu­manns oder heine-ver­to­nun­gen ander­er kom­pon­is­ten ver­gle­ichen ließen.

thomas syn­ofzik: hein­rich heine — robert schu­mann. musik und ironie. köln: dohr 2006. 191 seit­en. 24,80 euro.

ist reich-ranicki ein literaturkritiker?

die frage ist nicht ganz so banal wie sie scheint. denn es tauchen zumin­d­est bei mir immer wieder zweifel auf. ver­ste­ht er über­haupt, was lit­er­atur ist? und was kri­tik? wenn ich dann heute in der taz ein inter­view mit unser aller liebling mar­cel reich-ran­ic­ki lese, komme ich aus dem verzweifel­ten lachen kaum noch her­aus. denn wenn ein lit­er­aturkri­tik­er sätze von sich gibt wie: “der leser liest büch­er zu einem einzi­gen zweck: um sich die zeit zu vertreiben” — dann ist wohl wirk­lich hopfen und malz ver­loren. dann bleibt uns wohl wirk­lich nur noch elke hei­den­re­ich. aber noch ist es ja nicht so weit. zumin­d­est nicht ganz. ein paar rest-leser gibt es ja noch. son­st würde hand­ke auch keine büch­er verkaufen. über den will mrr sich beze­ich­nen­der­weise gar nicht erst äußern. na ja, wenn man als lit­er­aturkri­tik­er immer noch und immer wieder darauf beste­ht, dass man bei der lek­türe wis­sen muss “in welch­er sit­u­a­tion war der autor”, dann sollte man sich schleug­nist nach einem passenderen gehirn oder einem angemesseneren job umse­hen. so wird das jeden­falls nix mehr — denn was weiß er denn im gün­stig­sten fall über die sit­u­a­tion des autors? er kann vielle­icht raus­bekom­men, ob er materiell abgesichert war. ob er ger­ade irgendwelchen öffentlichen oder offen­sichtlichen ärg­er hat­te und hat. aber son­st? son­st bleibt ihm doch auch nur die lek­türe und der text. und das reicht ja auch, damit hat man doch auch mehr als genug zu tun.

aber reich-ran­ic­ki freut sich lieber über die tolle arbeit, die er mit seinem kanon geleis­tet hat — und hat immer noch nicht kapiert, wie sinn­los und über­flüs­sig diese ganze sache ist. denn erstens ließe er sich mit seinen eige­nen waf­fen schla­gen: wenn er der ansicht ist, büch­er oder lit­er­atur all­ge­mein wür­den nur zum zeitvertreib gele­sen, dann bräuchte ja nie­mand einen kanon, dann kön­nte jed­er lesen, was er lustig fände (und so ist es ja auch). das zeigt ja, wie undurch­dacht und wider­sprüch­lich mrrs posi­tion ist. wer nur den kanon lesen will — braucht er dafür einen kof­fer mit allen tex­ten? nein, natür­lich nicht. und erst recht nicht, wenn die texte sowieso alle ständig ver­füg­bar sind. damit fällt näm­lich reich-ran­ick­is haupt­ab­wehrar­gu­ment gegen kri­tik an sein­er auswahl — die ja, wie er selb­st wieder zugibt, auch eine sub­jek­tive ist, also keinen wirk­lichen “kanon” im eigentlichen sinne darstellt — schon wieder weg: würde es ihm wirk­lich darum gehen, einen verbindlichen kanon zu zemen­tieren, ließe er sich nicht von so läp­pis­chen und rein kom­merziell gedacht­en argu­menten wie dem gewicht der aus­gabe der texte seines kanons bee­in­flussen. dann kön­nte er näm­lich schlicht und ein­fach eine entsprechende liste veröf­fentlichen. aber daran zeigt sich eben: es geht ein­fach um das geld. und nicht um die lit­er­atur. deshalb ist mrr auch kein lit­er­aturkri­tik­er, son­dern — wie auch schon zu zeit­en des litearischen quar­tetts, dessen schwund­stufe jet­zt halt eine solop­er­for­mance von elke hei­den­re­ich ist — nur ein berater für die freizeit­gestal­tung. und das ist etwas ganz anderes.

ist peter licht eine trübe tasse?

ich bleibe jet­zt ein­fach mal bei der früheren schreib­weise als nor­maler name. obwohl die neue kon­trahierte form den kun­stcharak­ter dieser beze­ich­nung ja schon deut­lich­er macht. ander­er­seits war es ja ger­ade der witz, das man (zunächst) nicht wusste, wo der kün­stler aufhört und der men­sch anfängt, der den früheren peter licht inter­es­san­ter gemacht hat. auch die musik sein­er ersten bei­den alben, stratosphären­lieder und 14 lieder, hat mir bess­er gefall­en als sein aktuell­stes, die lieder vom ende des kap­i­tal­is­mus. und zwar nicht nur (aber auch ein wenig) textlich (früher: mehr witz, mehr skuril­litäten, absur­ditäten der gegen­wär­tigkeit), son­dern vor allem musikalisch — wenn peter licht so stin­knor­malen gitar­ren­pop macht, wird das ganze pro­jekt irgend­wie doch eben auch ganz nor­mal und nichts beson­deres mehr. früher war zwar nicht alles bess­er, aber seine musik hat­te den entschei­den­den kick über­drehtheit mehr, der sie inter­es­sant wirken ließ.

aber hier soll es ja eigentlich um sein buch gehen: peter­licht: wir wer­den siegen! buch vom ende des kap­i­tal­is­mus. münchen: blu­men­bar 2006. und das lässt zunächst ein­mal die üblichen befürch­tun­gen wahr wer­den: geschrieben, sozusagen schwarz auf weiß, wirkt das alles nur noch halb so gut — plöt­zlich merkt man eben, wie bil­lig und abgenutzt die wortwitzeleien in wirk­lichkeit schon sind. schwarz auf weiß ist übri­gens falsch, das buch ist in (hell-)blau (mit ein wenig blass­rot) gedruckt. und in ein­er ziem­lich katas­trophalen schrift geset­zt, mit abso­lut unmöglichen i‑ligaturen — sog­ar rück­wärts bei der verbindung gi, die einem das lesen schon fast wieder ver­lei­den. aber immer­hin kann man ja noch peter lichts kugelschreiber-gekritzel bestaunen. aber auch das gab es schon mal, in der per­fek­ten form etwa bei dieter roths tele­fonze­ich­nun­gen — wenn man sich das vor augen hält, wirkt peter licht auf ein­mal wieder wie ein ganz kleines licht (‘tschuldigung, der witz musste jet­zt mal sein).

die absolute und ganz typ­is­che all-round-ver­mark­tung hat inzwis­chen von peter licht besitz ergrif­f­en: musik, the­ater, buch, dem­nächst kommt bes­timmt noch ein kinofilm… auch seine masche mit der anonymität ist natür­lich eben nur eine masche, die bei der ökonomis­chen ver­w­er­tung hil­ft: peter­licht ist die marke, die muss erkennbar sein und sich vom rest abheben. immer­hin behauptet peter licht m.w. nicht, dass es anders sei…

was ist das also für ein buch: das ist ein nettes und hüb­sches sam­mel­suri­um: kleine erzäh­lun­gen, notate, gedanken-fund­stellen, sinnsprüche und natür­lich lied­texte (kom­plett erwartungs­gemäß die “lieder vom ende des kap­i­tal­is­mus”, aber auch andere, ältere — inklu­sive dem fast unver­mei­dlichem “son­nen­deck”, das über­raschen­der­weise zu den gelun­gen­sten seit­en dieses buch­es gehört:

“wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
bin ich bin ich bin ich bin ich
und wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
oder im aquar­i­um
bin ich bin ich
und alles was ist
dauert drei sekun­den:
eine sekunde für vorher eine für nach­her
und eine für mit­ten­drin
für da wo der gletsch­er kalbt
wo die sekun­den
ins blaue meer fliegen

und wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
bin ich bin ich bin ich bin ich”

[mit den drei sekun­den hat er sog­ar mal wirk­lich recht, das haben die psy­cholo­gen ja als die unge­fähre zeitspanne der “gegen­wart” bes­tim­men kön­nen.]

daneben ste­ht aber auch etlich­es an lei­der ziem­lich ein­fältig-prim­i­tiv­en lyrik — zusam­men gemis­cht zu ein­er in jedem zeichen, in jedem banalen gekritzel bedeu­tung sug­gerieren­den mix­tur, die aber auch wieder nur leeres geblub­ber ist. das ganze dreht sich gerne immer wieder um licht & damit ver­bun­dene meta­phern. aber die zweit- oder drittver­w­er­tung sein­er ideen & gedanken, die in ihren ursprünglichen for­men — meist eben dem lied — wesentlich frisch­er & inter­es­san­ter wirken & auch sind, wie das die “trans­syl­vanis­che ver­wandte” sehr deut­lich macht, lässt sich am besten wieder mit peter licht selb­st charak­ter­isieren: “das hier macht lalala und versendet sich” punkt.

seinem spiel­trieb hat er dabei reilich freien lauf gelassen — oft wün­scht man sich nichts sehn­lich­er, als den gebrauch der ver­nun­ft und des ver­standes durch den autor. ich muss dann allerd­ings auch zugeben, dass es nicht ganz so schlimm ist, wie sich das hier jet­zt lesen mag. und dass trotz allem gemeck­er auch ein paar net­tigkeit­en dabei sind. und zwar vor allem da, wo die poet­is­che beschrei­bun­gen ein gle­ichgewicht mit den banal­itäten des all­t­ags, denen sich peter licht so gerne wid­met, auch sprach­lich einge­hen. und außer­dem lässt sich generell beobacht­en: eine gewisse leichtigkeit, ein schweben, — fast wie in der schw­erelosigkeit — die schw­erkraft ist ja, darauf hat peter licht bere­its früher hingewiesen — über­flüs­sig — im wel­traum geht’s ja auch ohne sie…

aber trotz­dem: im gesamten scheint mir das doch eben genau die art von bedeu­tungss­chwan­gerem ger­aune und pseudoin­tellek­tueller pseudokun­st zu sein, die mir den pop in sein­er ein­fachen form der gegen­wart so oft so sehr ver­lei­det. ist das jet­zt wom­öglich ein deutsches phänomen?

der einzelne gegen die masse: meisterkonzert in der rheingoldhalle

was das pro­gramm — beethoven, leonore 3; chris­t­ian jost, lux­aeter­na; rim­s­ki-kor­sakow, schehez­er­ade — zunächst gar nicht so erwarten ließ: ein span­nen­des und wirk­lich gutes, überzeu­gen­des konz­ert bei den meis­terkonz­erten in der rhein­gold­halle. der text trifft es eigentlich auch ohne ergänzun­gen ziem­lich gut:

streng und ernst ste­ht er da, von kopf bis fuß in schlicht­es schwarz gewandt. george pehli­van­ian nimmt seine auf­gabe als diri­gent der staat­sphil­har­monie rhein­land-pfalz aus­ge­sprochen ernst. zum ersten mal war der „erste gast­diri­gent“ des orch­esters beim let­zten meis­terkonz­ert in der mainz­er rhein­gold­halle. und was seine asketis­che dien­stk­lei­dung an ele­ganz ver­mis­sen lässt, macht seine dirigierkun­st wett. so ele­gant und geschmei­dig wie er dirigiert kaum ein orch­ester­leit­er.

da es bei diesem konz­ert aber offen­bar um den gegen­satz zwis­chen indi­vidu­um und gesellschaft, zwis­chen auf­begehren und anpas­sung geht, braucht der mae­stro, der sich so unauf­dringlich in sein orch­ester ein­fügte, einen gewichti­gen wider­sach­er. diese rolle füllte der sax­o­phon­ist arno bornkamp per­fekt aus. er geht ganz in sein­er rolle als kämpferisch­er indi­vid­u­al­ist, die der kom­pon­ist chris­t­ian jost ihm in seinem sax­ophonkonz­ert „lux­aeter­na“ verord­net, auf: mit ums haupt geschlun­genem stirn­band agiert er neben george pehli­van­ian bei der deutschen erstauf­führung fast wie ein stadtgueril­la – da fehlt nur noch die tarn­fleck­en-hose. der diri­gent kämpft unter­dessen um seine läs­sige ele­ganz und muss doch akzep­tieren, dass hier bornkamp die marschrich­tung vorgibt. mit allen möglichkeit­en zwis­chen klaren statet­ments, vib­ri­eren­den gefühlsaus­brüchen, schreien­der verzwei­flung und lamen­tieren­der trauer hil­ft das sax­ophon, die in ständi­ger unsicher­heit immer wieder stock­enden orch­esterk­langfelder zusam­men­zuschweißen. unaufhör­lich bringt das soloin­stru­ment melodis­che frag­mente ins spiel, während das orch­ester stärk­er in far­b­vari­a­tio­nen und raumk­län­gen organ­isiert ist. das ist zwar keine lin­eare erzäh­lung, aber doch eine form der musik, die entwick­lun­gen durch­macht, die plöt­zliche entschei­dun­gen und langes nach­denken, kämpferisches agieren und gelassenes abwarten des kampfes des einzel­nen mit und gegen die gemein­schaft in immer neuen vari­anten verbindet.

der diri­gent hat da ver­gle­ich­sweise wenig zu sagen. sein tak­stock, der sich bei beethovens drit­ter leonoren-ouvertüre als gefährlich spitzes flo­rett gebärdete, darf hier nur noch als uner­bit­tlich­er tak­t­ge­ber fungieren. dafür kann er bei niko­lai rim­s­ki-kor­sakows schehez­er­ade zum tänzel­nden, unberechen­baren der­wisch wer­den. denn pehli­van­ian spielt das orch­ester mit seinen hän­den wie ein großes instru­ment: er malt ihnen die musik förm­lich in die luft. und die lud­wigshafen­er reagieren auf diese führung wun­der­bar geschmei­dig und ein­mütig. eine blendende mis­chung aus war­men, gedeck­ten klang­far­ben und plas­tisch-kör­per­haft greif­baren struk­turen wird das – nicht nur eine augen­wei­de, son­dern auch ein ohren­schmaus.

Sprache und die Unmöglichkeiten ihrer Kritik

so, der nach­trag vom woch­enende. meine hauptlek­türe: das neueste buch von dieter e. zim­mer: sprache in zeit­en ihrer unverbesser­lichkeit. ham­burg: hoff­mann und campe 2005. ins­ge­samt nicht ganz so erquick­lich wie ich es mir erhoffte.
grund­sät­zlich hat er ja die richti­gen ideen, ins­beson­dere im ersten kapi­tel zu den grund­säztlichen möglichkeit­en der sprachkri­tik — auch wenn das arg auss­chweifend und pen­e­trant redun­dant for­muliert ist. später freilich krankt seine darstel­lung — und auch schon sein gedanken­gang — v.a. zum pri­vat­en schriftlichen all­t­ags­deutsch an einem abso­lut untauglichen kor­pus (nur inter­net-quellen, noch dazu solche wie ebay-auk­tio­nen…) und sein­er wiederum weit aus­holen­den, aber arg ein­seit­i­gen diskus­sion des anglizismen-“problems”.

im zen­trum (auch ganz pro­fan in der mitte des buch­es) des ganzen ste­ht sich­er nicht zufäl­lig die rechtschrei­bung und ihre reform inklu­sive der ausufer­n­den debat­te dazu und über­haupt die reform­fähigkeit von rechtschreib­vorschriften. hier hat zim­mer dur­chaus vernün­ftige vorschläge — was vor allem an sein­er dezi­diert prag­ma­tis­chen aus­rich­tung liegt. reform sollte schon mal sein, aber vor allem ein wenig bess­er durch­dacht, kon­se­quenter und auch jet­zt noch mit eini­gen mod­i­fika­tio­nen — etwa bei der von zim­mer abgelehn­ten, sin­nwidri­gen und unäs­thetis­chen mech­a­nis­chen tren­nung sowie natür­lich bei der getren­nt- und zusam­men­schrei­bung.
der gesamte zweite teil dient vor allem zwei zweck­en: der offizielle grund ist wohl, zu zeigen, dass große teile der lin­guis­tik aus falschen grün­den die sprachkri­tik ablehnen. der eigentlich grund scheint aber eher zu sein: seht her, das habe ich alles gele­sen, das kenne und beherrsche ich alles. zim­mer bedi­ent sich dafür äußrst großzügig am buf­fet der sprach­wis­senschaft, lässt aber auch ganz große bere­iche ein­fach außer acht, scheint sie noch nicht ein­mal zu ken­nen. das bet­rifft vor allem neuere the­o­rien sowohl der gram­matik (natür­lich nimmt er von der opti­mal­ität­s­the­o­rie keine notiz), aber auch fast die kom­plette, inzwis­chen ja sehr exper­i­mentell aus­gerichtete, psy­cholin­guis­tik würdigt er keines blick­es. entsprechend alt­back­en und mager sind die ergeb­nisse. über das niveau der ein­führungs-pros­em­inare kommt er kaum her­aus. und auch da beschränkt er sich schon außeror­dentlich stark: auf­grund seines ver­ständ­niss­es von sprachkri­tik (das er so freilich nie expliziert) als kri­tik v.a. der wort-seman­tik und des “richti­gen” gebrauchs der wörter, mit ein wenig syn­tax dazu, lässt er große teile der sprach­wis­senschaft außer acht, u.a. eben die teile der seman­tik, die über das einzelne wort hin­aus­ge­hen — das, was ja erst so richtig span­nend wird…

er bemüht sich sehr, die neu­tral­ität der lin­guis­tik zurück­zuweisen — allerd­ings aus falschen grün­den. im kern behauptet zim­mer näm­lich, die lin­guis­tik sei ide­ol­o­gisch kon­t­a­miniert und deshalb nicht wil­lens, sprachkri­tik zu betreiben. das macht er vor allem am nativis­mus der (post-)chomsky’schen aus­prä­gung fest, den er aber sehr entstellt und längst nicht mit seinen aktuelleren entwick­lun­gen vorstellt. wenn er etwa viel mühe darauf ver­wen­det, zu zeigen, dass lexi­ka nicht ange­boren sein kön­nen, weil dafür gar nicht genug “spe­icher­platz” in den genen sei, zeigt er vor allem, wie wenig er ver­standen hat. denn wenn ich recht sehe, glaubt das doch sowieso nie­mand mehr — es geht doch ger­ade darum, dass die zugrun­deliegen­den struk­turen genetisch ver­mit­telt wer­den und dann mit­tels des inputs “gefüllt” wer­den. das ist alles umso erschreck­ender, als zim­mer ger­ade den lin­guis­ten falsche und ide­ol­o­gis­che motivierte schlussfol­gerun­gen vor­wirft — seine eige­nen schlüsse erscheinen mir aber wesentlich fahrläs­siger und ein­seit­iger. das prob­lem der vererbung bzw. der entwick­lung eines “sprach­gens” scheint mir gar nicht so sehr ein prob­lem zu sein: es wurde inzwis­chen ja dur­chaus gezeigt, dass kom­plexe sys­tem sich der­art entwick­eln kön­nen — das beste beispiel dafür ist ja das auge (wom­it die kreation­is­ten ja so gerne argu­men­tieren). aber so etwas nimmt zim­mer genau­so wenig zur ken­nt­nis wie neuere forschun­gen zur evo­lu­tionären lern­barkeit von sprache, die in exper­i­menten (mit algo­rith­men etc.) ja inzwis­chen dur­chaus gesichert ist.

“lass deine sprache nicht allein” ist zim­mers faz­it — damit hat er ja recht. nur seine gründe sind lei­der die falschen. denn die lin­guis­ten dür­fen das dur­chaus — und zwar genau so, wei biolo­gen nicht naturschützer sein müssen.

noch einmal bier-prosa. diesmal von franz dobler

nach “blut & bier”, den ja wirk­lich sehr unge­wasch­enen sto­ries von franz xaver kroetz, kommt gle­ich die näch­ste alko­hol-lek­türe: bier­herz. flüs­sige prosa von franz dobler (ham­burg: nau­tilus 1994). so richtig sauber ist das hier natür­lich auch nicht, das wäre von franz dobler auch wohl zu viel ver­langt. den anfang macht die wiederver­w­er­tung des vor­wortes zu einem the­ater­stück mit dem über­raschen­den namen “bier­herz”, in dem dobler v.a. erk­lärt, dass man mit seinem stück so ziem­lich alles machen kann, so lange nur der text von irgend jemand gesprochen wird. das ganze fix verquirlt mit ein paar tief­schür­fend­en und jed­er menge flach­schür­fend­en gedanken und ideen zum bier und seinem kon­sum und fer­tig sind die ersten dreißig seit­en des neuen büch­leins.… danach kommt lei­der nicht mehr viel: eine kleines “reise­tage­buch” durch louisiana und texas mit ein paar lau­ni­gen beschrei­bun­gen der musik‑, tanz‑, bar- und bierver­hält­nisse dorten ist da noch der höhep­unkt. der rest total ver­nach­läs­sig­bar: anek­doten, lau­nig erzählt, abso­lut unschein­bar und ohne beson­dere stilmerk­male, ästhetis­che eigen­heit­en oder son­stige her­aus­ra­gende eigen­schaften: flüs­sig eben, und schnell ver­ronnen.…

joachim lottmann beobachtet zombies in freier wildbahn

der neueste anschlag lottmanns auf guten geschmack und überkommene werte: joachim lottmann: zom­bie nation. köln: kiepen­heuer & witsch 2006.

der erzäh­ler – ein autor-klon mit dem namen johan­nes­lohmer, „erfind­er“ des pop-romans – beobachtet sich beim recher­chieren / schreiben eines fam­i­lien­ro­mans, der seinem jugen­dro­man fol­gen soll: „der erste fam­i­lien­ro­man der poplit­er­atur“ behauptet der klap­pen­text (was natür­lich blödsinn ist, allein fichte hat da ja schon einiges dazu geschrieben). und natür­lich ist „zom­bie nation“ auch gar kein­er. höch­stens als per­si­flage auf die aktuelle schwemme auf dem bücher­markt. dazu ist lottmann ja immer wieder gut: als seis­mo­graph. und als schlag­wort-liefer­ant – ein beispiel? aber klar doch, gle­ich auf dem umschlag: „was frauen den män­nern antun, ist der eigentliche irak-krieg unser­er epoche.“ das ste­ht da ein­fach mal so und wartet, dass jemand drauf anspringt. was ja hier­mit offiziell erledigt wäre …

„die let­zten tage der berlin­er repub­lik“ sind das zen­trum des romans – die ansprüche sind gesunken, die men­schheit war ein­mal, heute geht es nur noch um uns: die mit­dreißiger oder vierziger kul­turschaf­fend­en… typ­isch für lottmann ist natür­lich wieder der ironie-overkill, sein schein-real­is­mus, inklu­sive vol­lz­i­tat einiger jour­nal­is­tis­chen arbeit­en lottmanns
(aus der sz und der taz), verquickt noch dazu mit eini­gen pri­vat­en abson­der­lichkeit­en — und schon ist das neue buch fer­tig. schnell geschrieben, schnell gele­sen und wahrschein­lich auch schnell wieder vergessen.

das fab­u­lieren hat lottmann aber ganz gut draf: die hyper­tro­phe meta­phern­schlacht im geiste ein­er simulierten erzäh­lerischen unschuld, die natür­lich ständig geschickt umspielt wird – genau wie das imag­inierte zwiege­spräch zwis­chen erzäh­ler und imag­inärem leser gerne mal reflek­tiert, umge­dreht wird, um dann doch keine rück­sicht zu nehmen oder ger­ade erst recht, je nach momen­tan­er stim­mung: „es fällt mir schw­er, den leser mit ein­er wieder­gabe eines frem­den lebens zu behel­li­gen, anstatt über das eigene leben zu bericht­en.“ – „der lit­er­aturbe­trieb verzei­he mir, aber ich kon­nte nicht anders, als wieder mit ihr zu schlafen.“

das gesamt­paket wird dann mit dem her­rlichen rosa des umschlags abgerun­det: die züchtige unschuld – aber dann natür­lich die stre­ichze­ichung der bar­busi­gen jungfrau mit gülden­em haar –, die beobach­tung der schreck­lich angepassten jugend des jahres 2005 und verzwei­flung über ihre sinnlosigkeit beschäfti­gen lottmann: wer schon in sein­er jugend das leben sein­er eltern führt – was soll aus dem noch wer­den? und wenn das ein ganzes volk so macht? dann amüsiert man sich mit sein­er heim­lichen liebe, der bild-zeitung: „ein schön­er beginn, eine tolle geschichte, mit einem nachteil: sie stand in der bildzeitung und war somit erfun­den.“

und wer sind nun eigentlich die zom­bies? und die zom­bie nation? keine ahnung. aber sie haben die große koali­tion ver­schuldet und ver­ant­wortet.

und noch ein konzert: (fast) nur schnittke-kammermusik

ger­ade eben noch fer­tig gewor­den: meine besprechung des heuti­gen konz­ertes der rei­he “neue musik in der alten patrone”, deren def­i­n­i­tion von neuer musik und dementsprechend auch die pro­gram­mgestal­tung mich son­st sel­ten wirk­lich zufrieden stellen kann. aber auch wenn ich immer noch kein wirk­liche fan von alfred schnit­tke bin ‑unter dem heute gehörten war doch einiges bedenkenswertes, etwa die erste sonate für cel­lo und klavier. und auch das klavierquar­tett “mahler-scher­zo” (basierend auf dem frag­ment von mahlers zweit­em satz in seinem nie vol­len­de­ten klavierquar­tett) hat dur­chaus reize ent­fal­ten kön­nen. auch wenn die dar­bi­etung zwar größ­ten­teils ziem­lich ordentlich war, aber noch luft nach oben ließ — was m.e. vor allem daran lag, dass die orch­ester­musik­er solche werke ein­fach zu oft spie­len, da fehlt die rou­tine und tech­nis­che gelassen­heit, mit der das “haup­tamtliche” kam­mer­musik­er spie­len kön­nen, ein­fach an vie­len stellen.

offiziell klingt das dann etwas gemäßigter bzw. fre­undlich­er:

so etwas gehört ja eigentlich ver­boten. denn das ist nichts anderes als emo­tionale erpres­sung, was judith tie­mann und mar­ti­na graf-nießn­er in der alten patrone mit alfred schnit­tkes erster vio­lon­cel­lo-sonate anstellen. ein­fach gemein ist es, denn jede gegen­wehr ist sowieso zum scheit­ern verurteilt. die bei­den sind ein­fach unver­schämt inten­siv, lassen die schat­ti­gen klänge dieser med­i­ta­tion und ihre grotesken anwand­lun­gen der­maßen nach­drück­lich in den raum schweben, dass man der verblüf­fend­en kohärenz dieser emphatis­chen grat­wan­derung, die die bei­den musik­erin­nen mit unfass­bar­er sicher­heit absolvieren, ein­fach nicht entkom­men kann. selb­st auf dem schmalen grat zwis­chen emo­tionaler inten­sität und purem kitsch, auf dem schnit­tke so oft wan­delt, scheuen sie selb­st große gesten nicht. und weil das für sie so selb­stver­ständlich scheint, gelingt es auch: nur wer sein­er selb­st wirk­lich sich­er ist, kann sich so etwas erlauben, ohne zu scheit­ern. dage­gen wirk­te schnit­tkes vio­lin­sonate, die anette seyfried davor gespielt hat­te, auf ein­mal ganz blass und unschein­bar. und das, obwohl sie zunächst recht strin­gend und tre­f­fend musiziert schien.

der zweite teil des konz­ertes war dann dem klavierquar­tett gewid­met, für dass sich die trois femmes malte schae­fer und seine vio­loa als ver­stärkung geholt haben. auch hier das gle­iche spiel: die suite im alten stil, von den musik­ern selb­st für klavierquar­tett arrang­iert, ist vor allem brav und rechtschaf­fen bieder, aber auch reich­lich nichtssagend und lang­weilig. doch das war ja noch nicht alles. denn für schnit­tkes klavierquar­tett „mahler-scher­zo“ bere­it­eten die vier sich zunächst mit mahlers quar­tettsatz vor. schnit­tke bezieht sich in seinem quar­tett ja auf die skizzen mahlers für den nie kom­ponierten zweit­en satz zu einem klavierquar­tett, von dem nur der anfang fer­tig wurde. der mahler klang dann in der alten patrone vor allem sehr orches­tral, reich­lich aufge­plus­tert und dadurch an entschei­den­den stellen etwas unscharf. aber das über­boten die musik­er bei schnit­tkes mahler-fortschrei­bung mit leichtigkeit: den dicht­en, eng ver­wobe­nen satz ließen sie gekon­nt zwis­chen spätro­man­tik und post­mod­erne schwanken, beton­ten geschickt immer wieder die dif­feren­zen dieser klang­wel­ten und das düster-groteske, die auflö­sung der in den mahler­schen entwür­fen noch halb­wegs zusam­men­hän­gen­den welt in den clus­tern und der klin­gen­den entropie des endes – ein passender schlusspunkt lässt sich kaum find­en.

so, das war jet­zt heute ein pro­duk­tiv­er tag.…

der kategorische medienimperativ der testcard

im orig­i­nal zwar nur eine abo-werbe-kam­pagne, aber auch davon los­gelöst eine sehr schöne und nett umge­set­zte idee:

kat­e­gorisch­er medi­en­im­per­a­tiv

der kat­e­gorische medi­en­im­per­a­tiv lautet in sein­er aktuellen, vom bun­destag ende 2009 als gesetz ver­ab­schiede­ten form:

äußere dich in den medi­en so, als kön­nten deine forderun­gen jed­erzeit auch auf dich sel­ber appliziert wer­den.

dem geset­zge­bungsver­fahren war eine öffentliche diskus­sion im gefolge dreier tragis­ch­er ereignisse voraus­ge­gan­gen:

während der fußball­welt­meis­ter­schaft 2006 wurde vertei­di­gungsmin­is­ter jung, nach­dem er laut­stark für flugzeu­gab­schüsse in gefahren­si­t­u­a­tio­nen gekämpft und diese schließlich durchge­set­zt hat­te, beim dien­sthub­schrauber­an­flug auf den bet­zen­berg von ein­er flakein­heit verse­hentlich für eine ter­ror­is­ten­waffe gehal­ten und eli­m­iniert.

mitte 2008 wurde innen­min­is­ter wolf­gang schäu­ble, der sich für die ver­wend­barkeit von unter folter erpressten geständ­nis­sen stark gemacht und diese auch erre­icht hat­te, von unbekan­nten ver­schleppt und der­art gefoltert, dass auf­grund der von den ent­führern veröf­fentlicht­en aus­sagen sowohl er selb­st als auch alt­bun­deskan­zler hel­mut kohl, min­is­ter­präsi­dent roland koch und einige andere cdu-poli­tik­er zu langjähri­gen haft­strafen verurteilt wer­den kon­nten.

fast zeit­gle­ich geschah es, dass ex-innen­min­is­ter otto schi­ly für eine drin­gende her­z­op­er­a­tion in kana­da auf ein bes­timmtes flugzeug gemusst hätte, infolge eines tech­nis­chen defek­ts im von ihm sel­ber einge­führten bio­metrischen per­son­alausweis jedoch nicht durch die absper­rung gelassen wurde. obwohl ihn jed­er gle­ich erkan­nte, kon­nte er die mas­chine nicht betreten und erlitt vor aufre­gung einen herzan­fall.

in allen fällen hat­ten die opfer bis zum schluss zu ihrer sicher­heit­spoli­tis­chen mis­sion ges­tanden (schilys let­zte worte: »recht so, ich kön­nte schließlich genau­so gut ein ter­ror­ist sein.«) und dafür viel beifall bekom­men. den­noch entspann sich in der folge eine debat­te darüber, wie man öffentliche inter­essen­vertreter kün­ftig bess­er vor den kon­se­quen­zen ihrer inter­ven­tio­nen schützen könne. diese mün­dete dann in der leg­isla­tiv­en ver­ankerung der obi­gen maxime.

gut zwei jahre nach der ein­führung ist die bilanz ges­pal­ten. tonangebende medi­en­for­mate wie die sabine-chris­tiansen-show, die maybrit-lll­ner-show oder die kom­men­tarspal­ten der frank­furter all­ge­meinen zeitung mussten kurz nach inkraft­treten der regelung kom­plett eingestellt wer­den, wodurch hochdotierte arbeit­splätze ver­nichtet wur­den. wichtige gesellschaftliche stim­men sind ver­s­tummt (z. b. dieter hundt, ex-präsi­dent des bun­desver­ban­des der deutschen arbeit­ge­berver­bände: »dann hätte ich ja sel­ber unter solchen bedin­gun­gen leben müssen, wie ich sie für arbeit­snehmer fordere. ich bin doch nicht ver­rückt, da halte ich doch lieber meinen mundt.«). auf der anderen seite stößt das gesetz dur­chaus auch auf akzep­tanz — ger­ade unter jün­geren. auf­se­hen erregte jüngst der fall eines jun­gun­ternehmerver­bandsvertreters, der in ein­er radiodiskus­sion eine anruferin, die ihre über­lebensstrate­gien auf hartz vi geschildert hat­te, für ihre vor­bildliche eigenini­tia­tive lobte. gle­ich der näch­ste anruf kam vom kat­e­gorischen medi­en­im­per­a­tivsüberwachungsamt, das dem ver­bandsvertreter per com­put­er­stimme mit­teilte, sein ver­mö­gen und papis erbteil seien kon­fisziert, er sei ab sofort auf hartz iv und könne nun die von ihm für vor­bildlich erk­lärte eigenini­tia­tive zeigen. woraufhin der junge mann in einen weinkrampf aus­brach und »ich wider­rufe!« schrie.

(aus: test­card #15, s. 302)

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