so, der nachtrag vom wochenende. meine hauptlektüre: das neueste buch von dieter e. zimmer: sprache in zeiten ihrer unverbesserlichkeit. hamburg: hoffmann und campe 2005. insgesamt nicht ganz so erquicklich wie ich es mir erhoffte.
grundsätzlich hat er ja die richtigen ideen, insbesondere im ersten kapitel zu den grundsäztlichen möglichkeiten der sprachkritik — auch wenn das arg ausschweifend und penetrant redundant formuliert ist. später freilich krankt seine darstellung — und auch schon sein gedankengang — v.a. zum privaten schriftlichen alltagsdeutsch an einem absolut untauglichen korpus (nur internet-quellen, noch dazu solche wie ebay-auktionen…) und seiner wiederum weit ausholenden, aber arg einseitigen diskussion des anglizismen-“problems”.
im zentrum (auch ganz profan in der mitte des buches) des ganzen steht sicher nicht zufällig die rechtschreibung und ihre reform inklusive der ausufernden debatte dazu und überhaupt die reformfähigkeit von rechtschreibvorschriften. hier hat zimmer durchaus vernünftige vorschläge — was vor allem an seiner dezidiert pragmatischen ausrichtung liegt. reform sollte schon mal sein, aber vor allem ein wenig besser durchdacht, konsequenter und auch jetzt noch mit einigen modifikationen — etwa bei der von zimmer abgelehnten, sinnwidrigen und unästhetischen mechanischen trennung sowie natürlich bei der getrennt- und zusammenschreibung.
der gesamte zweite teil dient vor allem zwei zwecken: der offizielle grund ist wohl, zu zeigen, dass große teile der linguistik aus falschen gründen die sprachkritik ablehnen. der eigentlich grund scheint aber eher zu sein: seht her, das habe ich alles gelesen, das kenne und beherrsche ich alles. zimmer bedient sich dafür äußrst großzügig am buffet der sprachwissenschaft, lässt aber auch ganz große bereiche einfach außer acht, scheint sie noch nicht einmal zu kennen. das betrifft vor allem neuere theorien sowohl der grammatik (natürlich nimmt er von der optimalitätstheorie keine notiz), aber auch fast die komplette, inzwischen ja sehr experimentell ausgerichtete, psycholinguistik würdigt er keines blickes. entsprechend altbacken und mager sind die ergebnisse. über das niveau der einführungs-proseminare kommt er kaum heraus. und auch da beschränkt er sich schon außerordentlich stark: aufgrund seines verständnisses von sprachkritik (das er so freilich nie expliziert) als kritik v.a. der wort-semantik und des “richtigen” gebrauchs der wörter, mit ein wenig syntax dazu, lässt er große teile der sprachwissenschaft außer acht, u.a. eben die teile der semantik, die über das einzelne wort hinausgehen — das, was ja erst so richtig spannend wird…
er bemüht sich sehr, die neutralität der linguistik zurückzuweisen — allerdings aus falschen gründen. im kern behauptet zimmer nämlich, die linguistik sei ideologisch kontaminiert und deshalb nicht willens, sprachkritik zu betreiben. das macht er vor allem am nativismus der (post-)chomsky’schen ausprägung fest, den er aber sehr entstellt und längst nicht mit seinen aktuelleren entwicklungen vorstellt. wenn er etwa viel mühe darauf verwendet, zu zeigen, dass lexika nicht angeboren sein können, weil dafür gar nicht genug “speicherplatz” in den genen sei, zeigt er vor allem, wie wenig er verstanden hat. denn wenn ich recht sehe, glaubt das doch sowieso niemand mehr — es geht doch gerade darum, dass die zugrundeliegenden strukturen genetisch vermittelt werden und dann mittels des inputs “gefüllt” werden. das ist alles umso erschreckender, als zimmer gerade den linguisten falsche und ideologische motivierte schlussfolgerungen vorwirft — seine eigenen schlüsse erscheinen mir aber wesentlich fahrlässiger und einseitiger. das problem der vererbung bzw. der entwicklung eines “sprachgens” scheint mir gar nicht so sehr ein problem zu sein: es wurde inzwischen ja durchaus gezeigt, dass komplexe system sich derart entwickeln können — das beste beispiel dafür ist ja das auge (womit die kreationisten ja so gerne argumentieren). aber so etwas nimmt zimmer genauso wenig zur kenntnis wie neuere forschungen zur evolutionären lernbarkeit von sprache, die in experimenten (mit algorithmen etc.) ja inzwischen durchaus gesichert ist.
“lass deine sprache nicht allein” ist zimmers fazit — damit hat er ja recht. nur seine gründe sind leider die falschen. denn die linguisten dürfen das durchaus — und zwar genau so, wei biologen nicht naturschützer sein müssen.
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