so, die erste woche des wintersemesters ist geschafft ;-). mir ist etwas interessantes aufgefallen, weil ich viele vorlesungen des historischen seminars besuche und die dozenten in den vorlesungen ja gerne in der ersten sitzung so einige grundsätzliche ausführungen machen, zu methode und inhalt, entstehung und verlauf ihrer veranstaltung. und auffällig viele, nämlich gefühlte 90 % der dozenten (die nicht alle professoren sind, aber zumindest habilitiert) machten mehr oder weniger ausführliche bemerkungen zur umstellung der studiengänge auf bachelor & master. die mainzer universität will das ja bereits im nächsten wintersemester komplett geschafft haben (worauf ich schon sehr gespannt bin, bis jetzt ist davon noch nicht allzu viel zu merken). und so langsam scheint bei den professoren anzukommen, dass die universität, wir wir sie momentan kennen, damit der vergangenheit angehören wird. sie merken so langsam und allmählich, dass sie sich mit der radikalen umstellung auf diese pseudo-studienabschlüsse die größte reform der universität eingehandelt haben, die seit 1900 passiert ist – dagegen waren die vond en 68ern angestoßenen umbauten ein klacks. denn inzwischen realisieren sie, dass es mit der freiheit der lehre dann nicht mehr weit her ist – wenn alles schön im stundenplan vorgeschrieben ist, muss das ja auch erledigt werden. und dann ist – davon kann man getrost ausgehen – für vorlesungen wie „Von der Bildungsreform Karls des Großen zur Universität. Schriftlichkeit, Wissen und Bildung im lateinischen Mittelalter (8.–13. Jahrhundert)” sicherlich kein platz mehr. aber jetzt ist das kind halt in den brunnen gefallen …
das knarzt und knurpselt und fiepst, dass es eine reine freude ist (wenn man so etwas aus den randbereichen der improvisierten musik mag, natürlich). eigentlich sind es – zumindest über ganz lange strecken dieser wunderbaren cd – nur geräuschr, nur fetzen, bruckstücke einer musik. die laufen aber doch zusammen und miteinander ab – dafür sorgt vor allem thomas lehn mit seinen analogen synthesizern. quasi mikroskopisch ist der blick – die makroebene wird einfach mal als gegeben (und vertaut) vorausgesetzt. oder besser gesagt: ihre mentale konstruktion wird einfach dem (geneigten) hörer überlassen.
die grenzen des hörbereichs auszuloten, nicht nur physiologisch, sondern – und vor allem – auch phsysich – das ist gratkowskis spezialität. die subtilität, mit der er dabei vorgeht, ist kaum anders als genial zu bezeichnen. und wirklich unübertroffen ist er darin, auch das ergebnis dieser forschungen, also das auf diesen silberling gebannte klanggeschehen, ganz subtil und feinsinnig zu erscheinen lassen.
ganz sachte formen, oft nur schemenhafte umrisse in bis kurz vorm platzen gedehnter zeit, aus dem ab und ganz und gar verhaltenes, verstecktes, verschämtes pulsieren hervorlugt, prägen die vier titel von triskaidekaphonia. klappengeklapper, blasgeräusche, gemischt mit dem analogen synthesizer, ergeben eine fast unmerkliche einheit: alle drei lasse sich unheimlich weit auf das wagnis des freien improvisierens ein – weiter als die meisten ihrer kollegen. und so weit, dass auch mal eine weile fast nichts zu passieren scheint … das „kaputtspielen” (peter kowald) haben sie ihren vorgängern überlassen – sie machen sich jetzt an einen neuen aufbau, offenbar wirklich frei, nämlich zumindest scheinbar losgelöst aus allen konventionen und musikalischen traditionsformen.
das ergebnis ist dann auch eher eine „klangkunst” als herkömmlicher jazz: klangbilder, oft ganze panoramen, die die große weite leerer landschaften abbilden, aus denen nur ganz wenig herausragt, die aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – das aber dafür umso deutlicher. aber das heißt nicht, dass es hier einen durchgehenden klangteppich gebe – fast alles, wirklich restlos, ist vordergrund, ist momentan geschöpft, vollkommen neu. und trotzdem ergibt sich daraus eine dreidimensionale landschaft – das ist das tolle, begeisternde, großartige dieses trios!
vier lange „stücke” sind auf der cd versammelt, alles mehr oder weniger willkürlich benannt – denn herrkömmliche stücke sind das natürlich nicht, sondern eben eher abfolgen, ausschnitte, epische versuche, aber bestimmt keine lieder. die titel sind ganz offensichtlich bloße assoziationen – und auch gar nicht wichtig, könnten genauso gut titellos bleiben. denn sie haben als komposition, als werk gar keine identität, sie sind nur das (momentane) ergebnis einer situation, die die drei musiker zusammenführte (nämlich im kölner „loft”, aus dem so viel interessante musik kommt.
irgend wann, kurz vor schluss des ersten teils, „ladders and stairs” benannt , kippt es plötzlich – ohne ersichtlichen grund: genau das macht diese art der improvisierten musik so spannend: nie vorhersehen zu können, nie zu wissen, was in der nächsten sekunde passieren wird – und nimmt fahrt auf, wird wieder etwas ruhier, bleibt aber jetzt, wo der damm durchbrochen ist, zerissen und reizbar.
der zweite titel gibt sich insgesamt etwas rauer und kantiger, auch eruptiver und brodelnder, trotz des eher gemütlich klingenden und schutz und geborgenheit verheißenden titels „umbrellas”.
in „renaming a boat” klingt das ganze noch freier, unbekümmerter und spontaner, erfährt eine zunehmende verdichtung und erneute öffnung. zum ende der cd (vor allem in „hot cross buns”) hin steigt die action – d.h., die episoden erhöhter aktivität häufen sich und ihre abstände werden immer kürzer.
einfach genial großartig.
frank gratkowski /thomas lehn /melvyn poore: triskaidekaphonia. leo records 2006.
wunderbar, wie hans-jürgen linke in der frankfurter rundschau über das konzert keith jarretts in der frankfurter alten oper schreibt:
Keith Jarrett bleibt im ersten Teil des Konzerts seinem Publikum fast alles schuldig und im zweiten immerhin den Beweis, dass er ein Musiker des 21. Jahrhunderts ist. […] Er klingt in seinen schlechteren Phasen wie ein mäßig inspirierter, technisch recht guter, tief sentimentaler amerikanischer Pianist und in seinen besten Momenten wie ein handgebremster, mit Puderzucker bestreuter Brahms, der Jazz gehört hat.
christian broecking schreibt in der taz sogar:
Ein Desaster aus Größenwahn, Eitelkeit und Virtuosität. […] Dass das Publikum nach 40 Minuten Konzert vor der Pause und 30 Minuten danach stürmisch vier kurze Zugaben herbeiklatschte, kann den Eindruck nicht schmälern, dass das intellektuelle Niveau auf der Bühne kaum einmal unteres Mittelmaß erreichte. Schlimmer noch wirkt, dass es einfach nicht gut klingt, wenn ein sich maßlos selbst überschätzender Künstler kaum mehr den Weg zurückzufinden scheint. Das magere künstlerische Ergebnis überragt Jarretts enervierende Selbstherrlichkeit mit großer Not.
ich habe das konzert zwar nicht gehört, aber das bringt meine gedanken beim hören (auch der älteren) von jarretts improvsiationen ziemlich gut auf den punkt.
in der tat, da passiert so einiges. das spannende bei produktionen, die den namen simon nabatov im titel tragen, ist ja der umstand, dass man nie so genau weiß, was einen da erwartet – der mann ist ein chamäleon des jazz (und das unglaubliche, das mich bisher wirklich jedes mal faszinierte: er klingt immer, egal was er treibt, absolut glaubwürdig – das können nicht viele). auf a few incidences wandelt er mit seinem oktett auf den spuren des dichters daniil kharms. das ganze ist in sich selbst aber schon wieder so vielfältig, dass es schwer zu beschreiben ist. da gibt es eher klassisch anmutende free-jazz-nummern wie die ersten beiden titel, dann aber auch offenbar weitgehend auskomponierte stücke wie on equilibrium, mit der tendenz zur klangforschung …
der hauptgrund für die hohe qualität in allen bereichen dieser aufnahme ist aber sicherlich die auswahl der beteiligten. das sind nämlich alles musiker, die ich auch aus anderen kontexten kenne und bewundere: sprachakrobat phil minton etwa. der grandios holzbläser frank gratkowski, posaunist nils wogram, der cellist ernst reijseger, cor fuhler mit live elektronik, matt penman am bass und michael sarin am schlagwerk. und natürlich das unvergleich virtuose (auf allen ebenen, auch der strukturellen und ideellen) klavierspiel von simon nabatov. einfach herrlich, wie diese heroen der improvisierten musik zusammen harmonieren …
simon nabatov octet: a few incidences in memoriam nikolai dmitriev, based on texts of daniil kharms. leo records 2005.
und es klingt genau so, wie man sich es vorstellt, wenn ein klassisch ausgebildeter (und guter!) sänger jazz singt. nicht schlecht, nur – für mich – ausgesprochen langweilig, weil eigentlich vollkommen vorhersehbar und erwartbar. ab und an gibt’s immerhin versuche der freiheit, des befreiten klangs – aber das ist ungefähr so authentisch wie der soul von mariah carey (ok, das war jetzt gemein …).
auch die auf dem cover (dazu später mehr) so hoch gepriesenen arrangements sind meines erachtens eher belanglos. im kern ist es eine solide jazzband versierter studiomusiker, ab und an zur bigband erweitert, einige mal auch durch das deutsche symphonie-orchester abgelöst. aber da gab es schon vor 50 jahren spannendere sachen – wenn ich etwas an neil heftis arbeiten für count basie denke. oder an so manche aufnahme von stan kenton.
das ist aber überhaupt das problem für mich mit dieser cd: das ist letztlich halt einfach alles furchtbar altmodisch, traditionell, ja fast staubig. ist es, so frage ich mich bei so etwas immer wieder, immer noch jazz, wenn man über jahrzehnte stets dasselbe spielt? jazzige musik ist es, klar. aber für echten jazz braucht es in meinen augen (und ich mag da etwas radikal sein) mehr, nämlich unbedingt einen kontakt zur jetztzeit, eine kommunikation mit der gegenwart, die sich akustische niederschlägt – hätte jazz das nicht geleistet, wäre er nie so wichtig und interessant gewesen.
wolf kampmann wirft diese frage im booklet auch auf, ohne sie aber zu beantworten. überhaupt, das booklet – kampmann schätze ich ja eigentlich sehr. aber so eine schleimerei wie das hier … und nur, weil das alles für die vita von thomas quasthoff und produzent (und gastsolist) till brönner relevante musik sein soll, muss ich mir das ja nicht unbedingt anhören – das ist doch ein absolut peinlicher fehlschluss. und genau so geht mir halt das ganze vermarktungsgeseiere gehörig auf den wecker. natürlich muss hier alles wieder schön in der ausgelutschten song-form, schön brav im radio-kompatiblen drei-minuten-format sein – das haben echte jazzer auch schon vor fünfzig jahren hinter sich gelassen. und natürlich muss der name von thomas quasthoff – der hier nur singt, nichts arrangiert, dirigiert, komponiert, improvisiert – prominenter als alles andere sein. und die krönung ist natürlich die beiliegende werbung für klingeltöne mit musik aus diesen aufnahmen – deutlicher kann man doch die angeblich so hehren bemühungen der künstler gar nicht ad absurdum führen …
nachdem das drumherum (ach ja: der sound ist übrigens ausgesprochen mittelmäßig, sehr unecht, total auf die stimme konzentriert, klignt sehr zusammengesetzt) jetzt aber auch noch ein paar worte zur musik: zu hören sind songs von gershwin und konsorten wie frederich loewe und rodger & hart (also eher musical-/broadway- als jazz-komponisten …). aber leider zu hören ohne improvisation, ohne sinn. und dann kommt ausgerechnet dazu noch die anmaßung, das ganze the jazz album zu nennen. immerhind wird dann im booklet auch noch jeder kopist (natürlich hat jeder arrangeur seinen eigenen – wozu eigentlich im zeitalter des computers?) namentlich erwähnt – nur das raumpfleger-team der studios haben sie vergessen …
alles in allem ist es für meinen geschmack auch noch viel zu nahe am kitsch gebaut (allerdings allemal besser, als wenn popsänger klassik zu singen versuchen). ohne frage ist es immerhin – was anderes wäre aber auch sehr verwunderlich – gesangstechnisch eine wunderschöne sache. etwa smile oder in my solitude – in diesen schmonzetten kann quasthoff schon einiges bieten. aber jazz? mit vielen fragenzeichen und klammern höchstens, eigentlich ist nur die rekapitulation einer früher mal aktuellen musik, die schon damals kaum noch jazz war, heute aber eben in meinen augen das recht auf diesen ehrentitel verloren hat.
thomas quasthoff: the jazz album. watch what happens. deutsche grammophon 2007.
soviel gleich vorweg: das (nämlich klaus hoffers bei den bieresch) ist ein seltsames, befremdliches buch.
es entfaltet eine völlig andere welt – und doch auch wieder nicht. bieresch ist seltsames völkchen – schon die namen! alle sind sie mehrfach benannt, alle extrem mit bedeutung aufgeladen (aber auch wieder nicht, sie können sie verlieren, ändern, neue bekommen …), je nach situation und hierarchie und stellung von adressat und adressierer wechseln sie immer wieder … die bräuche sind auch seltsam, irgendwie ungenau, unscharf, nicht zu begreifen – aber: besucher ist nicht zum ersten mal dort, er war als kind durchaus in dieser gegend, unter diesen leuten – scheint aber kaum/keine erinnerungen (mehr) daran zu haben
diese völlige fremdartigkeit, diese ganz eigene welt (die allerdings durchaus – ncith nur auf metaphorischer ebene! – berührungspunkte mit dem, was wir „wirklichkeit” zu nennen gewohnt sind, hat) ist zwar ein umstand, der die lektüre sehr schwer macht. aber auch faszinierend. und der dieses buch so wohltuend unterscheidet von dem allermeisten, was heutzutage als literatur produziert wird – die sich in viel zu vielen fällen darauf beschränkt, die oberfläche der realität zu erzählen, also bloß wiederzugeben. von daher – dies so ganz nebenbei – sehe ich das esra-urteil des bundesverfassungsgerichtes auch nicht als so große gefahr für die kunst an: sicher bin ich für eine größtmögliche freiheit der kunst, überhaupt keine frage. aber ich wundere und frage mich dann doch oft, warum es vielen autoren so schwer fällt, sich von den tasächlichen begebenheiten ihres lebens zu lösen (inwieweit das alles auf max bilers esra zutrifft oder nicht, kann ich natürlich gar nicht beurteilen, weil ich weder das buch noch die wirklichkeit kenne). was ich damit aber eigentlich sagen will: der kunst sollte es – auch wenn sie die nähe zur wirklichkeit sucht – möglich sein, dies so zu tun, dass persönlichkeitsrechte nicht verletzt werden. auch im medium der sprache, dass für solche grenzüberschreitungen natürlich wiederum das prädestinierteste überhaupt ist. aber das ist schon wieder ein anderes problem, das große teile der heute produzierten texte betrifft: dass sie keine eigene (kunst-)sprache haben (auch gar nicht erstreben), keinen stil, sondern sich mit dem alltagswerkzeug der kommunikation schon zufrieden geben. das tut klaus hoffer hier sicherlich nicht.
Hängt nicht an Hund‘ und Katzen eure Herzen,
An Blumen, Pferd‘ und Pagagei’n -
O lernt doch erst der Menschheit Freud‘ und Schmerzen
Und unter Menschen Mensch zu sein!
(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Unmenschliche Liebhaberei)
- halt, nein, so heißt es ja gerade nicht bei christina griebel: wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den kopf heißt ihr erzählungs-band. und das ist ein großer unterschied. denn er gibt der – genau besehen ja reichlich banalen – aussage eine völlig neue wendung, macht sie – ja, poetisch eben: zu einer sprachwirklichkeit. und darin ist griebel ausgesprochen gut. das war’s dann aber auch schon fast. denn so richtig konnte ich mich für das büchlein nicht erwärmen. sicher, schöne stellen, tolle beschreibung, super-genaue beobachtungen ind präziser, chirurgischer sprachschärfe niedergeschrieben (erzählt übrigens wird eigentlich nicht, nur beschrieben – blicke, beobachtungen, begebenheiten …). so ganz kann ich deshalb auch die begeisterung der rezensenten (die mich zum kauf und zur lektüre verführt haben) auch nicht verstehen.
hans-peter kunisch schrieb in der süddeutschen zeitung: „ Doch vor allem ist der erste Eindruck von diesem Erzählen einer der präzisen, sinnlichen Wahrnehmung.” d’accord. aber wieso er behauptet, „dramaturgisch überzeugen die meisten Texte”, ist mir schon nicht mehr so ganz klar. und seine feststellung: „Selten glaubt man von einer Erzähl-Debütantin so deutlich, ihr könne ein guter Roman gelingen.” kann ich gar nicht teilen. im gegensatz – ich befürchte eher, dass ihr dies gerade nicht gelingen würde, weil ihre technik dafür, für die lange strecke nämlich, mir nicht tragfähig genug erscheint.
gisa funck war in der faz auch eher hin- und hergerissen – in ihrer rezension erkenne ich viele meiner eigenen lektüreerlebnisse: nämlich faszinierende sprache, geschickte beschreibungen etc., andererseits aber oft übertriebene geheimnistuerei, ziellosigkeit und so fort …
christina griebel: wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den kopf. frankfurt am main: fischer 2003 (collection fischer).
Eine alte Geschichte ist es, die auf der Bühne des Kleinen Hauses verhandelt wird: Judith, die zur Rettung ihres Volkes aus den Krallen des Besatzers Holofernes diesen bezirzt, um ihn im Schlaf zu ermorden. Und doch ist es auch eine Ausgrabung. Denn Alessandro Scarlatti hat sein Oratorium „La Giuditta“ schon am Ende des 17. Jahrhunderts komponiert. Und wahrscheinlich wurde es seit der Uraufführung im römischen Palast des Kardinals Pietor Ottoboni, der auch den Text schrieb, nicht mehr szenisch aufgeführt. Dabei gehört das unbedingt dazu, da ist sich Clemens Heil, der musikalische Leiter dieser Koproduktion von Staatstheater und Musikhochschule, ganz sicher: „Scarlattis dramatische Musik ist ohne szenische Elemente kaum zu denken, das ist alles immer für die Szene komponiert.“
Die szenische Umsetzung mit den Sängern aus Theater-Ensemble, Jungem Ensemble und Hochschulstudenten dirigiert in Mainz Arila Siegert. Für sie ist die zentrale Frage dieses Stückes nicht so sehr, wie es zu dem Mord kam, sondern wie es danach weitergeht: „Wie kann Judith mit dieser Tat leben?“ Denn Judith bleibt einsam und innerlich verbrannt. Deshalb hat sie sich gemeinsam mit Clemens Heil auch dafür entschieden, dem Schluss eine Arie aus der zweiten Fassung des Oratoriums hinzuzufügen: ein Schlaflied, dass Judith mit dem Kopf des Holofernes in der Hand singt.
Überhaupt bemüht sie sich um einen starken Bezug der Inszenierung auf die musikalische Struktur. Denn „das ist kein Standard-Oratorium der erbauenden gleichnishaften Erzählung“, erläutert Heil. „So fängt es zwar an und endet es auch. Aber dazu kommt noch die ganze Palette menschlicher Leidenschaften in opernhaften Arien, Kriegsmusik und vor allem der Psychothriller der großen Mordszene.“
Außerdem ist „La Giuditta“ natürlich auch ein politisches Stück – aber für Siegert nicht in der Form plumper tagespolitischer Aktualisierungen, sondern durch das Aufgreifen der Themen Vertreibung und Heimatlosigkeit, durch die Konstitution der zwei Lager des Krieges und den Einbruch der Gewalt in die häusliche Ordnung. Im abstrakt-modernen Raum von Hans Dieter Schaal versucht sie die Verknüpfung zeitloser Themen und direkter Anklänge des zugleich modernen und archetypischen Kampes um Macht, dem ständigen Eskalieren. Denn auch Judith wird hier zunächst als Kriegerin eingeführt, sie ist keineswegs eine schwache Frau. „Demokratie ist genau dieses Auspendeln um die Führung“, erläuter sie. Und deshalbt hat sie ihr Ensemble auch demokratisch geführt: Kein Starwesen, sondern permanenter Wechsel zwischen Solisten und Statisten findet hier statt. Und es gibt zwei sehr ebenbürtige Besetzungen, so dass eigentlich zwei vollgültige Premieren über die Bühne gehen. Die erste davon am Samstag ist auch schon ausverkauft.
Première: 13. Oktober, 19.30 Uhr, Kleines Haus.
gerade höre ich otomo yoshihides new jazz ensemble mit dreams. und das ist ganz anders als alles, was ich bisher von yoshihide kenne. gut, es ist auch älter – nämlich schon 2001 aufgenommen. schlecht ist es deshalb nicht. nur von den verrückten und spannenden sound-experimenten, mit denen sich yoshihide in letzter zeit einen festen platz auf meiner lieblingsliste erobert hat, ist hier nur ganz wenig zu spüren. dafür ganz viel von john zorns radical new jewish culture – in der japanischen variante. denn was ich damit meine, ist weniger, dass yoshihide hier auf jüdische traditionen zurückgreift, sondern dass er überhaupt auf (volkstümlich) tradition zu rekurrieren scheint (ob er es wirklich tut, entzieht sich schlicht und einfach meiner kenntnis). gewiss, ab und an lugt auch schon der experimentelle yoshihide um die ecke. aber heute würde er wohl nicht mehr so straight die texte vertonen, sie nicht mehr so ungebrochen, fast romantisch, singen lassen, die arrangements nicht mehr so glatt und harmonisch über die bühne laufen lassen – kurz, die song-strukturen (ja, so etwas gibt es auch bei yoshihide!) sind hier noch weitgehend traditionell, noch nicht durch die dekonstruktions-mühle gewandert. gerade deshalb bleibt das ganze auch ziemlich harmlos – träumerisch eben. oder schlafwandelnd, wie man will. ach je, jetzt sehe ich gerade, dass meine vermutete chronologie gar nicht stimmt – cathode und anode sind sogar schon vor dreams entstanden. also, jetzt weiß ich halt noch weniger, warum das hier so klingt wie es klingt …
ok, da war ich wohl etwas vorschnell… den der letzte track, hahen fukei, bringt eine wahre explosion zum vorschein: ein wildes gemetzel, in klassischer free-jazz-manier, mit elektronischem gezwitscher und handgemachten aggressiven bläsern – jetzt passt es für mich gar nicht mehr zusammen. aber irgendwie wird’s halt immer besser …
otomo yoshihides new jazz ensemble: dreams. tzadik #7051, 2002.