Er ist ein sanfter Rebell, der überraschend kleine, aber immer quicklebendige Ton Koopman. Nie betrieb er die historische Aufführungspraxis so provokant wie andere Kollegen, weder als Wissenschaftler noch als Dirigent oder Instrumentalist geht es ihm darum, aufzufallen. Denn Ton Koopman ist beides – und immer beides zugleich. Und wahrscheinlich deshalb auch nicht so extrem. Insofern war er natürlich eine wunderbare Wahl für die erste Mainzer Musikdozentur, die die Akademie der Wissenschaften und der Literatur gemeinsam mit der Mainzer Musikhochschule nun jährlich veranstalten.
Er nutzte die Gelegenheit auch entsprechend und stellte sich sowohl als Wissenschaftler als auch als Musiker vor. Und beide Bereiche kommen bei ihm in einem Anspruch zusammen: Die Wahrheit ist sein Ziel. Aber keine theoretisch aus den Quellen gearbeitete: Wie er bei seinem launigen Vortrag erklärte, ist für ihn das klingende Resultat immer das wichtigste. Auch wenn er dann ein paar mehr Sänger auf der Bühne stehen hat als die Puristen der Bach-Spezialisten. Einen weiten Bogen schlug er, führte den voll besetzten Roten Saal (ein Teil des Publikums musste sogar in den Orgelsaal ausweichen) durch verschiedene Probleme der historisch informierten Aufführungspraxis: Von der Chorgröße über die „richtigen“ historischen Instrumen und den angemessenen Verzierungen zur Stimmtonhöhe und der Frage, ob bei Bach Frauen mitgesungen haben. Und kam immer wieder zu dem Ergebnis, dass auch Spezialisten noch lange nicht alles wissen. Deswegen ist sein Schluss auch: „Es ist notwendig, beim Musikmachen zu denken“. Schade nur, dass er nichts zu den folgenden Kantaten sagte.
Denn Koopman war nicht nur als Vorlesender, sondern auch als Dozent, der mit den Studierenden arbeitet, nach Mainz gekommen. Das hat er in der letzten Woche getan, mit zwei Bach-Kantaten führte er es im Roten Saal der Hochschule vor. Und man merkt sofort: Das ist echter Koopman. Vor allem die Instrumentalisten des Neumeyer-Consort klingen ziemlich so, wie man es von ihm gewohnt ist: Beweglich und nachdrücklich in jedem Augenblick. Für die Sänger – zugleich Teilnehmer von „Barock vokal“, dem Exzellenzprogramm der Musikhochschule – gilt das allerdings nicht ganz. Sie wirken durch die Bank auffallend zahm und gediegen, manchmal auch etwas gehemmt: Wo die Instrumentalisten unter dem energisch-fordernden Dirigat Koopmans fast jeden Ton variieren, eine elastische Dynamik auf kleinstem Raum entwickeln, bleiben die Vokalisten vergleichsweise steif. Vielleicht hätten sie sich nicht in den Rücken des Dirigenten stellen sollen. Freilich, das sind alles junge Stimmen – und schlecht sind sie auch gar nicht. Und schließlich ist ja auch Koopman nach langen Jahren der Praxis und des Studierens immer noch auf der Suche — nicht nur nach dem richtigen, dem historisch wahren Klang, sondern nach der lebendigen, kreativ gefühlten Musik.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
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