Wenn schon das Wet­ter nicht mit­spielt, dann wenig­stens die Kun­st: Der Mainz­er Musik­som­mer ist wieder eröffnet:

Keine leichte Sache wird das: Von 16. bis zum 20. Jahrhun­dert reicht die Spanne, von franko-flämis­ch­er Vokalpoly­phonie bis zu spätro­man­tis­chen Chor­liedern. Das Eröff­nungskonz­ert des Mainz­er Musik­som­mers im Dom ist damit fast ein kleines Fes­ti­val in sich.

Ein­fach ist das nicht, so eine große Vielfalt in einem Konz­ertabend zusam­men­zubrin­gen und jedem einzel­nen Werk auch gerecht zu wer­den. Doch Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschft gelingt das mit dem Domkam­mer­chor richtig gut. Sich­er, die Spezial­is­ten wür­den die Chor­musik der Mainz­er Hofkapellmeis­ter wie Gabriel Plautz, Philipp Friedrich Buch­n­er oder Johann Zach schon anders sin­gen. Aber auch Bre­itschaft find­et einen guten Weg. Einen san­ften vor allem:

Immer wieder fällt in diesen litur­gis­chen Chorsätzen aus dem Renais­sance- und Barock-Mainz der weiche Chork­lang auf, den Bre­itschaft formt. Der Domkam­mer­chor und seine Solis­ten lassen den Klang förm­lich in die Domhalle fließen, ohne die Kon­trolle über die Kon­turen zu ver­lieren – und mit der Fähigkeit, immer wieder klare Akzente zu set­zen und Höhep­unk­te zu for­men.
Der Sprung in die Roman­tik ist dann freilich doch genau das: Ein Sprung. Und ein recht großer noch dazu. Zumal Franz Liszts „Präludi­um und Fuge über B‑A-C‑H“ für Orgel ja auch nicht zurück­hält mit großen Gesten, har­monis­chen Kühn­heit­en und klan­glichen Effek­ten.

Domor­gan­ist Daniel Beck­mann, der in der ersten Hälfte den Chor auch schon mit Cel­listin Traudl Eutebach im Gen­er­al­bass unter­stützt hat, übern­immt die Auf­gabe, diesen Sprung auszuführen – und tut das gewandt, ohne die Boden­haf­tung zu ver­lieren. Wo andere Organ­is­ten sich gerne aus­to­ben, bevorzugt er eher gemäßigte Tem­pi und nimmt sich auch Zeit für Ruhep­unk­te – so bleibt auch in der Domakustik noch vieles erkennbar. Vor allem aber ist es seine sehr fan­tasievolle, abwech­slungsre­iche und ein­fühlsame Reg­istrie­ung, die nicht nur das Poten­zial der Orgel auskostet, son­dern auch dem Werk zur vollen Gel­tung ver­hil­ft.

Der Domkam­mer­chor nimmt das dann direkt auf: Mit drei Motet­ten von Liszt zeigt er sich in der zweit­en Konz­erthälfte deut­lich far­biger als zuvor in der Abteilung „Alte Musik“, deut­lich vielfältiger auch in Dynamik und Artiku­la­tion. Vor allem zum Schluss hin steigern sich die nach­den­klichen Innigkeit­en: Sorgsam und faszinierend detail­re­ich ent­fal­tet Bre­itschaft schon Hugo Wolfs „Geistliche Lieder“, behut­sam und bedacht lässt er ihre res­ig­na­tiv-erlöste Endzeit­stim­mung genau aus­for­men. Und mit der Motette „Schaffe in mir Gott“ von Johannes Brahms, die zumin­d­est for­mal noch ein­mal den Bogen zum Anfang des Konz­ertes schlägt, kann er das sog­ar noch ein biss­chen über­bi­eten: Mit geziel­tem Kraftein­satz, mit präzis geset­zten Höhep­unk­te und trotz aller klan­glichen Delikatesse vor allem mit viel begeis­tertem Schwung.

(geschrieben für die Mainz­er Rheinzeitung.)