Heute gibt es ganz viel Musik, nämlich „The Illusive English Organ“, die Ausgabe 1201 der „Pipedreams“. Pipedreams ist eine unbedingt empfehlenswerte Sendung des amerikanischen Radios, die über deren Homepage auch bei uns zu hören ist: Jede Woche gibt es hier (auch per E‑Mail) zwei Stunden feinste Orgelmusik, thematisch und/oder regional verbunden, mit großem Interesse an den Orgeln und ihren Spezifika. Mehr Informationen gibt’s auf der Homepage beim Publicradio/American Publik Media: klick.
Schlagwort: orgelmusik
Wenn schon das Wetter nicht mitspielt, dann wenigstens die Kunst: Der Mainzer Musiksommer ist wieder eröffnet:
Keine leichte Sache wird das: Von 16. bis zum 20. Jahrhundert reicht die Spanne, von franko-flämischer Vokalpolyphonie bis zu spätromantischen Chorliedern. Das Eröffnungskonzert des Mainzer Musiksommers im Dom ist damit fast ein kleines Festival in sich.
Einfach ist das nicht, so eine große Vielfalt in einem Konzertabend zusammenzubringen und jedem einzelnen Werk auch gerecht zu werden. Doch Domkapellmeister Mathias Breitschft gelingt das mit dem Domkammerchor richtig gut. Sicher, die Spezialisten würden die Chormusik der Mainzer Hofkapellmeister wie Gabriel Plautz, Philipp Friedrich Buchner oder Johann Zach schon anders singen. Aber auch Breitschaft findet einen guten Weg. Einen sanften vor allem:
Immer wieder fällt in diesen liturgischen Chorsätzen aus dem Renaissance- und Barock-Mainz der weiche Chorklang auf, den Breitschaft formt. Der Domkammerchor und seine Solisten lassen den Klang förmlich in die Domhalle fließen, ohne die Kontrolle über die Konturen zu verlieren – und mit der Fähigkeit, immer wieder klare Akzente zu setzen und Höhepunkte zu formen.
Der Sprung in die Romantik ist dann freilich doch genau das: Ein Sprung. Und ein recht großer noch dazu. Zumal Franz Liszts „Präludium und Fuge über B‑A-C‑H“ für Orgel ja auch nicht zurückhält mit großen Gesten, harmonischen Kühnheiten und klanglichen Effekten.
Domorganist Daniel Beckmann, der in der ersten Hälfte den Chor auch schon mit Cellistin Traudl Eutebach im Generalbass unterstützt hat, übernimmt die Aufgabe, diesen Sprung auszuführen – und tut das gewandt, ohne die Bodenhaftung zu verlieren. Wo andere Organisten sich gerne austoben, bevorzugt er eher gemäßigte Tempi und nimmt sich auch Zeit für Ruhepunkte – so bleibt auch in der Domakustik noch vieles erkennbar. Vor allem aber ist es seine sehr fantasievolle, abwechslungsreiche und einfühlsame Registrieung, die nicht nur das Potenzial der Orgel auskostet, sondern auch dem Werk zur vollen Geltung verhilft.
Der Domkammerchor nimmt das dann direkt auf: Mit drei Motetten von Liszt zeigt er sich in der zweiten Konzerthälfte deutlich farbiger als zuvor in der Abteilung „Alte Musik“, deutlich vielfältiger auch in Dynamik und Artikulation. Vor allem zum Schluss hin steigern sich die nachdenklichen Innigkeiten: Sorgsam und faszinierend detailreich entfaltet Breitschaft schon Hugo Wolfs „Geistliche Lieder“, behutsam und bedacht lässt er ihre resignativ-erlöste Endzeitstimmung genau ausformen. Und mit der Motette „Schaffe in mir Gott“ von Johannes Brahms, die zumindest formal noch einmal den Bogen zum Anfang des Konzertes schlägt, kann er das sogar noch ein bisschen überbieten: Mit gezieltem Krafteinsatz, mit präzis gesetzten Höhepunkte und trotz aller klanglichen Delikatesse vor allem mit viel begeistertem Schwung.
(geschrieben für die Mainzer Rheinzeitung.)
Die Konkurrenz war stark. Und vor allem sehr laut. Der englische Organist John Scott musste im Dom wirklich alle sprichwörtlichen Register ziehen, um gegen die Bands auf dem Liebfrauenplatz anzukommen. Die meiste Zeit gelang ihm das auch recht gut, aber so manche zarte und leise Stelle ging dann doch im hereinschwappenden Rock unter. Dafür war hier das Publikum exklusiver – nur wenig Orgelenthusiasten fanden am Mittwoch Abends in den Dom.
Gelohnt hat sich der Weg aber durchaus. Denn der in New York tätige Scott, den eine Kooperation der Domkonzerte mit dem Kultursommer Rheinland-Pfalz nach Mainz brachte, präsentierte ein klassisches Orgelkonzertprogramm. Zumindest auf den ersten Blick. Das begann ganz typisch mit deutscher Orgelmusik des 17. Jahrhunderts, um sich dann bis in die Gegenwart und nach England vorzuarbeiten. Und da wurde es dann richtig spannend. Sicher, Scott kann als versierter Organist auch die vorbachschen Meister souverän darbieten. Sein sehr behutsamer Umgang mit dem Notentext, seine fast zerbrechlich aufscheinenden klanglichen Ideen, die abwechslungsreichen Registrierungen, sein defensives und weiches Spiel – all das steht Georg Muffat genauso zugute wie Pachelbels Choralpartita über „Was Gott tut, das ist wohlgetan“.
Aber erst mit dem Übergang zum englischen Teil des Programms entfaltete sich Scotts ganze Faszination und Spannkraft. Schon Samuel Sebastian Wesleys Larghetto zeigte die Richtung – allerdings vorerst nur in Andeutungen. Sehr sachte breitete Scott das aus, fast schon ein wenig verhuscht formierte er Klangschwaden in sanft anrollenden Wellen – so konnten die meditativen Variationen sich wunderbar entfalten. Und dann ging es mit einem hartem Schnitt rein in die virtuose, majestätische Pracht. Beginnend mit der Fantasia & Toccata des Iren Charles Villiers Stanford, ließ der Engländer seinen Händen und Füßen nun wirklich freien Lauf. Aber auch hier, in den deutlich auf Virtuosität konzipierten Werken, zauberte Scott immer wieder wunderbar sanft gleitende Übergänge. Dumm nur, dass ausgerechnet jetzt, in die feinsinnig zurückgezogenen Gespinste, die Außenwelt in Gestalt der Rockmusik immer wieder einbrach. Dafür konnte Scott, vollkommen souveräner Herrscher über den Spieltisch der Mainzer Domorgel, mit den „Wild Bells“ von Michael Berkeley das Terrain dann wieder mehr als behaupten. Dieses phantastische Werk voller virtuoser Einfälle und Tricks ist genau das, was der Titel verheißt: Eine impressionistisch angehauchte Klangstudie über wild gewordene, fast irrsinnig tönende Glocken. Und das gab Scott zum Schluss noch einmal Gelegenheit, aus dem Vollen zu schöpfen, einen Wettkampf der Zungen zu inszenieren und im virtuosen Rausch beeindruckende Klangbewegungen vorzuführen.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung.)
- Klaus Beckmann, Verfasser des unverzichtbaren „Repertorium Orgelmusik“, hat im Schott-Verlag in den letzten Jahren bereits die umfangreiche Reihe „Meister der Norddeutschen Orgelschule“ herausgegeben. Jetzt legt er die theoretische bzw. musikgeschichtliche Ergänzung dazu vor: „Die Norddeutsche Schule. Orgelmusik im protestantischen Norddeutschland zwischen 1517 und 1755.“ Man darf also einiges erwarten. Zu sehr sollte man die Vorfreude allerdings nicht ausreizen. Denn, soviel sei schon gesagt, bei allen Verdiensten, die dieses Buch aufweist, bleiben doch einige Lücken offen. Das liegt natürlich auch daran, dass bisher nur der erste Teil der Untersuchung vorliegt: „Die Zeit der Gründerväter“ betitelt, was den Zeitraum bis 1629 meint. Musikalisch wird es danach freilich erheblich interessanter – aber hier sind eben die Anfänge der Norddeutschen Orgelschule, hier sind die Voraussetzungen und Ausgangspunkte der eigenständigen Entwicklung der Orgelmusik in den protestantischen Städten in Deutschlands Norden zu beobachten. Und darum kreist auch ein erheblicher Teil dieses Buches: Die Bedingungen, unter denen damals überhaupt wie und welche Orgel gespielt wurde und wann und wie für die Orgel komponiert wurde.
- Dazu liefert Beckmann nicht nur einen knappen Abriss der Entwicklungen des Orgelbaus in den Hansestädten bis zum 16. Jahrhundert, er bietet vor allem eine Vielzahl Quellen zur
- sozialhistorischen Situation, zu den geistigen und religiösten Umständten der frühen Reformation, zu den von Ort zu Ort sich unterscheidenden Austarierungen zwischen (lateinischer) Messtradition und reformatorischem Gottesdienst. Insbesondere die vielfach überlieferten Kirchenordnungen bieten ihm dafür Material. Und dort wiederum insbesondere, wo sie von der Situierung der Orgel und des Organisten im protestantischen Gottesdienst sprechen: So weit sich das überblicken lässt, sind es vor allem die Vespern, die Orgelmusik möglich machten. Und die geschah dort wiederum offenbar in verschiedenen Funktionen: Der Organist konnte intonierend oder alternierend mit dem Chor musizieren, er konnte diesen vollständig substituieren oder auch colla parte spielen. Hier ist die Quellenlage im Einzelnen aber immer noch dünn. Die Kirchenordnungen geben für diese Details nämlich oft nur wenig her – für die gottesdienstliche Praxis ist auch Beckmann immer noch auf Vermutungen angewiesen – durchweg plausible allerdings.
- Aus diesen Voraussetzungen rekonstruiert er dann später auch den Ort bzw. Anlass der überlieferten Kompositionen und entsprechend auch eine typisierende Kategorisierung. Beckmann legt großen Wert darauf, das nicht mit „künstlichen“, weil später entwickelten Begriffen zu tun, sondern nach Möglichkeit auf zeitgenössische Bezeichnungen zurückzugreifen. Bei den hier untersuchten Werken in diesem Zeitraum stößt er vor allem auf zwei Formen: Orgelchoral und Choralfantasie. Doch der genauen Untersuchung der musikalischen Quellen geht zunächst noch ein kurzer, reichlich knapper Rückblick auf die bisherige Orgelmusik vroaus: Die süddeutschen Komponisten um Schlick und Hofhaimer werden ebenso erwähnt wie Hans Buchners exemplarische Orgelschule bzw. Tonsatzlehre, das „Fundamentum“. Außerdem bietet Beckmann noch einige Erläuterungen der Diminuitionspraxis und des Kolorismus, um den Stand der Orgelkunst in Deutschland zu Beginn des 16. Jahrhunderts darzulegen. Ähnlich wie bei dem Kapitel zum Orgelbau bleibt aber die zentrale Frage eigentlich wieder unbeantwortet: Was hat das mit der Norddeutschen Orgelschule zu tun? Wie sehen die Verbindungen denn jetzt konkret aus?
- Insgesamt geht er allerdings sehr gewissenhaft und penibel systematisch vor: Nachdem die äußeren Bedingungen nun geklärt sind, soweit es die Quellenlage erlaubt – oder wenigstens die Quellen dazu zitiert wurden –, kommen nun die einzelnen Städte an die Reihe. Die Reise beginnt in Hamburg mit den „ehrwürdigen Gründervätern der Norddeutschen Orgelkunst“ (142) der Familie Praetorius, allen voran Hieronymus (1560 – 1629).
- Hier, bei dessen Vater Jakob und vor allem bei Hieronymus beobachtet Beckmann nämlich ein wesentliches Element: Den eigentlichen Übergang vom bloßen Absetzen, d.h. Übertragen vokaler Musik auf das Tasteninstrument und das Kolorieren zum eigentlichen „Komponieren“. Jakob Praetorius ist ihm der erste Organist mit „fest umrissenem Profil“ (135) – das er dem Leser freilich schuldig bleibt. Damit ist Hieronymus Praetorius der erste Komponist, dessen „einzigartiges Oeuvre“ (156) Beckmann ausführlich vor- und darstellt. Denn von ihm ist „das komplette organistische Repertorie als Gesamtwerk“ mit einzelnen, in sich jeweils geschlossenen Zyklen überliefert: Magnificats, Hymnen und Kyrien. Hier zeigt sich Beckmann dann auch, etwa in der Analyse der Magnificatzyklen, als feinsinniger und sachlich ausgesprochen auf Korrektheit bedachter Wissenschaftler – freilich ohne besondere sprachliche Eleganz. Überhaupt ist das vom Verlag schon als „Standardwerk“ gepriesene Buch – viel Konkurrenz hat es allerdings auch nicht – eine ausgesprochen trockene Lektüre – noch ein Stück spröder als der auch nicht gerade übermäßig sinnliche Gegenstand der Untersuchung.
- Grundsätzlich lässt sich schon bei den ersten Analysen feststellen: Beckmann hat vor allem die formale Gestaltung und ihre Verläufe sowie die proto-motivische Arbeit im Blick. Sobald er freilich das Feld der unmittelbaren Analyse verlässt, hagelt es Konjunktive – im allgemeinen ist Beckmann nämlich ausgesprochen vorsichtig und zurückhaltend, was Deutungen und Interpretationen angeht, die nicht direkt auf Aussagen zeitgenössischer (was bei ihm, gerade was Figurationen und kontrapunktische Techniken bzw. deren Termini angeht, durchaus ein Zeitraum von zweihundert Jahren sein kann) Quellen zurückgehen.
- Das ergibt dann eine Fülle richtiger und aufschlussreicher Beobachtungen und Erkenntnisse, etwa aus der vortrefflichen Analyse der 3 Versus des Magnificat Primi Toni des Hieronymus Praetorius aus dessen Zyklus der acht Magnificat-Vertonungen, die schon Willi Apel zu Recht als „Auftakt der norddeutschen Orgelmusik […], in dem sich die ganze Pracht und Größe dieser Kunst in bedeutsamer Weise ankündigt“, charakterisierte. Klaus Beckmann zeigt nun allerdings recht deutlich, dass das schon mehr als eine Ankündigung zukünftiger Großtaten ist: Bei ihm ist mit Hieronymus Praetorius der wichtigste Schritt bereits getan, die erste Realisierung künstlericher Äußerung schon geschehen. Aber dieses Ergebnis muss der Leser schon selbst vollziehen – da ist Beckmann wieder viel zu vorsichtig, so etwas exlipizit zu äußern.
- Anhand von Praetorius‘ Werken charakterisiert er auch schon „Orgelchoral und Choralfantasie als instrumentale Kategorien, die insbesondere für die Orgelmusik der Norddeutschen Schule spezifisch sind“ (195). Zwar lässt sich der Tastensatz Praetorius‘ (und seines Zeitgenossen Johann Steffens in Lüneburg) durchaus noch als „vokalaffin“ beschreiben, doch nicht nur die Analyse der Satz- und Formstrukturen, auch die Untersuchung der verwendeten Figuren erlauben es Beckmann, von einer orgelspezifischen Fortentwicklung zu sprechen. Daneben betont er nicht nur die Standardisierung der formalen Abläufe, die sich hier bereits zeigt, sondern vor allem den geschlossenen Opus-Charakters der drei Zyklen. Darin ist nicht nur für ihn ein eindeutiges Zeichen der Repertoire-Schaffung für den gottesdienstlichen Gebrauch zu sehen.
- Den Untersuchungen der Hamburger Orgelkunst folgt ein kurzer Besuch in Danzig, um die Danziger Tabulatur wenigstens zu erwähnen. Darauf geht es weiter nach Lüneburg, wo Johann Steffens lebte und arbeitete. Bei der Untersuchung von Steffens‘ Choralfantasien zeigt sich, dass die anhand der Kompositionen von Praetorius entwickelten Begriffe „Orgelchoral“ und „Choralfantasie“ tragfähig genug sind, um auch Steffens‘ Formen zu beschreiben.
- Dem folgt noch einen kurzer Abstecher nach Celle – die dort entstandene Orgeltabulatur von 1601 ist der Grund dafür –, um mit Braunschweig-Wolfenbüttel, wo Michael Praetorius residierte, die Reise vorerst schon wieder zu beenden. Den Abschluss bildet der Versuch einiger Überlegungen zur „Historischen Spielweise“. Aber diese sehr kurzen, knapp gefassten Hinweise zur grundlegenden Problematik jeder historisch informierten Aufführungspraxis bieten kaum mehr als ein kommentiertes Literaturverzeichnis – und haben im Zusammenhang dieses ersten Teils auch keinen rechten Platz.
- Schon diese arg verkürzende Zusammenfassung zeigt, dass in den ersten Jahren der Norddeutschen Orgelschule im Grunde kaum von einer Schule gesprochen werden kann. Das liegt vor allem an dem wenigen Material, das überliefert ist und dementsprechend den wenigen Verbindungen untereinander.
- Beckmann bemüht allerdings immer wieder die besondere Betonung der Eigenständigkeit der hier beginnenden Norddeutschen Orgelschule, wie sie sich vor allem in Hieronymus Praetorius und Johann Steffens manifestiert. In der Tat ist ja die früher gern angenommene Abhängigkeit von Jan Pieterzoon Sweelinck kaum und auch nur mit schwachen Indizien zu belegen: „Demgegenüber bedarf die deutsche Wurzel einer wahrheitsgetreuen Aufwertung.“ (262) Der Aufarbeitung dieser älteren musikwissenschaftlichen Rezeption hat Beckmann viel Raum gegeben. Aber genau diese „vordergründige Denkweise“, die Beckmann der älteren Forschung vorwirft, findet dann doch – zumindest in kleinen Dosen – ihren Niederschlag auch in seiner eigenen Arbeit – wenn er etwa behauptet: „Es liegt nahe anzunehmen, dass Johann Steffens und Hieronymus Praetorius […] eine gute nachbarschaftlich-kollegiale Beziehung gepflegt haben, wozu auch der Austausch von Kompositionen gehört haben dürfte. Eine Reihe von Übereinstimmungen […] erhärtet jedenfalls diese Vermutung zur Gewisseheit.“ Solche Schlüsse sind letztlich genauso gefährlich wie die Argumentation mit einem historischen „Wahrheitswert“. Schließlich weist Beckmann selbst oft genug darauf hin, wie entscheidend sich das Bild durch neue oder lange Zeit vernachlässigte Quellen verändern kann.
- Doch das betrifft nur wenige Stellen seiner Ausführungen. Was dagegen schwerer ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass es Beckmann in diesem ersten Teil seiner Untersuchung kaum gelingt, angenommene oder tatsächliche historische Entwicklungen in ihrem Verlaufscharakter darzustellen: Zu sehr sind das (noch) lauter einzelne Wissensbrocken. Aber noch besteht ja Hoffnung, denn dies ist ja ausdrücklich der erste Teil einer größeren Untersuchung. Und der Hauptteil seines Themas, die Hochphase der Norddeutschen Schule, steht eben noch aus. Dieses Manko kann also durchaus noch dem Forschungsgegenstand, einer Schule im Entstehen, geschuldet sein – wobei sich dann doch die Frage stellt, ob diese arg künstliche Trennung in „Gründerzeit“ und Hochphase wirklich sinnvoll ist.
- Überhaupt haftet dem ganzen Band an einigen Stellen etwas unfertiges und undurchdachtes an. Nur ein Beispiel: Gewiss wird hier ein hochgradig spezielles Thema abgehandelt, die Idee eines Glossars ist also durchaus hilfreich – aber dort dann „Orgel“ oder „Pedal“ in zwei Sätzen erklären zu wollen, mutet doch befremdlich an.
- Schließlich hätte man mit dem hier ausgebreiteten Wissen eine wunderbare Geschichte der Norddeutschen Orgelschule – oder zumindest ihrer Anfänge – schreiben können. Aber das hat Klaus Beckmann leider kaum getan. Es ist weniger ein Lesebuch, sondern viel mehr eine Dokumentation geworden – vor allem aber ein instruktives und materialreiches Quellenlese- und ‑findebuch.
- Klaus Beckmann: Die Norddeutsche Schule. Orgelmusik im protestantischen Norddeutschland zwischen 1517 und 1755. Teil I: Die Zeit der Gründerväter. 1517–1629. Mainz u.a.: Schott 2005. 312 Seiten. 59,95 Euro.
(erschienen in „die tonkunst”, jg. 1 (2007), heft 3, seite 310–314)