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Da Capo – Effektvolle Zugaben für Chöre

carsten gerlitz, da capo
Zugaben­stücke sind offen­bar gefährlich: Wenn der Ton­set­zer selb­st schon vor ihrem über­mäßigem Genuss warnt, dann sollte man wohl wirk­lich mit Vor­sicht genießen. Dabei gibt es kaum einen Grund, den Band „Da Capo!“ von Carsten Ger­litz mit spitzen Fin­gern anz­u­fassen. Im Gegen­teil, man sollte den unbe­d­ingt auf­schla­gen und (ein)studieren. Auch wenn der Titel nicht so ganz passt. Denn nicht die Wieder­hol­ung ist das Ziel von Ger­litz, son­dern neues Mate­r­i­al für die Zugabe bei Chorkonz­erten zu liefern. Echte „Knaller“ sollen es also sein, pep­pige Arrange­ments ver­spricht der Unter­ti­tel. Und das find­et man in den sechs Sätzen von über­schaubar­er Schwierigkeit dann dur­chaus – wenn auch nicht in jedem einzel­nen.

Denn einen Schlusspunkt für ein Konz­ert set­zen sie alle auf ganz ver­schiedene Weise: „Auf uns“ als groovig-poppige Soul­bal­lade, die Ger­litz‘ Fähigkeit als Arrangeur effek­tvoller Chor­musik beson­ders deut­lich zeigt, „Das Pub­likum war heute wieder wun­der­voll“ als schnell ein­studierte und schnell gesun­gene, unkom­plizierte Miniatur, die schon als Abspan­n­musik bei Bugs Bun­ny gut funk­tion­iert hat. Es geht aber auch roman­tis­ch­er, mit dem von Brahms entlehn­ten „Guten Abend, gute Nacht“, dem san­ft und sehr fein aus­gear­beit­eten „Der Mond ist aufge­gan­gen“ oder auch mit dem Abschied­slied der Come­di­an Har­monists, „Auf Wieder­sehn, my Dear“, das Ger­litz sehr nah an deren Klang und Arrange­ment set­zt. Und damit auch wirk­lich jed­er gemis­chter Chor hier etwas find­et, gibt es noch eine unkom­pliziert swin­gende, ja, fast harm­lose „Sen­ti­men­tal Jour­ney“ dazu. Und wenn man den schmalen Band so durch­blät­tert, trifft die War­nung des Vor­worts vielle­icht doch zu: Zu viel Feuer­w­erk ermüdet. Dafür reichen diese sechs Sätze aber nicht aus – schon allein deshalb nicht, weil sie so ganz und gar unter­schiedlich sind.

carsten gerlitz, in my life (beatles)
Und wer noch nicht weiß, wie er sein Pub­likum dazu bringt, Zugaben zu fordern, kann sich zweier ander­er kür­zlich erschiener Arrange­ments von Carsten Ger­litz bedi­enen – die sind jet­zt aber nicht mehr für jeden Chor und jeden Geschmack geeignet. Denn mit ABBAs „Danc­ing Queen“ und „In My Life“ von den Bea­t­les legt der ver­sierte Arrangeur zwei Sätze vor, die sehr genau und gut in die neue Rei­he Pop-Choir-Classics passen.Nah am Orig­i­nal empfehlen sie sich vor allem für im Pop schon ver­traute und geübte Chöre – bei­de set­zen auch ein fün­f­s­tim­miges, rhyth­misch sicheres Ensem­ble voraus. Mit weni­gen, oft nur punk­tuellen Änderun­gen, geschick­ter Stim­mverteilung und dra­matur­gis­chem Gespür wird aus bloßen a-cappella-Coverversionen bei Ger­litz ein Hit fürs näch­ste Konz­ert. Dabei arbeit­et er sehr ökonomisch mit Ein­fällen: Seine Arrange­ments sprühen nicht vor Ideen, sind aber stets wirkungsvoll gear­beit­et. Nicht zulet­zt liegt das auch an den Orig­i­nalen: Das sind eben echte Klas­sik­er, die Kraft und Inspi­ra­tion genug haben – die Rei­he trägt den Titel „Pop-Choir-Classics“ schließlich nicht umson­st.

Carsten Ger­litz: Da Capo! Zugabestücke in pep­pi­gen Arrange­ments für gemis­cht­en Chor. Mainz: Schott 2015 (ED 20577).
Carsten Ger­litz: Bea­t­les, In My Life. (Pop-Choir-Classics) Berlin: Bosworth 2015 (BOE7741).
Carsten Ger­litz: ABBA, Danc­ing Queen. (Pop-Choir-Classics) Berlin: Bosworth 2015 (BOE7742).

(Zuerst erschienen in „Chorzeit – Das Vokalmagazin“)

spinnennetz in der sonne

Ins Netz gegangen (26.10.)

Ins Netz gegan­gen am 26.10.:

katie melua & gori women's choir (gruppenbild)

Winterliche Romantik mit Katie Melua

katie melua, in winter (cover)Katie Melu­as “In Win­ter” ist die akustis­che Ver­sion ein­er kusche­li­gen Szene vor dem Kamin, während draußen die Kälte klir­rt: Das Feuer knis­tert, die Gitarre klimpert und Melua singt. Aber nicht allein: Für ihr Wei­h­nacht­sal­bum hat sie den geor­gis­chen Gori Women’s Choir und Bob Chilcott als Arrangeur verpflichtet.

Zusam­men bieten sie eine Mis­chung aus eige­nen Songs und tra­di­tioneller geor­gis­ch­er, rumänis­ch­er und ukrainis­ch­er Wei­h­nachtsmusik, und ein Teil von Rach­mani­noffs Ves­per­ver­to­nung. Vor allem ist “In Win­ter” aber eine Katie-Melua-CD: Nicht nur die eige­nen Songs, auch der Rest des Pro­gramms klingt unverkennbar nach ihr, ob das nun Joni Mitchells “Riv­er” oder Adolphe Adams “Holy Night” ist. Nur dass die hier mit sehr ver­hal­tener Instru­men­tierung auskom­men und dafür den Gori Women’s Chor qua­si als Instru­ment mit­be­nutzen. Der kann näm­lich, von Bob Chilcott ver­siert arrang­iert, wun­der­bar im Hin­ter­grund far­bige, san­ft schim­mernde Klangflächen auf­bauen, vor der sich Melu­as Stimme frei ent­fal­tet. Beson­ders anrührend schön gelingt das im rumänis­chen Wiegen­lied “Leganelul Lui Lis­us”: Der ein­fache Chor­satz unter­stützt die schlichte, graz­iöse Melodie sehr ein­fühlsam. Auch im geor­gis­chen “If you are so beau­ti­ful” spie­len Melu­as volltö­nen­des Solo und der dunkel, rauh und ursprünglich-inten­siv klin­gende Gori Women’s Choir in der Abwech­slung überzeu­gend zusammn. “In Win­ter” genießt man wohl dann am besten, wenn man sich dieser total­en Rührung ein­fach hin­gibt und sich zu ein­er musikalis­chen Win­ter­feier überre­den lässt, die Wei­h­nacht­en (fast) ohne sowieso nur stören­den religiösen Bezüge feiert. Und das dafür mit aller Emphase und ein biss­chen Kitsch tut.

Katie Melua: In Win­ter. Fea­tur­ing Gori Women’s Choir. BMG 2016. Spielzeit: 35:27.

(Zuerst in ein­er etwas kürz­eren Ver­sion erschienen in »Chorzeit – Das Vokalmagazin« No. 33, Dezem­ber 2016.)

Zu “Per­fect World” gibt es hier auch noch ein schön kitschiges Video:

Katie Melua — Per­fect World (Offi­cial Video)

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Volkslieder 2.0

volkslieder 2.0 (cover)Das Volk­slied taucht in den let­zten Jahren immer mehr aus der Versenkung wieder auf – Pro­jek­te wie das Carus/SWR-Lieder­pro­jekt oder S.O.S. – Save Our Songs von Singer Pur sind nur Teil und Zeichen eines größeren rückbesin­nen­den Revivals. Das, was das SWR Vokalensem­ble Stuttgart und die SWR Big Band unter der Leitung von Morten Schuldt-Jensen mit Volk­slieder 2.0 vor­legen, ist freilich etwas anderes. Denn für ihre erste Zusam­me­nar­beit gehen die bei­den SWR-Klangkör­p­er einen Schritt weit­er und in eine andere Rich­tung.

Der Kom­pon­ist und Arrangeur Ralf Schmid warf dafür einen Blick auf die nor­wegis­che Tra­di­tion, während der Nor­weger Helge Sunde umgekehrt deutsche Volk­slieder bear­beit­ete. Dabei ste­ht für bei­de nicht das Volk­slied an sich im Zen­trum, son­dern dessen kün­st­lerische Potenz ohne nation­al­is­tis­chen Bal­last. Und vielle­icht ist es ganz fol­gerichtig, dass Schmid sich ohne Volk­slieder direkt mit Peer Gynt auseinan­der­set­zt, mit Griegs tra­di­tioneller Musik und Ibsens Text. Trotz aller Nähe zu einzel­nen Sätzen wie der „Mor­gen­stim­mung” oder „Solveigs Lied“ ver­lei­ht er Peer Gynt eine sehr eigen­ständi­ge Prä­gung, bringt etwa die Mor­gen­stim­mung als „toast på coast“ lock­er-beschwingt zum Tanzen und nutzt die Fusion­sen­ergie aus der vokalen Kraft und der eher met­allis­chen Energie der Big-Band in fein abges­timmten Arrange­ments.

Über­haupt gibt die Koop­er­a­tion zweier so her­aus­ra­gen­der Ensem­bles den Kom­pon­is­ten reiche Möglichkeit­en an die Hand. Die nutzen das zurück­hal­tend, aber sub­til und geschickt. Die Vielfalt der Klang­far­ben ist phänom­e­nal: Vom grellen Schmettern bis zum gehaucht­en Laut, von zack­ig-präzis­er Kraft über expres­sives Par­lan­do bis zu den weich fließen­den Melo­di­en, von fil­igra­nen poly­pho­nen Struk­turen bis zu kraftvollen cho­rischen Klangflächen — man merkt, dass das den Musik­ern sozusagen auf den Leib oder in die Stimme geschrieben wurde.

Der Nor­weger Helge Sunde steuert einen faszinieren­den Blick auf vier deutsche Volk­slieder bei: Das eigentlich so harm­lose Schlaflied­chen wird ihm zu einem Thriller – einem lebendig und detail­liert nachzuhören­den Kampf zwis­chen Kind und Schlaf, zwis­chen Traum und Unge­heuer, der ger­ade so noch die Kurve bekommt und im friedlichen Schlaf endet. Auch „Auf einem Baum“ erfährt eine Ver­wand­lung: Der Kuck­uck sitzt nicht ein­fach nur rum, man kann ihn in den agilen Stim­men des Vokalensem­bles tänzeln und flat­tern hören – und auch vom Baum fall­en, nach­dem der Jäger ihn abgeschossen hat. Und während „Wenn ich ein Vöglein wär“ zu ein­er astreinen Jazzbal­lade wird, kracht die „Lore-Ley“ aus­ge­sprochen funkig und rock­ig. Über­haupt haben Sun­des Bear­beitungskom­po­si­tio­nen etwas sehr ver­spieltes: Wie ein Kind, das im Spiel­waren­laden freie Auswahl hat, legt sich Sunde kaum Zurück­hal­tung auf – das offen­sichtlich­ste mei­det er meis­tens, aber die vokal-instru­me­nalen und klan­glichen Fähigkeit­en bei­der Ensem­bles nutzt er wei­dlich aus. Die Avant­garde-Spezial­is­ten des Stuttgarter Vokalensem­bles sin­gen das präzise, bleiben aber immer ganz entspan­nt, ganz egal, ob sie nun ger­ade san­ft säuseln oder wie in der „Lore-Ley“ selb­st zu einem Teil der Big Band wer­den. Und da gibt es immer wieder buntes und abwech­slungsre­ich­es zu hören – bei­de Grup­pen fan­gen die Stim­mungen der Lieder sehr geschickt auf und machen sie sehr deut­lich vernehm­bar. Das beste ist aber: Alles wirkt vol­lkom­men natür­lich, ungezwun­gen und har­monisch – weil sowohl Schmid als auch Sunde bei­den Ensem­bles ihren Raum lassen. Auch wenn diese vielschichtig-ver­track­te Musik so sich­er nicht selb­st zu Volksmusik wer­den wird – man wün­scht ihr, möglichst oft gespielt, gesun­gen und gehört zu wer­den.

Ralf Schmid, Helge Sunde: Volk­slieder 2.0. SWR Big Band, SWR Vokalensem­ble, Morten Schuldt-Jensen. SWR­mu­sic 2016.

(In ein­er etwas kürz­eren Fas­sung zuerst erschienen in »Chorzeit – Das Vokalmagazin« No. 28, Juni 2016.)

Klingender Adventskalender

singer pur, adventskalenderAm Schluss wirbelt Wei­h­nacht­en dann doch here­in. Bis dahin hält “Der Singer Pur Adventskalen­der” genau, was er ver­spricht: Chor­musik für den Advent. Wenn man in diesem Adventskalen­der bis zum Heili­gen Abend gekom­men ist, hat man einiges hin­ter sich. Denn die 23 bekan­nten, tra­di­tionellen Adventslieder von „Nun komm, der Hei­den Hei­land“ bis „Wir sagen euch an den lieben Advent“ in über dreißig Sätzen, die Singer Pur hier für sech­stim­mige Chöre vor­legen, bieten viel aus­geze­ich­nete Musik. Am Ende ste­ht dann ein furios­es, begeis­tert-freudi­ges Arrange­ment von Sören Sieg: So fröh­lich ist selb­st die „Fröh­liche Wei­h­nacht“ beileibe nicht immer.

Alt und neu sind gle­icher­maßen vertreten – 10 Lieder in Sätzen von Alten Meis­tern (bis ins 16. Jahrhun­dert), 14 von leben­den Arrangeuren. Für den Druck wur­den die Singer-Pur-Sätze etwas über­ar­beit­et, damit sie für nor­male sech­stim­mige Beset­zun­gen gut singbar sind. Gut singbar ist allerd­ings nicht unbe­d­ingt ein­fach: Kom­plexe Sätze, die etwas Hin­wen­dung und Probe­naus­dauer erfordern, sind hier reich­lich vertreten. Die har­monis­chen und rhyth­mis­chen Möglichkeit­en der (fast) durchge­hen­den Sechsstim­migkeit nutzen die Arrangeure gerne aus und lassen sich viel ein­fall­en — Bern­hard Hof­mann benötigt für “Lasst uns froh und munter sein” immer­hin 14 Seit­en. Und die haben es auch in sich, da ist fast durchgängig min­destens eine Stimme mit dem „tralala“ beschäftigt, während der Rest durch diverse Takt- und Tonarten wan­dert.
Über­haupt: So arg besinnlich ist diese Adventszeit nicht. Sich­er, es gibt ruhige Momente: Heike Beck­mann hat etwa eine sehr schöne, ver­hal­tene Swing-Ver­sion von “Leise rieselt der Schnee” beiges­teuert, die ganz fein glitzert. Und Reiko Füt­ing lässt den Chor in „O Hei­land, reiß die Him­mel auf“ vom ver­hauchen­den Tenor­so­lo bis zum mas­siv­en Tut­tik­lang die Him­mels­be­we­gung im Wech­sel von Beina­he-Still­stand und bewegter Rhyth­mik dynamisch nachze­ich­nen. Die Band­bre­ite ist über­haupt sehr groß, denn die Sätze sind durch­weg sehr indi­vidu­ell gear­beit­et. Der Adventskalen­der bietet in ein­er anre­gen­den Mis­chung mit Niveau viel Pep, manch­mal auch etwas Show — aber wer braucht schon den 87. vier­stim­mi­gen homo­pho­nen Chor­satz von “Macht hoch die Tür”? Dann doch lieber William Haw­leys wilde Jagd zum tri­um­phieren­den Lobpreis Gottes.

Die alten Sätze allerd­ings — Crügers “Wie soll ich dich emp­fan­gen” etwa, “Nun komm der Hei­den Hei­land” von Prae­to­rius, Ecca­rd, Schein und Vulpius oder Bachs „Wachet auf“ und sein „Wie schön leuchtet der Mor­gen­stern“ — wer­den die meis­ten Chöre schon im Archiv haben. “Es kommt ein Schiff” ist dafür zum Glück zwei Mal vertreten: Neben der bekan­nten Ver­sion von Max Reger hat Singer-Pur-Bass Mar­cus Schmidl ein geheimnisvoll raunen­des, das Mys­teri­um des Glaubens beschwörende Arrange­ment geschrieben. Auch seine Ver­sion von „Tochter Zion“ geht, so harm­los sie anfängt, eigene Wege: kleine rhyth­mis­che Wider­hak­en und eine behut­same har­monis­che Mod­ernisierung geben Hän­dels Klas­sik­er frischen Glanz.

Singer Pur (Hrsg.): Der Singer Pur Adventskalen­der. 24 Lieder zum Advent für SAATBB. Mainz: Schott 2015. ED 22344.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Novem­ber 2015)

Flashdance, Easy Lover & Fix You: Moderne Pop-Chor-Arrangements von Martin Seiler

“I am music now!” heißt es im Refrain von “What a feel­ing”. Und tre­f­fend­er lässt sich das Arrange­ment aus der Fed­er von Mar­tin Seil­er kaum beschreiben: Hier kann man als Sänger/Sängerin — und auch als Zuhör­er — vol­lkom­men in die Musik ein­tauchen. Dabei ist das nur eines von drei Arrag­ne­ments, die Seil­er im Hel­bling-Ver­lag vor­legt: neben “What a feel­ing”, bekan­nt vor allem als Film­musik aus “Flash­dance”, noch Phil Collins’ “Easy Lover” und “Fix You” von Cold­play. Drei eher gefüh­lige Songs also — eigentlich alles Mod­erne Ever­greens — für die Pop.Voxx-Reihe im Hel­bling-Ver­lag.

Seil­er weiß, was er macht, wenn er so bekan­nte Vor­la­gen arrang­iert. Denn seine Sätze beruhen auf sein­er Arbeit für und mit “Greg is back”, seinem eige­nen A‑Cap­pel­la-Pop­chor. Das zeigt sich sofort, wenn man die Par­ti­turen auf­schlägt: Die sind näm­lich für SMATB mit zusät­zlich­er Solostimme (für die Melodie) bzw. im Falle von Phil Collins “Easy Lover” sog­ar für SSMATB geset­zt, wozu immer noch eine (optionale), aber empfehlenswerte Beat­box kommt. Das heißt aber nicht, dass die alle durchge­hend sechs- bis sieben­stim­mig klin­gen. Aber ander­er­seits wer­den einzelne Stim­men auch ab und an noch bis zu dreifach aufgeteilt. Also: Für Anfänger oder pop­ungeübte Chöre ist das nicht die erste Wahl, die einzel­nen Stim­men müssen in sich sta­bil und rhyth­misch ver­siert sein, sind aber — man merkt die Praxis­er­fahrung — immer gut singbar.

Bei Seil­er heißt das aber auch: Alle Stim­men wer­den wirk­lich gefordert, auch die Begleit­stim­men haben’s näm­lich nicht immer ein­fach. Dabei, das gilt für alle Sätze drei gle­icher­maßen, bekom­men sie sehr ein­falls- und ideen­re­iche Kost: Leere Floskeln find­et man hier nicht. Das hängt vielle­icht auch damit zusam­men, dass Seil­er seine Arrange­ments dra­matur­gisch sehr geschickt auf­baut. Ger­ade “What a feel­ing” und “Fix You” prof­i­tieren sehr von der großen Bre­ite an Aus­drucksmit­teln, die er ein­set­zt. Energie und Empathie wer­den den Chören nicht über­lassen, son­dern sind in den Noten­text einge­baut. Der ist dann auch entsprechend detail­liert aus­gear­beit­et und bis in Kleinigkeit­en aus­ge­feilt — für “Easy Lover” braucht Seil­er deshalb ganze 20 Seit­en, weil er sel­ten ein­fach etwas wieder­holt, son­dern immer wieder vari­iert und neue Begleit­muster ein­führt.

Obwohl alle Songs sofort als Cov­erver­sio­nen großer Hits erkennbar sind, beg­nügt sich Seil­er nicht mit ein­er reinen vokalen Kopie. Klar, wesentliche Momente — wie etwa das instru­men­tale Zwis­chen­spiel bei “Fix You” — tauchen natür­lich hier auch auf, sehr geschickt und mit viel Gespür für effek­tvolle Klänge für “seine” Beset­zung adap­tiert. Aber sie haben, vor allem durch die vielschichtige Begleitung, auch einen eige­nen Klang. Und damit bekom­men diese Arrange­ments sozusagen ein dop­peltes Hit­poten­zial.

Mar­tin Seil­er (Arrange­ment): Flashdance…What a Feel­ing (SMATB), ISBN 978–3‑99035–374‑5 — Easy Lover (SSMATB), ISBN 978–3‑99035–373‑8 — Fix You (SMATB), ISBN 978–3‑99035–372‑1. Alle im Hel­bling-Ver­lag, Rei­he Pop.Voxx, 2015.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)

Dass das ewige Licht scheine: Rihms “Et Lux”

wolfgang rihm, et luxMit zunehmen­dem Alter wird so manch­er (wieder) religiös — oder beschäftigt sich zumin­d­est mit dem Tod. Bei Wolf­gang Rihm lässt sich das schon seit einiger Zeit beobacht­en, die Hin­wen­dung zu religiösen The­men und Musiken, wie in den „Vig­ilia“, dem Requim der Ver­söh­nung oder der Lukas­pas­sion („Deus pas­sus“). Das 2009 uraufge­führte “Et Lux” passt genau in die Rei­he. Nicht nur the­ma­tisch, son­dern auch in der Art, wie sich Rihm den religiös-philosophis­chen Fra­gen nähert. Wieder ist das kein “echt­es” Requiem, son­dern eine sub­jek­tive, vor­sichtige Annäherung an den Text des lateinis­chen Requiems. Der wird hier vier­stim­mig gesun­gen — oder auch nicht. Denn Rihm nimmt nur frag­men­tierte Teile — Wörter, Sätze, Begriffe – in die Par­ti­tur auf, die ihn offen­bar beson­ders anregten. Die Licht­meta­pher — der Titel ver­rät es ja schon — ist wesentlich­er Teil, neben Lib­era me und Lac­rimosa eines der Zen­tren dieser Musik, die man sich scheut, ein Requiem zu nen­nen.

Das ewige Licht also, als Ver­heißung und Dro­hung in Klang geset­zt. Ein großes, über­großes Tongemälde hat Rihm dazu ent­wor­fen. Fast 62 Minuten nicht unterteilte Musik, in denen die vier gemis­cht­en Stim­men nur von einem Stre­ichquar­tett begleit­et wer­den. Das ist aber kein His­to­rien­schinken und auch kein repräsen­ta­tives Ölgemälde, son­dern trotz ihrer enor­men Dimen­sion eine zarte Zeich­nung auf großem Raum. An manchen Stellen wuchert der dun­kle Schat­ten über die frag­ilen Lin­ien, an anderen lässt sich eine feine Pastelltö­nung erken­nen, wieder woan­ders leuch­t­end inten­sive Far­ben. Und immer wieder das daraus auf­tauchende beschworene Licht – in Wort und Klang.

Dabei ist „Et Lux“ eine zutief­st nach­den­kliche, suchende und fra­gende Musik, ein Werk der bohren­den Sehn­sucht: Wolf­gang Rihm gibt keine Antworten (auch ein Grund, warum er nicht ein­fach ein „nor­males“ Requiem kom­ponierte), er hil­ft den Hör­ern vielmehr beim Fra­gen. Und manch­mal geht er auch ein paar Schritte voran ins Ungewisse.
Das acht­stim­mig beset­zte Huel­gas-Ensem­ble und Leitung Paul van Nevels und das famose, Rihm-erfahrene Minguet-Quar­tett unter­stützen das mit weit­ge­hend zurück­hal­tender Klan­glichkeit, die statt Opu­lenz lieber Klarheit und Fragilität bevorzugt und damit einen wesentlichen Zug von „Et Lux“ sehr genau trifft. Ganz kon­trol­liert und über­legt gestal­ten sie die die lan­gen, langsam entwick­el­ten Lin­ien, die für dieses Werk so wichtig sind, aus denen manch­mal und ganz allmäh­lich Kon­turen und einige wenige klan­gliche Erup­tio­nen und inten­sive Gefühlsaufwal­lun­gen entste­hen, die aber auch ins Leere ver­laufen kön­nen.

Mit Präzi­sion, kalkuliert­er Emo­tion und fein­sten Klang­facetten brin­gen sie Rihms poly­phone Tex­tur damit immer wieder zum Strahlen. Ein biss­chen schade ist allerd­ings, dass das Minguet-Quar­tett auf der Auf­nahme trotz der gegenüber der Par­ti­tur ver­dop­pel­ten Stim­men des Huel­gas-Ensem­ble sehr präsent ist, so dass man den Text manch­mal nur noch erah­nen kann.

Wolf­gang Rihm: Et Lux. Huel­gas Ensem­ble, Minguet Quar­tet, Paul van Nev­el. ECM 2015.

(Zuerst erschienen in der Sep­tem­ber-Aus­gabe der “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)

Immer noch kein schöner Land

wilfried fischer, kein schöner landVon Lothrin­gen bis nach Ost­preußen, vom Shan­ty im niederdeutschen Platt bis zum mozärtlichen Wien der Zauber­flöte reicht das Einzugs­ge­bi­et von “Kein schön­er Land”. Noch eine Volk­slied-Samm­lung für Chöre also? Gibt es davon nicht längst genug? Sich­er, aber nicht so eine. Denn die üblichen Edi­tio­nen set­zen immer noch einen klas­sis­chen vier­stim­mi­gen Chor voraus — und sind deshalb für Ensem­bles mit knap­per Män­nerbe­set­zung oft kaum geeignet.

Wil­fried Fis­ch­er ist nun schon seit einiger Zeit unter dem Titel “Chor zu dritt” dabei, ein Reper­toire für dreis­tim­mi­gen Chor aufzubauen, genauer: für Chöre mit eben nur ein­er Män­ner­stimme. Auch der vierte Band set­zt sich dieses Ziel, bleibt dafür aber nicht bei pur­er Dreis­tim­migkeit ste­hen: Stimmteilun­gen, haupt­säch­lich im Sopran, gehören auch hier natür­lich zum Handw­erk­szeug der Arrangeure. Aber für Män­ner wird eben nie mehr als eine Stimme geset­zt — die allerd­ings hin und wieder für Bässe recht hoch liegt.
Die Idee des Volk­sliedes hat Fis­ch­er dabei recht bre­it gefasst: Unter den hier vesam­melten 93 Sätzen sind nicht wenige geistliche Lieder und Choräle. Über­haupt ist die Auswahl nicht immer ganz nachvol­lziehbar: Einiges sehr bekan­ntes fehlt, dafür ist anderes nicht so weit ver­bre­it­etes enthal­ten — aber bei knapp 100 Liedern bleibt das nicht aus. Mate­r­i­al bietet der Band auf seinen gut 200 Seit­en aber mehr als genug. Gerne greift Fis­ch­er dabei auch auf vorhan­dene Sätze namhafter Kom­pon­is­ten zurück, die den neuen Anforderun­gen behut­sam angepasst wer­den: Von Hein­rich Isaac bis Ernst Pep­ping, von Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms bis Her­mann Schroed­er reicht der Griff ins Archiv.

Neben Fis­ch­er selb­st, der ein Großteil der Arrange­ments und Bear­beitun­gen beis­teuert, sind u.a. Pas­cal Mar­t­iné, Carsten Ger­litz und Burkhard Kin­zler mit diversen neuen Sätzen vertreten. Die Arrange­ments selb­st sind immer min­destens solide, aber oft für dreis­tim­mige Sätze auhc über­raschend klangvoll und wirkungsvoll. Den meis­ten merkt man pos­i­tiv an, dass die Dreis­tim­migkeit hier nicht nur als Man­gel gedacht wird, son­dern als Her­aus­forderung und Chance. Aus der genaueren Beschäf­ti­gung mit den Möglichkeit­en der Beset­zung entwick­eln die Arrangeure dabei immer wieder sehr klare und fil­igrane, sehr lebendi­ge und bewegte Sätze, die im vier­stim­mi­gen Chor so kaum funk­tion­ierten.
Dabei sind die Sätze dem Sujet entsprechend ins­ge­samt — selb­st noch in den aus­ge­feil­teren Bear­beitun­gen — eher zurück­hal­tend und schlicht in dem Sinne, dass Sätze gerne hin­ter Melodie und Text zurück­ste­hen. Stil­sich­er und vernün­ftig spricht aus den Arrange­ments weniger Exper­i­men­tier­freude, dafür viel Erfahrung und Ein­füh­lungsver­mö­gen — und nicht zulet­zt der Ver­such, ein möglichst bre­ites Pub­likum — sin­gend und hörend — zu erre­ichen.

Wil­fried Fis­ch­er (Hrsg.): Kein schön­er Land. Deutsche Volk­slieder aus 4 Jahrhun­derten (Chor zu dritt, Band 4). Mainz: Schott 2015. 214 Seit­en. 19,50 Euro.

— Zuerst erschie­nen in Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin, Aus­gabe #18, Juli/August 2015.

Wunschzettel zum Singen

gies, wunschzettelWenn Oliv­er Gies seinen Wun­schzettel selb­st abar­beit­et, dann dür­fen sich die Chöre und ihre Chor­lei­t­erin­nen freuen: Denn dann gibt es feine neue Musik. Das gilt natür­lich auch für das Chorheft “Wun­schzettel. Neue Wei­h­nacht­slieder für gemis­cht­en Chor”, in dem Gies das aufgeschrieben hat, was er an Wein­hancht­en selb­st gerne hören (und sin­gen) würde. Trotz des Unter­ti­tels haben sich dann doch drei tra­di­tionelle Wei­h­nacht­slieder in das neun Songs starke Heft eingeschlichen. Die sind allerd­ings von Oliv­er Gies ein­er Gen­er­alüber­hol­ung unter­zo­gen wor­den, so dass sie dur­chaus wieder (oder noch) als neu durchge­hen kön­nen: “Es kommt ein Schiff geladen”, “Hört der Engel helle Lieder” und “Josef, lieber Josef mein”, das neben dem vier­stim­mi­gen Chor auch noch zwei Solis­ten benötigt, mussten ihren Staub und zumin­d­est teil­weise auch ihre Tra­di­tion aufgeben und sich ein neues Klangge­wand über­stülpen lassen. Eine Frischzel­lenkur nen­nt der Arrangeur das — und frisch klin­gen sie tat­säch­lich, die alten Lieder. Am deut­lich­sten wird das bei “Es kommt ein Schiff geladen”, das viel von sein­er altertüm­lichen Fremd­heit ver­loren hat: Die Melodie wurde rhyth­misch über­holt und die Har­monik radikal mod­ernisiert. Vor allem aber hat Gies in seinem Arrange­ment mit etwas Klang­malerei jed­er Stro­phe und den kurzen Zwis­chen­stück­en einen jew­eils eige­nen Charak­ter ver­passt, der dem Text — den wogen­den Wellen, dem sicheren Hafen und dem Erlös­er (der natür­lich im reinen Dur erscheint) — ganz treu entspricht.

Frisch klin­gen aber auch die neuen Lieder von Oliv­er Gies eigentlich durch­weg. Am wenig­sten vielle­icht “Der alte Mann”, in dem Gies recht aus­führlich Glock­en­klänge ver­ar­beit­et und den alten Mann und die Zuhör­er eine har­monisch Festmesse erleben lässt. Schick ist auch die “Weise aus dem Mor­gen­land”, deren Titel nicht ganz unab­sichtlich dop­peldeutig zu lesen ist, denn hier geht es um die Heili­gen Drei Könige. Die präsen­tieren sich hier nicht nur mit ein­er ori­en­tal­isch klin­gen­den Melodie, son­dern vor allem als aus­ge­sprochen reisemüde Könige, mür­risch und gereizt — und müssen ohne ein Hap­py End auskom­men. Das ist in diesem Heft aber sel­ten, denn Freude und Fröh­lichkeit herrschen natür­lich auch dann vor, wenn Auswüchse des Wei­h­nachts­fests the­ma­tisiert wer­den wie die Hek­tik des Geschenkekaufens in “Wei­h­nacht­slieder sin­gen” oder die kuli­nar­ische Völlerei bei “Hap­py Meal”. Das ist trotz seines Titels ein gut-deutsche Angele­gen­heit, mit Wild­schwein­brat­en, Schnitzel und natür­lich der unver­mei­dlichen Wei­h­nachts­gans — kein Wun­der, dass der ganze Chor da stöh­nt: “heute gibt es alles und von allem zu viel”. Für den “Wun­schzettel” gilt das freilich nicht: Zu viel gibt es hier bes­timmt nicht. Im Gegen­teil, das Konzept schre­it ger­adezu nach ein­er Fort­set­zung. Denn die Kom­po­si­tio­nen und Arrange­ments von Oliv­er Gies bieten nicht nur dem Pub­likum Unter­hal­tung, son­dern auch Abwech­slung für alle vier Stim­men — die sich übri­gens, da war der Arrangeur prag­ma­tisch, mit gerin­gen (jew­eils ver­merk­ten) Änderun­gen auch auf SSAB verteilen dür­fen. Das Rad wird dafür nicht neu erfun­den, aber auch mit bloßer akustis­chen Haus­man­nskost gibt sich Gies auch nicht zufrieden: Alle Sätze zeich­nen sich durch ihr Ein­füh­lungsver­mö­gen in die jew­eils eigene klan­gliche Gestalt aus, sind aber nie über­frachtet mit “Ein­fällen”. Zumal den “Wun­schzettel” zwar sich­er nicht jed­er Chor vom Blatt sin­gen kön­nen wird, die tech­nis­chen Her­aus­forderun­gen im Gegen­teil zum klan­glichen Ergeb­nis aber trotz­dem mäßig sind.

Oliv­er Gies: Wun­schzettel. Neue Wei­h­nacht­slieder für gemis­cht­en Chor. Bosse 2014. BE 495.
(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Aus­gabe 11/2014)

Stille beim Rundfunkchor Berlin

nein, das ist keine beson­dere per­for­mance (ich sage nur: cage …), son­dern bit­ter­er ernst: zum ersten mal in der geschichte des ensem­bles — also seit 89 jahren — sahen sich die sän­gerin­nen und sänger des rund­funk­chors berlin heute gezwun­gen, in den streik zu treten. das erste opfer: ein auf­nahme des brahms-requiems — davon gibt’s freilich auch schon mehr als genug ;-). aber scherz bei­seite: die geschichte ist eigentlich ziem­lich unglaublich für ein reich­es und kul­tur-tra­di­tions-reich­es land wie die bun­desre­pub­lik: seit 21 jahren (!) arbeit­et der chor ohne gülti­gen tar­ifver­trag, seit zehn jahren gab es keine gehalt­ser­höhung mehr. und chorsänger zählen sowieso nicht zu den großver­di­enern im musikgeschäft. und seit zwei jahren wurde nun ver­han­delt, ein unter­schrift­sreifer ver­trag lag vor — aber die roc gmbh (die berlin­er kon­struk­tion, in der der rund­funk­chor, der rias-kam­mer­chor, das deutsche sym­phonieorch­ester und das rso berlin vere­inigt sind) hat sich geweigert, den ver­trag zu unterze­ich­nen, wie der chor­vor­stand mit­teilt. blam­a­bel.

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