Da sitzt er also, verschwindet fast hinter seinem Buch mit dem auffälligen orangefarbenen Umschlag, wirkt noch kleiner und zerbrechlicher als sonst. Aber seine Stimme, die dringt mühelos über das Publikum hinweg bis in die letzte Reihe und füllt das Antiquariat am Ballplatz ganz und gar aus. Peter Kurzeck, der aus Böhmen stammende, bei Gießen aufgewachsene, lange in Frankfurt lebende und nun in Südfrankreich schreibende Meister der Erinnerung und der Vergegenwärtigung liest aus seinem letzten Buch, „Oktober und wer wir selbst sind“. Die Lesungen Kurzecks sind immer ein Fest für seine Leser und Fans, von denen es in Mainz inzwischen eine ganze Menge gibt – die Stühle im Antiquariat reichten gar nicht für alle, eine schöner Erfolg für den Veranstalter, das Literaturbüro Mainz. Denn Peter Kurzeck liest nicht nur einfachr, was er mal, vor einigen Jahren, irgendwann aufgeschrieben hat. Nein, er trägt es wirklich vor. Mit schwebenden Betonungen, manchmal fast singend. Und immer mit großem, beinahe kindlichem Erstaunen über diesen Text, den er da vor sich liegen hat. Dieses Erstaunen, das ist eine echte Kurzecksche Qualität. Es findet sich nämlich schon im Buch selbst: Als Staunen über die Welt, die den Erzähler umgibt. In „Oktober und wer wir selbst sind“ ist es das Frankfurt im Herbst 1983, die Wohnung in Bockenheim, die Wege in der Stadt und an ihren Rändern, mit Frau und Kind, zum Einkaufen und zum Kinderladen, im vergangenen Sommer und beginnenden Herbst. Und natürlich das Schreiben selbst – der Erzähler hat gerade sein drittes Buch begonnen. Kurzeck liest in Mainz aus den beiden ersten Kapiteln von „Oktober“, die genau den Moment beschreiben, in dem der Sommer endgülig vorüber ist. Aber in dem zugleich auch der Herbst schon da ist, schon etwas Neues begonnen hat. Das klingt alles furchtbar banal. Und ist es eigentlich auch. Nicht aber für Peter Kurzeck. Er verzaubert das nämlich: Durch die Erinnerung an den Alltag, das übliche und das ungewöhnliche, das banale und außerordentliche Geschehen wird das alles schon wieder ganz anders und besonders. Und durch seinen feinen, präzisen, verknappten und doch beredten Stil, der ihn schon so lange zu einer ganz außergewöhnlichen Erscheinung der deutschen Gegenwartsliteratur macht, wird es geradezu überhöht. Das Ergebnis, sein Buch und seine Lesung, ist berührend. Und mächtiger, auch dauerhafter als der kleine, unscheinbare Mann, der sie geschaffen hat.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)
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