Die Geschichte ist geschehen – ob sie gut war, ob sie besser unterblieben wäre, ob wir ihren „Sinn“ anerkennen mögen, dies ist ohne Bedeutung.
Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel. Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht, 17
Schlagwort: geschichte Seite 1 von 8

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- Herrscher der Bagatellen | SZ → Ein schönes feuilleton (eine „liebeserklärung“ von reinhard brembeck über die kraft der klassischen musik, zufallsbegegnungen, bagatellen und aktives hören (und über widor auf der orgel)
Ein ähnlicher Fall ist die „Pause“, das vorletzte Stück aus dem „Carnaval“ von Robert Schumann. […] Nur wer den Titel „Pause“ kennt, vermag seine Ironie im Verein mit dieser atemlosen Musik zu empfinden, die das Pausen-Verständnis des heutigen durchdigitalisierten Globalmenschen besser beschreibt als jeder Leitartikel.
- Heartfield Online | AdK → sehr schön: die akademie der künste hat dne grafischen nachlass von john heartfield online gestellt (und ganz nett aufbereitet) – eine wahre fundgrube
- Warum sie aus den Lehrplänen fast verschwunden sind | FAZ → durchaus interessantes interview mit lars deile über germanen im aktuellen geschichtsunterricht, aber auch geschichte und ihren unterricht allgemein
- Juli Zeh | jungle world → magnus klaue hält wenig von juli zeh:
Ästhetische Banausie und politische Demagogie verschmelzen in ihr zur harmonischen Einheit
- Restlos bedient | Ohne Text singt kein Mensch mit → peter breuer über service und dankbarkeit

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- „Die Gesellschaft profitiert von unserer Autonomie“ | FAZ → ein schönes, interessantes, kluges interview mit der historikerin barbara stollberg-rilinger
Die ganze Gesellschaft profitiert von der Autonomie der Wissenschaft. Die eigentliche Arbeit der Historiker ist meiner Ansicht nach von solchem bürgerrechtlichen Engagement zu unterscheiden. Indem man Geschichte nach historisch-kritischen Standards schreibt, leistet man ja schon Aufklärungsarbeit.
- Vorbild Frankfurt: Restaurative Schizophrenie| Merkur → ein sehr kluger und, trotz seiner klaren positionierung, unaufgeregter kommentar von philipp oswalt zur rekonstruktionsarchitektur wie der frankfurter „neuen altstadt“ (schon der name ist in seiner ästhetischen grausamkeit ja bezeichnend)
Es ist eine Medienarchitektur, die aus technischen Bildern generiert nun vor allem der Erzeugung neuer medialer Bilder dient. Auch sonst ist die Architektur keineswegs so traditionell, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Rohbau besteht – von den wenigen Fachwerkhäusern abgesehen – aus Stahlbeton und Industrieziegeln, die Ausstattung umfasst Fußbodenheizung mit Fernwärme, Dreifachverglasung, mechanische Lüftung, modern geschnittene, offene Wohnküchen, umfangreiche Sanitärräume und meist einen direkten Zugang zu den privaten Stellplätzen in der zugehörigen Tiefgarage.
Nicht nur für die Bewohner, auch für die zeitknappen Ferntouristen aus Asien und Übersee ist die neue Altstadt die moderne Alternative, und so wird sie auch beworben.
[…]
Ob iconic building oder Rekonstruktion historischer Bauten – beides sind symbolische Gesten zur Identitätskonstruktion, wie sie seit den 1990er Jahren in Mode gekommen sind.
[…] Der Staat hat sich aus der Fläche zurückgezogen, und die vorherige Kohäsionspolitik wurde durch einen Inselurbanismus abgelöst, bei dem große Bereiche der Stadt dereguliert und privatisiert werden, während an ausgewählten zentralen Orten kleine Inseln mit großer Kontrolltiefe beplant werden.
[…]
Mit dem Zerfall einer im Alltag praktizierten Kohäsion ist die Aufwertung eines symbolisch-medialen Ersatzes umso wichtiger.
[…]
Doch die Altstadt Frankfurt ist keine überzeugende Antwort auf die drängenden Fragen des heutigen Städtebaus, sie ist Teil des Problems.
- Im Rucksack: die Freiheit | Oliver B. Weber → ein interessanter essay über die spezifische form des reisens der gegenwärtigen backpacker und die daraus entstehende/erwachsende „globality“
Der Backpacker versteht sich als Zeitreisender. Er sucht die selige Vergangenheit in geographischer Ferne. Die Menschen, die darin leben müssen, begutachtet er mit einer ambivalenten Mischung aus Staunen und Herabsetzung. Immer seltener hingehen ist ein tatsächlich eintretender habitueller Positionswechsel des Beobachters. Woher kommt die häufige Blindheit gegenüber der tatsächlichen Welt, zu deren Entdeckung das Backpacking ja angetreten war?
- Sehnsucht nach Retrotopia | Zeit → ein kluger essay von nils markwardt über „Politisierung der Nostalgie“ und die „Fetischisierung von Geschichte unter Ausblendung von Geschichtlichkeit“:
Im Angesicht der aktuellen Retromania besteht die Aufgabe darin, Geschichte als gleichermaßen bewussten wie progressiven Wiederholungsprozess, nicht als bloßes Abstauben der Vergangenheit zu verstehen.
- Da läuft etwas ganz schief | Forschung & Lehre → der erziehungswissenschaftler volker ladenthin hat genug von den mangelnden fähigkeiten und kenntnissen der aktuellen studierenden (ich bin mir nicht sicher, ob das in die kategorie „früher war alles besser“ fällt oder ob es wirklich die realität trifft)
Die Studierenden sind überaus freundlich und kommunikativ, im Zwiegespräch sehr geschickt. Ebenso sind sie fleißig, gutwillig und konstruktiv: Aber es lässt sich ein entwicklungspsychologisches Problem feststellen. Auf Grund der kognitiven Entwicklung scheinen die Studierenden in den Anfangssemestern mehrheitlich nicht in der Lage, komplexe, antinomische und multikausale Prozesse, wie sie heute in allen Wissenschaften üblicherweise beschrieben werden, angemessen aufzunehmen und Vorgänge streng aspektgebunden oder multiperspektivisch zu betrachten.

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- Does Philosophical Language Have to Be Difficult? | Blog of the APA → grant maxwell erklärt ziemlich kurz und schlüssig, warum philosophie manchmal schwierige sprache benutzen muss:
writers like G.W.F. Hegel or Alfred North Whitehead or Jacques Derrida weren’t simply writing works (which still stand as paragons of verbal complexity) to confuse or beguile their readers. They were creating new forms of language to widen the scope of what could be expressed. […] The process of generating meaning is a constant negotiation between our current world views, embodied in vast networks of words and other symbols, and the constraining facts of existence, both the material relations of the world and our own intrinsic characters. And the more we inquire into these apparently objective facts, the more we find that they are more like habits or tendencies susceptible to a startlingly broad range of possible constructions. The semiotic networks constituting our world views evolve, as ideas don’t exist in a vacuum, but are developed through a conversation that has been occurring for thousands of years, with each reply requiring a generation, or sometimes even centuries for its fullest expression. To abstract ideas from their historical context, and from the language developed to describe them in ever-greater nuance, would be to flatten the complexity of these concepts, which comprise the underlying modes of thought that have implicitly informed the more explicit historical occurrences.
- «Italien betreibt eine Fusion von Populismus und Technokratie» | NZZ → ein spannendes interview mit jan-werner müller über die herausforderung der antipluarlisten (populisten und technokraten) für die modernen demokratien
Beide scheinbar gegensätzliche Fraktionen sind letztlich Antipluralisten. Die Technokraten erklären, es gebe nur die eine rationale Lösung. Es brauche keine Debatte, auch keine parlamentarische Auseinandersetzung, weil es für vernünftige Menschen nichts zu diskutieren gebe. Die Populisten behaupten wiederum, es gebe nur den einen authentischen Volkswillen. Und sie seien die Einzigen, die ihn verstünden und verträten.
- Finnegans wachen donnerstags auf| a tempo → ein sehr sympathisches gespräch mit fritz senn, einem der besten joyce-kenner, über seine joyce-lektüren und ‑forschungen – und die zufälligkeiten des lebens
- Schule der Gewalt | Zeit → ute frevert hat einen schönen überblick über die geschichte der wehrpflicht (in deutschland) geschrieben
- Sind wir noch gute Europäer? | Zeit → jürgen habermas muss noch/mal wieder ran und den lust- und ideenlosen zustand europas und insbesondere der eu – und ihrer (nationalen) politischen eliten – scharfsinnig analysieren. zum beispiel:
Der Rechtspopulismus verdankt sich in erster Linie der verbreiteten Wahrnehmung der Betroffenen, dass der EU der politische Wille fehlt, handlungsfähig zu werden. Der heute im Zerfall begriffene Kern Europas wäre in Gestalt einer handlungsfähigen Euro-Union die einzige denkbare Kraft gegen eine weitere Zerstörung unseres viel beschworenen Sozialmodells. In ihrer gegenwärtigen Verfassung kann die Union diese gefährliche Destabilisierung nur noch beschleunigen. Die Ursache des trumpistischen Zerfalls Europas ist das zunehmende und weiß Gott realistische Bewusstsein der europäischen Bevölkerungen, dass der glaubhafte politische Wille fehlt, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Stattdessen versinken die politischen Eliten im Sog eines kleinmütigen, demoskopisch gesteuerten Opportunismus kurzfristiger Machterhaltung

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- Umso schlimmer für die Tatsachen | Süddeutsche → wolfgang kraushaar wirft einen instruktiven blick auf die „ergebnisse“ des gedenkjahres zum 50. jubiläum von „1968“
Kaum jemand, der sich damals auf die Bewegung eingelassen hatte, dürfte so wieder aus ihr herausgekommen sein, wie er zuvor in sie hineingegangen war. Das war ein komprimierter, äußerst dynamischer Prozess, der die Einzelnen nur zu häufig grundlegend verändert hat.
Diese Bewegung war aber in ihrem Kern auch etwas völlig Neuartiges. Ihre Akteure wollten ja nicht einfach wie noch die Arbeiter- oder Gewerkschafts‑, die Friedens- oder Ostermarschbewegung durch ihren Protest Interessen verfolgen und bestimmte Ziele erreichen. Nein, sie wollten sich dabei auch selbst entwickeln, verändern, manche sogar „befreien“. Es ging 1968 zugleich auch immer um die Bewegten selbst, um ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Träume – in einem emphatischen Sinne um Subjektivität. Die Schalen der alten Person sollten abgeschüttelt und darunter ein neues Ich entdeckt und geborgen werden. Damit hatte sie allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz ein Bewegungsformat geschaffen, das für andere Protestierende zum Fixpunkt wurde und an dem sich viele später orientiert haben.
- Die Scheinfreiheit der Bibel | taz → heinz-werner kubitzka erklärt, warum es falsch (und scheinheilig) ist, sich für moderne werte auf das christentum zu berufen:
Toleranz und Freiheit sind eben nicht organisch aus dem Christentum erwachsen, sondern mussten geradezu in Gegnerschaft zum Christentum verwirklicht werden. […] Befreiung findet und fand nicht mit, sondern meist gegen die Religionen statt. Moderne Werte nimmt man nicht aus alten Schriften.
- Verbale Ausschussware | Spiegel → sascha lobo verzweifelt an facebooks community-standards – und zwar ausdrücklich schon an ihrer sprachlichen verfasstheit
- Mein erster DSGVO Rant – Zu viele Mythen und gefährliches Halbwissen zum neuen europäischen Datenschutzrecht | Recht 2.0 → carsten ulbricht ärgert sich über panik und falsche informationen in bezug auf die dsgvo
Wer sich hier von der Panikmache nicht anstecken lässt, sondern sich aus vernünftigen Quellen oder bei Beratern informiert, die einen praktikablen Weg zur Umsetzung zeigen und nicht nur mitteilen, wie unsicher und riskant alles wird, der wird auch die Vorgaben der DSGVO sinnvoll umgesetzt bekommen.
- Von der Lügenpresse zur Lügenwissenschaft? | Zeitgeschichte online → andreas wirsching macht sich gedanken über den platz und die relevanz der (zeit-)geschichte in der heutigen gesellschaft:
Mit ihrem pluralen Blick auf die Vergangenheit vermeidet die Problemerzeugungsgeschichte zugleich die Fragmentierung ihres Gegenstandes entlang identitärer Abgrenzungen. Sie lässt sich daher nicht vor den Karren außerwissenschaftlicher Identitätskonstruktionsbedürfnisse spannen, sondern analysiert diese selbst als Problemhorizont der Gegenwart.
So – und wie ich meine nur so – lässt sich die Zeitgeschichte als Vorgeschichte der Gegenwart verstehen. Und als solche kann sie nicht nur, sondern sollte unbedingt ihre Stimme in der Deutung aktueller Problemlagen erheben. Gegenüber den Reduktionisten aller Couleur wirkt sie störend, aber eben das erweist ihre öffentliche Relevanz.
Und in nicht wenigen Diskussionen liegt darin auch ihre besondere Kompetenz. Historische Wissenschaften sind nämlich die einzigen Disziplinen, die gleichsam mit zwei Augen sehen. Während das eine Auge in der Zeit- und Standortgebundenheit des Wissenschaftlers haften bleibt, richtet sich das andere auf die historische Tiefe. Und erlauben Sie mir zum Schluss eine nicht ganz ernstzunehmende Weiterführung des Bildes. Denn sind nicht die rein gegenwartsorientierten Wissenschaften gleichsam die Einäugigen unter den Blinden – den blinden Zeitgenossen, die ihre Gegenwart nicht zu verstehen vermögen? Und ist es demgegenüber nicht allein die Zeitgeschichte, die mit ihren beiden Augen zusammen räumlich sehen kann. Wenn es sich so verhält, ist die Zeitgeschichte weder antiquarische noch Lügenwissenschaft und um ihre Relevanz braucht uns nicht bange zu sein.

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- Interview: „Die Relevanz von Geschlecht nimmt ab“ | Campus Mainz → die germanistische sprachwissenschaftlerin damaris nübling über sprache und geschlecht, gender und gerechtigkeit
Langfristig wäre es gut, die Kategorie Geschlecht aufzulösen, statt sie zu dramatisieren. Das funktioniert neben dem Streuen auch mit neutralisierenden Pronomen im Plural wie „alle“, „viele“ oder „manche“. Außerdem kann man auch anstelle von Personenbezeichnungen abstraktere Begriffe verwenden, zum Beispiel: „Das Institut hat entschieden“ anstelle von „Der Institutsleiter hat entschieden“ und so weiter.
Allerdings kommt das immer auf den Kontext an. Feste Rezepte gibt es nicht, Kreativität ist gefragt. Dazu gehören auch die zunehmenden Präsenspartizipien im Plural wie „Studierende“. Singulare wie „der Studierende“ taugen dagegen nicht, da Singulare immer mit Genus aufgeladen sind. Meine Erfahrung ist, dass es weniger eine Frage der Möglichkeiten als des Willens ist. - Kulturgut Buch – bröckelt der Mythos? | Deutschlandfunk Kultur → ein nachdenkliches interview mit jörg sundermeier vom famosen verbrecher-verlag zur lage des buchmarktes und der literatur im ganz allgemeinen
Ich glaube, momentan ist eher das Problem nicht so sehr, dass die Leute nicht lesen wollen oder nicht lesen können, sondern dass es ein bisschen demi mode ist, und ich habe aber den Eindruck, dass es sich ändert und dass das Lesen wieder zurückkommt,
- „Gewonnen hat die deutsche Nation“ | Zeit → noch ein älteres interview, das schon lange in meiner leseliste schlummert: georg schmidt spricht über den dreißigjährigen krieg (die leserkommentare ignoriert man aber besser …)
- The Ultimate Productivity Blog → großartig, sehr treffend auf den punkt gebracht
- Abwesenheit als Krise | Sozialtheoristen → spannende überlegungen von stefan kühl zum problem der anwesenheitskontrollen an universitäten
Selbst in Überwachungspraktiken begabte Lehrende werden feststellen, dass sie trotz einzelner Siege über besonders auffällige Drückeberger am Ende diese Kontrollkämpfe verlieren werden. Die Kreativität von Studierenden beim Erfinden von Wegen, diese Kontrollen zu unterlaufen, wird immer größer sein als die Kreativität von Lehrenden im Erfinden neuer Wege der Kontrolle. Anwesenheitslisten sind deswegen ein stumpfes Schwert, um das Leistungsniveau von Studierenden anzuheben. […] Das Problem der Abwesenheit von Studierenden ist also nicht vorrangig ein Problem der Qualität der Lehrenden, sondern liegt vielmehr in der Gestaltung der Studiengänge selbst […]
Statt auf das Problem der Abwesenheit mit dem eher brachialen Mittel der Anwesenheitsliste zu reagieren, gäbe es eine Alternative. Man könnte chronische Abwesenheiten – oder Anwesenheiten, die nur über Anwesenheitslisten durchgesetzt werden können – als ein Zeichen dafür sehen, dass irgendetwas in dem Studiengang nicht stimmt. - Trump ist der Geburtshelfer von „Me Too“ | SZ → eine gute – und wie mir scheint, sehr treffende – einordnung von hedwig richter der #MeToo-bewegung in den wandel von männer-/männlichkeitsbildern und die geschichte der gleichberechtigung
Die Empörung über die Gewaltigen, die sich der Leiber der anderen bedienen, ist mehr als ein Hashtag und etwas anderes als eine Hetzjagd. Sie ist das Ende der letzten Selbstverständlichkeit: Das Zweifel- und Bedenkenlose einer männlichen Herrschaft, das in die Körper eingeschrieben war, scheint endgültig außer Kraft gesetzt zu sein.
- The Horizon of Desire | Longreads → ein hervorragender essay von laurie penny über konsens, rape culture, männlich- und weiblichkeit und die damit einhergehenden (stereotypen) erwartungen an das verhalten beim sex
Rape culture is not about demonizing men. It is about controlling female sexuality. It is anti-sex and anti-pleasure. It teaches us to deny our own desire as an adaptive strategy for surviving a sexist world. […] But unless we talk about desire, about agency, about consent, then we’ll only ever be fighting this culture war in retreat. It’s a real war, one that impacts our bodily autonomy and our economic and political power. The battle for female desire and agency goes way beyond the bedroom, and it’s a battle that right now everyone is losing.

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- Die Dropboxisierung des Lehrernachwuchses | Bob Blume → bob blume über das hemmungslose teilen und unreflektierte weiterverwenden von unterrichtsmaterial:
Zwischen Kollaboration und dreistem Plagiat führt heutzutage ein schmaler Grat. Schlimmer als Arbeitsblätter abzugreifen und nichts selbst zu produzieren ist aber der Gedanke, der dahinter steht.
- Archäologen erforschen Achtzigerjahre | Spiegel → kurzes interview mit dem archäologen attila dészi, der die „freie republik wendland“ ausgräbt und damit für archäologen ungewohnt zeitgeschichte beforscht
Denn die Archäologie leistet Beiträge, die andere Disziplinen nicht abdecken können. Dazu zählt etwa die Erforschung von Alltagsgegenständen. Wer sollte sonst herausfinden, was von der „Republik Freies Wendland“ heute noch übrig ist.
- Wir müssen über Nazis reden | Moritz Hoffmann → der historiker moritz hoffmann über nazis, die afd, erinnerungspolitik und das deutsche parlament
- Philosoph Wolfgang Welsch: «Das angeblich Eigene ist hochgradig fiktiv» | NZZ → ein sehr gutes interview mit dem philosophen wolfgang welsch über kultur, identität, nationalismen etc. und vielen klugen antworten:
In solchen Zeiten ist der Rückgriff auf angeblich Eigenes und Bewährtes ein simples Mittel der Selbstversicherung. Aber es hilft nur der Seele. Praktisch ist es völlig unproduktiv: Das angeblich Eigene und Bewährte stellt sich bei näherer Betrachtung als hochgradig fiktiv heraus. […] Wir sind, genau betrachtet, alle kulturelle Mischlinge. Die Identitäten sind nicht mehr kernartig, sondern straussartig oder netzwerkartig verfasst: Sie gehen über die Grenzen der alten Kulturen und nationalen Kulturfiktionen hinaus, sie vereinen lokale, regionale und globale Elemente in sich und sind in diesem Sinn transkulturell. Wenn die Bürger ihre faktische Transkulturalität anerkennen, wäre damit für die Praxis viel gewonnen. Wer sich seiner eigenen inneren kulturellen Pluralität bewusst geworden ist, der wird im Fremden auch Eigenes erkennen, anstatt von vornherein auf Abwehr zu schalten. […] Im Übrigen ist Differenzbildung für Individuierung unerlässlich – man muss anders sein als andere oder auf seine eigene Weise ähnlich sein wie andere. Aber das Differente darf doch nicht als das ganz Andere – das Fremde, das nicht die gleichen Rechte wie man selbst hat – angesehen werden. Das ist der Fehler von Kleinkindern. […] Es ist gut, ein Standbein zu haben, und für viele Menschen bildet die lokale, regionale oder nationale Identität dieses Standbein. Aber das Standbein darf nicht zum Klumpfuss werden, und es ist nichts ohne ein Spielbein.
- Boomen die Geisteswissenschaften, und niemand merkt es?| NZZ → die antwort: vielleicht, irgendwie schon. aber vielleicht auch nicht mehr lange. es ist – wie halt immer – kompliziert …

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- Weswegen der Verweis auf „Führungsschwäche“ das Problem der Bundeswehr nicht trifft. Die Skandale bei der Bundeswehr als ungewollte Nebenfolgen von Kameradschaftserwartungen | Sozialtheoristen → stefan kühl über die bundeswehr, ihre besondere (und wohl notwendige) form der kameradschaft und die frage der „führungsschwäche“
Die Bundeswehr hat mit ihrem in der Öffentlichkeit gezeichneten Wunschbild nichts zu tun. Jenseits der formalen Ordnung gibt es in Armeen immer auch Probleme der Zusammenarbeit, die nicht durch die formale Ordnung gelöst werden können. Vor allem die konkrete Leistungsmotivation der Mitglieder, besonders aber die reibungslose Lösung der Probleme der alltäglichen Zusammenarbeit zwischen den Organisationsmitgliedern lassen sich nicht durch formale Vorschriften allein garantieren. Und genau hier greifen die in Kameradschaftsnormen verdichteten informalen Erwartungen.
Jeder Soldat weiß, dass eine Armee nur deswegen funktioniert, weil von den formalen Regelwerken immer wieder abgewichen wird.
- Vorratsdatenspeicherung wird jetzt schon ausgeweitet | Zeit → das gesetz zur vorratsdatenspeicherung ist noch nicht umgesetzt, da wird es schon ausgeweitet – und die versprechen der politiker gebrochen. das sollte es dem bverfg doch eigentlich leichter machen, die fehlende verfassungstreue zu erkennen …
- Ähnlichkeitsbeschlagung. Fünfte These zur Geschichtskultur | zzz → achim landwehrs seziert weiterhin sehr treffend (und spitzzüngig) die geschichtskultur unserer gegenwart:
Die fünfte These zur Geschichtskultur lautet: Die deutsche Geschichtskultur des frühen 21. Jahrhunderts tendiert dazu, Vergangenes nicht mehr als fremd und irritierend wahrzunehmen, sondern es sich der eigenen Gegenwart anzuähneln. […] Und die Tendenz lautet: Vergangenheit wird mit Ähnlichkeit beschlagen. Ganz im Sinne der erkenntnistheoretischen Binsenweisheit, dass man nur sehen kann, was man bereits weiß, zeigt sich am Beispiel der gegenwärtigen Geschichtskultur, dass sie häufig nur noch wissen will, was sie ohnehin schon sieht. Und das ist meistens nichts allzu weit entfernt von der eigenen Nasenspitze. […] Das Andere, das vergangene Zeiten für uns sein könnten, wird dadurch in Eigenes und Vertrautes verwandelt und muss eine Ähnlichkeitsbeschlagung über sich ergehen lassen. Der Vorgang ließe sich auch mit der angemessenen Negativität zum Ausdruck bringen: Es geht um Störungsverweigerung. […] Kann man dann überhaupt noch nach der Aktualität des Gewesenen fragen? Sicherlich kann man das. Aber nicht unter schamloser Ausnutzung des bereits benannten Machtgefälles zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Wir müssen dem Vergangenen seine Einzigartigkeit nicht nur zugestehen, sondern sie auch schützen. Nur dann kann es zu einem Dialog kommen zwischen den Zeiten, nur dann können wir etwas lernen aus dieser Beziehung (denn wir lernen nicht ‚aus der Vergangenheit‘, sondern aus der Art und Weise, wie wir uns auf Vergangenheiten beziehen), nur dann können wir uns durch das Vertraut-Fremdartige, durch das Bekannt-Verwirrende hinreichend aus dem Trott bringen lassen, um nicht nur die Vergangenheit, sondern auch unsere Gegenwart neu und anders zu befragen.
- Marathonläufer über TV-Sportvielfalt: „Nicht alle mögen den Fußball“ | taz → arne gabius spricht mit der taz über die monokultur der sportberichterstattung in den deutschen medien und die schäden, die das – nicht nur für die vernachlässigten sportler/innen – nach sich zieht
- Historikerin über Fürstin Maria Theresia: „Man ging legerer mit Travestie um“ | taz → spannendes und interessantes interview mit stollberg-rilinger über maria theresia und das ancien régime
Was die Geschlechterdifferenz angeht, war man im Ancien Régime deutlich flexibler als im 19. Jahrhundert. In der höfischen Gesellschaft ging man viel legerer mit Travestie und Homosexualität um. Transgenderverkleidungen waren an der Tagesordnung. Das erschien im bürgerlichen 19. Jahrhundert als absoluter Sittenverfall. […] Das Spannende am Métier der Geschichte ist ja, sich die Fremdheit des Anderen vor Augen zu führen. Projiziert man eigene Wertvorstellungen in die Geschichte, bestätigt man nur, was man sowieso schon empfindet. Ich brauche Maria Theresia nicht, um Feministin zu sein.
- Short-Attacken oder Pech durch Mittod – Milliarden vernichtet! | Wild Dueck Blog → gunter dueck über short-attacken mittels geschickt platzierter gerüchte – und die daran fleißig mitverdienenden banken
Man kann Millionen scheffeln, indem man vage Vorwürfe gegen eine börsennotierte Firma im Internet formuliert, am besten so, dass sich die Vorwürfe nicht sofort entkräften lassen. Das betroffene Unternehmen braucht dann ein paar Tage für eine seriöse Antwort – bis dahin rauscht der Kurs aber nach Süden ab. Da haben die Leerverkäufer gut Zeit zum Kassemachen. Was das betroffene Unternehmen nach einiger Bedenkzeit und Rechtsberatung antwortet, ist schon egal. Die schwarzen Ritter sind schon weg, das Unternehmen leckt seine Wunden, die Aktionäre sitzen auf schweren Verlusten.
- How the KGB infiltrated classical music | Spectator → norman lebrecht plaudert ein bisschen über emil gilels und die kolportierten spione in seinem umfeld …

Ins Netz gegangen am 27.2.:
- Empfehlung: Internationale Reisen nur noch ohne Smartphone | mobilegeeks → casten dobschat empfiehlt, beim grenzübertritt kein smartphone dabeizuhaben – es könnte kopiert werden. oder alternativ nur ein zurückgesetztes telefon mitnehmen …
- Wie die Alkoholindustrie uns dazu bringt, immer weiter zu trinken | Correctiv → zdf & correctiv über die „alkoholpolitik“ in deutschland, die wirtschaftliche interessen der unternehmer über volkswirtschaftliche und gesundheitliche stellt
- One Woman’s Brilliant „Fuck You“ to Wikipedia Trolls | Backchannel → A young Wikipedia editor withstood a decade of online abuse. Now she’s fighting back — on Wikipedia itself:
But on that Friday night, Temple-Wood had an idea. For every harassing email, death threat, or request for nude photos that she received, she resolved to create a Wikipedia biography on a notable woman scientist who was previously unknown to the free online encyclopedia. She thought of it as a giant “fuck you” to the anonymous idiots seeking to silence her.
Erinnerungskultur: „Wenn Schüler provozieren …“ | Zeit → die historiker jeannette und dirk van laak im interview über geschichte, geschichtsbilder, kritische geschichtswissenschaft und öffentlichkeitHinter die Standards der kritischen Geschichtswissenschaft kann niemand zurück. Sie hat heute international eine bemerkenswerte Blüte erreicht, die deutschen Historiker arbeiten auf höchstem Niveau, was die Vielfalt ihrer Themen und Methoden angeht. Aber ihre gesellschaftliche Autorität ist momentan relativ schwach. Historiker müssen daher lernen, auf andere Weise zu überzeugen, etwa durch die Qualität ihrer Selbstreflexion, die Leidenschaft für das Fach und überzeugende Argumente gegen die Ewigkeitsbehauptungen mancher Populisten. Die Neue Rechte legitimiert sich andauernd mit Bezügen auf die Geschichte, ist in ihrem Geschichtsbild aber leicht angreifbar. Wir sollten uns wieder mehr auf öffentliche Debatten über Geschichte einlassen, vielleicht sogar auf Marktplätzen.
- Die Leiden des Literaturkritikers: Ach, niemand hört auf mich | NZZ → rainer moritz schreibt schön und leicht melancholisch über die wirkungslosigkeit (jetzt und posthum) der literaturkritik …

Ins Netz gegangen am 19.1.:
- Worüber ich rede, wenn ich über Sex rede | Read on, my dear, read on → ein bericht aus der sexualaufklärung für geflüchtete in deutschland – sehr interessant zu lesen …
- Falk-Postille | Mein Jahr mit Luther → achim landwehr über falks „pop-oratorium“ „luther“
Man kann aus Martin Luther einen Freiheitshelden machen. Muss man aber nicht. Man kann die ‚Botschaft‘ der Reformation (wie lautete sie gleich noch?) in das Korsett standardisierter Musicalmelodien packen. Man muss sich das aber nicht anhören. Man kann die geistliche Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts in ein fahrstuhltaugliches Funktionsmusikgeriesel verwandeln. Man muss dafür aber kein Geld ausgeben.
- „Fake News“ und der blinde Fleck der Medien | Übermedien → stefan niggemeier über die (unehrliche) empörung über „fake news“:
Man hat das damals nicht „Fake News“ genannt, weil es den Begriff noch nicht gab. Vor allem aber haben die meisten anderen Medien diese „Fake News“ nicht bekämpft, sondern fröhlich weiter verbreitet.
[…]
Jetzt, auf einmal, entdecken die Medien die Gefahr der „Fake News“ und wollen mit großem Einsatz dagegen kämpfen. Was für eine Heuchelei. - „Das 20. Jahrhundert fällt uns gerade auf den Kopf“ | Welt → interesantes interview mit dem historiker timothy snyder – über die „lehren“ aus der geschichte udn die politik der gegenwart
Die Geschichte wiederholt sich nicht. Sie reimt sich nicht einmal. Aber die Geschichtswissenschaft zeigt uns, wie gewisse Dinge zusammenhängen. Sie weist uns auf gewisse Muster hin.
[…]
aber das Beispiel Deutschlands lehrt uns: Das muss man gleich am Anfang begreifen, nicht erst am Ende. Wenn man eine „Gleichschaltung“ stoppen will, muss man sagen: Es gefällt mir, dass wir ein föderales System haben