Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: erzählen

Erzählt-Werden

Kann es sein, daß das Leben keinen anderen Sinn hat, als erzählt zu wer­den und im Erzählt-Wer­den immer wieder neu zu entste­hen? Daß also das Erzählt-Wer­den ein­er der vie­len Wege der Fortpflanzung ist, die das Leben ken­nt?

Anne Weber, Luft und Liebe, 184

Jörg Fauser: Der Autor spricht

Jörg Fauser in der heute etwas selt­sam anmu­ten­den Sendung “Autor Scoot­er” (mit dem damals noch halb­wegs erträglichen Hell­muth Karasek) über sich, sein Schreiben und so weit­er — der Autor als selb­ster­nan­ntes “Mit­glied der Agen­tur für Sprache und Zweifel” spricht:

Den Schrift­steller, der nicht gele­sen wird, halte ich für eine pathetis­che und sinnlose Fig­ur.

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.
Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

schön auch, wie Karasek mit seinem roman­tisch-genialen Autor­be­griff auf Jörg Fausers wesentlich hand­festerem, handw­erk­lichen Autor-Ich (“writ­ing is my busi­ness”) trifft …

Hausgemachter Islandroman

Wer erzählt denn hier über­haupt?? (107)

Warum zieht Island eigentlich die Spin­ner an? Zumin­d­est die gut­müti­gen? Wolf­gang Müller ist ja schon eine Weile auf diese Spezial­itäten wie Feen, Elfe und Kobolde — alles isländis­che Bestände — abon­niert. Jet­zt offen­bar auch Albrecht E. Man­gler. Mit “VERASCHUNG” (die Ver­salien sind Absicht), das über Tubuk Deluxe (inklu­sive orig­i­naler Island-Asche!) den Weg auf meinen Lesetisch fand, ist jeden­falls aus­re­ichend ver­rückt, um Man­gler zu einem Ehren-Islän­der zu machen.

Schon die ganze Auf­machung, das ewige drunter & drüber, die zusät­zlich eingeschobene Erzäh­ler­fik­tion, das Cast­ing für Fig­uren der Erzäh­lung, … machen den Leser schwindlig. “Veraschung” ist näm­lich vieles, aber eines bes­timmt nicht: diszi­plin­iert. Stattdessen ist das Büch­lein, “der Island-Roman”, auss­chweifend, undiszi­plin­ert, unbändig, wild, wirr (im besten, näm­lich unter­hal­tenden Sinne das alles …) — und vor allem komisch. Mit allem, was das Erzäh­ler­herz und ‑hirn hergibt, wird gespielt: Mit Fußnoten, mit Ergänzun­gen, Ver­weisen, Pseu­do-Inter­ak­tiv­ität (inklu­sive Blog, Face­book-Account — und mit “Warte­seit­en” im Buch, um die Zeit bis zur Auszäh­lung zu über­brück­en …) — das ist fast ein gedruck­ter Hyper­text. Allerd­ings nur als Show, sozusagen, nur aufge­set­zt, um möglichst viel Farbe und Ver­wirrung in den Lese­fluss und den mehr oder weniger geneigten Leser zu bekom­men … Dazu noch — nicht zu vergessen  (und auch nicht zu überse­hen) — die Selb­stre­f­eren­zial­ität auf ver­schiede­nen Ebe­nen des Textes — eine furios Mis­chung, fast ein Lehrbuch der Nar­ra­tiv­ität.

Man­gler zieht näm­lich so ziem­lich alle Reg­is­ter des (auch mal notorisch unzu­ver­läs­si­gen) Erzäh­lens, unzäh­lige Erzäh­ler­fik­tio­nen, Fußnoten, Stim­men­wech­sel, der “Gast­beitrag” von Jökull Eld­fells­son, der das ganze noch ein­mal unter­bricht, aber auch die Mit­tel der Mul­ti­me­di­al­ität (nicht nur Zeich­nun­gen und Bild­ver­weise, auch noch eine isländis­che Hob­by­fo­to­strecke in der Mitte, stilecht auf Hochglanz­pa­pi­er) und der Hyper­fik­tion, Spiel mit den Gat­tun­gen … so kön­nte man jet­zt noch eine ganze Weile weit­er aufzählen, was er sich so alles ein­fall­en lässt bzw. was er von anderen übern­immt. Zum Glück für “Veraschung” ist das mit 127 Seit­en ger­ade noch so im Rah­men, das der unaufhör­liche Strom an erzäh­lerischen Gim­micks noch auszuhal­ten ist — viel länger hätte ich das wohl nicht ertra­gen. Ach ja, so etwas wie eine “Fabel”, einen erzäh­lerischen Kern, gibt es auch noch. Der ist aber fast banal, den brauche ich hier nicht zu referieren — ein biss­chen muss dem Leser auch selb­st über­lassen bleiben. Schießlich ist das Entz­if­fern und Entwirren desr Erzäh­lknäuls ein wesen­tich­er Teil des Spaßes — und das ist schon ein run­dum amüsantes Spiel.

Wer erzählt denn hier über­haupt?? (107)

Albrecht E. Man­gler: VERASCHUNG. Der Island-Roman erzählt von Vigo LaFlamme. Mit einem Gast­beitrag von Jökull Eld­fells­son. Wien: Mile­na 2011. 127 Seit­en. ISBN 978–3‑85286–210‑1.

immer wieder oktober: peter kurzeck liest in mainz

Da sitzt er also, ver­schwindet fast hin­ter seinem Buch mit dem auf­fäl­li­gen orange­far­be­nen Umschlag, wirkt noch klein­er und zer­brech­lich­er als son­st. Aber seine Stimme, die dringt müh­e­los über das Pub­likum hin­weg bis in die let­zte Rei­he und füllt das Anti­quar­i­at am Ballplatz ganz und gar aus. Peter Kurzeck, der aus Böh­men stam­mende, bei Gießen aufgewach­sene, lange in Frank­furt lebende und nun in Süd­frankre­ich schreibende Meis­ter der Erin­nerung und der Verge­gen­wär­ti­gung liest aus seinem let­zten Buch, „Okto­ber und wer wir selb­st sind“. Die Lesun­gen Kurzecks sind immer ein Fest für seine Leser und Fans, von denen es in Mainz inzwis­chen eine ganze Menge gibt – die Stüh­le im Anti­quar­i­at reicht­en gar nicht für alle, eine schön­er Erfolg für den Ver­anstal­ter, das Lit­er­atur­büro Mainz. Denn Peter Kurzeck liest nicht nur ein­fachr, was er mal, vor eini­gen Jahren, irgend­wann aufgeschrieben hat. Nein, er trägt es wirk­lich vor. Mit schweben­den Beto­nun­gen, manch­mal fast sin­gend. Und immer mit großem, beina­he kindlichem Erstaunen über diesen Text, den er da vor sich liegen hat. Dieses Erstaunen, das ist eine echte Kurzecksche Qual­ität. Es find­et sich näm­lich schon im Buch selb­st: Als Staunen über die Welt, die den Erzäh­ler umgibt. In „Okto­ber und wer wir selb­st sind“ ist es das Frank­furt im Herb­st 1983, die Woh­nung in Bock­en­heim, die Wege in der Stadt und an ihren Rän­dern, mit Frau und Kind, zum Einkaufen und zum Kinder­laden, im ver­gan­genen Som­mer und begin­nen­den Herb­st. Und natür­lich das Schreiben selb­st – der Erzäh­ler hat ger­ade sein drittes Buch begonnen. Kurzeck liest in Mainz aus den bei­den ersten Kapiteln von „Okto­ber“, die genau den Moment beschreiben, in dem der Som­mer endgülig vorüber ist. Aber in dem zugle­ich auch der Herb­st schon da ist, schon etwas Neues begonnen hat. Das klingt alles furcht­bar banal. Und ist es eigentlich auch. Nicht aber für Peter Kurzeck. Er verza­ubert das näm­lich: Durch die Erin­nerung an den All­t­ag, das übliche und das ungewöhn­liche, das banale und außeror­dentliche Geschehen wird das alles schon wieder ganz anders und beson­ders. Und durch seinen feinen, präzisen, verk­nappten und doch beredten Stil, der ihn schon so lange zu ein­er ganz außergewöhn­lichen Erschei­n­ung der deutschen Gegen­wart­slit­er­atur macht, wird es ger­adezu über­höht. Das Ergeb­nis, sein Buch und seine Lesung, ist berührend. Und mächtiger, auch dauer­hafter als der kleine, unschein­bare Mann, der sie geschaf­fen hat.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

peter kurzeck: oktober und wer wir selbst sind

schon der titel ist ja ein meis­ter­w­erk — ein anspruch, den der roman auch einö?sen kann: „Ein Buch, wie es noch keins gibt, aber wie es scheint, merkt das kein­er.” (154 — das schreibt der erzäh­ler über sein zweites buch. die par­al­le­len zu peter kurzeck und dessen „das schwarze buch” von 1982 sind natür­lich alles andere als zufäl­lig. immer­hin merken die qual­ität inzwis­chen ein paar mehr. aber das sind immer noch nur die kri­tik­er — leser gibt es immer noch zu wenige. dabei hätte die lek­türe von kurzecks büch­ern für die meis­ten einen gewalti­gen gewinn und erken­nt­niszuwachs zu bieten — erhe­blich mehr als die büch­er, die sich so auf den best­sellerlis­ten tum­meln.) und auch son­st ist es wieder ein echter kurzeck — unbe­d­ingt, etwas mono­man­isch, aber faszinierend und fes­sel­nd. nicht nur wegen der stilis­tis­chen vir­tu­osität — kaum ein ander­er gegen­wär­tiger autor hat so einen unverkennbar eige­nen stil oder bess­er gesagt ton­fall: denn es klingt immer, das von kurzeck geschriebene, es schwebt qua­si schw­ere­los wie zarte kam­mer­musik — son­dern auch sein­er the­men und motive wegen. das buch ist wieder über­voll von schö­nen stellen, schö­nen for­mulierun­gen — einige ste­hen ja auch hier…

der beginn ist schon ein ende und ver­lust — oder umgekehrt: das ende ist der beginn — der anfang des erzäh­lens: –> von dort startet das schreiben, das des erzäh­lers und das des autors. aus angst, das geschehene, d.h. ver­gan­gene, zu ver­lieren — und aus dieser furcht begin­nt sofort die suche nach der vergewis­serung: „[…] wisst ihr den Som­mer noch?” (7)

und noch etwas zeigt sich schon auf den ersten seit­en: die gewis­sheit, die ver­gan­gen­heit ver­loren zu haben, ist noch stärk­er als son­st (wenn ich die let­zten büch­er recht erin­nere, die lek­türe ist jet­zt schon eine weile her): „unauffind­bar. […] für immer in einem kerk­er.” (10) da hil­ft dann nur noch das erzählen: erzählen, um die wirk­lichkeit (der ver­gan­gen­heit) aufzubauen, „in Gang” zu hal­ten.

die erin­nerung wird allerd­ings immer unsicher­er, immer ungerichteter und frag­iler: „Nachträglich kommt dir vor, du hättest ihn an ein­und­dem­sel­ben Tag wenig­stens zwei- oder dreimal gehört.” (50) aber alles ist ver­loren, die erin­nerung, das gedächt­nis, die orte, die ganze ver­gan­gene real­ität — und die gegen­wart als zuk?nftige ver­gan­gen­heit auch schon: „Wo ist der Tag hin?” (50) und diese ahnung der wieder­hol­ung der real­ität greift inzwis­chen selb­st auf die träume aus:  “[…] oder den gle­ichen Traum immer wieder?” (75) aber noch ist hoff­nung (freilich ist die auch schon zwiespältig und gebrochen): „Und dann bleibt dir für immer das Bild.” — man muss es nur richtig und immer wieder erzählen. die frage ist dann nur: „wohin jet­zt mit dieser geschichte?” (71). für diese art zu erzählen, zu schreiben gibt es allerd­ings keine direk­ten wege — und genau das macht eine wesentliche fasz­i­na­tion der lek­türe aus: „beim erzählen immer noch einen umweg.” (29). schlie?lich ist das ganze buch ein einziger umweg — eigentlich sollte es nur ein einziges kapi­tel der vorgeschichte sein, kein eigen­er roman.

auch das schreiben an sich spielt natür­lich (wieder) eine große rolle — von anfang an. und wieder ist der erzäh­ler seinem text ziem­lich gnaden­los aus­geliefert: „Noch bei keinem Buch hat die Sprache mich so sehr gepackt, wie bei diesem — oder denkst du das jedes­mal wieder?” (19) ins­beson­dere die enden der kapi­tel führen immer wieder zum prozess des schreibens hin, zum erzählen an sich, zu den pro­jek­ten des erzäh­lers. und die sind schon lange mehr oder weniger zwang­haft gewor­den: „Aus­nahm­sweise vielle­icht heut nicht mehr? Aus­ruhen? Eine Pause? Aber das fehlt mir dann mor­gen früh und was fehlt, fehlt für immer.” (111) sp?ter hei?t es dann noch ein­mal: „Doch inzwis­chen will die Zeit, die kein Einsse­hen hat, mir keine Ruhe mehr lassen.” (162)

und natür­lich auch die zeit an sich wieder the­ma — das the­mas über­haupt, das kurzeck in seinen büch­ern umtreibt (vor allem natür­lich in der chronik der frank­furter achtziger): hier ist sie aber noch offen­er the­ma­tisiert als in den let­zten werken: „Die Zeit. Als ob man sich selb­st sucht. Wo bin ich, wenn ich nicht bei mir bin? Wo geht die Zeit mit uns hin?” (23) oder später: „Daß die Zeit auch so schnell verge­ht! Man weiß es und kann es doch nicht begreifen” (101)
die prob­leme der zeit: ein­er­seits fliegt sie, rast davon — ander­er­seits ver­langsamt sie bis zum still­stand: „Ist für uns die Zeit ste­henge­blieben? Ist es jeden Herb­st wieder der gle­iche Tag?” (45) und dann taucht aber auch noch immer wieder die frage auf: „Wie soll man die Zeit erzählen?” (77) die kern­frage, die kurzeck (und seinen erzäh­ler) schon länger beschäftigt und begleit­et, wird nun immer expliziter gestellt: „[…] und in Ruhe die Zeit, immer weit­er die Zeit auf­schreiben. Den Fluß und die Zeit und das ganze Land.” (121)

viel stärk­er spie­len daneben allerd­ings auch die fra­gen der real­ität eine rolle: gibt es zeit über­haupt? gibt es die dinge, vor allem aber gibt es orte? — oder ist alles nur aus­gedacht, imag­iniert? die zeit wird dabei auch noch stärk­er verd­inglicht, zum objekt gemacht: „Wie die zeit selb­st. als ob es die zeit ist, die immer­fort über sie hin­stre­icht, unabläs­sig, die heilige zeit.” (94) mehr noch als früher tritt dem leser peter kurzeck hier nicht nur als phänom­e­nologe, son­dern auch als erken­nt­niskri­tik­er gegenüber. genau deshalb beherrscht ihn auch der zwang zur wieder­hol­ung (und zur wieder­hol­ung gehürt auch das erzählen als wieder­holen — auf ander­er stufe — der erlebten wirk­lichkeit): „Man muß sie glauben, weil man sie sieht, aber kann sie sich nicht erk­lären.” (47) — und dann sind ja da noch „über­all Zeichen. […] Aber wie soll man die Zeichen deuten?” (49) — Zeichen haben sich ubiq­ui­tär aus­ge­bre­it­et, alles wird zum Zeichen, der Erzäh­ler weiß nicht mehr, was jet­zt Zeichen ist und was nicht — von der Frage ihrer Bedeu­tung natür­lich ein­mal ganz abge­se­hen.

ein anderes motiv, dass neu ist, durchzieht den text auch noch: der vater des erzäh­lers taucht immer mehr und deut­lich­er auf — bish­er war es vor allem die mut­ter der erzäh­lers „peter”, die in den tex­ten vorkam — hier wird immer wieder auch auf den vater bezug genom­men.

und das alles gibt wieder so einen her­rlichen text, das man nur ins schwär­men kom­men kann. wie anders kann man auch auf solche zeilen reagieren: „Man kommt an und Ort und Zeit warten schon” (173)?

peter kurzeck: okto­ber und wer wir selb­st sind. frank­furt am main: strome­feld 2007.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén