Georg Friedrich Händel, der große Jubilar dieses Jahres, ist schon in jungen Jahren weit herumgekommen in Europa. Und er hat sich von vielem, was er dabei gehört hat, inspiereren lassen. Manchmal auch etwas mehr – das „Ausleihen“ gelungener Melodien beispielsweise war zu seinen Zeiten noch keineswegs so verpönt wie heute. Wer sich also ein bisschen intensiver mit Händels Musik beschäftigt, muss sich auch mit ganz viel anderen Werken befassen. Zum Beispiel mit Musik von Dietrich Buxtehude, dem Händel in Lübeck einen Besuch abstattete. Oder mit Johann Heinrich Schmelzer, der in Wien Karriere machte. Und natürlich auch mit Händels Rivalen in London, Giovanni Bononcini.
Die Villa Musica hat all das in ein schönes Programm mit dem Telemann-Quartett gepackt und im Erthaler Hof auch einen sehr passenden Saal für diese vielfältige, filigrane und dramatische Musik gefunden. Die Hitze dort hat das Publikum gerne ausgehalten, denn die vier Spezialisten des Telemann-Quartetts boten zwar nicht unbedingt große Überraschungen, aber hohe bis höchste Qualität. Und zwar in allen Dimensionen.
Das Fundament legte, das ist bei barocker Musik unverzichtbar, der Generalbass. Florian Heyerick am Cembalo und Rainer Zipperling mit Gambe und Cello begnügten sich aber nicht mit dem Hintergrund. Mit viel Fantasie, mit Präzision und spannungsgeladenen Linien machten sie sich zu einem unverzichtbaren, elementaren Teil der Musik. Und was diese beiden auszeichnete, galt auch für die Geigerin Swantje Hoffmann und den Altisten Yosemeh Adjei: Genauigkeit in allen Situationen und Hingabe an die Ausdrucksvielfalt und die Kraft der Musik. Dazu kam dann noch ein reibungsloses Miteinander, ein echt gemeinsames Musizieren, bei dem jeder mit jedem agierte, aufeinander reagierte und zusammen eine feste Einheit bildete. Unablässig flogen die Blicke kreuz und quer, vergewisserten sich Sänger und Cembalist, Geigerin und Cellist der Gemeinsamkeiten. Überhaupt war hier alles immer in Bewegung, kam keiner der Musiker zum Stillstand. Und das war ein gutes Zeichen: Denn diese Rastlosigkeit übertrug sich auf die Musik. So wurden dann auch eher ephemere Werke wie die Violinsonate von Isabella Leonarda oder die Cellosonate von Giovanni Bononcini zu spannenden Ausflügen in die barocke Klangwelt. Aber die Höhepunket lagen woanders. Schon die beiden Psalmvertonungen Buxtehudes ließen das erahnen: Das wahre Drama kam in den Arien Händels zum Vorschein. Hier konnte sich der famose Altus Yosemeh Adjei voll ausleben. Mit seiner leichtfüßig über alle Schwierigkeiten hinwegeilenden, klar und peinlichst genau geführten Stimme wurde er Rinaldo oder Cesare, kokettierte mit der die Vogelrufe imitierenden Violine, ließ den Zorn brausen, den Herzschmerz sehnend schluchzen und die Tugend preisen – ohne jede Spur von Zurückhaltung verleibte er sich seine Partien ein und führte gemeinsam mit dem Rest des Quartettes die Händel-Reise weit über die tatsächlichen Stationen in das unendliche Reich der Fantasie hinaus.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)
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