Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: georg friedrich händel

Wochenblog 3/2023

Wenig zu bericht­en von dieser Woche. Wieder mal etwas viel gear­beit­et, unge­fähr 50 Stun­den und damit nur leicht über dem Durch­schnitt ;-). Dabei hat­te ich wieder oft das Gefühl, nicht voranzukom­men, nichts wirk­lich zu erledi­gen. Immer­hin war auch einiges schönes dabei — ein Sem­i­nar, das so inten­sive disku­tiert, dass ich mit meinem Pro­gramm nicht durchkam; ein Pla­nungsmeet­ing, in dem es mal wirk­lich vorang­ing.

Lebens­mit­tel­preise sind ger­ade sehr, sehr selt­sam. Bei Aldi zum Beispiel ist das Toast­brot der Eigen­marke in diesem Jahr von 99 Cent auf 1,59 Euro gestiegen, um dann zwei Wochen später bei 1,29 Euro zu lan­den. Sauer­kraut ist im Bio­markt in Bioland-Qual­ität gün­stiger als beim Dis­counter. Irgend­wie komme ich mir bei solch­er Preis­gestal­tung zunehmend abge­zockt und nicht ernst genom­men vor. Nun ja, mal sehen, wie sich das alles weit­er entwick­elt.

Und am trüben Woch­enende habe ich mal wieder ein wenig an meinen Blogs rumge­bastelt, die Kom­pa­bil­ität mit php8 endlich gek­lärt, ein wenig am Design und den Ein­stel­lun­gen rumgeschraubt.

Ton: Eine wun­der­bare Hän­del-Auf­nahme habe ich gehört: “Han­del Goes Wild” von L’Arpeg­gia­ta und Christi­na Pluhar. Das sind Impro­vi­sa­tio­nen über Hän­del-Werke und impro­visierende Inter­pre­ta­tio­nen von Hän­del-Arien, die damit eine dur­chaus barock­typ­is­che Anver­wand­lung auf­greifen und das mit viel Spaß, Sub­til­ität und Ideen so tun, dass das Hören mir echte Freude bere­it­ete.
Und auch sehr gut und schön, wenn auch nicht ganz so überzeu­gend wie bei Christoph Pré­gar­di­en: Franz Schu­berts “Schwa­nenge­sang” in der neuen Auf­nahme von André Schuen und Daniel Hei­de.

Text: Das “Blut­buch” von Kim de l’Hori­zon fer­tig gele­sen. Es kommt mir inge­samt doch ein wenig prä­ten­tiös vor. Die ver­han­del­ten The­men sind eigentlich recht schnell klar, sie wer­den aber überdeckt von der wuch­ern­den, unge­formten Form des Textes, der so ziem­lich (beina­he) alle denkbaren Reg­is­ter zieht, um seine Avant­gardität vorzuführen (ein biss­chen Holzham­mer-Meth­ode). Ich musste da öfters an Baßlers These des Mid­cults (Inter­na­tion­al Style) denken. So wie ich das ver­standen habe (ohne seine eigentliche Arbeit zu lesen freilich), beobachtet er eine Vari­ante der Lit­er­atur, die durch schwere The­men und aus­gestellte for­male Abweichung(en) eine Pseu­do-Moder­nität, einen Pseu­do-Kun­stcharak­ter her­stellt, aber eigentlich mit tra­di­tionellen Mit­teln erzählt. Gut, das let­zte passt auf das “Blut­buch” vielle­icht nicht so voll­ständig, aber mein Hauptein­wand nach mein­er vielle­icht etwas unge­nauen Lek­türe ist, dass die Form des Textes, seine Struk­tur und seine Sprache, nur sehr dünn ästhetisch begrün­det sind und vor allem markieren sollen, wie avanciert der Text ist. Vielle­icht ist das avancierteste hier aber doch bloß die Posi­tion der Erzäh­ler­fig­ur, des fik­tiv­en Autors (die natür­lich mehr oder weniger aut­ofik­tion­al durch die lebensweltliche Autor­fig­ur Kim de l’Hori­zon abgesichert und ver­stärkt wirkd).

Draußen: Weit­er­hin täglich gelaufen, aber langsam und dafür immer nur kurze Run­den. Keine gute Entwick­lung ger­ade, aber die Moti­va­tion war auch nicht sehr hoch.

Messias mit angezogener Handbremse

Gut, dass es das mod­erne Urhe­ber­recht vor 225 Jahren noch nicht gab. Son­st hätte sich Mozart wom­öglich nie getraut, Hän­dels „Mes­si­ah“ zu bear­beit­en. Oder Hän­dels Erben hät­ten gar nicht genehmigt, dass da ein ander­er Kom­pon­ist die Instru­men­ta­tion des Ora­to­ri­ums ändert, die Arien umschreibt oder manch­es, was ursprünglich der Chor zu sin­gen hat­te, nun den Solis­ten anver­traut. Und das wäre schade gewe­sen, denn es hätte uns um die Mozart-Fas­sung des Hän­delschen „Mes­sias“ gebracht.

So ein Cov­er ist natür­lich ger­ade dann inter­es­sant, wenn das Orig­i­nal sowieso schon bekan­nt ist. Und das muss man für Hän­dels berühmtestes Ora­to­ri­um auch heute noch annehmen. Da ist eine Auf­führungsvari­ante also eine angenehme Abwech­slung: Man hört die bekan­nten Chöre – natür­lich wird auch bei Mozart ein kräftiges „Hal­lelu­ja“ gejubelt – und die ver­traut­en Arien, aber man hört auch etwas Neues, auch wenn Mozart die Par­ti­tur nur sehr behut­sam mod­ernisiert. Geän­dert ist vor allem die Instru­men­ta­tion, die mit zusät­zlichen Holzbläsern mehr Farbe ins Spiel bringt. Und neu klin­gen auch einige Arien. Oder zumin­d­est weniger bekan­nt. Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass der Bach­chor mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie die Mozart-Fas­sung in der Chris­tuskirche auf­führt.

Zum ersten Mal geschieht das allerd­ings ohne Ralf Otto: Der erkrank­te Chor­leit­er wurde kurzfristig durch Wol­fram Koloseus erset­zt – immer­hin ein erfahren­er Mozart-Diri­gent. Das wird in der Chris­tuskirche aber nicht so recht deut­lich. Vielle­icht war die Vor­bere­itungszeit ein­fach zu kurz. Jeden­falls klingt das sel­ten so, als wären Sänger, Instru­men­tal­is­ten und Diri­gent mit einan­der und dem Werk wirk­lich ver­traut. Von Num­mer zu Num­mer hangeln sie sich, mal bess­er, mal etwas hake­liger. Aber über weite Teile bleibt der Ein­druck, dass alle Beteiligten noch sehr in und an den Noten kleben – freies und lebendi­ges Musizieren ist das sel­ten.

Aus­gerech­net im ersten Teil, dem wei­h­nachtlichen Teil des Ora­to­ri­ums, wirkt dieser „Mes­sias“ deshalb selt­sam entrückt und fern: Das scheint die Musik­er über­haupt nicht zu berühren. Manch­es von dieser großar­ti­gen Musik ist sog­ar richtig schlaff. Sich­er, da sind dur­chaus ansprechende Momente dabei – aber gut ver­steckt in viel Mit­tel­maß. Auch die Solis­ten kön­nen das nicht ret­ten: Klaus Mertens wirft seine langjährige Erfahrung ins Gewicht, die man der rou­tinierten, aber dur­chaus pointierten Inter­pre­ta­tion immer anhört. Tenor Chris­t­ian Rathge­ber singt dage­gen auf­fal­l­end jugendlich und frisch, aber manch­mal auch etwas durch­set­zungss­chwach. Ähn­lich­es ist in der Damen­riege zu beobacht­en: Sopranistin Sarah Wegen­er kann mit klar­er und sub­til­er Gestal­tung überzeu­gen, wird manch­mal – etwa in der Arie „Er wei­det seine Herde“ auch richtig ver­führerisch, während die Mez­zoso­pranistn Nohad Beck­er etwas unschein­bar bleibt.
Blass bleibt aber eben auch vieles vom Rest. Die Staat­sphil­har­monie klingt durch­weg recht schroff, der Chor anfangs erstaunlich lust­los. Viele rhyth­mis­che und dynamis­che Akzente, die der sehr extro­viert dirigierende Koloseus den Musik­ern und Sängern zu ent­lock­en ver­sucht, ver­schleifen und ver­puffen wirkungs­los. Immer­hin bessert sich das zunehmend: Vor allem der Bach­chor find­et zur gewohn­ten Form, die hier sehr poliert und hell klingt. Ger­ade im zweit­en Teil fängt das an, zu strahlen. Schade nur, dass dann aus­gerech­net der Schluss­chor, das alles bestäti­gende große „Amen“, wieder so über­vor­sichtig zaghaft klingt, als wür­den Chor und Orch­ester mit ange­zo­gen­er Hand­bremse musizieren.

Liebe, Götter und Musik: Händels “Semele”

Kom­pliziert­er geht es kaum noch. Da ist Semele, die Tochter des Königs von Theben. Sie soll eigentlich Athamus heirat­en, hat ins­ge­heim aber ein Ver­hält­nis mit dem Gott Jupiter. Dafür ist ihre Schwest­er Ino in den Bräutigam ver­liebt. Auch Juno, Apol­lo und einige andere Fig­uren aus Göt­ter- und Men­schen­welt mis­chen noch mit, bis Semele am Ende beim Ver­such, selb­st göt­tlich zu wer­den, stirbt und die restlichen Beteiligten ohne sie ihr Hap­py End erleben und feiern könne. Das Pro­grammheft benötigt fünf Seit­en für eine ver­ständliche und hin­re­ichend aus­führlich Inhalt­szusam­men­fas­sung. Und dabei ist das noch nicht ein­mal eine Oper – Hän­del hat seine „Semele“ aus­drück­lich als Ora­to­ri­um ver­standen und auch so kom­poniert, trotz des Libret­tis. Das ist schon den Zeitgenossen aufge­fall­en, bei der Urauf­führung bemerkt ein Fre­und Hän­dels wenig fre­undlich: „Das ist kein Ora­to­ri­um, son­dern eine zoten­hafte Oper, eine englis­che Oper, die Nar­ren als Ora­to­ri­um beze­ich­nen.“ Zum Glück hat sich diese Mei­n­ung nicht durchge­set­zt. Oft zu hören ist die „Semele“ aber trotz­dem nicht. Dank des Kol­legs für Alte Musik, Barock vokal, das an der Mainz­er Musikhochschule ein Weit­er­bil­dung­spro­gramm für junge Sänger und Sän­gerin­nen anbi­etet, war die Geschichte von Semele jet­zt in der Chris­tuskirche zu erleben. Vor allem war die Musik zu hören – das es nicht um Hand­lung ging, macht schon ein erster Blick deut­lich: Alle Beteiligten in strengem schwarz, in klas­sis­ch­er Ora­to­rien­form: Vorn die Solis­ten von Barock vokal, hin­ten der Chor der Musikhochschule, dazwis­chen das mit stu­den­tis­ch­er Ver­stärkung famos leicht und durch­sichtig spie­lende Mainz­er Bachorch­ester. Aber was den Augen fehlt, kön­nen die Ohren leicht aus­gle­ichen. Denn alle der immer­hin zehn Sänger und Sän­gerin­nen um Elis­a­beth Scholl, die eine wun­der­bar klare, kon­trol­lierte Semele singt, haben sich ihre Rolle genau erar­beit­et.
Zusam­menge­hal­ten und mit bewun­der­swert­er Präzi­sion in allen Details aus­ge­malt wird das von Ralf Otto, der aus dem kün­stlichen Beginn ein immer pack­enderes und mitreißen­deres Dra­ma entwick­elt, das erst mit dem Schluss­chor und Hap­py End Erle­ichterung bietet. Und das macht er so deut­lich und so überzeu­gend schön, dass man dazu nicht ein­mal der Hand­lung in jedem Detail fol­gen kön­nen muss.

mrz.

Taglied 26.2.2012

Zwei klitzek­leine Auss­chnitte aus Hän­dels wirk­lich über­raschend schönem Ora­to­ri­um “Semele”:

Cecil­ia Bar­toli — Semele — No no, I’ll take no less

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Cecil­ia Bar­toli — Semele — End­less plea­sure, end­less love

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Neujahrskonzert auf Barock

Nein, ein Neu­jahrskonz­ert war das nicht: Keine Walz­er gab es und auch keine große Abendgader­obe. Dafür war es schon eine Woche zu spät. Stattdessen gab es aber eine Menge große Musik: Mit­ten aus der Pracht des Barocks war das Pro­gramm des „Konz­ertes zum neuen Jahr“, das das Mainz­er Staat­sthe­ater nun schon zum neun­ten Mal als Bene­fizkonz­ert für die Stiftung Mainz­er The­aterkul­tur ver­anstal­tete, geschöpft. Und die barock­en Herrsch­er wussten, wie man die Musik zur öffentlichen Repräsen­ta­tion benutzt, ob in der Oper, der Instru­men­tal­musik oder dem Ora­to­ri­um. Von den offen­sichtlichen Beispie­len der Musik für herrschaftliche Fes­tak­te ganz zu schweigen. In die let­zte Kat­e­gorie fall­en zum Beispiel die Krö­nungskan­tat­en von Georg Friedrich Hän­del. Die dritte, „The King shall rejoice“, war im Großen Haus mit dem Staat­sthe­ater-Chor und dem Phil­har­monis­chen Staat­sor­ch­ester zu hören. Andreas Hotz dirigierte das dur­chaus fes­tiv, aber vor allem sehr maßvoll.
Doch Hän­del blick­te nicht nur gütig-ver­schmitzt vom Pro­grammheft, son­dern steuerte auch die meiste Musik bei. Etwa die Feuer­w­erksmusik. Die ist, ger­ade bei solchen Konz­erten, ja fast ein
unver­mei­dlich­er Kracher. Und man kön­nte meinen, der jugendliche Über­schwang, mit dem Andreas Hotz immer wieder auf die Bühne stürmt, schlüge sich nun auch in der Musik nieder. Und ger­ade hier, in diesem Hit. Das war dann aber kaum der Fall. Viel prä­gen­der war seine Ele­ganz. Die wurzelte in der Ele­ganz der Bewe­gun­gen des Diri­gen­ten, die das Klang­bild sehr stark bes­timmten. Ohne Großspurigkeit oder Auftrumpfen kamen alle die instru­me­na­torischen Effek­te daher, macht­en sich aber auch nie klein oder ver­steck­en sich. Im Gegen­teil: Der sauber gear­beit­ete Klang, der ohne gesuchte Extreme auskam, klang vol­lkom­men selb­st­sich­er und selb­stver­ständlich. Die Pauken dröh­n­ten, die Trompe­ten strahlten, die Stre­ich­er klan­gen satt, aber nie fett: Genau so ken­nt man das. Darin liegt, bei allem Maßhal­ten, dur­chaus eine gewisse Grandez­za. Und klar wird auch: Das hat schon seinen Grund, warum Feuer­w­erksmusik immer wieder aufge­führt wird – auch wenn es nicht Hän­dels raf­finierteste Kom­po­si­tion ist.

Damit das Konz­ert aber noch etwas großar­tiger wurde, kamen auch noch drei Solis­ten auf die Bühne. Zum Beispiel die gut aufgelegte Tan­jana Char­al­gi­na, die Vivald­is Wut des gerecht­en Zorns (in ein­er Motet­ten-Arie) eben­so herun­ter­sausen ließ wie sie der großar­ti­gen Freude Hän­dels (natür­lich aus dem „Mes­sias) vol­len­dete Strahlkraft mit­gab. Die Haupt­last trug aber ein­deutig das Orch­ester. Und das trug sie sehr selb­stver­ständlich. Nicht nur mit dem ganzen Hän­del-Pot­pour­ri, son­dern auch mit deutschen und franzö­sis­chen Kol­le­gen. Etwa dem berühren­den Plainte von Tele­mann, einen instru­men­tal­en Klage­sang, von Hotz mit klaren Lin­ien dirigerte und zwis­chen Solo-Oboe und Stre­ich­ern har­monisch aus­tari­erte. Oder der far­ben­prächti­gen Suite „Les Indes Galantes“ von Jean-Philippe Rameau, die er selb­st aus sein­er beliebten Indi­an­er-Oper bastelte. Die bot dem Phil­har­monis­chen Staat­sor­ch­ester mehr als genug Gele­gen­heit, kraftvoll und doch immer aus­geglichen die exo­tis­chen Seit­en des Barock vorzuführen. Und das ist dann doch bess­er als jed­er Walz­er.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Poppiger Barock: Händels Hallelujah aufgepeppt

Der erste Blick ist richtig erschreck­end: „ss-p-t-pow“, „dang-dang-tsch-gang-g-dah-dab“ — das soll jet­zt Hän­dels Hal­lelu­jah sein? Dieses willkür­liche Durcheinan­der von Pausen und Noten, von Punk­tierun­gen und Synkopen? Und diese sin­nentleerten Laute?

Ja, hin­ter dem schein­baren Chaos steckt tat­säch­lich „das“ Hal­lelu­jah aus Hän­dels „Mes­si­ah“. Allerd­ing ganz leicht über­arteit­et: Eine Ren­ovierung kön­nte man die Bemühun­gen Bern­hard Hof­manns nen­nen. Denn seine Bear­beitung soll den Klas­sik­er mal wieder auf­frischen: Er macht Pop, was schon immer Pop war und ist – nur dass es sich jet­zt auch für das 21. Jahrhun­dert so anhört. Und in dieser Hin­sicht find­et dann plöt­zlich alles seinen Platz, ste­ht jede Note und jede Pause ganz richtig und fängt – mit ein biss­chem Durch­blick und Übung – auch wirk­lich leicht zu grooven an. Vor allem rhyth­mis­che Sicher­heit und Fes­tigkeit der Sänger sind dafür allerd­ings unab­d­ing­bare Voraus­set­zung, son­st wird es schwierig, das lebendig wer­den zu lassen. Auch ein klangkräftiges, sicheres Bass­grundierung ist unablässlich. Aber das ist bei Hän­del ja auch nicht viel anders. Jeden­falls hat Hof­mann für seinen sech­stim­mi­gen Satz die wesentlichen Momente des Orig­i­nals – etwa die Unisoni bei „For the Lord God“ — bewahrt und ziem­lich geschickt in sein Arra­gen­ment einge­baut, der zugle­ich klas­sis­ch­er Chor­satz und Pop­song sein will.

Eine dur­chaus vor­sichtige, ja sehr behut­same Ren­ovierung ist das also: Ein frisch­er Anstrich für ein altes Haus – die Sub­stanz ist die gle­iche, an manchen Stellen sieht es trotz­dem auf ein­mal ganz anders und neu aus, bietet der wahrschein­lich bekan­nteste Chor­satz der Musikgeschichte wieder ein neues Hör­erleb­nis. Ohne Zweifel ist das eine angenehme Über­raschung – und ein wun­der­bares Zugaben­stück.

(geschrieben für die Neue Chorzeit.)

 

mit musik & händel durch europa

Georg Friedrich Hän­del, der große Jubi­lar dieses Jahres, ist schon in jun­gen Jahren weit herumgekom­men in Europa. Und er hat sich von vielem, was er dabei gehört hat, inspier­eren lassen. Manch­mal auch etwas mehr – das „Auslei­hen“ gelun­gener Melo­di­en beispiel­sweise war zu seinen Zeit­en noch keineswegs so ver­pönt wie heute. Wer sich also ein biss­chen inten­siv­er mit Hän­dels Musik beschäftigt, muss sich auch mit ganz viel anderen Werken befassen. Zum Beispiel mit Musik von Diet­rich Bux­te­hude, dem Hän­del in Lübeck einen Besuch abstat­tete. Oder mit Johann Hein­rich Schmelz­er, der in Wien Kar­riere machte. Und natür­lich auch mit Hän­dels Rivalen in Lon­don, Gio­van­ni Bononci­ni.
Die Vil­la Musi­ca hat all das in ein schönes Pro­gramm mit dem Tele­mann-Quar­tett gepackt und im Erthaler Hof auch einen sehr passenden Saal für diese vielfältige, fil­igrane und drama­tis­che Musik gefun­den. Die Hitze dort hat das Pub­likum gerne aus­ge­hal­ten, denn die vier Spezial­is­ten des Tele­mann-Quar­tetts boten zwar nicht unbe­d­ingt große Über­raschun­gen, aber hohe bis höch­ste Qual­ität. Und zwar in allen Dimen­sio­nen.
Das Fun­da­ment legte, das ist bei barock­er Musik unverzicht­bar, der Gen­er­al­bass. Flo­ri­an Hey­er­ick am Cem­ba­lo und Rain­er Zip­per­ling mit Gambe und Cel­lo beg­nügten sich aber nicht mit dem Hin­ter­grund. Mit viel Fan­tasie, mit Präzi­sion und span­nungs­ge­lade­nen Lin­ien macht­en sie sich zu einem unverzicht­baren, ele­mentaren Teil der Musik. Und was diese bei­den ausze­ich­nete, galt auch für die Geigerin Swan­t­je Hoff­mann und den Altisten Yose­meh Adjei: Genauigkeit in allen Sit­u­a­tio­nen und Hingabe an die Aus­drucksvielfalt und die Kraft der Musik. Dazu kam dann noch ein rei­bungslos­es Miteinan­der, ein echt gemein­sames Musizieren, bei dem jed­er mit jedem agierte, aufeinan­der reagierte und zusam­men eine feste Ein­heit bildete. Unabläs­sig flo­gen die Blicke kreuz und quer, vergewis­serten sich Sänger und Cem­bal­ist, Geigerin und Cel­list der Gemein­samkeit­en. Über­haupt war hier alles immer in Bewe­gung, kam kein­er der Musik­er zum Still­stand. Und das war ein gutes Zeichen: Denn diese Rast­losigkeit übertrug sich auf die Musik. So wur­den dann auch eher ephemere Werke wie die Vio­lin­sonate von Isabel­la Leonar­da oder die Cel­losonate von Gio­van­ni Bononci­ni zu span­nen­den Aus­flü­gen in die barocke Klang­welt. Aber die Höhep­un­ket lagen woan­ders. Schon die bei­den Psalmver­to­nun­gen Bux­te­hudes ließen das erah­nen: Das wahre Dra­ma kam in den Arien Hän­dels zum Vorschein. Hier kon­nte sich der famose Altus Yose­meh Adjei voll ausleben. Mit sein­er leicht­füßig über alle Schwierigkeit­en hin­wegeilen­den, klar und pein­lichst genau geführten Stimme wurde er Rinal­do oder Cesare, koket­tierte mit der die Vogel­rufe imi­tieren­den Vio­line, ließ den Zorn brausen, den Herz­schmerz sehnend schluchzen und die Tugend preisen – ohne jede Spur von Zurück­hal­tung ver­leibte er sich seine Par­tien ein und führte gemein­sam mit dem Rest des Quar­tettes die Hän­del-Reise weit über die tat­säch­lichen Sta­tio­nen in das unendliche Reich der Fan­tasie hin­aus.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

händel war in arkadien — und ich auch (fast)

An Hän­del-Auf­führun­gen herrscht in diesem Jahr, der 250. Wiederkehr seines Todes, kein Man­gel. Aber lei­der sind nicht alle diese Konz­erte so klug geplant und so sachver­ständig und engagiert umge­set­zt wie das, was die Vil­la Musi­ca im Erthaler Hof bot. Mit der Mainz­er Gesang­spro­fes­sorin Clau­dia Eder und neun jun­gen Sän­gerin­nen und Sängern haben sie ein Pro­gramm entwick­elt, das etwas auch in diesem Hän­del-Jahr recht seltenes vor­führt: “Hän­del in Arka­di­en”.

Denn als der junge Kom­pon­ist vor drei­hun­dert Jahren einige Zeit in Rom weilte, war er rasch Teil der dor­ti­gen Kul­turszene gewor­den, mit ihren Akademien und den Pri­vatkonz­erten der Kardinäle und Adli­gen. Für diese Ver­anstal­tun­gen kom­ponierte er Solokan­tat­en und Kam­mer­duette, die sich immer wieder mit dem Liebesleben in Arka­di­en beschäftigten: Hän­del im träumerischen Idyll der Schäfer und Nymphen also – kein oft zu hören­des Bild.

Und der Erthaler Hof mit seinem prächti­gen Saal und der inti­men Atmo­sphäre war ein ide­al­er Ort, diese Musik und ihre Entste­hung sowie ihre erste Auf­führun­gen wieder frisch aufleben zu lassen. Ide­al war aber noch viel mehr: Die sorgsam durch­dachte Pro­gram­mgestal­tung, die klu­gen Ein­führun­gen von Karl Böh­mer – und nicht zulet­zt immer wieder die Musik selb­st. Zum Beispiel die bei­den Coun­tertenöre Dim­it­ry Egorov und Kyoung-Bae Choi, die die zu Hän­dels Zeit­en üblichen Kas­trat­en erset­zten: Zwei ganz ver­schiedene Sänger, die bei­de das Pub­likum zu verza­ubern wussten.

Über­haupt war es ein Genuss, so viele unter­schiedliche Stim­men an einem Abend zu belauschen. Alle waren sie tech­nisch – auch in den anspruchsvollen Par­tien – sich­er, aber immer mit eigen­em Charak­ter. Elvi­ra Hasanag­ic sang die Kan­tate „La Lucrezia“ etwa mit großem Dra­ma und viel inner­er, ganz aus Text und Musik entwick­el­ter Span­nung. Eher ver­hal­ten blieb dage­gen Maria Piz­zu­to in der Kan­tate „La bian­ca rosa“, während Kirsty Swift den Aufruhr und die kriegerische Stim­mung von „Men­tre tut­to è in furore“ mit echtem Furor und sicher­er Stimm­be­herrschung vortrug.

Aber alle einte das ver­lock­ende Bemühen, die Zuhör­er hineinzuziehen in die Musikprax­is früher­er Zeit­en. Diese sub­tile Ver­führung betrieben dabei nicht nur die jun­gen Sän­gerin­nen und Sänger, son­dern auch die bei­den Instru­men­tal­is­ten: Der vortr­e­f­fliche und gewitzte Cem­bal­ist Chris­t­ian Rieger und der uner­schüt­ter­liche Michail Ury­vaev am Cel­lo, die den Bas­so con­tin­uo nicht nur informiert, son­dern auch sehr inspiri­ert umset­zten. Das alles zusam­men ergab dann fast so etwas wie ein ide­ales Konz­ert: Ein arkadis­ch­er Genuss eben.
(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

power und einfühlungsvermögen: händels oratorien im querschnitt

Nicht alle Hän­del-Ein­spielun­gen, die jet­zt erscheinen, ver­danken ihre Entste­hung dem Jubiläum des Kom­pon­is­ten. Der Maulbron­ner Kam­mer­chor und sein Leit­er Jür­gen Bud­day etwa beschäfti­gen sich schon länger und sehr erfol­gre­ich mit den großen Ora­to­rien des Meis­ters. Und seit zehn Jahren wer­den ihre Auf­führun­gen von K&K mit­geschnit­ten. Aus diesem reich­halti­gen Mate­r­i­al hat das Label nun, zur Feier des dop­pel­ten Jubiläums sozusagen, eine Auswahl unter dem Titel „The Pow­er of Hän­del“ zusam­mengestellt. Die etwas reißerische Ver­mark­tung verzei­ht man gerne – denn „out­stand­ing“ sind sie wirk­lich, diese aus­gewählten Soli und Chöre. Und „Pow­er of Hän­del“ heißt das ganze Unternehmen zu recht. Denn was immer wieder sofort auf­fällt, ist die immense Kraft, die Bud­day und seine Mit­stre­it­er in der Musik zum Leben erweck­en. Das liegt beileibe nicht nur an den fast durch­weg zügig bis ras­an­ten Tem­pi. Eine Freude ist es aber schon, zu hören, wie präzise der Maulbron­ner Kam­mer­chor auch bei hohem Tem­po bleibt, wie rasch die Sänger – immer­hin keine Profis! — reagieren und wie wendig sie in Klang und Aus­druck bleiben.

Klarheit, Präg­nanz und pointierte Aus­drucksstärke gehen eine aus­ge­sprochen frucht­bare Allianz ein. Und dass hier fed­ernd und spritzig gesun­gen wird – mit Freude und Esprit aller Beteiligten – das hört man eben in fast jedem Moment. Und man hört es gerne, zumal auch die Auf­nahme atmo­sphärisch gelun­gen ist.

The Pow­er of Hän­del. Best of his glo­ri­ous Ora­to­rios. Solis­ten, Maulbron­ner Kam­mer­chor, Jür­gen Bud­day. KuK 44, 2008.

(geschrieben für die neue chorzeit)

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