Georg Seeßlen schreibt heute in seinem Blog (das ja überhaupt sehr empfehlenswert ist, schon wegen seines Titels — “Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn”) einen sehr lesenswerten, nachdenklichen und besorgten Text über unsere Zeit, den ich zur heutigen Pflichtlektüre erkläre: “Schluss mit Lustig? Über die sehr geringen Chancen, vor Lachen einen klaren politischen Gedanken zu fassen.” Darin heißt es zum Elend der Postmoderne (die Diagnose ist ja nicht neu, hier aber schön auf den Punkt gebracht) in Bezug auf Politik und Gesellschaft unter anderem:
Ich bin gespalten. Ich wünsche mir keine Rückkehr der Sauertöpfe und der Rechthaber, schon gar keine der Stalinisten und Seminaristen. Zu Recht misstraut die Kultur des Unernstes den großen Welterzählungen und heroischen Mythen der Geschichte, zu Recht misstraut sie Lösungen, Modellen, Projektionen, Helden und Vordenkern; zu Unrecht aber glaubt sie, man könne sich durch Ironie, Moderation und Distanz von der Verantwortung für den Lauf der Dinge befreien. Zu Unrecht glaubt sie an eine Möglichkeit, sich rauszuhalten und trotzdem alles zu sehen. Zu Unrecht glaubt die Kultur von Abklärung und Unernst, den Mächtigen sei am besten mit taktischer Nachgiebigkeit und einem Hauch von Subversion zu begegnen. Leidenschaftliche und zornige Gesten erscheinen in der Kultur als kindisch, vulgär und unangenehm.
[…] Bislang hat doch noch ein jeder zu Ende gedachter Gedanken nichts als Terror oder Wahn mit sich gebracht. Bislang ist aus jeder Überzeugung eine Ideologie, und aus dieser ein neuer Unterdrückungsapparat geworden.
Es ist ja auch verrückt: Alles hat seine Dialektik, alles hat sein Gegenteil. Und seine Extreme sowieso. Vielleicht müssen wir uns wirklich wieder ganz weit zurück besinnen. Zum Beispiel auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles? Aber deren poliitische Implikationen sind vielleicht auch nicht unbedingt unser Ding (und unser Heil wohl auch nicht …). Es ist eben schwierig, das alles. Und Auswege gibt es vielleicht auch gar nicht. Denn die Gefahr ist immer dar. Im Moment zum Beispiel so:
Aber sie ist auf dem besten Weg, eine Gesellschaft der grausamen Gleichgültigkeit zu werden, eine Gesellschaft, die aus lauter Ironie und Moderation der politischen Leidenschaften gar nicht mehr erkennt, dass sie selber zu etwas von dem geworden ist, was sie fürchtet. Denn auch die Abklärung hat so ihre Dialektik, auch sie kann zum Dogma und zum Wahn werden.
Aber andererseits lehrt uns die Geschichte nicht nur, dass Gedanken zu Terror werden (können). Sondern auch, dass es immer andere und neue Gedanken gibt, die den Terror — zumindest zeitweise — beseitigen oder einschränken zu vermögen. Wenn es also doch keine “Lösung” gibt, so gibt es doch zumindest Hoffnung. Die lasse ich mir nicht nehmen. Jetzt zumindest noch nicht.