Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: politik Seite 2 von 6

Politik, Gesellschaft, das Lachen und der Ernst in unserer Postmoderne

Georg Seeßlen schreibt heute in seinem Blog (das ja über­haupt sehr empfehlenswert ist, schon wegen seines Titels — “Das Schön­ste an Deutsch­land ist die Auto­bahn”) einen sehr lesenswerten, nach­den­klichen und besorgten Text über unsere Zeit, den ich zur heuti­gen Pflichtlek­türe erk­läre: “Schluss mit Lustig? Über die sehr gerin­gen Chan­cen, vor Lachen einen klaren poli­tis­chen Gedanken zu fassen.” Darin heißt es zum Elend der Post­mod­erne (die Diag­nose ist ja nicht neu, hier aber schön auf den Punkt gebracht) in Bezug auf Poli­tik und Gesellschaft unter anderem:

Ich bin ges­pal­ten. Ich wün­sche mir keine Rück­kehr der Sauertöpfe und der Rechthaber, schon gar keine der Stal­in­is­ten und Sem­i­nar­is­ten. Zu Recht mis­straut die Kul­tur des Unern­stes den großen Wel­terzäh­lun­gen und hero­is­chen Mythen der Geschichte, zu Recht mis­straut sie Lösun­gen, Mod­ellen, Pro­jek­tio­nen, Helden und Vor­denkern; zu Unrecht aber glaubt sie, man könne sich durch Ironie, Mod­er­a­tion und Dis­tanz von der Ver­ant­wor­tung für den Lauf der Dinge befreien. Zu Unrecht glaubt sie an eine Möglichkeit, sich rauszuhal­ten und trotz­dem alles zu sehen. Zu Unrecht glaubt die Kul­tur von Abklärung und Unernst, den Mächti­gen sei am besten mit tak­tis­ch­er Nachgiebigkeit und einem Hauch von Sub­ver­sion zu begeg­nen. Lei­den­schaftliche und zornige Gesten erscheinen in der Kul­tur als kindisch, vul­gär und unan­genehm.
[…] Bis­lang hat doch noch ein jed­er zu Ende gedachter Gedanken nichts als Ter­ror oder Wahn mit sich gebracht. Bis­lang ist aus jed­er Überzeu­gung eine Ide­olo­gie, und aus dieser ein neuer Unter­drück­ungsap­pa­rat gewor­den.

Es ist ja auch ver­rückt: Alles hat seine Dialek­tik, alles hat sein Gegen­teil. Und seine Extreme sowieso. Vielle­icht müssen wir uns wirk­lich wieder ganz weit zurück besin­nen. Zum Beispiel auf die Niko­machis­che Ethik des Aris­tote­les? Aber deren poli­itis­che Imp­lika­tio­nen sind vielle­icht auch nicht unbe­d­ingt unser Ding (und unser Heil wohl auch nicht …). Es ist eben schwierig, das alles. Und Auswege gibt es vielle­icht auch gar nicht. Denn die Gefahr ist immer dar. Im Moment zum Beispiel so:

Aber sie ist auf dem besten Weg, eine Gesellschaft der grausamen Gle­ichgültigkeit zu wer­den, eine Gesellschaft, die aus lauter Ironie und Mod­er­a­tion der poli­tis­chen Lei­den­schaften gar nicht mehr erken­nt, dass sie sel­ber zu etwas von dem gewor­den ist, was sie fürchtet. Denn auch die Abklärung hat so ihre Dialek­tik, auch sie kann zum Dog­ma und zum Wahn wer­den.

Aber ander­er­seits lehrt uns die Geschichte nicht nur, dass Gedanken zu Ter­ror wer­den (kön­nen). Son­dern auch, dass es immer andere und neue Gedanken gibt, die den Ter­ror — zumin­d­est zeitweise — beseit­i­gen oder ein­schränken zu ver­mö­gen. Wenn es also doch keine “Lösung” gibt, so gibt es doch zumin­d­est Hoff­nung. Die lasse ich mir nicht nehmen. Jet­zt zumin­d­est noch nicht.

“… aber man kann es mir nicht sagen, um mich selber vor meiner eigenen Privatsphäre zu schützen”

Erwin Pelzig unter­hält sich mit Ilja Tro­janow über Pri­vat­sphäre, Überwachung, repres­sive Dien­stleis­tun­gen, dig­i­tale Anal­pha­beten und uni­ver­sale dig­i­tale Men­schen­rechte und sagt viele kluge Sätze, z.B.: “Man muss dafür kämpfen, dass generell die Gesellschaft nicht überwacht wird, und nicht, dass man sich indi­vidu­ell ver­steckt.” oder:
“Es geht nicht um atmo­sphärische Störun­gen im Schall­raum der Men­schen­rechte, es geht um einen Par­a­dig­men­wech­sel” — die totale Überwachung, die natür­lich auch vol­lkommene Kon­trolle jedes Einzel­nen ermöglicht.

ZDF Pelzig — Inter­view mit Ilja Tro­janow: Frei­heit. Sicher­heit und Pri­vat­spären­schutz — 16.10.2013

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

via Text & Blog

Symbolbild?

Ein Sym­bol­bild von der Web­seite Angela Merkels (die übri­gens ohne Javascript kaum benutzbar ist, dafür aber auch eine Sache der CDU und nicht von Merkel selb­st ist …):
Symbolbild
ich weiß nur nicht, wofür das Foto ste­hen soll. Der ganz neck­isch in der linken oberen Ecke platzierte Bildti­tel kann es ja nicht sein, oder? Vielle­icht ist das ja auch eine ganz raf­finierte Botschaft: mit Mann aber doch ohne oder so irgend­wie? Oder ich bin ein­fach zu blöd, die grandiose gestal­ter­ische Absicht dahin­ter zu erken­nen. Aber irgend­wie ist das doch typ­isch: Irgend etwas ver­laut­baren, aber dabei ja nichts sagen, keine Hal­tung oder keinen Stand­punkt erken­nen lassen und um Gottes Willen nichts tun …

Krieg, kalter

Angela Merkel im Zeit-Inter­view, zitiert nach dem heuti­gen Per­len­tauch­er:

Wanzen in Botschaften oder EU-Ein­rich­tun­gen wären inakzept­abel, wenn diese Berichte zuträfen. Der Kalte Krieg ist vor­bei.

Das ist ja schon selt­sam: Im kalten — also nicht erk­lärten — Krieg gel­ten andere Maßstäbe hin­sichtlich der Recht­mäßigkeit und Rech­staatlichkeit als in Frieden­szeit­en? Das ist doch per­vers: Entwed­er Rechtsstaat oder nicht — aber doch nicht Rechtsstaat nur, solange es (der Bun­deskan­z­lerin Merkel) passt. Spi­onage ist ver­boten, Punkt. Da gibt es wenig zu deuteln. Im Krieg mag das anders sein. Aber soweit ich sehe, hat nie­mand Krieg erk­lärt (zumin­d­est nicht der Bun­desre­pub­lik) — und das ja auch ger­ade im Kalten Krieg nicht getan, son­st wäre er ja nicht “kalt” gewe­sen.

Und neben­bei ist das doch genau die Argu­men­ta­tion der USA, die sich im Krieg mit den Ter­ror­is­ten wäh­nt und daraus die Legit­i­ma­tion zieht, nicht US-Bürg­er reich­lich hem­mungs­los abzuhören, zu erforschen und auszus­pi­onieren — ungeachtet der Sou­veränität ander­er Staat­en.

Demokratische Gefahr

Aber es ist in ein­er Demokratie gefährlich, Bur­gen, Fes­tun­gen und befes­tigte Orte anzule­gen.
Johannes Althu­sius, Polit­i­ca Methodice diges­ta atque exem­plis sac­ris et pro­fa­nis illus­tra­ta — Kap. XXXIX, §73

Nein zur Bestandsdatenauskunft

Es ist ja irgend­wie lästig, aber es muss sein: Gegen das Gesetz zur Bestands­date­nauskun­ft muss Ver­fas­sungs­beschw­erde erhoben wer­den. Recht­san­walt Mein­hard Starostik, der schon erfol­gre­ich gegen die Vor­rats­daten­spe­icherung Beschw­erde ein­legte, bere­it­et ger­ade die Ver­fas­sungs­beschw­erde gegen das neue Gesetz zur Bestands­date­nauskun­ft vor — und dem kann und sollte man sich anschließen! Das ist auch ganz ein­fach, erfordert nur eine Unter­schrift unter ein For­mu­lar und die 58 Cent, die der Brief nach Berlin kostet. Mein Brief ist schon unter­wegs …

Argu­mente gegen die Bestands­date­nauskun­ft gibt es hier und hier, mit­machen kann man ganz ein­fach hier.

 Verfassungsbeschwerde gegen die Bestandsdatenauskunft

Ver­fas­sungs­beschw­erde gegen die Bestands­date­nauskun­ft

Semantische Maßnahmen

Herib­ert Prantl fordert in der “Süd­deutschen Zeitung”:

Die erste Maß­nahme gegen Steueroasen ist daher eine seman­tis­che: Man muss ihnen diesen Namen entziehen.

Schön wäre ja, wenn sein eigenes Medi­um das auch tun würde. Die SZ schreibt aber auch gerne möglichst oft “Steueroase”. Und bebildert das mit net­ten Strän­den und türkisem Meer und Yacht­en etc. …

Das mag man als Bagatelle anse­hen — aber es ist doch eine beze­ich­nende. Vor allem, wenn man sich die weit­eren Texte anschaut. Beson­ders gestolpert bin ich ja über die wieder­holt ver­wen­dete For­mulierung:

Eine anonyme Quelle hat der SZ und anderen inter­na­tionalen Medi­en einen Daten­satz mit 130.000 Namen zugänglich gemacht.

In diesem Fall auch noch von einem “Daten­leck” zu sprechen, ist min­destens genau­so manip­ulierend, schön­fär­bend und täuschend wie der Begriff “Steueroase”. Denn was steckt denn dahin­ter: Irgend­je­mand (oder mehrere Irgend­je­mands) hat mehr oder weniger sys­tem­a­tisch Dat­en gesam­melt und — nach gängiger Ter­mi­nolo­gie — “gestohlen”, näm­lich nicht Berechtigten weit­ergeleit­et, also kopiert und zugänglich gemacht. Das ist auch erst ein­mal ein Verge­hen — es mag aus moralisch “guten” Grün­den geschehen sein und im Ver­gle­ich zu den dadurch aufgedeck­ten Ver­fehlun­gen möglicher­weise lässlich sein (bish­er ist das ja offen­bar noch nicht so wirk­lich klar, wie viel wirk­liche rechtlich rel­e­vante Ver­fehlun­gen für die deutschen Teile der Dat­en über­haupt anzunehmen sind). Aber das ist doch ein aktiv­er Vor­gang, den jemand (oder mehrere) bewusst aus­geübt hat, möglicher­weise sog­ar über län­gere Zeit — die Dat­en sind ja nicht, wie ger­ade der Begriff “Daten­leck” sug­geriert, aus Verse­hen und von selb­st aus ihren jew­eili­gen Quellen gesprudelt … So viel Ehrlichkeit sollte dann doch sein — vor allem wenn man sie selb­st von den anderen so unbe­d­ingt ein­fordert …

Noch zwei Jahre etwas Freiheit

Der Bun­destag hat gestern (wieder ein­mal ganz kurz vor knapp, bevor die Frist am Jahre­sende aus­läuft) beschlossen, die befris­tete Regelung des Urhe­ber­rechts in §52a noch ein­mal zwei Jahre zu ver­längern. Damit ist es immer­hin zunächst noch möglich, in Schulen und Uni­ver­sitäten Texte auch dig­i­tal zur Ver­fü­gung zu stellen und nicht nur als Kopier­vor­lage im Ord­ner … Wie man aber — wie die Regierungsparteien — davon sprechen kann, dass die Auswirkun­gen “in der Prax­is noch nicht abschließend bew­ertet” wer­den kön­nten, ist mir ein Rät­sel. Die SPD hat­te immer­hin beantragt, dass gle­ich zu ent­fris­ten, weil die Regelung in §52a ger­ade prax­is­tauglich sei. Und um die Schiz­o­phre­nie noch etwas weit­er zu treiben, haben CDU & FDP gle­ich angekündigt, in den näch­sten Jahren über eine dauer­hafte Regelung nachzu­denken. Welche neue Erken­nt­nisse man da in den näch­sten Monat­en erwartet und warum man da so viel nach­denken und entschei­den muss, erschließt sich mir ja nicht so recht und ver­rät die Pressemit­teilung des Bun­destages lei­der auch nicht …

Die Mit­teilung des Bun­destages dazu im Wort­laut:

Gegen die Stim­men der Linken bei Enthal­tung der Grü­nen hat der Bun­destag am 29. Novem­ber den Geset­zen­twurf von CDU/CSU und FDP zur Änderung des Urhe­ber­rechts­ge­set­zes (17/11317) auf Empfehlung des Recht­sauss­chuss­es (17/11699) angenom­men. Damit kön­nen urhe­ber­rechtlich geschützte Inhalte zwei Jahre länger, näm­lich bis Ende 2014, unter bes­timmten Voraus­set­zun­gen einem abge­gren­zten Per­so­n­enkreis für Unter­richts- und Forschungszwecke zugänglich gemacht wer­den, zum Beispiel, indem sie in das Intranet von Schulen oder Uni­ver­sitäten eingestellt wer­den. Für das Ein­stellen muss eine Vergü­tung an eine Ver­w­er­tungs­ge­sellschaft gezahlt wer­den. Die Koali­tion begrün­det die Ver­längerung dieser Regelung um zwei Jahre damit, dass in dieser Zeit über den Inhalt ein­er endgülti­gen, unbe­fris­teten Regelung entsch­ieden wer­den soll. Die Auswirkun­gen der mehrmals befris­teten Regelung in Para­graf 52a des Urhe­ber­rechts­ge­set­zes kön­nten in der Prax­is noch nicht abschließend bew­ertet wer­den, heißt es zur Begrün­dung. Gegen das Votum der Oppo­si­tion lehnte der Bun­destag einen Geset­zen­twurf der SPD (17/10087) ab, der darauf abzielte, die Regelung in Para­graf 52a nicht länger zu befris­ten, weil sie sich bewährt habe.

Relevanzerzeugung und Patriotismus

So lange es solche Mel­dun­gen gibt, darf sich nun wahrlich kein (Landes-)Parlament über man­gel­nde Rel­e­vanz und Kom­pe­tenz beschw­eren:

Auf die Aktuelle Stunde, die die CDU für Don­ner­stag im Land­tag angemeldet hat, darf man wahrlich ges­pan­nt sein. Der Par­la­men­tarische Geschäfts­führer der Union, Hol­ger Belli­no, erwartet näm­lich nichts weniger als die „volle Sol­i­dar­ität“ des gesamten Haus­es mit der deutschen Fußball­na­tional­mannschaft, die am Abend des­sel­ben Tages im Halb­fi­nale der Europameis­ter­schaft gegen Ital­ien antritt. Mies­machen gilt nicht, argu­men­tiert Belli­no in Rich­tung all jen­er, die mit Fußball und Nation­al­stolz nicht so recht warm wer­den kön­nen. „Patri­o­tismus und Unter­stützung der deutschen National­mannschaft schließen sich nicht aus“, heißt das Mot­to des CDU-Antrags.

Da muss man doch schon ziem­lich neben der Spur sein, um das nicht nur für eine gute Idee und umset­zenswert zu hal­ten, son­dern auch noch argu­men­ta­tiv vertei­di­gen zu wollen. Entsprechend schwach­brün­stig ist denn auch die “Argu­men­ta­tion”. Was am Fah­nen­schwenken, Hupen und Bez­in­ver­schleud­ern “aufgek­lärter Patri­o­tismus” sein soll, erschließt sich mir auch über­haupt nicht. Das ist doch ger­ade das Gegen­teil, näm­lich lupen­rein­er Hur­ra-Patri­o­tismus. Da wird ohne Ver­stand ein­fach rumge­jubelt. Und nur weil in der “National­mannschaft” ein paar Namen gelis­tet wer­den, die nicht urdeutsch klin­gen, heißt ja auch nicht unbe­d­ingt, dass die Inte­gra­tion aus­ländis­ch­er Bürg­er irgend­wie vor­angekom­men wäre. Hier führt Ste­fan Nigge­meier das heute vor — und das ist ein ganz beliebiges und zufäl­liges Beispiel. Ger­ade die hes­sis­che CDU kön­nte und sollte das ja wis­sen, ihr ehe­ma­liger Vor­sitzen­der R.K. hat das ja gerne immer wieder mustergültig vorge­führt. Pein­lich ist das, ein­fach nur pein­lich …

Kulturnation

Jan­u­ar 2010 — Deutsch­land senkt die Mehrw­ert­s­teuer für Hotelüber­nach­tun­gen von 19 auf 7%.
Juni 2012 — Frankre­ich senkt die Mehrw­ert­s­teuer für Büch­er (wieder) von 7 auf 5,5%.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén