Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: politik Seite 3 von 6

Übertriebenes Unverständnis?

Die west­lichen Medi­en haben das damals mit einem meines Eracht­ens über­triebe­nen Unver­ständ­nis für die chi­ne­sis­che Regierung als Mas­sak­er beze­ich­net. Doch was hätte Deng tun sollen? … Wenn er den Platz des Himm­lis­chen Friedens nicht hätte räu­men lassen, hätte die Regierung ‘das Gesicht ver­loren’.

So spricht Hel­mut Schmidt in ein­er kurzen Erin­nerung über seine Begeg­nun­gen mit Deng Xiaop­ing in der aktuellen Aus­gabe der “Zeit Geschichte”, die sich ganz Chi­na wid­ment (1/2012, S. 91).

Und genau damit hat mich Hel­mut Schmidt — nicht zum ersten Mal — gehörig ver­schreckt. Denn diese Beliebigkeit ist schlimm: ja, was sollen die armen Chi­ne­sen denn tun, sie hät­ten ja “ihr Gesicht” ver­loren — und das weiß doch jed­er, das das in dieser Kul­tur das Schlimm­ste über­haupt ist. Was sind schon fast 3000 Tote dage­gen? Tote noch dazu, die ja — so die Imp­likatur — genau gewusst haben, was passieren muss, wenn sie da so blöd in der Öffentlichkeit demon­stri­eren und so etwas Unver­schämtes wie Demokratie ver­lan­gen? Mein lieber Mann: Solche Äußerun­gen sind es immer wieder, die mir die Verehrung Hel­mut Schmidts gän­zlich unbe­grei­flich machen.

Und dann noch: Was bitte schön ist denn “über­triebenes Unver­ständ­nis”? Entwed­er man ver­ste­ht etwas nicht — dann ver­ste­ht man es eben nicht. Das kann man dann nicht mehr übertreiben. Was Schmidt hier offen­bar meinen, aber nicht sagen will: Das Unver­ständ­nis war keines, die “Medi­en” wussten genau (nach Schmidts Lesart), worum es ging, und haben das Unver­ständ­nis vorgeschoben — und, das ist die Folge davon, sich (meines Eracht­ens zu Recht) moralisch entrüstet über das Gemet­zel. Und das find­et Herr Schmidt wohl über­trieben. Nun ja, da muss man ja eigentlich nichts mehr sagen …

Real-Satire?

Heute im Zug habe ich mit großem Vergnü­gen Nor­bert Hoppes “Ich war Gut­ten­bergs Ghost” gele­sen. Die Mitreisenden haben immer mal wieder selt­sam geschaut, wenn ich aus heit­erem Him­mel laut aufgelacht habe. Aber manche Stellen sind ein­fach zu witzig …

Dann sagte der alte Mann [d.i. Karasek] wieder: “Krull” — und ging weg, den Hauss­mann holen, den Regis­seur, “Son­nenallee”, Sie wis­sen Bescheid? Und der fand auch sofort: Felix Krull! The­ater­rolle in Bochum … Ein Mann in Bomber­jacke, den sie Eichinger nan­nten, sagte “Quatsch” Lieber Film draus machen”, und hat­te schon den Bierdeck­el für den Ver­trag vor­bere­it­et … Boris Beck­er fragte, ob er mal vor­bei­dürfe zur Toi­lette, und hat­te noch nicht ein­mal eine dunkel­häutige Frau dabei, jeden­falls auf dem Hin­weg. Und am Ende schaute sog­ar Thomas Gottschalk noch kurz here­in (64)

Natür­lich ist das von vorne bis hin­ten erlogen, selb­st der Autor­name ist ein Pseu­do­nym. Aber es ist ein­fach richtig gut gemacht, wie Hoppe hier als ange­blich­er Schul­fre­und und Adju­tant von “KT” dessen Charak­ter, seine Entwick­lung, den Auf­stieg und den plöt­zlichen Sturz schreibt — mit ihm als wesentlichen Drahtzieher, ja sog­ar als Schöpfer des “Poli­tik­ers” Gut­ten­berg. Und als Ghost­writer der “Gut­ten­bergschen” Dis­ser­ta­tion — als Betrüger, der von Gut­ten­berg bet­ro­gen wurde, weil dieser ihn über die Herkun­ft der Textfrag­mente auf den ange­blichen 60 Disket­ten täuschte, so dass der Ghost­writer gar nichts dafür kon­nte, dass er zum Pla­gia­tor wurde. Tragisch, so etwas …

Ich glaube heute, dieses Tech­no-Zeug war für ihn auch irgend­wie Wag­n­er, nur mit anderen Mit­teln, aber wenn man genau hin­hört, ist es doch über­raschend ähn­lich im tiefen Gedröhne. im hys­ter­ischen Gefiepe und in der gesamten Ufer­losigkeit, ja, ich glaube, er meinte Wag­n­er, wenn er Tech­no hörte, das Totale, das Allum­fassende, das Gesamtkunst­werkhafte hat­te es ihm eben ange­tan […]. (102f.)

Das ganze ist wun­der­bar mit vie­len kleinen, tre­f­fend­en Seit­en­hieben auf die Poli­tik der Bun­desre­pub­lik und ihre Akteure, auf die deutsche Gesellschaft und die Medi­en, das Kul­turleben (nicht nur Helene Hege­mann, auch Ingo Schulze kommt vor …) gespickt. Und es stilis­tisch gekon­nt durchge­hend als simulierte Beichte bzw. “Jet­zt sage ich euch mal die Wahrheit”-Rede geschrieben — so gut, dass man ein­fach eine Menge Spaß damit hat. Und an nicht weni­gen Stellen wirkt die Satire dann doch wieder so real­is­tisch, dass man fast Angst bekommt — Angst um ein Land und eine Gesellschaft, in der so eine “Kar­riere” und so viele Fehlzuschrei­bun­gen samt den Heilser­wartun­gen möglich sind.

Aber bei ARD und ZDF hieß es: Unsere Zuschauer mögen keine Kinder, die sind immer so laut und so frech und schießen mit dem Fußball Fen­ster­scheiben kaputt, wenn man Mit­tagss­chlaf hal­ten will. Sat.1 wollte nur mit­machen, wenn ein Pro­fil­er aus den Leichen der Opfer auf den Täter schließt. Und das richtige RTL bestand darauf, dass erst einbmal die Super­nan­ny mit allen Beteiligten redet. Aber ich hat­te Stephanie ver­sprochen, ihr Konzept unver­fälscht und ohne Wenn und Aber durchzubox­en. Da blieben am Ende nur der Home­shop­pingkanal und RTL2. Na ja, und dann doch wohl lieber RTL2, nicht wahr? (142f.)

Das Konzept für die unsägliche Sendung der Frau Gut­ten­berg hat­te natür­lich auch Hoppe en pas­ant mal entwick­elt. Am Ende übri­gens, auch eine schöne Pointe, find­et Hoppe doch wieder einen neuen Arbeit­splatz:

Ich habe inzwis­chen wieder einen Job, wieder als Reden­schreiber und als Stich­wort­ge­ber, auch lei­der wieder in Berlin, aber dafür dies­mal wenig­stens hüb­sch im Grü­nen.
Das Schloss Belle­vue ist Ihnen ein Begriff?
Die Wulffs — irre nette Leute, sag ich Ihnen. (Und die Haare von ihr! Die Haare!! Aber das ist ein anderes The­ma.)

Nor­bert Hoppe: Ich war Gut­ten­bergs Ghost. Eine Satire. Köln: Kiepen­heuer & Witsch. 156 Seit­en. ISBN 978–3‑452–04435‑5.

ACTA, geistiges Eigentum & Privatisierung der Rechtsdurchsetzung

Nach SOPA/PIPA drängt ACTA als gewis­ser­maßen “europäis­che” Ver­sion (ein dur­chaus prob­lema­tis­ch­er Ver­gle­ich, aber darum geht es hier nicht …) ger­ade in die Aufmerk­samkeit. mspr0 hat eine schöne, kleine Ein­führung in die Prob­leme des ACTA-Abkom­mens geschrieben: klick. Mehr ins Detail geht ars tech­ni­ca. Auch bei netzpolitik.org gibt es einiges zum Abkom­men, den Geheimver­hand­lun­gen und dem Protest in Europa, Markus Beckedahl hat im Auf­trag der Dig­i­tal­en Gesellschaft auch auf Spiegel Online die wesentlichen Prob­leme von ACTA noch ein­mal zusam­menge­fasst.. Emp­fohlen sei deshalb zumin­d­est die Peti­tion an das EU-Par­la­ment bei Avaaz oder andere For­men des Protestes gegen diese ein­seit­ige, unvernün­ftige und rück­sicht­slose sowie vol­lkom­men undemokratis­che Art der Poli­tik.

Verhängnis

“Es wal­tet ein Ver­häng­nis über diesem Land und ich weiß genau, daß es nicht nur der Kap­i­tal­is­mus ist. Daß dieser bes­tialisch wer­den kann, hat keineswegs ökonomis­che Gründe allein. […]Ich erkenne nur ein all­ge­meines Schla­mas­sel, und beina­he wäre mir am lieb­sten, es kön­nte noch so fort­gewurstelt wer­den.” (Siegfried Kra­cauer an Theodor W. Adorno, 28.8.1930)

Insubordination

Selt­sam. Rafael Behr, Pro­fes­sor für “Polizei­wis­senschaften” (im Plur­al!) in Ham­burg, schreibt in der Zeit 44/2011 (S. 17, jet­zt auch online — natür­lich sofort von den erwart­baren Kom­men­tar­reflex­en über­schwemmt …) einen eigentlich recht vernün­fti­gen Text über die ange­bliche Zunahme der Gewalt gegen Polizis­ten, weist zu Recht darauf hin, dass diese Zunahme sich durch nichts bele­gen lässt und ver­weist — etwas dif­fus — auf gesellschaftlichen Wan­del, dem sich die Polizei (und ihre Aus­bil­dung) anzu­passen habe. Aber etwas ist mir mit­ten­drin aufgestoßen: Da spricht Behr auf ein­mal von “Insub­or­di­na­tion”:

Es ist also nicht die Gewalt, die den Polizis­ten Schwierigkeit­en bere­it­et, son­dern die aggres­sive Kom­mu­nika­tion der Bevölkerung, mit der es Polizei zu tun hat. Ich nenne es Insub­or­di­na­tion, ein Unge­hor­sam, der um sich greift und auf den Polizis­ten nicht gut vor­bere­it­et sind.

Und genau das offen­bart ein Teil des Prob­lems: Insub­or­di­na­tion kann es in diesem Zusam­men­hang gar nicht gegen. Insub­or­di­na­tion, also so etwas wie “Befehlsver­weigerung”, gibt es nur zwis­chen Unter­ge­ord­neten und Vorge­set­zten, im stren­geren Sinne eigentlich nur in mil­itärischen Kon­texte. Im Duden heißt es z.B.: “man­gel­nde Unterord­nung; Unge­hor­sam gegenüber [mil­itärischen] Vorge­set­zten”. Und das kann ich bei der Kom­mu­nika­tion zwis­chen Polizei und Zivilis­ten nicht ein­fach so unter­stellen — das ist ja ger­ade der Punkt: Auch im Kon­takt mit Polizis­ten ver­füge ich als Bürg­er über Frei­heit­en. Schön brav gehorchen muss ich vielle­icht (nicht ein­mal das unbe­d­ingt!) im Mil­itär, nicht aber in ein­er mod­er­nen Gesellschaft. Und auch wenn er selb­st den Rekurs auf die Zeit­en, in der der Schutz­mann (Frauen spie­len natür­lich keine Rolle hier) noch qua­si unange­focht­en über Autorität ver­fügte, zurück­weist, unter­schlägt er — wie fast alle in solchen Diskus­sio­nen — einen Punkt, den ich nicht ganz unwichtig finde: Das Auftreten heutiger Polizis­ten ist mit dem eines “Schutz­mannes” — für mich (!) eine Insti­tu­tion, die es seit 50–60 Jahren nicht mehr gibt — nicht zu ver­gle­ichen. Man muss sich nur mal die Aus­rüs­tung eines nor­malen Streifen­polizis­ten anschauen: Der ist so aus­ges­tat­tet, als ob er jeden Moment mit sehr viel Gewalt rech­net. Sicher­lich aus guten Grün­den. Oft genug schlägt sich das aber auch in der Hal­tung und in der ini­tialen Kom­munka­tion von Polizis­ten nieder — un provoziert natür­lich ganz selb­stver­ständlich eine entsprechende Abwehrhal­tung und angepasste Kom­mu­nika­tion im Gegenüber. Wenn man sich dann noch vor Augen hält, wie oft und non­cha­lant sich Polizis­ten im All­t­ag über die von ihnen gehüteten Geset­ze hin­wegset­zen (und sich natür­lich immer im Recht wäh­nen), wun­dert es mich fast, dass sie nicht mehr Gewalt erfahren …

Datenschützer und das Internet

Alles nicht so ein­fach, diese Ver­linkun­gen und Ein­bidun­gen und der ganze Kram in diesem neuen Inter­net da. Und dann sind es auch noch nicht nur die bösen Face­book-But­tons, son­dern die Ein­bet­tun­gen sind ein­fach über­all — Hil­fe!

Zum Beispiel auch mal hier (obwohl es hier bei mir son­st eher sel­ten ist/sein soll, ich bemühe mich, möglichst viel bei mir zu haben bzw. zu hal­ten):
PrivacyImg - Ein interaktives Beispiel.

Verein ohne Mitglieder?

Irgend­wie ist das alles wieder ganz trau­rig und per­vers: Da hat jemand die Idee, die Net­zge­sellschaft (was auch immer das ist) als Lob­by zu organ­isieren und grün­det mit wahnsin­nigem Tam­tam einen Vere­in. Einen Vor­stand hat man auch schon — Mit­glieder möchte man aber möglichst keine. Die kön­nten ja auch eine Mei­n­ung haben (das man das in einem Vere­in nicht zu hoch hän­gen sollt mit der vollen Beteili­gung aller Mit­glieder dürfte jed­er wis­sen, der bei so etwas schon mal mit­gemacht hat …) — deswe­gen bit­tet man nur um Unter­stützer und Helfer, nicht aber um Mit­glieder. Was soll dieser Mist? Wie will eine Lob­by­or­gan­i­sa­tion Gehör find­en, wenn Sie nie­man­den ver­tritt, nie­man­dem zeigen kann, dass sie eine mehr oder min­der bedeu­tende Grup­pierung im Volk ist? Einen Vere­in Mit­gliedern zu öff­nen heißt ja noch lange nicht zwangsläu­fig, über alles basis­demokratisch abzus­tim­men. Auch der hat ja einen geschäfts­führen­den Vor­stand. Aber den kann man als Mit­glied wenig­stens (ab-)wählen und nicht nur “unter­stützen”. Kein Wun­der, dass man sich bei solchen Unternehmungen ganz vornehm “Dig­i­tale Gesellschaft” nen­nt und das “Vere­in” nicht so gerne her­ausstellt. Das Vor­bild Greep­eace hat das meines Wis­sens etwas anders gehand­habt — die waren/sind zwar auch oft mehr als ein Vere­in (über ihre etwas auf­dringlich-gewalt­tätige Kom­mu­nika­tion­sstrate­gie — will man das in der Net­zpoli­tik wirk­lich nachah­men?), aber sie waren eben doch — auch — ein nor­maler Vere­in mti allem Drum und Dran. Hier wird das — so sieht es im Moment, der zugegeben­er­maßen noch sehr früh ist — (wieder) nur ein elitäre Kreis, der sich mit Namen und (Pseudo-)Organisation den Anspruch gibt, für viele zu sprechen — diese Viele aber auf keinen Fall hören mag oder ihnen gar Möglichkeit­en der Mitbes­tim­mung der Rich­tung “ihrer” Vertre­tung einzuräu­men. Und weil ich mich zumin­d­est am Rande doch zu den Vie­len zäh­le, rege ich mich hier ger­ade etwas sehr auf …

Der schicke Name hat auch noch den Vorzug, so schön schillernd vieldeutig zu sein: Gibt es eine dig­i­tale Gesellschaft? Ist das ein Ziel? Ist das eine Gesellschaft wie die Deutsche Tis­chge­sellschaft Achim von Arn­ims oder meint das Gesellschaft hier den sozi­ol­o­gis­chen Begriff? Fra­gen über Fra­gen — ein paar Antworten hätte man sich da doch schon gewün­scht — denn eigentlich will ich das ja gut find­en, was die Reck­en um Markust Beckedahl da anzapfen. Aber so geht das irgend­wie nicht so richtig. Und Leute, die so sehr in alltägliche Kom­mu­nika­tion einge­bun­den sind wie die Grün­der dieser Gesellschaft soll­ten doch solche grundle­gen­den Kom­mu­nika­tio­nen im Griff haben. Wie kann man sie son­st ernst nehmen? Und natür­lich stellt sich auch gle­ich wieder die Frage: Ist das gut, hier über die Män­gel der Organ­i­sa­tion zu meck­ern? Oder sollte man das ob des hehren Ziels lieber lassen um der Poli­tik nicht in die Hände zu spie­len?

[ohne kommentar]

 

via @oliverhering[via @oliv­er­her­ing bei twit­pic]

Konservative Tugenden: Lügen, Täuschen, Betrügen

Gus­tav Seibt hat für das heutige Feuil­leton der Süd­deutschen Zeitung eine wun­der­bare kleine Abhand­lung geschrieben, in der er Gut­ten­bergs unsägliche Ver­suche, die kon­ser­v­a­tiv­en Tugen­den­den des Lügen, des Anpassen von Regeln und Werten (des Staates vor allem) den eigen­em Gut­dünken unterzuord­nen, auf die Wis­senschaft auszudehnen, in eine his­torische Kon­ti­nu­ität stellt und auf eine Nähe dieses “putschis­tis­chen Regelver­stoßes” zum ver­fas­sungs- und geset­zesver­ach­t­en­den Ver­hal­ten Berlus­co­nis hin­weist. Und den Schluss muss ich ein­fach hier noch ein­mal zitieren, das ist zu gut und zu tre­f­fend:

Und es ist schon toll, dass wir nun, zehn Jahre nach Casimir, Kan­ther und Kohl, schon wieder ein Vir­tu­osen­stück dieser gum­mi­ar­tig beweglichen und zugle­ich wet­ter­fest tan­nen­haften aris­tokratis­chen Prinzip­i­en­stärke anstaunen dür­fen. Nach der bru­tal­st­möglichen Aufk­lärung kam die mühevoll­ste Kleinar­beit elek­tro­n­isch gestützter Textge­nese, mit der min­destens zwei Grun­dregeln wis­senschaftlichen Anstandes ver­let­zt wur­den: das Urhe­ber­recht und die ehren­wörtliche Ver­sicherung selb­ständi­ger Her­stel­lung ein­er wis­senschaftlichen Qual­i­fika­tion­ss­chrift. Dazu kommt jen­er dreiste Mut zur Unwahrheit gegenüber der Öffentlichkeit, der die bald ein­deutig belegten Ver­fehlun­gen zunächst als “abstrus” und dann als unab­sichtlich hin­stellt. Möglicher­weise kommt durch die Ver­wen­dung wis­senschaftlich­er Zuar­beit­en aus dem Bun­destag noch Amtsmiss­brauch hinzu.

Gekrönt wird das Ver­hal­tens­muster des putschis­tis­chen Regelver­stoßes dadurch, dass der so über­führte Edel­mann sich nachträglich zum Her­ren des Pro­mo­tionsver­fahrens macht und seinen Dok­tor­ti­tel von sich aus ablegt. Der Große ste­ht dabei im Sturm des Beifalls ein­er Menge, die, wie Pro­fes­sor Bar­ing weiß, beim Wort “Fußnoten” fragt: Ach, wer­den jet­zt auch Füße benotet? Dage­gen wirken ein Uni­ver­sität­skan­zler und ein in Urlaub gegan­gener Dok­tor­vater mit ihren tüdeli­gen Prü­fungsver­fahren nur bürg­er­lich-grau und glan­z­los. Das Ste­hende der Insti­tu­tion und ihres Ethos ver­dampft unter der Sonne ständis­chen Glanzes. Der Beifal­lum­toste mag kurz wack­eln, aber vor­erst ste­ht er fest, weil jede und jed­er, der ihm den entschei­den­den Stoß ver­set­zen würde, der wüten­den Menge um ihn zum Opfer fall­en müsste. Vielle­icht ist diese geschichtliche Anpas­sungs­fähigkeit an Zei­tum­stände das eigentliche Geheim­nis achthun­dertjähriger Fam­i­liengeschicht­en.

Aber was unter­schei­det solche Durch­hal­tekraft eigentlich noch von der Zähigkeit eines Sil­vio Berlus­coni?

Der ganze Text mit der Über­schrift “Der Herr des Ver­fahrens” ste­ht sog­ar online.

Ideologie, Bildung, Leistung

Das sind so die Schlag­worte, die hier in Rhein­land-Pfalz ger­ade von den Bil­dungspoli­tik­ern (oder denen, die es gerne wer­den möcht­en) in die Diskus­sion gewor­fen wer­den. Und das Ergeb­nis ist schreck­lich und schau­rig. Man muss sich nur mal den Text der CDU-Seite, vertreten durch den His­torik­er Andreas Röd­der (dessen Lehre ich auch schon mehr oder weniger genossen haben), anschauen: Das ist ein schlim­mer Rück­fall in Zeit­en und Muster, die ich längst für erledigt hielt. Schon wenn man sich Wort­wahl, Rhetorik und Argu­men­ta­tion­sstruk­tur des Beitrages in der Rhein-Zeitung anschaut, wird jedem vernün­fti­gen Men­schen hof­fentlich schlecht: Allen, die andere Ideen von Bil­dung vertreten als der CDU-“Experte”, wird wieder­holt und pen­e­trant “Ide­olo­gie” unter­stellt und vorge­wor­fen. Natür­lich gar­niert mit dem bösen, bösen Wort “Ein­heitss­chule” (wenn ich mich recht entsinne, ver­sucht das ja auch auf die Schule der DDR anzus­pie­len [aber damit kann ichauch irren]). Röd­der benötigt sowieso den meis­ten Raum sein­er Aus­führun­gen dazu, den SPD-Poli­tik­ern Ver­sagen, Unehrlichkeit (“durch die Hin­tertür”) und Fehler vorzuw­er­fen. Was er dem ent­ge­genset­zen will, bleibt dann — um es höflich auszu­drück­en — blass. Viel mehr als “Leis­tung” ste­ht da nicht. Die wird vor allem und bevorzugt mit dem Gym­na­si­um in Verbindung gebracht, das wieder zur Eliten­schule ver­gan­gener Jahrhun­derte wer­den soll. Und solche kuschelpäd­a­gogis­chen Konzepte (das Wort fällt nicht, ist aber ziem­lich offen­sichtlich mitgedacht) wie Bin­nen­dif­feren­zierung oder indi­vidu­elle Beurteilungs­maßstäbe oder — Gott behüte — die Erset­zung der numerischen Zen­suren durch ver­bale (schriftliche) Beurteilun­gen über die zweite Klasse hin­aus wer­den — übri­gens so ziem­lich kom­plett gegen den in diesen Belan­gen rel­a­tiv ein­deuti­gen bil­dungswis­senschaftlichen Erken­nt­nis­stand — als böse, ungenü­gend und vor allem die ange­betete Leis­tung ver-/be­hin­dernd dargestellt. Auf so einen Blödsinn muss man auch erst ein­mal kom­men.

Wie eigentlich immer bei den Leis­tungsapolo­geten spielt auch nur die Spitze eine Rolle [wäre man böse, kön­nte man ein­fü­gen: der Autor hat es dahin ja auch nicht geschafft, son­dern ist an so ein­er mit­telmäßi­gen Uni­ver­sität wie der Mainz­er hän­gen geblieben], was mit den anderen — im Gym­na­si­um selb­st und vor allem außer­halb bzw. hier eben deut­lich unter­halb dessen — passieen soll, das ist kein­er Über­legung wert. Warum auch, die haben ja ein­fach nicht genug geleis­tet …

Bei Doris Ahnen von der SPD kom­men immer­hin solche Prinzip­i­en wie “Vielfalt” und “soziale Gerechtigkeit” als Leit­fä­den ein­er Bil­dungspoli­tik, die nicht nur in die Geschichte schaut, son­dern sich bemüht, auf die Änderun­gen und Her­aus­forderun­gen der Gegen­wart zumin­d­est ein­mal zu reagieren (wenn nicht sog­ar gestal­tend einzu­greifen), vor. Dass Ahnen auch nur wenig konkrete Pro­jek­te und Ziele nen­nt, son­dern vor allem die Erfolge der let­zten Jahre her­anz­i­tiert, bleibt freilich auch ent­täuschend. Aber immer­hin, inter­ess­nt ist es schon, dass aus­gerech­net jet­zt, nach­dem in den let­zten Jahren eigentlich etwas Entspan­nung in die aufge­ladene Bil­dungs- und Schuld­iskus­sion ger­at­en war, das wieder so stark auf die alten Gegen­sätze polar­isiert wird. Ob es dem Gegen­stand gut tut? Ich bezwei­fle es …

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén