Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: musik Seite 6 von 37

Bei den Wise Guys läufts

wise guys, läuft bei euchDie “Achter­bahn” ist kaum ein Jahr alt, schon gibt’s mit “Läuft bei euch” Nach­schub aus Köln. Und ohne große Umstände starten die Wise Guys ihre neue CD gle­ich mit ein­er Liebe­serk­lärung ans A‑cap­pel­la-Sin­gen, entspan­nt und der eige­nen Fähigkeit­en gewiss: “Wenn wir zusam­men sin­gen, ist da sofort Musik drin”. Da haben sie natür­lich Recht.

Und da ist Musik in bewährter Qual­ität drin: Sauber pro­duziert und ordentlich gesun­gen — ziem­lich genau das, was man von den Wise Guys schon lange gewöh­nt ist. Kein Wun­der, Musik und Texte kom­men ja haupt­säch­lich von Daniel “Däni” Dick­opf. Und doch wird schnell klar: Auf “Läuft bei euch” sind die Wise Guys etwas anders, es gibt weniger Blödelei und Witz — sie wollen doch nicht etwa erwach­sen wer­den? Gesellschafts‑, Gegen­warts- und Kul­turkri­tik sind jet­zt stark vertreten. Von den Auswüch­sen der Self­ie-Sucht über das sehn­sa­tion­s­gierige Gaffen bis zum tödlichen Mob­bing reicht die Band­bre­ite der The­men. Musikalisch ist “Läuft bei euch” lei­der nicht ganz so vielfältig. Manch­es ist richtig gut, wie “Wahre Helden”, das die Helden des All­t­ags — also Krankenpfleger oder Allein­erziehende zum Beispiel — hym­nisch lobt und sehr eingängig, mit behut­sam dosiertem Pathos im besten Wise-Guys-Stil besingt. Auch sehr schön: “Der Rock-n-Roll ist tot“, in dem das Quin­tett rock­end über die Zeit­en, als man mit Musik noch Protest her­vor­rufen kon­nte, singt — musikalisch ist das sehr tre­f­fend umge­set­zt.

Über­haupt scheint es den Wise Guys die Meta-Musik ange­tan zu haben. Nicht nur die fehlende poli­tis­che Kraft der Musik besin­gen sie, auch die Musik selb­st und ihre erin­nerungspsy­chol­o­gis­che Wirkung, wie bei “Das Lied bei deinem ersten Kuss”. Das ist eines der High­lights, eine schöne, nur leicht sen­ti­men­tale Bal­lade über die Kraft der Musik, die Erin­nerung an das erste Hören weck­en kann, bei dem ein­fach alles stimmt — und dann läuft es … Nur lei­der passiert das auf “Läuft bei euch” nicht so häu­fig, wie man das von den Wise Guys ken­nt. Songs wie “Lass die Sau raus” oder „Teufel­skreis“ zum Beispiel zün­den ein­fach nicht recht. Obwohl nichts falsch ist, ist da auch nichts, was sie irgend­wie beson­ders macht: Das ist nett, das lässt sich gut hören und schnell wieder vergessen.

Auch der Schluss der CD greift dann die Erfahrun­gen der Wise Guys als A‑Cap­pel­la-For­ma­tion noch ein­mal auf und singt von den Schwierigkeit­en, sich in eine Frau zu ver­lieben, die falsch klatscht („Sie klatscht auf die 1 und die 3“) — wie kann man so etwas bei den Wise Guys auch nur machen! Ger­ade wenn sie das musikalisch so tre­f­fen spöt­tisch besin­gen und dabei naht­los vom Marschieren zum swin­gen­den Tanzen wech­seln, ist das doch gän­zlich unmöglich.

Wise Guys: Läuft bei euch (Uni­ver­sal), 55:40

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Novem­ber 2015)

Klingender Adventskalender

singer pur, adventskalenderAm Schluss wirbelt Wei­h­nacht­en dann doch here­in. Bis dahin hält “Der Singer Pur Adventskalen­der” genau, was er ver­spricht: Chor­musik für den Advent. Wenn man in diesem Adventskalen­der bis zum Heili­gen Abend gekom­men ist, hat man einiges hin­ter sich. Denn die 23 bekan­nten, tra­di­tionellen Adventslieder von „Nun komm, der Hei­den Hei­land“ bis „Wir sagen euch an den lieben Advent“ in über dreißig Sätzen, die Singer Pur hier für sech­stim­mige Chöre vor­legen, bieten viel aus­geze­ich­nete Musik. Am Ende ste­ht dann ein furios­es, begeis­tert-freudi­ges Arrange­ment von Sören Sieg: So fröh­lich ist selb­st die „Fröh­liche Wei­h­nacht“ beileibe nicht immer.

Alt und neu sind gle­icher­maßen vertreten – 10 Lieder in Sätzen von Alten Meis­tern (bis ins 16. Jahrhun­dert), 14 von leben­den Arrangeuren. Für den Druck wur­den die Singer-Pur-Sätze etwas über­ar­beit­et, damit sie für nor­male sech­stim­mige Beset­zun­gen gut singbar sind. Gut singbar ist allerd­ings nicht unbe­d­ingt ein­fach: Kom­plexe Sätze, die etwas Hin­wen­dung und Probe­naus­dauer erfordern, sind hier reich­lich vertreten. Die har­monis­chen und rhyth­mis­chen Möglichkeit­en der (fast) durchge­hen­den Sechsstim­migkeit nutzen die Arrangeure gerne aus und lassen sich viel ein­fall­en — Bern­hard Hof­mann benötigt für “Lasst uns froh und munter sein” immer­hin 14 Seit­en. Und die haben es auch in sich, da ist fast durchgängig min­destens eine Stimme mit dem „tralala“ beschäftigt, während der Rest durch diverse Takt- und Tonarten wan­dert.
Über­haupt: So arg besinnlich ist diese Adventszeit nicht. Sich­er, es gibt ruhige Momente: Heike Beck­mann hat etwa eine sehr schöne, ver­hal­tene Swing-Ver­sion von “Leise rieselt der Schnee” beiges­teuert, die ganz fein glitzert. Und Reiko Füt­ing lässt den Chor in „O Hei­land, reiß die Him­mel auf“ vom ver­hauchen­den Tenor­so­lo bis zum mas­siv­en Tut­tik­lang die Him­mels­be­we­gung im Wech­sel von Beina­he-Still­stand und bewegter Rhyth­mik dynamisch nachze­ich­nen. Die Band­bre­ite ist über­haupt sehr groß, denn die Sätze sind durch­weg sehr indi­vidu­ell gear­beit­et. Der Adventskalen­der bietet in ein­er anre­gen­den Mis­chung mit Niveau viel Pep, manch­mal auch etwas Show — aber wer braucht schon den 87. vier­stim­mi­gen homo­pho­nen Chor­satz von “Macht hoch die Tür”? Dann doch lieber William Haw­leys wilde Jagd zum tri­um­phieren­den Lobpreis Gottes.

Die alten Sätze allerd­ings — Crügers “Wie soll ich dich emp­fan­gen” etwa, “Nun komm der Hei­den Hei­land” von Prae­to­rius, Ecca­rd, Schein und Vulpius oder Bachs „Wachet auf“ und sein „Wie schön leuchtet der Mor­gen­stern“ — wer­den die meis­ten Chöre schon im Archiv haben. “Es kommt ein Schiff” ist dafür zum Glück zwei Mal vertreten: Neben der bekan­nten Ver­sion von Max Reger hat Singer-Pur-Bass Mar­cus Schmidl ein geheimnisvoll raunen­des, das Mys­teri­um des Glaubens beschwörende Arrange­ment geschrieben. Auch seine Ver­sion von „Tochter Zion“ geht, so harm­los sie anfängt, eigene Wege: kleine rhyth­mis­che Wider­hak­en und eine behut­same har­monis­che Mod­ernisierung geben Hän­dels Klas­sik­er frischen Glanz.

Singer Pur (Hrsg.): Der Singer Pur Adventskalen­der. 24 Lieder zum Advent für SAATBB. Mainz: Schott 2015. ED 22344.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Novem­ber 2015)

Flashdance, Easy Lover & Fix You: Moderne Pop-Chor-Arrangements von Martin Seiler

“I am music now!” heißt es im Refrain von “What a feel­ing”. Und tre­f­fend­er lässt sich das Arrange­ment aus der Fed­er von Mar­tin Seil­er kaum beschreiben: Hier kann man als Sänger/Sängerin — und auch als Zuhör­er — vol­lkom­men in die Musik ein­tauchen. Dabei ist das nur eines von drei Arrag­ne­ments, die Seil­er im Hel­bling-Ver­lag vor­legt: neben “What a feel­ing”, bekan­nt vor allem als Film­musik aus “Flash­dance”, noch Phil Collins’ “Easy Lover” und “Fix You” von Cold­play. Drei eher gefüh­lige Songs also — eigentlich alles Mod­erne Ever­greens — für die Pop.Voxx-Reihe im Hel­bling-Ver­lag.

Seil­er weiß, was er macht, wenn er so bekan­nte Vor­la­gen arrang­iert. Denn seine Sätze beruhen auf sein­er Arbeit für und mit “Greg is back”, seinem eige­nen A‑Cap­pel­la-Pop­chor. Das zeigt sich sofort, wenn man die Par­ti­turen auf­schlägt: Die sind näm­lich für SMATB mit zusät­zlich­er Solostimme (für die Melodie) bzw. im Falle von Phil Collins “Easy Lover” sog­ar für SSMATB geset­zt, wozu immer noch eine (optionale), aber empfehlenswerte Beat­box kommt. Das heißt aber nicht, dass die alle durchge­hend sechs- bis sieben­stim­mig klin­gen. Aber ander­er­seits wer­den einzelne Stim­men auch ab und an noch bis zu dreifach aufgeteilt. Also: Für Anfänger oder pop­ungeübte Chöre ist das nicht die erste Wahl, die einzel­nen Stim­men müssen in sich sta­bil und rhyth­misch ver­siert sein, sind aber — man merkt die Praxis­er­fahrung — immer gut singbar.

Bei Seil­er heißt das aber auch: Alle Stim­men wer­den wirk­lich gefordert, auch die Begleit­stim­men haben’s näm­lich nicht immer ein­fach. Dabei, das gilt für alle Sätze drei gle­icher­maßen, bekom­men sie sehr ein­falls- und ideen­re­iche Kost: Leere Floskeln find­et man hier nicht. Das hängt vielle­icht auch damit zusam­men, dass Seil­er seine Arrange­ments dra­matur­gisch sehr geschickt auf­baut. Ger­ade “What a feel­ing” und “Fix You” prof­i­tieren sehr von der großen Bre­ite an Aus­drucksmit­teln, die er ein­set­zt. Energie und Empathie wer­den den Chören nicht über­lassen, son­dern sind in den Noten­text einge­baut. Der ist dann auch entsprechend detail­liert aus­gear­beit­et und bis in Kleinigkeit­en aus­ge­feilt — für “Easy Lover” braucht Seil­er deshalb ganze 20 Seit­en, weil er sel­ten ein­fach etwas wieder­holt, son­dern immer wieder vari­iert und neue Begleit­muster ein­führt.

Obwohl alle Songs sofort als Cov­erver­sio­nen großer Hits erkennbar sind, beg­nügt sich Seil­er nicht mit ein­er reinen vokalen Kopie. Klar, wesentliche Momente — wie etwa das instru­men­tale Zwis­chen­spiel bei “Fix You” — tauchen natür­lich hier auch auf, sehr geschickt und mit viel Gespür für effek­tvolle Klänge für “seine” Beset­zung adap­tiert. Aber sie haben, vor allem durch die vielschichtige Begleitung, auch einen eige­nen Klang. Und damit bekom­men diese Arrange­ments sozusagen ein dop­peltes Hit­poten­zial.

Mar­tin Seil­er (Arrange­ment): Flashdance…What a Feel­ing (SMATB), ISBN 978–3‑99035–374‑5 — Easy Lover (SSMATB), ISBN 978–3‑99035–373‑8 — Fix You (SMATB), ISBN 978–3‑99035–372‑1. Alle im Hel­bling-Ver­lag, Rei­he Pop.Voxx, 2015.

(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)

Wälder, Sonne & Hinrichtungen: Schostakowitschs Kantaten

schostakowitsch, kantatenKan­tat­en sind nicht unbe­d­ingt die Gat­tung, die man beson­ders eng mit Dmitri Schostakow­itsch verbindet. Und doch gibt es von ihm einige Exem­plare, die dur­chaus hörenswert sind. Freilich muss man bei Schostakow­itsch stets seine biographis­che und poli­tis­che Sit­u­a­tion bei der Kom­po­si­tion berück­sichti­gen. Zwei der hier aufgenomme­nen Werke sind anders über­haupt nicht zu erk­lären – wed­er dass es sie über­haupt gibt noch dass sie in dieser Form ent­standen sind.

„Über unser­er Heimat scheint die Sonne“ und „Das Lied von den Wäldern“ sind mehr oder weniger als Besän­f­ti­gungsver­suche zu ver­ste­hen, als Adresse an einen total­itären Staat, dass der Kom­pon­ist doch eigentlich ganz brav ist. Järvi kon­fron­tiert die bei­den apolo­getis­chen Kan­tat­en auf dieser rand­vollen CD mit der „Hin­rich­tung des Ste­fan Razin“, 15 Jahre später in deut­lich lib­eraleren Zeit­en ent­standen und dur­chaus als kaum vehüllte Kri­tik an der KPdSU zu lesen, ver­her­rlicht sie in der his­torischen Gestalt des Ste­fan Razin doch eine Rebel­lion gegen ein repres­sives Sys­tem.

Der Kon­trast wird hier beson­ders stark, weil Järvi bei den bei­den frühen Kan­tat­en die ursprünglichen Texte nutzt, die der Kom­pon­ist später um die direk­ten Stal­in-Huldigun­gen (im „Lied von den Wäldern“ wird er etwa als „großer Gärt­ner“ betitelt) abgemildert hat­te. Auf­grund eines Ver­bots der Schostakow­itsch-Erben durften die Texte allerd­ings nicht abge­druckt wer­den – sehr schade, denn wer kann schon so gut rus­sisch, dass er das hörend ver­fol­gen kann? Aber hören kann man den­noch eine Menge: Die aus­geze­ich­neten Chöre zum Beispiel, den sicheren Nar­va-Knaben­chor und den kraftvollen und sehr klangstarken Est­nis­chen Konz­ertchor. Begleit­et vom gut aufgelegten Est­nis­chen Nation­al-Sym­phonie-Orch­ester, dessen Schlag­w­erk wesentlich zum Gänse­haut­feel­ing beiträgt, das diese Auf­nah­men immer wieder ver­strö­men: Durch die von den ersten mächti­gen, düsteren Akko­rd­schlä­gen bis zum apotheo­tis­chen Schluss pack­ende Musik, aber auch die heute aus­ge­prochen skuril wirk­enden Texte, die man beim Hören gerne aus­blenden­den möchte.

Am leicht­esten geht das bei der „Hin­rich­tung des Ste­fan Razin“. Die wesentlich vielfältigere und span­nen­dere Ton­sprache treibt alle Beteiligten, auch den sonor-soli­den Bass Alex­ei Tanovit­s­ki, zu Höch­stleis­tun­gen. Ger­ade in op. 90 ist die Dauer­erregth­eit und per­ma­nente Freude, die ger­ade musikalisch ger­adezu platt und bar jed­er Dif­feren­zierung zu banalen Tex­ten (die im Book­let lei­der nicht abge­druckt sind) ertönt, stel­len­weise kaum ertrag­bar – Järvi nimmt das auch nicht zurück, son­dern lässt das als oppor­tunis­tis­che Musik ein­fach mal so ste­hen. Er ver­sagt sich dieser demon­stra­tiv­en Zugänglichkeit der Musik auch über­haupt nicht: Das klingt wun­der­bar großar­tig und wun­der­bar banal. Aber so ganz gibt er sich mit dieser glänzen­den Hülle eben doch nicht zufrieden: Das Brodeln unter der Ober­fläche wird bei Järvi vom Äußeren oft kaum noch in Zaum gehal­ten. Dabei verbindet er sehr geschickt und har­monisch die großen Gesten der szenisch-filmhaften Musik mit den vie­len feinen, lyrischen Details der Chorstim­men, die hier wun­der­bar lebendig strahlen. Vor allem die pralle Vital­ität und die agil-anges­pan­nte Präsenz der bei­den Chöre machen diese Auf­nahme ganz beson­ders. Das ist sich­er keine Musik, die Schostakow­itsch-Verächter zu großen Bewun­deren bekehrt, aber rotz­dem eine wichtige Facette seines reichen Oeu­vres. Zumal in ein­er so leb­haften Inter­pre­ta­tion.

Dim­itri Schostakow­itsch: Kan­tat­en (Die Hin­rich­tung des Stepan Rasin op. 119; Über unserem Vater­land scheint die Sonne op. 90; Das Lied von den Wäldern op. 91). Eston­ian Con­cert Choir, Eston­ian Nation­al Sym­pho­ny Orches­tra, Paa­vo Järvi. Era­to 2015.
CD

(In ein­er etwas kürz­eren Ver­sion zuerst erschie­nen im Okto­ber­heft von »Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin«)

Dass das ewige Licht scheine: Rihms “Et Lux”

wolfgang rihm, et luxMit zunehmen­dem Alter wird so manch­er (wieder) religiös — oder beschäftigt sich zumin­d­est mit dem Tod. Bei Wolf­gang Rihm lässt sich das schon seit einiger Zeit beobacht­en, die Hin­wen­dung zu religiösen The­men und Musiken, wie in den „Vig­ilia“, dem Requim der Ver­söh­nung oder der Lukas­pas­sion („Deus pas­sus“). Das 2009 uraufge­führte “Et Lux” passt genau in die Rei­he. Nicht nur the­ma­tisch, son­dern auch in der Art, wie sich Rihm den religiös-philosophis­chen Fra­gen nähert. Wieder ist das kein “echt­es” Requiem, son­dern eine sub­jek­tive, vor­sichtige Annäherung an den Text des lateinis­chen Requiems. Der wird hier vier­stim­mig gesun­gen — oder auch nicht. Denn Rihm nimmt nur frag­men­tierte Teile — Wörter, Sätze, Begriffe – in die Par­ti­tur auf, die ihn offen­bar beson­ders anregten. Die Licht­meta­pher — der Titel ver­rät es ja schon — ist wesentlich­er Teil, neben Lib­era me und Lac­rimosa eines der Zen­tren dieser Musik, die man sich scheut, ein Requiem zu nen­nen.

Das ewige Licht also, als Ver­heißung und Dro­hung in Klang geset­zt. Ein großes, über­großes Tongemälde hat Rihm dazu ent­wor­fen. Fast 62 Minuten nicht unterteilte Musik, in denen die vier gemis­cht­en Stim­men nur von einem Stre­ichquar­tett begleit­et wer­den. Das ist aber kein His­to­rien­schinken und auch kein repräsen­ta­tives Ölgemälde, son­dern trotz ihrer enor­men Dimen­sion eine zarte Zeich­nung auf großem Raum. An manchen Stellen wuchert der dun­kle Schat­ten über die frag­ilen Lin­ien, an anderen lässt sich eine feine Pastelltö­nung erken­nen, wieder woan­ders leuch­t­end inten­sive Far­ben. Und immer wieder das daraus auf­tauchende beschworene Licht – in Wort und Klang.

Dabei ist „Et Lux“ eine zutief­st nach­den­kliche, suchende und fra­gende Musik, ein Werk der bohren­den Sehn­sucht: Wolf­gang Rihm gibt keine Antworten (auch ein Grund, warum er nicht ein­fach ein „nor­males“ Requiem kom­ponierte), er hil­ft den Hör­ern vielmehr beim Fra­gen. Und manch­mal geht er auch ein paar Schritte voran ins Ungewisse.
Das acht­stim­mig beset­zte Huel­gas-Ensem­ble und Leitung Paul van Nevels und das famose, Rihm-erfahrene Minguet-Quar­tett unter­stützen das mit weit­ge­hend zurück­hal­tender Klan­glichkeit, die statt Opu­lenz lieber Klarheit und Fragilität bevorzugt und damit einen wesentlichen Zug von „Et Lux“ sehr genau trifft. Ganz kon­trol­liert und über­legt gestal­ten sie die die lan­gen, langsam entwick­el­ten Lin­ien, die für dieses Werk so wichtig sind, aus denen manch­mal und ganz allmäh­lich Kon­turen und einige wenige klan­gliche Erup­tio­nen und inten­sive Gefühlsaufwal­lun­gen entste­hen, die aber auch ins Leere ver­laufen kön­nen.

Mit Präzi­sion, kalkuliert­er Emo­tion und fein­sten Klang­facetten brin­gen sie Rihms poly­phone Tex­tur damit immer wieder zum Strahlen. Ein biss­chen schade ist allerd­ings, dass das Minguet-Quar­tett auf der Auf­nahme trotz der gegenüber der Par­ti­tur ver­dop­pel­ten Stim­men des Huel­gas-Ensem­ble sehr präsent ist, so dass man den Text manch­mal nur noch erah­nen kann.

Wolf­gang Rihm: Et Lux. Huel­gas Ensem­ble, Minguet Quar­tet, Paul van Nev­el. ECM 2015.

(Zuerst erschienen in der Sep­tem­ber-Aus­gabe der “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)

Verführung

Über den Per­len­tauch­er (der über die FAZ darauf aufmerk­sam wurde) bin ich heute auf eine ganz und gar wun­der­bare, verza­ubernde und entrück­ende Chore­o­gra­phie des Boléro von Mau­rice Rav­el aufmerk­sam gewor­den:

Die Chore­o­gra­phie von Mau­rice Béjart mit Maja Plis­sezka­ja als Prima­bal­le­ri­na ist zwar über­haupt nicht neu — näm­lich von 1961 -, war mir aber nicht bekan­nt — und nach der x. Wieder­hol­ung des grandiosen Videos (eine Auf­nahme von 1979) bin ich immer noch aus­ge­sprochen glück­lich, das jet­zt auch gese­hen zu haben.

Richard Wagner redivivus

Vielle­icht ist es ein Naturge­setz, daß Leute die Richard Wag­n­er nicht mögen, nur mit Leuten bekan­nt wer­den, die gle­ich­falls Richard Wag­n­er nicht mögen. Ich ver­ste­he nichts von Musik, ich höre sie nur gern, auch habe ich niemals Niet­zsche gele­sen, aber ich kann mir ein­fach nicht vorstellen, daß man die Musik Wag­n­ers liebt. […] Hun­derte von Men­schen, von jun­gen Men­schen beson­ders, haben mir das gle­iche gesagt: daß sie diese Musik als irgend­wo und irgend­wie falsch empfän­den, als pen­e­trant unfromm (ohne daß sie dabei frei und hei­d­nisch wäre), als ein­fach verdächtig. […] Lassen wir Wag­n­er denen, die ihr nationales Ressen­ti­ment an dem Blech­pathos des »Ehrt Eure deutschen Meis­ter« auf­fr­sichen müssen (weil das ja ein­fach­er ist, als die jun­gen deutschen Meis­ter von Hin­demith bis Orff ver­ste­hen zu ler­nen).Alfred Ander­sch, Richard Wag­n­er redi­vivus? (1947) [In: Alfred Ander­sch: Gesam­melte Werke in zehn Bän­den. Band 8: Essay­is­tis­che Schriften I. Zürich: Dio­genes 2004, S. 68ff.]

Immer noch kein schöner Land

wilfried fischer, kein schöner landVon Lothrin­gen bis nach Ost­preußen, vom Shan­ty im niederdeutschen Platt bis zum mozärtlichen Wien der Zauber­flöte reicht das Einzugs­ge­bi­et von “Kein schön­er Land”. Noch eine Volk­slied-Samm­lung für Chöre also? Gibt es davon nicht längst genug? Sich­er, aber nicht so eine. Denn die üblichen Edi­tio­nen set­zen immer noch einen klas­sis­chen vier­stim­mi­gen Chor voraus — und sind deshalb für Ensem­bles mit knap­per Män­nerbe­set­zung oft kaum geeignet.

Wil­fried Fis­ch­er ist nun schon seit einiger Zeit unter dem Titel “Chor zu dritt” dabei, ein Reper­toire für dreis­tim­mi­gen Chor aufzubauen, genauer: für Chöre mit eben nur ein­er Män­ner­stimme. Auch der vierte Band set­zt sich dieses Ziel, bleibt dafür aber nicht bei pur­er Dreis­tim­migkeit ste­hen: Stimmteilun­gen, haupt­säch­lich im Sopran, gehören auch hier natür­lich zum Handw­erk­szeug der Arrangeure. Aber für Män­ner wird eben nie mehr als eine Stimme geset­zt — die allerd­ings hin und wieder für Bässe recht hoch liegt.
Die Idee des Volk­sliedes hat Fis­ch­er dabei recht bre­it gefasst: Unter den hier vesam­melten 93 Sätzen sind nicht wenige geistliche Lieder und Choräle. Über­haupt ist die Auswahl nicht immer ganz nachvol­lziehbar: Einiges sehr bekan­ntes fehlt, dafür ist anderes nicht so weit ver­bre­it­etes enthal­ten — aber bei knapp 100 Liedern bleibt das nicht aus. Mate­r­i­al bietet der Band auf seinen gut 200 Seit­en aber mehr als genug. Gerne greift Fis­ch­er dabei auch auf vorhan­dene Sätze namhafter Kom­pon­is­ten zurück, die den neuen Anforderun­gen behut­sam angepasst wer­den: Von Hein­rich Isaac bis Ernst Pep­ping, von Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms bis Her­mann Schroed­er reicht der Griff ins Archiv.

Neben Fis­ch­er selb­st, der ein Großteil der Arrange­ments und Bear­beitun­gen beis­teuert, sind u.a. Pas­cal Mar­t­iné, Carsten Ger­litz und Burkhard Kin­zler mit diversen neuen Sätzen vertreten. Die Arrange­ments selb­st sind immer min­destens solide, aber oft für dreis­tim­mige Sätze auhc über­raschend klangvoll und wirkungsvoll. Den meis­ten merkt man pos­i­tiv an, dass die Dreis­tim­migkeit hier nicht nur als Man­gel gedacht wird, son­dern als Her­aus­forderung und Chance. Aus der genaueren Beschäf­ti­gung mit den Möglichkeit­en der Beset­zung entwick­eln die Arrangeure dabei immer wieder sehr klare und fil­igrane, sehr lebendi­ge und bewegte Sätze, die im vier­stim­mi­gen Chor so kaum funk­tion­ierten.
Dabei sind die Sätze dem Sujet entsprechend ins­ge­samt — selb­st noch in den aus­ge­feil­teren Bear­beitun­gen — eher zurück­hal­tend und schlicht in dem Sinne, dass Sätze gerne hin­ter Melodie und Text zurück­ste­hen. Stil­sich­er und vernün­ftig spricht aus den Arrange­ments weniger Exper­i­men­tier­freude, dafür viel Erfahrung und Ein­füh­lungsver­mö­gen — und nicht zulet­zt der Ver­such, ein möglichst bre­ites Pub­likum — sin­gend und hörend — zu erre­ichen.

Wil­fried Fis­ch­er (Hrsg.): Kein schön­er Land. Deutsche Volk­slieder aus 4 Jahrhun­derten (Chor zu dritt, Band 4). Mainz: Schott 2015. 214 Seit­en. 19,50 Euro.

— Zuerst erschie­nen in Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin, Aus­gabe #18, Juli/August 2015.

Darf man das das? Maybebop darf

maybebop, das darf man nichtEin buntes Cov­er ver­heißt far­bige Musik. Bei May­be­bop geht die Gle­ichung unbe­d­ingt auf. Denn das Foto mit den vier Her­ren in sehr far­bigen Anzü­gen ist kein Zufall: So bunt wie das Äußere klingt auch das neueste Album von May­be­bop mit dem schö­nen Titel “Das darf man nicht”. Über die modis­chen Entschei­dun­gen des Quar­tetts mag man geteil­ter Mei­n­ung sein — die Musik bietet dafür keinen Anlass.

Denn May­be­bop bleibt sich und ihrem Erfol­gsrezept ziem­lich treu. “Das darf man nicht” ist — je nach Zäh­lung — immer­hin schon das zwanzig­ste Album der Han­nover­an­er A‑Cap­pel­la-Pop-Spezial­is­ten. Und das hört man. Nicht, weil es lang­weilig wäre. Son­dern weil die Vier — und vor allem ihr Tex­ter, Kom­pon­ist und Arrangeur Oliv­er Gies, der auch diese CD fast im Allein­gang zu ver­ant­worten hat — genü­gend Erfahrung mit­brin­gen, ihre Stärken voll auszus­pie­len: „Das darf man nicht“ ist wieder eine gelun­gene Mis­chung aus Par­ty­hits, gefüh­lvollen Bal­laden, komis­chen Ein­la­gen und knack­i­gen Beats.

Vor allem aber ist es sehr feinsin­nig und sorgfältig gear­beit­et. Denn das fällt immer wieder auf: Die 13 Songs klin­gen nicht nur beim ersten Hören gut, son­dern offen­baren auch beim fün­ften oder siebten Durch­lauf noch vielschichtige und neue Details. Dabei ist das keineswegs akademisch aus­getüftelte Musik. Im Gegen­teil: May­be­bop steigt gle­icht mit den ersten Tönen in die Par­ty ein, läs­sig und konzen­tri­ert starten sie mit “Es war gut so” — so bleibt auch der Rest der CD.
Etwa der Titel­song, “Das darf man nicht”. Da hört man gut eine echte Spezial­ität von May­be­bop: Exzel­len­ter Vocalpop mit eingängi­gen Melo­di­en zu gewitzten Tex­ten, unter­stützt von sorgfältig aus­gear­beit­eten, ideen­re­ichen Arrange­ments, die sich nie in den Vorder­grund drän­gen. Und dazu feine Hook­lines, die sich schnell und tief ins Gedächt­nis graben. Davon lebt etwa auch die „Fes­tung“, bei dem sich der dun­kle Bass im har­monisch aus­bal­ancierten Quar­tett, das (mit leichter elek­tro­n­is­ch­er Nach­hil­fe) eine dur­chaus erstaunliche Klangfülle pro­duziert, in einem groß angelegtem Phan­tas­ma ausleben darf.

Wun­der­bar ist auch das ambiva­lent betex­tete Deutschlied, in dem Haydns Kaiserquar­tett ganz anders, näm­lich gefüh­lvoll, nach­den­klich und mod­ern klingt. Das begin­nt als Anti-Hymne mit den Worten „Wäre ich ein Ital­iener“, schafft die Kurve zu einem pos­i­tiv­en Deutsch­land­bild aber dann doch noch: „Deutsch­land ist schon echt okay“. Oder die leicht schmalzige Pop-Bal­lade “Ich seh Dich”, die geschmack­voll verträumt erzäh­lend dahin­fließt. Zum Aus­gle­ich gibt es aber auch genug knack­ig Kracher, die alle Extrem­ität zum Zuck­en brin­gen. Denn ob man’s darf oder nicht: May­be­bop macht leichte, eingängige Musik mit Niveau bei den abwech­slungsre­ichen Tex­ten, der stilis­tisch vielfälti­gen Musik und der präzisen Aus­führung, die ein­fach Spaß macht.

— Zuerst erschie­nen in Chor­zeit — Das Vokal­ma­ga­zin, Aus­gabe #16, Mai 2015.

Liebe ist scheiße und andere wichtige Lebensweisheiten

basta, dominoBas­ta ist selb­st­be­wusst: “Oh, wir haben so viel Niveau” sin­gen sie, auch wenn’s “nur a‑cappella ist”, wie es an ander­er Stelle heißt. Und sie kön­nen sich das dur­chaus erlauben. Ihre Texte sind zwar nicht immer ganz geschmackssich­er, aber die Musik bringts garantiert auf den Punkt: “Bas­ta” macht ein­fach gute Laune — bas­ta.

Die fünf Män­ner aus Köln haben ihre Vor­bilder oder Konkur­renz jeden­falls hör­bar gut studiert — nicht zufäl­lig greift Oliv­er Gies von May­be­bop dem Bas­ta-Tenor William Wahl, der son­st haupt­säch­lich für Musik und Arrange­ments ver­ant­wortlich ist, bei eini­gen Songs unter die Arme.

Egal von wem, allen Stück­en des „Domi­no“ betitel­ten Albums sind die lebendi­gen, durch­weg sehr bewegt und gezielt abwech­slungsre­ich gebaut­en Arrange­ments eigen, die ein Ohr und Gespür für die Details des Hin­ter­grunds ver­rat­en. Dass „Bas­ta“ aber ger­ade einen der schwäch­sten Songs zum Titel der CD befördert hat, ist schade. Denn das mit­tler­weile siebte Album der seit 2000 aktiv­en Band hat viel mehr und vor allem viel besseres zu bieten als eben die kitschige, hal­blustige Spiel­erei mit Wort und Klang litur­gis­ch­er Gesänge, die „Bas­ta“ im Song „Domi­no“ betreibt.

Son­st geht es ihnen viel um das Sin­gen selb­st, die Exis­tenz des Quin­tetts als Boy­group und vor allem als A‑Cap­pel­la-Ensem­ble. Die wird vor allem in dem dur­chaus als Wer­bung für diese Musik geeigneten “Es ist nur a cap­pel­la, doch ich mag es” besun­gen. Aber auch ganz wun­der­bar tragisch kann die Musik beteiligt sein, wie “Der Mann, der keine Beat­box kon­nte” zeigt — so eine erbärm­lich schlechte, grausige Beat­box-Imi­ta­tion muss man erst ein­mal hin­bekom­men! Über­haupt die Imi­ta­tio­nen: Auch Rein­hard Mey wird von “Bas­ta” geschickt nachgeahmt. Dabei – und das ist ein wenig das Hand­i­cap von „Domi­no“ — ist nicht alles gle­icher­maßen niveau­voll: Inspiri­erte und intel­li­gente Unter­hal­tung ste­ht hier immer wieder neben schwachem Abklatsch.
Eines der besseren Lieder ist etwa ihre Ver­sion der „Schöp­fung“. Nein, das hat nichts mit Haydn zu tun und auch nur ein biss­chen mit der Bibel. Denn ihre „Schöp­fung” erzählt musikalisch sehr geschickt und, nun­ja, the­ol­o­gisch etwas eigen­willig, von Gottes erstem Ver­such mit der Welt, den er längst als Fehler sich selb­st – und der FDP – über­lassen hat. Nicht nur hier bricht sich immer wieder ihre Ten­denz zur großen (musikalis­chen) Geste Bahn: Immer wieder set­zt „Bas­ta“ auf große Steigerun­gen, immer wieder kul­minieren ihre Songs im großen Finale, immer wieder loten sie die Gren­zen des Quin­tetts klan­glich aus. Manch­mal gelingt das so schön wie beim “Wellen­re­it­er”, manch­mal bleibt es aber auch etwas aufge­set­zt wie etwa bei “Bevor ich bei dir war”. Ein gemis­chter Ein­druck also — jed­er darf und soll hier etwas find­en, jed­er wird andere Lieblinge haben.

Bas­ta: Domi­no. Eat The Beat Music ETB 001, 2014.

(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Aus­gabe 2/2015)

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