Mit zunehmendem Alter wird so mancher (wieder) religiös — oder beschäftigt sich zumindest mit dem Tod. Bei Wolfgang Rihm lässt sich das schon seit einiger Zeit beobachten, die Hinwendung zu religiösen Themen und Musiken, wie in den „Vigilia“, dem Requim der Versöhnung oder der Lukaspassion („Deus passus“). Das 2009 uraufgeführte “Et Lux” passt genau in die Reihe. Nicht nur thematisch, sondern auch in der Art, wie sich Rihm den religiös-philosophischen Fragen nähert. Wieder ist das kein “echtes” Requiem, sondern eine subjektive, vorsichtige Annäherung an den Text des lateinischen Requiems. Der wird hier vierstimmig gesungen — oder auch nicht. Denn Rihm nimmt nur fragmentierte Teile — Wörter, Sätze, Begriffe – in die Partitur auf, die ihn offenbar besonders anregten. Die Lichtmetapher — der Titel verrät es ja schon — ist wesentlicher Teil, neben Libera me und Lacrimosa eines der Zentren dieser Musik, die man sich scheut, ein Requiem zu nennen.
Das ewige Licht also, als Verheißung und Drohung in Klang gesetzt. Ein großes, übergroßes Tongemälde hat Rihm dazu entworfen. Fast 62 Minuten nicht unterteilte Musik, in denen die vier gemischten Stimmen nur von einem Streichquartett begleitet werden. Das ist aber kein Historienschinken und auch kein repräsentatives Ölgemälde, sondern trotz ihrer enormen Dimension eine zarte Zeichnung auf großem Raum. An manchen Stellen wuchert der dunkle Schatten über die fragilen Linien, an anderen lässt sich eine feine Pastelltönung erkennen, wieder woanders leuchtend intensive Farben. Und immer wieder das daraus auftauchende beschworene Licht – in Wort und Klang.
Dabei ist „Et Lux“ eine zutiefst nachdenkliche, suchende und fragende Musik, ein Werk der bohrenden Sehnsucht: Wolfgang Rihm gibt keine Antworten (auch ein Grund, warum er nicht einfach ein „normales“ Requiem komponierte), er hilft den Hörern vielmehr beim Fragen. Und manchmal geht er auch ein paar Schritte voran ins Ungewisse.
Das achtstimmig besetzte Huelgas-Ensemble und Leitung Paul van Nevels und das famose, Rihm-erfahrene Minguet-Quartett unterstützen das mit weitgehend zurückhaltender Klanglichkeit, die statt Opulenz lieber Klarheit und Fragilität bevorzugt und damit einen wesentlichen Zug von „Et Lux“ sehr genau trifft. Ganz kontrolliert und überlegt gestalten sie die die langen, langsam entwickelten Linien, die für dieses Werk so wichtig sind, aus denen manchmal und ganz allmählich Konturen und einige wenige klangliche Eruptionen und intensive Gefühlsaufwallungen entstehen, die aber auch ins Leere verlaufen können.
Mit Präzision, kalkulierter Emotion und feinsten Klangfacetten bringen sie Rihms polyphone Textur damit immer wieder zum Strahlen. Ein bisschen schade ist allerdings, dass das Minguet-Quartett auf der Aufnahme trotz der gegenüber der Partitur verdoppelten Stimmen des Huelgas-Ensemble sehr präsent ist, so dass man den Text manchmal nur noch erahnen kann.
Wolfgang Rihm: Et Lux. Huelgas Ensemble, Minguet Quartet, Paul van Nevel. ECM 2015.
(Zuerst erschienen in der September-Ausgabe der “Chorzeit — Das Vokalmagazin”)
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