Am Schluss wirbelt Weihnachten dann doch herein. Bis dahin hält “Der Singer Pur Adventskalender” genau, was er verspricht: Chormusik für den Advent. Wenn man in diesem Adventskalender bis zum Heiligen Abend gekommen ist, hat man einiges hinter sich. Denn die 23 bekannten, traditionellen Adventslieder von „Nun komm, der Heiden Heiland“ bis „Wir sagen euch an den lieben Advent“ in über dreißig Sätzen, die Singer Pur hier für sechstimmige Chöre vorlegen, bieten viel ausgezeichnete Musik. Am Ende steht dann ein furioses, begeistert-freudiges Arrangement von Sören Sieg: So fröhlich ist selbst die „Fröhliche Weihnacht“ beileibe nicht immer.
Alt und neu sind gleichermaßen vertreten – 10 Lieder in Sätzen von Alten Meistern (bis ins 16. Jahrhundert), 14 von lebenden Arrangeuren. Für den Druck wurden die Singer-Pur-Sätze etwas überarbeitet, damit sie für normale sechstimmige Besetzungen gut singbar sind. Gut singbar ist allerdings nicht unbedingt einfach: Komplexe Sätze, die etwas Hinwendung und Probenausdauer erfordern, sind hier reichlich vertreten. Die harmonischen und rhythmischen Möglichkeiten der (fast) durchgehenden Sechsstimmigkeit nutzen die Arrangeure gerne aus und lassen sich viel einfallen — Bernhard Hofmann benötigt für “Lasst uns froh und munter sein” immerhin 14 Seiten. Und die haben es auch in sich, da ist fast durchgängig mindestens eine Stimme mit dem „tralala“ beschäftigt, während der Rest durch diverse Takt- und Tonarten wandert.
Überhaupt: So arg besinnlich ist diese Adventszeit nicht. Sicher, es gibt ruhige Momente: Heike Beckmann hat etwa eine sehr schöne, verhaltene Swing-Version von “Leise rieselt der Schnee” beigesteuert, die ganz fein glitzert. Und Reiko Füting lässt den Chor in „O Heiland, reiß die Himmel auf“ vom verhauchenden Tenorsolo bis zum massiven Tuttiklang die Himmelsbewegung im Wechsel von Beinahe-Stillstand und bewegter Rhythmik dynamisch nachzeichnen. Die Bandbreite ist überhaupt sehr groß, denn die Sätze sind durchweg sehr individuell gearbeitet. Der Adventskalender bietet in einer anregenden Mischung mit Niveau viel Pep, manchmal auch etwas Show — aber wer braucht schon den 87. vierstimmigen homophonen Chorsatz von “Macht hoch die Tür”? Dann doch lieber William Hawleys wilde Jagd zum triumphierenden Lobpreis Gottes.
Die alten Sätze allerdings — Crügers “Wie soll ich dich empfangen” etwa, “Nun komm der Heiden Heiland” von Praetorius, Eccard, Schein und Vulpius oder Bachs „Wachet auf“ und sein „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ — werden die meisten Chöre schon im Archiv haben. “Es kommt ein Schiff” ist dafür zum Glück zwei Mal vertreten: Neben der bekannten Version von Max Reger hat Singer-Pur-Bass Marcus Schmidl ein geheimnisvoll raunendes, das Mysterium des Glaubens beschwörende Arrangement geschrieben. Auch seine Version von „Tochter Zion“ geht, so harmlos sie anfängt, eigene Wege: kleine rhythmische Widerhaken und eine behutsame harmonische Modernisierung geben Händels Klassiker frischen Glanz.
Singer Pur (Hrsg.): Der Singer Pur Adventskalender. 24 Lieder zum Advent für SAATBB. Mainz: Schott 2015. ED 22344.
(Zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, November 2015)
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