Sonne, Mond und Sterne funkeln um die Wette und auf der Erde schwappen leichte Wellen des Meeres an den feinen Sandstrand – so muss man sich wohl eine ideale Situation für diese CD vorstellen. Das titelgebende „Sun, Moon, Sea and Stars“ ist nicht nur eine der wenigen Originalkompositionen von Bob Chilcott, sondern vor allem eine Ballade, die sich in die Ohrgänge schmiegt. Wie der dichte Satz in Close Harmony beim Tenebrae Consort hier ganz ruhig und weich daliegt und der einschmeichelnden Melodie des sanften Liebesliedes viel Raum lässt, das ist ziemlich perfekt und romantisch.
Den Löwenanteil der meist kurzen Stücke, die nur selten die Drei-Minuten-Grenze überschreiten („I’ll sing you a song and it’s not very long“ heißt es einmal), haben aber die im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte arrangierten Traditionals aus verschiedenen Ecken der Welt – unter anderem sind Kanada, die USA, Frankreich und Japan vertreten –, die die bekannten und bewährten Fähigkeiten des gewieften Arrangeurs Bob Chilcott hörbar werden lassen. Das Tenebrae Consort, das hier als Quintett unter der Leitung von Nigel Short auftritt, nimmt sich der Kleinodien mit vernehmbar viel Liebe und höchster Sorgfalt an. Das hört man jedem Motiv, jedem Akkord an: Sauber, ja perfekt in großartiger Klarheit intoniert (man kann die Partitur hörend fast mitschreiben), aber nie kalt, sondern immer empathisch singen sie. Herrlich zu hören etwa, wie berührend „Shenandoah“ hier flehend lieben darf.
Professionell ist auch die Aufnahmetechnik, die den Ensembleklang sehr genau und wohltuend repräsentiert. Harmonie waltet rundum in diesen 65 Minuten, das ist alles überaus nett und auch ein kleines bisschen harmlos. Denn auf große Gesten, auf riskante Deutungen verzichten Ensemble und Dirigent durchweg. Das ist aber völlig okay, auch Chilcott geht es in den hier eingesungenen Arrangements in der Regel nicht so sehr um das Unerhörte, sondern darum, das Charakteristische der überlieferten Lieder herauszukitzeln. Und ihre eigene Schönheit.
Ganz ausgezeichnet gelingt das etwa bei dem sehr gewitzten und lebendigen Arrangement des kanadischen Refrainlieds „Feller from Fortune“, das auch allen Stimmen viel Raum zum Brillieren gibt – und das zum Schluss ganz unverhofft in ein wunderbar anheimelndes Wiegenlied hinüber gleitet. Die wohltönende, lebendig austarierte Klangschönheit zeichnet Tenebrae Consort nicht nur hier, sondern auf der gesamten CD aus und macht die pathosreiche Musik auch für nüchterne Zeitgenossen zu einem Genuss. Denn auf Sun, Moon, Sea and Stars verführt alles zum Träumen – sowohl die Musik Chilcotts als auch ihre hingebungsvolle Wiedergabe durch das Tenebrae Consort sind in dieser Hinsicht einfach ansteckend.
Sun, Moon, Sea and Stars. Songs and Arrangements by Bob Chilcott. Tenebrae Consort, Nigel Short. Bene Arte SIGCD903, 2016. 64 Minuten.
Reinhard Jirgl: Oben das Feuer, unten der Berg. München: Hanser 2016. 288 Seiten.
–Sie wurden geboren, arbeiteten, und sie starben. Wäre Leben so=einfach so=kurz wie dieser Satz, Leben, wäre gewiß glückvoller. Leben aber dauert länger als 1 Satz. (31)
Oben das Feuer, unten der Berg — an dem Buch ist nicht nur der Titel seltsam und rätselhaft. Ich bin ja eigentlich ein großer Bewunderer der Werke Reinhard Jirgls, aber mit diesem Roman kann ich wenig bis gar nichts anfangen. Das, was von einer Geschichte übrig ist, ist rätselhaft, schwankt zwischen Krimi und Verschwörungstheorie, Vergangenheitsbewältigung und Verbitterung. Die auftauchenden Figuren sind eigentlich lauter kaputte Menschen. Oder: Sie werden kaputt gemacht, durch das „System“, die Macht oder ähnliche Instanzen. Die grausame Brutalität der Welt, der Macht und der Mächtigen, die die Moral nur als Deckmantel und Beruhigung fürs Volk (wenn überhaupt) haben, benutzen — den ganzen Text durchdringt eine sehr schwarze, pessimistische Weltsicht. So weit, so gut (oder auch nicht, aber das ist ja erst mal egal). Fragwürdig bleibt mir aber doch einfach vieles. Auf dem Schutzumschlag steht etwa: „Titel, Textvolumen und Reihenfolge der Kapitel im Roman sind von dem altchinesischen Orakel I‑Ging bestimmt.“ — Zum einen: was soll das? Ich habe keine Ahnung … Zum anderen: Ich bezweifle fast, dass das überhaupt stimmt …
In den faszinierenden, genauen, poetischen (d.i. lyrischen) Beschreibungen, ja, der geradezu überbordenden Beschreibungsgenauigkeit liegt vielleicht die größte Stärke des Romans, auch durch die Spezialorthografie, die nämlich Möglichkeiten und Deutungen der Sprache verdeutlichen, vereindeutigen oder überhaupt erst eröffnen kann. Auf der anderen Seite hatte ich oft den Eindruck eines „verwilderten“ Text, der sich von sich selbst treiben lässt und der im Zickzack-Kreis des Erzählens „der“ Geschichte keine wie auch immer geartete Ordnung gelten lässt (zumindest keine, die ich erkennen könnte). Seltsam finde ich auch: Eigentlich passiert das meiste des Romans auf privater, ja intimer Ebene. Aber dann will der Roman doch die ganz großen Themen behandeln (z.B. die Macht und die Moral) — das passiert dann (damit es jeder merkt) v.a./nur durch das neunmalkluge Dozieren der Figuren, in deren Erkenntnissen, in deren Durchschauen der Welt und der Verschwörungen) sich der Erzähler (und vielleicht auch der Autor) zu allem und jedem äußern kann, seine Position als wahre absichern und mitteilen kann.
?Wo in alldieser unermeßlichen=Unendlichkeit blieb eigentlich ?mein Webfaden, ?meine=!ureigene Spur, die mich etwas Unverwechselbares in dieses unerschöpfliche Lebenswischhadergefilz hätte hin1prägen lassen. (230)
Daniela Danz: Lange Fluchten. Göttingen: Wallstein 2016. 146 Seiten.
Wilhelm Lehmann: Ein Lesebuch. Ausgewählte Lyrik und Prosa. Herausgegeben von Uwe Pörksen, Jutta Johannsen und Heinrich Detering. Göttingen: Wallstein 2011. 160 Seiten.
Auf Wilhelm Lehmann bin ich erst durch die zweite Ausgabe des Gelben Akrobaten von Michael Braun und Michael Buselmeier aufmerksam geworden. Lehmann, der von bis vor allem an der Küste lebte, war als Lehrer sowohl ein ausgezeichneter Naturbeobachter als auch ein starker Dichter, wie ich anhand des Lesebuchs leicht feststellen konnte. Dort bieten die drei Herausgeber eine Auswahl aus der mehrbändigen Werkausgabe: (viel) Lyrik, etwas aus den Tagebüchern, einige Auszüge aus theoretischen/poetologischen Essays und ein wenig Prosa. Inwieweit das ein repräsentatives Bild abgibt, kann ich nicht beurteilen. Sagen kann ich nur, dass das, was ich hier gelesen habe, faszinierende Momente hat. Die mich am meisten berührenden Texte und Passagen waren wohl die, wo sich der penible und wissende Naturbeobachter mit dem bildkräftigen Lyriker verbindet.
Aus vielen der Naturbeschreibungen der Gedichte spricht eine leise Wehmut: Die Natur ist für Lehmann ganz offenbar ein Ort, an dem die göttliche/geschöpfte/schöpferische Ordnung noch gilt und dann auch zu beobachten ist; sie bleibt vom Chaos, der Gewalt und dem Schmerz der Menschen (den sich die Menschen gegenseitig (und ihr) zufügen) unberührt. Solche Lyrik ist, wie er es in einem Aufsatz einmal auf den Punkt bringt: „Poesie als Einwilligung in das Sein“.
Gerade in der Zeit des Zweiten Weltkrieges scheint sich das aber zu ändern: Zunehmend werden Natur und Menschenwelt/Zeitgeschichte im Gedicht konfrontiert, meist nebeneinander gestellt (sozusagen ohne tertium comparationis): Hier die gleichförmige (im Sinne von in einem festen Rhythmus sich wiederholende), vertraute (d.h. auch: lesbare, entschlüsselbare, verstehbare) Natur, dort der unerhörte Schrecken, das ungesehene und ungeahnte Grauen des Weltkriegs. Das bleibt aber immer sehr subtil und — gerade in den Beschreibungen und Schilderungen — sehr kunstvoll, in fein austarierten Rhythmen und mit oft sehr harmonisch, fast selbstverständlich wirkenden Reimen ausgearbeitet. Am besten verdeutlicht das vielleicht ein Gedicht wie “Fallende Welt”:
Das Schweigen wurde Sich selbst zu schwer: Als Kuckuck fliegt seine Stimme umher.
Mit bronzenen Füßen Landet er an, Geflecktes Kleid Hat er angetan.
Die lose Welt, Wird sie bald fallen? Da hört sie den Kuckuck Im Grunde schallen.
Mit schnellen Rufen Ruft er sie fest. Nun dauert sie Den Zeitenrest.
Der Verlag nennt die auf der Opernbühne spielende Novelle von Sabine Bergk „Übertreibungsliteratur”. Das stimmt natürlich, trifft den Kern des vor allem phantastischen und absurden Textes aber nur halb. Gilsbrod ist eine Ein-Satz-Novelle mit 130 Seiten ungebrochenem stream of consciousness. Das ist natürlich nicht völlig neu, spontan fällt mir aus letzter Zeit etwa Xaver BayersWenn die Kinder Steine ins Wasser werfen (2011) ein, das ähnlich funktioniert. Hier, also in Gilsbrod, lesen wir das Bewusstsein einer Opernsouffleuse, die im entscheidenden Moment der Theaterdiva nicht aushilft und sie deshalb in eine improvisierte Kadenz auf dem falschen Text treibt. Ein Ende hat der Text nicht, er bricht einfach ab. Bis dahin ist er aber dicht und unterhaltsam, phantastisch und absurd, traurig und komisch zugleich. Oder zumindest abwechselnd. Den natürlich lässt sich so ein Bewusstsein hin und her treiben, das ist eine heftige Mischung von Vergangenheiten und Gegenwarten, Realitäten und Träumen, Wünschen und Ängsten, geschichtet und überlagert, auch mit Versionen der (pseudo-)Erinnerung versehen, der seine Ebenen im kreisenden Wiederholen herauskristallisiert.
Das funktioniert recht gut, weil die Sprecherin aus der Position des unsichtbaren/unscheinbaren Beobachters, der Souffleuse, agiert. In der Privatmythologie wird der dienend-unterstützende Hilfsdienst dieser Funktion für das Theater, genauer: die Oper, zur mystischen Erfahrung hochstilisiert, zum erfüllenden Lebenstraum. Es wird aber durchaus auf geschickte und untergründige, aber erkennbare Weise auch die eigene Position reflektiert, zum Beispiel im Verlust der Rest-Sichtbarkeit durch den mittigen Souffleurkasten und die Verbannung auf die Seitenbühne, die nicht gleichermaßen Teil der Aufführung ist: dort unterhalten sich Techniker und wartende Sänger während der Oper … Zugleich zu dieser wahrgenommenen Marginalisierung — im Kontrast dazu und zu den Erinnerungen der präfigurierenden Demütigungen der Schulzeit (die sehr seltsam als eine Art Kreuzigung am Rutschengerüst erinnert werden, mit Lanze und Essig und allem drumherum …) ist der Bewussstseinsstrom aber auch die Konstruktion einer totalen Machtposition: von ihr ist alles, insbesondere eben die Diva Gilsbrod abhängig — und damit das ganze Theater, die Stadt, das Publikum: „mir gehört der Text“ (39).
Der Text ist aber nicht ohne Dramaturgie gebaut, zum Beispiel verschränken und vermischen sich die diversen Zeiten und Ebenen immer mehr. Auch das „Vordringen“ in die Figur „Gilsbrod“ wird geschickt zeichenhaft genutzt: Es beginnt an der Grenze zwischen außen und innen des Körpers, den Zähnen der Sängerin, und dringt über den Mundraum immer weiter vor/hinein …
Im Grunde ist Gilsbrod eine große Rachephantasie, die ja auch zu keinem Ende kommt: der Bewusstseinsstrom bricht in der großen (falschen!) Kadenz der Gilsbrod ab, das „non so d’amarti“ verdichtet sich, bis zu einer Art Mantra — wenn man das hinzuzieht, könnte es natürlich auch eine (unbewusste) Liebesphantasie sein: „Ich weiß nicht, dass ich dich liebe“ …
[…] und deshalb gehen die Leute ja ins Theater, weil sie nicht alleine lachen wollen und sonst die anderen denken, sie wären verrückt, wie sollen sie auch lachen, wenn sie niemanden zum Lachen haben, und so bleiben sie lieber allein in ihrem Kummer, dabei ist es viel besser, gemeinsam zu weinen und die Leute gehen ja ins Theater, damit sie gemeinsam lachen und auch weinen können, wie auf der Beerdigung, sie beerdigen ihren Kummer im Theater und beerdigen sich selbst, vorzeitig, sie beerdigen sich gegenseitig und beerdigen alles, was ist, sie beerdigen die Langeweile, das Leben und die Hoffnung der Figuren, die Flugversuche und die Wetterwechsel, sie beerdigen das Licht hinter den Vorhangdecken wie zum Schlaf und zum Abschluss gibt es rauschenden Applaus und niemand denkt, dass sie verrückt sind, auch wenn alle nach vorne starren […] (69)
Titus Meyer: Andere DNA. Leipzig: Reinecke & Voß 2016. 56 Seiten. ISBN 978–3‑942901–20‑8.
Ein ganzer Roman als Palindrom, ein Palindrom als Roman – geht das? Ein paar meiner Lektürebeobachtungen zu dieser Frage und anderen, die mich beim Lesen von Meyers Husarenstück bewegten, habe ich schon vor einigen Tagen hier notiert.
Christian Broecking: Dieses unbändige Gefühl der Freiheit. Irène Schweizer — Jazz, Avantgarde, Politik. Die autorisierte Biografie. Berlin: Broecking Verlag 2016. 479 Seiten. ISBN 9783938763438.
Eine große – und außerdem auch noch autorisierte – Biografie der großen Jazzpianistin Irène Schweizer wollte Christian Broecking (den ich vor allem als Autor/Interviewpartner seiner beiden Respect-Bände kenne) hier wohl vorlegen. Rausgekommen ist ein mühsamer Brocken. Den Broecking schreibt auf den immerhin fast 500 Seiten vielleicht (gefühlt zumindest) ein Dutzend Sätze selbst. Diese Biografie ist nämlich gar keine, es gibt keinen Erzähler und eigentlich auch keinen Autor. An deren Stellen treten (fast) nur Quellen, das heißt Zeitzeugen, deren Aussagen zu und über Irène Schweizer aus Interviews hier grob sortiert wurden und höchstens mit einzelnen Sätzen notdürftig zusammengeflickt werden. Der dokumentarische Anspruch – die anderen also einfach erzählen zu lassen (aber auch die Fragen streichen, was manchmal seltsame „Texte“ ergibt) – geht dann auch so weit, dass englischsprachige Antworten nicht übersetzt werden. Viel Material wird also mehr oder weniger sinnvoll gereiht. Nach herkömmlichen Maßstäben ist das eher die Sammlung, die Vorarbeit zu einer eigentlichen Biografie, die das (ein-)ordnend und deutend erzählen würde.
Dadurch ist das vor allem eine Arbeitsbiographie und/oder ein Musiktagebuch: Wer wann mit wem wo gespielt hat, das gibt den Rahmen für die Lebensbeschreibung ab. Aber selbst das geht mit der Zeit und den Seiten der unendlichen Reihen von Konstellationen und Orten zunehmend unter, weil es einfach zu viel ist. Menschen kommen kaum/nicht vor, nur Funktionen: Musiker, Künstler, Organisatoren, Labelchefs und (wenige) Journaliste) – deshalb bietet das Buch auch nur Innensichten aus dem Umfeld Schweizers. Und Broecking hilft durch seine Abwesenheit als Autor eben auch nicht: Einen außenstehenden/neutralen (oder wenigstens pseudo-objektiven) Beobachter kann der Text nicht aufweisen. Ich denke, daraus rühren dann auch andere Schwächen. Vieles bleibt einfach ohne Erklärung. Und wenn ich keine Erklärung bekomme, brauche ich auch keine Biografie …
Zum Beispiel wird die Größe Schweizers zwar immer wieder beschworen, sie bleibt dabei aber ausgesprochen unklar, ohne Konturen und ohne Grund. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Musik in den (sowieso äußerst knappen) Beschreibungen (Analysen kommen mit Ausnahme des zehnseitigen Anhangs „Jungle Beats“ von Oliver Senn & Toni Bechtold, der anhand exemplarisch ausgewählter Aufnahmen Schweizers Musik, ihren Personalstil beschreibt, fast überhaupt nicht vor) selbst so generisch bleibt: frei improvisiert, dann wird mal dieser Einfluss (Cecil Taylor etwa) hervorgehoben, dann mal der jener betont (Monk etwa). Und immer wieder wird von den Interviewten darauf hingewiesen, dass sie keine Noten mag. Aber was sie wie spielt, kann man halt nicht so recht lesen, nur in verstreuten Hinweisen und Andeutungen (die auch eher ihre Präsenz und Energie auf der Bühne betreffen). Auch die ausgewählten Zitate aus Kritiken und Presseberichten bleiben erschreckend generisch. Ähnlich ist es um die politische Dimension des Lebens von Irène Schweizer und ihrer Musik bestellt: Beides wird vor allem behauptet („diese Musik ist politisch“), aber wie und warum, das steht nirgends, das wird nicht erklärt (und gerade da würde es (für mich) spannend werden …). Das alles führt dazu, dass mich die Lektüre etwas unbefriedigt zurückgelassen hat: Sicher kommt man um diesen Band kaum herum, wenn man sich mit Schweizer und/oder ihrer Musik befasst. Aber Antworten kann er kaum geben.
Ian Bostridge: Schuberts Winterreise. Lieder von Liebe und Schmerz. München: Beck 2015. 405 Seiten. ISBN 978–3‑406–68248‑3.
Meine Eindrücke von Ian Bostridges großem, umfassenden Buch über die Schubertsche Winterreise haben einen eigenen Eintrag bekommen, und zwar hier: klick.
außerdem gelesen:
Katharina Röggla: Critical Whiteness Studies und ihre politischen Handlungsmölichkeiten für Weiße AntirassistInnen. Wien: mandelbaum kritik & utopie 2012 (Intro. Eine Einführung). 131 Seiten.
Das sind Erfahrungen und Haltungen, die verbinden. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass wir eine Geheimarmee von Improvisatoren waren, verschworen, rebellisch, unbeirrbar. Unsere Mission war der Avantgarde-Jazz und Irène [Schweizer] war an vorderster Front. Keith Tippett, in: Christian Broecking, Dieses unbändige Gefühl der Freiheit, 117
Es ist nicht mehr als ein kleiner Ausschnitt der fortdauernden Erkundung des komplexen und schönen Netzes von Bedeutungen – musikalische und literarische, textuelle und metatextuelle –, innerhalb dessen die Winterreise ihren Zauber hervorbringt.S. 396
– Mit diesem Schluss endet der britische Tenor Ian Bostridge (übrigens ein ausgebildeter Historiker) sein großes, faszinierendes und in seiner bereichernden Klugheit ausgesprochen lesenswertes Buch über SchubertsWinterreise. Aber es ist ein Satz, der das, was auf den knapp vierhundert Seiten zuvor passiert ist, sehr gut auf den Punkt bringt. Lieder von Liebe und Schmerz hat der deutsche Verlag Bostridges Buch im Untertitel benannt. Das englische Original finde ich passender: Anatomy of an Obsession. Denn beides, das sezierende Untersuchen als auch die obsessive Beschäftigung mit dem Kunstwerk, bringt das Verhältnis von Bostridge zur Winterreise sehr gut auf den Punkt. Und beides, die Analyse und die emotionale Bindung, merkt man dem Text eigentlich auf jeder Seite an: Jede Seite dieses großartigen Buches, das Lied für Lied die Winterreise unter die Lupe nimmt, lässt die obsessive Liebe und die jahrzehntelange Beschäftigung mit Musik und Text, mit Dichter und Komponist, mit Hintergründen und Bedeutungen spüren.
Lied für Lied – diese Gliederung greift das gut gemachte (ich habe – abgesehen von der prinzipiell etwas unsinnigen Übersetzung englischer Übersetzungen deutscher Texte – nur einen Übersetzungsfehler bemerkt – der ist allerdings etwas peinlich, weil er das englische b‑minor mit b‑moll statt h‑moll übersetzt und auf der selben Seite auch noch richtig vorkommt …) und schön ausgestattete Buch auch äußerlich auf. Bostridge folgt damit zwar der Dramaturgie Schuberts (die ja, wie er mehrfach darlegt, von der Reihenfolge Müllers abweicht), gestattet sich aber auch Freiheiten: Manche Kapitel sind auffallend kurz, andere etwas ausschweifend. Manche bieten eine sehr konzentrierte Analyse von Text und Musik, andere liefern vor allem geschichtliche, politische, wirtschaftliche, soziologische Hintergründe. Wie er prinzipielle Beobachtungen und Anmerkungen über die einzelnen Liedkapitel verteilt, das ist sehr geschickt. Die sind dadurch nämlich immer mehr als bloße Kommentare oder Erläuterungen, das Buch wird nicht zu einer seriell-schematischen Analyse, sondern zu einem großen Ganzen: Alles in allem ist das eine großartige Sammlung von Wissen aus allen Bereichen zu den 1820er Jahren. Da liegt aber auch schon eines der Probleme, die ich damit hatte (neben der meist fehlenden Referenzierung des angesammelten Wissens): Bei Bostridge werden die 1820er in Technik, Ökonomie, Gesellschaft und Politik zu einem frühen Höhepunkt der Modernisierung. Ich bin mir nicht so recht sicher, ob das stimmt (und ob es hilfreich wäre). Für ein endgültiges Urteil fehlt mir da freilich etwas Wissen, mir scheinen diese Jahre aber doch mehr Durchgang als Gipfel zu sein.
Ein anderer Punkt, bei dem ich Bostridge immer wieder widersprechen möchte, ist die Ironie. Die findet er in der Winterreise nämlich wesentlich häufiger und stärker als ich das immer nachvollziehen kann. Ähnlich geht es mir mit der politischen Dimension von Text und Musik. In beiden Fällen möchte ich Bostridges Deutungen gar nicht von vornherein verwerfen, sie scheinen mir in diesen Aspekten aber etwas überspitzt. Deutlich wird das etwa bei seinen Ausführungen zum „Köhler“, der (bzw. dessen Hütte, er selbst ja gerade nicht) in der Winterreise genau einmal vorkommt: Das kann man als mögliche politische Chiffre lesen, so zwingend, wie Bostridge das darstellt, ist diese Lesart aber meines Erachtens nicht. Überhaupt hat mich seine politische Lesart vieler Lieder (bzw. eigentlich nur ihrer Texte, in diesem Deutungszusammenhang spielt die Musik keine Rolle) nicht so sehr befriedigt, zumal sie ja doch erstaunlich indifferent bleibt. Ähnlich ist es übrigens um Schubert selbst hier bestellt: Zum einen wird er als politischer Künstler, der extrem unter den harten Bedingungen der vormärzlichen Zensur litt, dargestellt. Zugleich ist er für Bostridge aber auch ein Komponist, der ganz unbedingt ein Ideal des reinen, transzendenten Künstlertums verfolgt – zwei Lesarten, die hier fast nahtlos ineinander übergehen, die ich aber nicht so recht zusammen bekomme.
Das alles macht aber wenig bis nicht. Denn Bostridge zu lesen, ja eigentlich: zu schmökern, ist auf jeden Fall ein großer Gewinn. Zumal das Buch auch, ich sagte es schon, einfach schön ist und auch mit Abbildungen nicht geizt. Schade fand ich allerdings, um das Lob gleich wieder ein bisschen einzuschränken, dass Bostridge so wenig über die Musik und ihre Details spricht. Mein Eindruck war da, dass dieses Element in der Fülle der Zugänge und Materialien, die er zur Winterreise zusammengetragen hat, etwas untergeht. Von einem Sänger hätte ich mir gerade auf diesem Gebiet mehr musikologische Analyse und Beschreibung gewünscht. Aber das wäre dann vielleicht ein anderes Buch geworden.
Es ist nämlich wirklich seltsam mit diesem Buch: Als Ganzes finde ich es immer noch ziemlich großartig, es ist ein (über)reiches Buch, das dem Verständnis der Winterreise auf jeden Fall in großem Maße dient und das Hören (oder Musizieren) ungemein bereichern kann. Im Detail finde ich aber vieles fragwürdig und würde oft widersprechen. Ein paar kleine, fast willkürliche Beispiele: Den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg aus einer typisch deutschen „romantischen Todesbesessenheit“ (118) zu erklären wollen – das ist einfach Quatsch. Oder wenn ein Fermatenzeichen zu einem „allessehenden Auge“ (178) wird. Manchmal ist es auch vor allem eine große Fleißleistung, wenn er etwa zum „Frühlingstraum“ über mehrere Seiten das Vorkommen von Eisblumen in der Kunst- und Literaturgeschichte referiert, was aber weder mit Müller noch mit Schubert in Verbindung steht. Da erschließt sich mir dann nicht so ganz der Zweck, den das für eine Analyse oder Interpretation dieses Kunstwerkes haben soll.
Aber: Die Welt von SchubertsWinterreise kann der überaus gebildete Bostridge mit seinem gesammeltem Wissen und seinen genauen, vielfältigen, emphatischen Beobachtungen eben doch ganz toll entfalten und wunderbar vermitteln. Es ist übrigens kein Versehen, wenn ich von SchubertsWinterreise sprach: Der Schwerpunkt seiner Betrachtungen liegt auf Schubert und seiner Musik, auch wenn der Text und sein Autor, Wilhelm Müller, nicht ganz außen vor bleiben. Auch die Rezeption der Winterreise wird nicht vergessen. Und seine intime Vertrautheit en detail & en gros mit dem Werk sowie seine doppelte Autorität als ausübender Sänger und forschender Historiker tun dem Buch sehr gut: Er weiß, wovon er redet. Und nach der Lektüre seine Buches weiß man auch, was man da eigentlich hört (oder: hören kann!), wenn man der Winterreise lauscht.
Ian Bostridge: Schuberts Winterreise. Lieder von Liebe und Schmerz. 2. Auflage. München: Beck 2015. 405 Seiten. ISBN 978–3‑406–68248‑3.
Das Volkslied taucht in den letzten Jahren immer mehr aus der Versenkung wieder auf – Projekte wie das Carus/SWR-Liederprojekt oder S.O.S. – Save Our Songs von Singer Pur sind nur Teil und Zeichen eines größeren rückbesinnenden Revivals. Das, was das SWR Vokalensemble Stuttgart und die SWR Big Band unter der Leitung von Morten Schuldt-Jensen mit Volkslieder 2.0 vorlegen, ist freilich etwas anderes. Denn für ihre erste Zusammenarbeit gehen die beiden SWR-Klangkörper einen Schritt weiter und in eine andere Richtung.
Der Komponist und Arrangeur Ralf Schmid warf dafür einen Blick auf die norwegische Tradition, während der Norweger Helge Sunde umgekehrt deutsche Volkslieder bearbeitete. Dabei steht für beide nicht das Volkslied an sich im Zentrum, sondern dessen künstlerische Potenz ohne nationalistischen Ballast. Und vielleicht ist es ganz folgerichtig, dass Schmid sich ohne Volkslieder direkt mit Peer Gynt auseinandersetzt, mit Griegs traditioneller Musik und Ibsens Text. Trotz aller Nähe zu einzelnen Sätzen wie der „Morgenstimmung” oder „Solveigs Lied“ verleiht er Peer Gynt eine sehr eigenständige Prägung, bringt etwa die Morgenstimmung als „toast på coast“ locker-beschwingt zum Tanzen und nutzt die Fusionsenergie aus der vokalen Kraft und der eher metallischen Energie der Big-Band in fein abgestimmten Arrangements.
Überhaupt gibt die Kooperation zweier so herausragender Ensembles den Komponisten reiche Möglichkeiten an die Hand. Die nutzen das zurückhaltend, aber subtil und geschickt. Die Vielfalt der Klangfarben ist phänomenal: Vom grellen Schmettern bis zum gehauchten Laut, von zackig-präziser Kraft über expressives Parlando bis zu den weich fließenden Melodien, von filigranen polyphonen Strukturen bis zu kraftvollen chorischen Klangflächen — man merkt, dass das den Musikern sozusagen auf den Leib oder in die Stimme geschrieben wurde.
Der Norweger Helge Sunde steuert einen faszinierenden Blick auf vier deutsche Volkslieder bei: Das eigentlich so harmlose Schlafliedchen wird ihm zu einem Thriller – einem lebendig und detailliert nachzuhörenden Kampf zwischen Kind und Schlaf, zwischen Traum und Ungeheuer, der gerade so noch die Kurve bekommt und im friedlichen Schlaf endet. Auch „Auf einem Baum“ erfährt eine Verwandlung: Der Kuckuck sitzt nicht einfach nur rum, man kann ihn in den agilen Stimmen des Vokalensembles tänzeln und flattern hören – und auch vom Baum fallen, nachdem der Jäger ihn abgeschossen hat. Und während „Wenn ich ein Vöglein wär“ zu einer astreinen Jazzballade wird, kracht die „Lore-Ley“ ausgesprochen funkig und rockig. Überhaupt haben Sundes Bearbeitungskompositionen etwas sehr verspieltes: Wie ein Kind, das im Spielwarenladen freie Auswahl hat, legt sich Sunde kaum Zurückhaltung auf – das offensichtlichste meidet er meistens, aber die vokal-instrumenalen und klanglichen Fähigkeiten beider Ensembles nutzt er weidlich aus. Die Avantgarde-Spezialisten des Stuttgarter Vokalensembles singen das präzise, bleiben aber immer ganz entspannt, ganz egal, ob sie nun gerade sanft säuseln oder wie in der „Lore-Ley“ selbst zu einem Teil der Big Band werden. Und da gibt es immer wieder buntes und abwechslungsreiches zu hören – beide Gruppen fangen die Stimmungen der Lieder sehr geschickt auf und machen sie sehr deutlich vernehmbar. Das beste ist aber: Alles wirkt vollkommen natürlich, ungezwungen und harmonisch – weil sowohl Schmid als auch Sunde beiden Ensembles ihren Raum lassen. Auch wenn diese vielschichtig-vertrackte Musik so sicher nicht selbst zu Volksmusik werden wird – man wünscht ihr, möglichst oft gespielt, gesungen und gehört zu werden.
Ein großartiges Set, das die vier jungen Herren von Amok Amor da für die kleine Schar interessierter Lauscher auf der Hinterbühne des Rüsselsheimer Theaters spielten. Dabei bescheiden sie sich mit gut 75 Minuten am Stück. Darein packen sie drei „Stücke“ und eine Zugabe. Von den Titel habe ich fast nichts verstanden, zusammengereimt habe ich mir: „Als Sozialist geboren, als Sozialist sterben“ und „Sons of Engels Marx“ (oder so ähnlich, die Richtung ist aber klar …) — das macht aber nichts, die Titel (und Ensemblenamen) von (Free) Jazz sind ja eh’ so eine Sache … Gleiches gilt übrigens für Selbstbeschreibungen: Auf Christian Lillingers Homepage steht zu Amok Amorunter anderem:
This is urgent music. Amok Amor surveys the threats and prospects of music in our world today. The music is aggressive yet gentle. Bla bla bla bla bla. The world is changing, but this music will survive. Amok Amor is essential listening for anyone who is concerned about the primary challenges still facing the human race and is wondering where to find a ray of hope.
— stimmt alles und sagt natürlich gar nichts …
Aber die Musik halt. Die ist bei Amok Amor genial. Aufmerksam geworden bin ich auf das Quartett, weil das eine der vielen, vielen Formationen ist, in denen der Schlagwerker Christian Lillinger gerade seine Kunst in die Waagschale wirft. Und so ziemlich alles, was ich bisher von & mit ihm gehört habe, ist zumindest interessant bis großartig — etwa die Vierergruppe Gschlößl, Christian Lillingers Grund oder Grünen.
Auch in Rüsselsheim hat er seine hypernervösen Handgelenke im Dauereinsatz. Ein bescheidenes Schlagzeug reicht ihm, zumal er es auch noch während des Spielens umbaut (und auch den Bühnenboden zum Quietschen-Kreischen mitbenutzt …). Das rumpelt dröhnend (die Tom Toms dumpf, die Snare tief), helle Cymbals und Rim-Tänzereien komplettieren das zu einem zwischen wilden Chaos und straighten Punk schwankendem Dauerfeuer, das er von ersten Moment an mit dem Bassisten Petter Eldh zusammen entfacht.
Ansonsten gilt: vielschichtige Vielfalt und Komplexität sind Pflicht und Kür zugleich. Immer, wenn man meint, etwas kapiert zu haben, ändert sich alles. Offenbar genau komponierte Cues, die erstaunlich präzise angesteuert werden. Immer, wenn man die Struktur verstanden zu haben meint, kippt das Klangbild, stolpert der Beat, verrrutscht die Melodie, krachen die Harmonien in- und aufeinander und das ewige Spiel geht weiter und von vorne los, anarchistisch und präzise abgestimmt zugleich. Überhaupt: Das instrumentaltechnische Niveau ist irre, stupende Virtuosität zeigen alle vier: Peter Evans an der Trompete und Wanja Slavin am Altsaxophon sind ein faszinierendes Duo im Quartett. Bassist Petter Eldh blieb etwas blass, was aber auch am grummeling-verwaschenen Sound des verstärkten Kontrabasses gelegen haben kann.
Viel klarer dagegen die beiden Bläser. Peter Evans gibt sich am Beginn lässig und straight, später lässt sich dann auch die Dörner-Schule deutlich vernehmen: Hauchend, flüsternd, knallend, vor allem aber — dank Zirkularatmung auch unablässig dabei — hyperaktiv und reaktiv. Auch Wanja Slavins Saxophon zeichnet ein wunderbar weicher und klarer Sound mit hoher Durchsetzungskraft aus, zumal Slavin damit sehr tolle Farben und Klangmuster gestalten kann.
Die entfalten sich immer wieder im scheinbar magischen Zusammenspiel: Eng geführte, auch tolle Unisono-Passagen scheinen auf, dann ein abrupter Wechsel oder allmähliches Abgleiten in feinste, ideensprühende freie Improvisationen. Die eine Art Gerüst und zumindest groben Verlauf vorgebende Kompositionen bauen gerne auf minimal(istisch)en Motiven auf, setzen auf Wiederholung und Variation. Überhaupt bietet Amok Amor eine Musik, die nur nach der Postmoderne denkbar ist: Voller Selbstreflexion und voller Anspielungen und Bezüge auf die gesamte Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts (na gut, nicht alles — aber sehr vieles …), aber kein „akademisches“ Produkt, sondern eine lebendige Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart.
Vor allem aber hat Amok Amor als Quartett einen unverschämten Drive, die Musik bleibt im kontinuierlichen, fesselnden Flow. Da ist kein Leerlauf zu spüren, nirgends und niemals: Amok Amor saugt die Energie von Raum und Publikum auf und spuckt sie, wie ein umgekehrtes Schwarzes Loch, in Klangformen wieder und wieder aus, bis die Hörgänge verknotet sind und das Hirn raucht …
Ach, es war einfach großartig, enorm vitalisierend und enthusiasmierend — wie Jazz eben sein soll/kann …
Amok Amor (Christian Lillinger, Peter Evans, Wanja Slavin, Petter Eldh). Theater Rüsselsheim, Studiobühne – 10. Mai 2017.
Die sehr schöne und alte Kirche St. Markus in Brensbach hat eine 1964 von Oberlinger gebaute einmanualige Orgel mit (fast nur angehängtem) Pedal und der von mir nicht sehr gemochten geteilten Lade (der zusätzliche Registrieraufwand wiegt die möglichen Vorteile in meiner Erfahrung eher nicht auf …). Wie so oft bei kleinen Orgel fehlt mir aber eine ordentliche, tragende 8′-Stimme, dafür sind die oberen Lagen gut vertreten.
An der Orgel der Schlosskirche in Bad König, erbaut um 1750 von Johann Jost Schleich, vor einigen Jahrzehnten (nach heutigen Gesichtspunkten nicht sehr gut) überarbeitet/restauriert von Werner Bosch:
Die Orgel der Evangelischen Johanniterkirche in Ober-Mossau, von einem (mir) unbekannten Erbauer aus der Mitte des 19. Jahrhunderts — manchmal etwas ruppig und lärmend, vor allem aber am Spieltisch viel zu eng (wenn der Gottesdienst — und vor allem die Predigt … — lange dauert, wird es hart, weil ich nie weiß, wo ich meine Beine unterbringen soll …). Irgendwann hat mal irgendwer (ein Orgelbauer oder vielleicht doch ein Orgelschüler?) auf der Leiste vor den Tasten des einzigen Manuals mit inzwischen recht abgegriffenen Elfenbeintasten die Oktaven angezeichnet.
In der kleinen Kirche der kleinen Gemeinde Güttersbach im Odenwald steht eine schöne, 1740 vom kurpfälzischen Hof- und Landorgelbauer Johann Friedrich Ernst Müller geschaffene Orgel, die — abgesehen von einer kleinen, behutsamen Erweiterung um ein zweiregistriges Pedal — noch weitgehend im originalen Zustand ist — inklusive “Noli me tangere” und der Werckmeister-III-Stimmung, die auch noch einen Halbton höher als heute gewöhnlich liegt. Die Orgel hat nicht nur einige sehr schöne, charakteristische Stimmen, sondern auch eine aufwendig gearbeitete Tastatur: