Einen Nagel mit wenigen Hammerschlägen so in ein Stück Holz zu schlagen, dass ist kein Handwerk mehr, sondern ein Kunststück (das ich nicht selbst vollbrachte):
Kategorie: diverses Seite 3 von 19
In der Sonderausstellung “Schrei nach Gerechtigkeit” des Dommuseums Mainz:
Arg viele Besucher hat die Ausstellung wohl nicht (als ich da war, war ich öfters sehr alleine), das Aufsichtspersonal hat Zeit zum Lesen …
Selige, selige Zeit! du bist schon lange vorbei! O die Jahre, worin der Mensch seine ersten Gedichte und System lieset und macht, wo der Geist seine ersten Welten schafft und segnet, und wo er voll frischer Morgengedanken die ersten Gestirne der Wahrheit kommen sieht, tragen einen ewigen Glanz und stehen ewig vor dem sehnenden Herzen, das sie genossen hat und dem die Zeit nachher nur astronomische Ephemeriden und Refraktionstabellen über die Morgengestirne reicht, nur veraltete Wahrheiten und verjüngte Lügen! – O damals wurd’ er von der Milch der Wahrheit wie ein frisches durstiges Kind getränkt und großgezogen, später wird er von ihr nur als ein welker skeptischer Hektikus kuriert! – Aber du kannst freilich nicht wiederkommen, herrliche Zeit der ersten Liebe gegen die Wahrheit, und diese Seufzer sollen mir eben nur deine Erinnerung wärmer geben; – und kehrest du wieder, so geschieht es gewiß nicht hier im tiefen niedrigen Grubenbaue des Lebens, wo unsere Morgenröte in den Goldflämmlein auf dem Goldkiese besteht und unsere Sonne im Grubenlicht – nein, sondern dann kann es geschehen, wenn der Tod uns aufdeckt und den Sargdeckel des Schachtes von den tiefen blaßgelben Arbeitern wegreißet, und wir nun wieder, wie erste Menschen, in einer neuen vollen Erde stehen und unter einem frischen unermeßlichen Himmel! – Jean Paul, Titan, 25. Zykel
itstartedwithafight hat einen schönen fernsehbeitrag des br von 1964 gefunden und weist zu recht darauf hin, dass sich in den jahrzehnten seitdem wenig geändert hat:
Beim Klicken auf das und beim Abspielen des von YouTube eingebetteten Videos werden (u. U. personenbezogene) Daten wie die IP-Adresse an YouTube übertragen.
Alle Welt freut sich aus den verschiedensten Gründen und Anlässen immer wieder über den albernen, Sokrates zugeschriebenen Satz »Ich weiß, dass ich nichts weiß«. Er enthält drei definitorisches Unsauberkeiten, zwei fette Kategorienfehler, mindestens ein Paradoxon, anderthalb Tautologien, Sonnenblumenöl, Zwiebelpulver, Schneckenpaste und unzählige gequirlte Ausreden, aber berühmt ist er trotzdem. Dietmar Dath/Heike Aumüller, Verbotene Verbesserungen, 44
Am Freitag — wie jeden ersten Freitag in jedem Monat — war in Mainz wieder die Critical Mass unterwegs. Und nach längerer Pause war ich auch wieder dabei. Die temporäre Abstinenz hatte kein besonderen Gründe — der Termin (freitags ab 18 Uhr) ist für mich nur etwas ungünstig, da habe ich oft andere Verpflichtungen oder verlasse Mainz gerade für das Wochenende …
Aber im Juni hat es geklappt — ausgerechnet an einem Brückentag, nach dem im immer noch katholischen Rheinland-Pfalz (und Mainz) entsprechend begangenen Fronleichnamsfest). Ich hatte mich extra beeilt, weil ich bis kurz vor sechs auf dem Campus war. Und dann war es doch wieder umsonst … Denn nicht zum ersten Mal startete die Critical Mass mit erheblicher Verzögerung — erst kurz vor halb Sieben setzte sich der Tross in Bewegung. Einen Grund dafür konnte ich nicht so recht erkennen — es war nicht gerade so, dass die Massen noch mit ihren Rädern zum Gutenbergplatz strömten. Mich nervt so etwas ja immer ungemein: Was soll das Rumgestehe und Warten auf dem Gutenbergplatz? Es muss ja nicht unbedingt um Punkt 18.00 losgehen. Aber knapp 30 Minuten Verzögerung müssen eben auch nicht sein.
Egal: trotz oder wegen herrlichstem Sommerwetter — etwa 32 Grad bei strahlendem Sonnenschein — waren knapp 90 Radlerinnen und Radler dabei. Leider war auch viel Bier mit im Spiel — schon vorher sammelten sich die Flaschen und Dosen auf den Treppen des Staatstheaters und auch während (!) des Fahrens wurde noch fleißig weiter gepichelt. Und das ist etwas, was ich gar nicht verstehen kann und will: Die Critical Mass bemüht sich darum, dass Fahrräder als Teil des Verkehrs ernst und wichtig genommen werden. Da passt so etwas doch nicht wirklich dazu, zumal ich durchaus der Meinung bin, dass Rauschmittel im Verkehr nichts zu suchen haben … Aber zur Mainzer Critical Mass, vor allem zu der gestrigen, passte das wiederum durchaus. Die hat sich nämlich stark auf das Rheinufer konzentriert und kam mir eher wie eine Freizeitfahrt als eine verkehrspolitische Aktion vor. Blöd nur, dass man dann auch mal durch die Fußgängerzone radelt. Und vom regelwidrigen Abbiegen von der Theodor-Heuss-Brücke in die Große Bleiche will ich gar nicht reden, auch wenn ich das für total falsch halte, zumal die Rheinstraße eine viel sinnvollere Alternative böte. Aber warum die Critical Mass um den Winterhafen gurken muss? Um den grillenden Studenten zuzuwinken? Oder warum sie am Kasteler Rheinufer vorbeischauen muss? Ich hab’s nicht verstanden.
Mir ist das alles jedenfalls zu viel Party und zu wenig Verkehrspolitik. Dazu passt auch, dass die Critical Mass jetzt in Mainz zwar etabliert ist, aber auch niemanden zu stören oder zu beschäftigen scheint: Das gehört nun offenbar einfach zur Folklore des städtischen Lebens dazu, dass ab und an Freitags abends ein Radfahrer-Kordon durch die Stadt zieht. Genau wie zu jeder Critical Mass ein Autofahrer gehört, der schimpfend und ausrastend sich über die Chaoten auf den Zweirädern aufregt. Aber ich sehe im Moment nicht, dass so eine Partyveranstaltung etwas anderes als ein netter Zeitvertreib und eine schöne Zeit für die Beteiligten ist … Das ist ja wiederum an sich nicht verkehrt und auch nicht an sich anstößig, verfolgt aber eben doch einen anderen Zweck. Und ja, ich weiß, manches davon, was ich hier bemängele, ließe sich mit etwas mehr Engangement meinerseits vielleicht sogar ändern. Aber dazu bin ich dann doch zu zurückhaltend (oder zu passiv oder zu wenig engagiert …). Also werde ich erst einmal wieder etwas Pause von der Mainzer Critical Mass machen und später mal wieder vorbeischauen …
Es ist scheinbar ein Automatismus bei Pressemeldungen der Polizei: Sobald eine Radfahrerin in einen Unfall verwickelt ist, muss unbedingt erwähnt werden, ob sie einen Helm trug — auch wenn das für den Unfall, die Verletzungen und überhaupt vollkommen unwichtig ist (genausogut könnte man übrigens bei jedem Autofahrer erwähnen, ob er Radio hörte oder mit eventuell anwesenden Beifahrern sprach …). Und die Zeitungen übernehmen das immer wieder gerne, ohne die dahinterstehenden Überzeugungen und Einstellungen zu hinterfragen. Denn was soll das bezwecken, wenn ich so etwas lese:
Ein 50 Jahre alter Autofahrer übersah nach ersten Ermittlungen beim verbotswidrigen Abbiegen von der Saarstraße in die Untere Zahlbacher Straße den dort vorhandenen Radweg nutzenden Radfahrer, der ohne Helm unterwegs war. (Allgemeine Zeitung Mainz)
Die Schuldfrage scheint absolut unstrittig zu sein, der Radfahrer verhielt sich im Gegensatz zum Pkw-Fahrer vollkommen regelkonform. Warum muss dann der nicht getragene Helm erwähnt werden? Es geht natürlich darum, zumindest implizit Schuld zu verteilen: Hätte der Radfahrer einen Helm getragen, wäre er vielleicht nicht so schlimm verletzt worden (das ist übrigens gar nicht immer so ganz klar …). Und noch eine Agenda steht dahinter: Radfahrer haben bitte immer einen Helm zu tragen, damit sie nicht so ungeschützt sind, wenn die Autofahrer ihre anderthalb Tonnen schwere Waffe nicht mehr im Griff haben (ok, das war jetzt etwas polemisch — aber der Punkt ist doch: Nicht die Radfahrer verursachen diese schweren Unfälle, sondern die Autofahrer. Also müssen sie sich anders verhalten, nicht das Opfer.)
Die Faszination der Wolken
„das heraufbeschwoeren der wolken / geschieht so wie das was in diesem buch geschieht, / die wolken im jura, zwischen frankreich und der schweiz, / und das ist das beste“ — so sind die „48 tiefliegende wolken für Rudolf Rieser von Dieter Roth — 1969 im Komplex der Wolkengedichte (u.a. „301 kleine wolken“ und „32 tieferliegende wolken“) überschrieben oder angekündigt. Und genau wie die Frage, was diese vielen Klein- und Kleinsttexte, Gedichte, Aphorismen oder was auch immer eigentlich mit Wolken zu tun habe, ist auch die Frage nach der Faszination von Wolken überhaupt eine verwickelte und schwierige.1
Denn die Faszination der Wolken ist eine versteckte: Sie liegt nicht im Spektakulären, sie betont nicht das Außergewöhnliche — sondern umgekehrt das Normale und Alltägliche. Aber, das ist ja gerade das faszierende Moment der Wolken: Es gibt keine Normalität, keinen Alltag. Es gibt nur einzigartiges — so wie keine Schneeflocke der anderen gleicht ist auch keine Wolke mit der vorherigen oder nächsten identisch. Und auch das ist ein wesentlicher Teil der Faszination: Wolken sind Individuen — wie Menschen. Und wie bei Menschen ist die Individualität mehr oder weniger sichtbar, gibt es auch bei den Wolken Ähnlichkeiten und Verwandtschaften, aber auch Unterschiede und ausschließende Abgrenzungen.
Jede Wolke ist anders als die benachbarte oder die gestrige, jeder Tag bringt ein neues Repertoire der Formen und Farben hervor: Das satte Gelb in der Abenddämmerung kurz vor dem Sommergewitter, das reine Weiß über den schneebedeckten Alpen, die bedrohliche Grauschwärze — kaum etwas können Wolken nicht sein oder scheinen. So sind sie Elemente der Phantasie und aber auch Teil einer großen, kosmischen Ordnung. Das heißt, anders gewendet: Wolken sind freie, poetische Objekte — und doch sortierbar, klassifizierbar, bestimmbar. Wolken, selbst die kleinsten und zartesten, verhauchten, sind voll dieser Gegensätze. Und genau deshalb lassen sie sich gleichzeitig träumen und lesen, lassen sie sich erkennen und phantastieren. Etwa als als Bild und als (Wetter-)Zeichen. Denn Wolken sind eben auch Möglichkeitsformen: Sie werden das, was wir ihnen zu- und einschreiben. Zugleich sind sie aber auch von sich aus ganz besondere Möglichkeitsformen, indem sie die Zukunft des Wetters — oder eine mögliche Zukunft — in sich tragen. Und in dieser Hinsicht sind sie eben auch lesbar (oder wären es, wenn ich über die notwendige Erfahrung und Grundlage verfügte). Vor allem aber laden sie dazu ein, sie in diesen beiden Erfahrung und Formen wahrzunehmen oder zu betrachten: Als relationale Objekte, die ihre Form, Farbe und ihren Sinn erst durch uns erfahren und als absolute Objekte, die Teil eines Systems sind, das wir nicht (vollends) entziffern, erklären oder verstehen könnten — aber gerne möchten.
In diesem Gegensatz liegt auch ihr Doppelcharakter von Gefahr und Reinheit mitbegründet. Genau wie Wolken für Wandel und Bewegung stehen, sind sie auch vom Menschen unberührte (ja, sogar unberührbare), unbeeinflusste „Dinge“, die ihre eigene Makellosigkeit und gravitas behalten. Und doch können sie im Nu all das verlieren und zur reinen, totalen Bedrohung werden — im Un-Wetter, im Aufruhr der Elemente.
Wolken sind noch mehr und ihr Gegenteil: Sie sind Welt und doch nicht Welt, wirklich und unwirklich, nah und fern, hier und nicht-hier/dort/fort. Ihr Wesen ist die unablässliche Transformation, ein permanentes Morphen: Bewegung in sich und über uns. Immer sind Wolken aber auch einfach das Andere: Sie sind nicht irdisch, aber doch eine unabdingbare Voraussetzung der Welt. Das absolut verzaubernde Faszinosum ist aber ihre Art der Bewegung — die mag zwar naturwissenschaftlich erklärbar sein und physikalischen Gesetzen gehorschen, mir erscheint sie aber immer insofern außergewöhnlich, als sie ihre Gesetzmäßigkeiten so vollkommen verbirgt. Ihre Bewegung ist (bzw. eben: scheint) ohne Antrieb, ohne Basis, auch ohne Referenz: Wolken sind einfach Zuschreibungsflächen. Das macht sie spannend und ihre Erfahrung einzigartig. Noch eine Erfahrung, die Wolken ermöglichen: Das Gefühl, in die Wolke zu tauchen, beim Wandern, beim Rad- oder Skifahren: Der Verlust der Welt, das Zurückgeworfensein auf sich selbst, die Leere, unbeschrieben und nicht beschriftbar — ein wunderbares Gleiten, das in diesem Falle sozusagen systembedingt ist.
Wolken können aber viel mehr: Wolken machen Unendlichkeit, die endlose Weite des Himmels erst sichtbar. Und sie machen den Himmel dreidimensional, verwandeln ihn erst von einer „Fläche“ (oder eigentlich ja eher einer Pseudofläche) zum Raum — kaum etwas ist langweiliger als ein reiner, leere blauer Himmel … Aber in und mit den Wolken wird eben auch die Tiefe des Raums und nicht zu Letzt auch die Entfernung zum Horizont erleb- und erfahrbar. Diese ungeheure natürliche und kulturelle Multiplizität, die Vielfalt der Formen und Farben, Bewegungen und Bedeutungen hat übrigens Felix Hartlaub in seinen „Kriegsaufzeichnung aus Paris“ (die ja, trotz ihres Titels, kaum etwas mit dem Krieg, dafür umso mehr mit der Stadt und der Natur zu tun haben) wunderbar beschrieben, wo es etwa heißt: „Langsame Wolken schleppen ihre breiten, lilabraunen Schatten darüber hin, die oft mit einer Mulde, einem Waldstück zusammenzufallen scheinen, sich langsam verlagern. Die Helligkeiten noch winterlich fahl, der Anblick der lastenden Schatten macht frösteln, während die hellen Wolkenränder ein Gefühl von Hitze, von dunstigem heissem Wind hervorrufen.“ Oder, wie Hartlaub einige Wochen später, in der sommerlichen Stadt, beobachtet und notiert: „Langgezogene, körperlose Wolken, wie blendend weisse Schleimspuren, die sich unmerklich ausdehnen, ausspinnen. Das Himmelsblau dazwischen erscheint matt, seiner Strahlung beraubt, wie verblichener Atlas.“ 2 Zur Form- und Bedeutungsvielfalt der Wolken gehört sicherlich auch das romantischste Motiv überhaupt, der Vollmond, der gerade als romantisches Motiv ohne leicht verschleiernde Wolken oder eine Lücke in der Wolkendecke kaum denkbar ist: Wieder spielt hier das Element des Raummarkers mit, aber auch die Ambivalenz von Verdecken und Enthüllen, die den Wolken so unhintergehbar eingeschrieben ist: Genau wie sie andere (Himmels-)Objekte ver- und enthüllen, sind sie selbst ja ebenfalls zugleich opak und transparent, erkennbar und undurchschaubar …
Ob sie nun majestätisch treiben, eilend davongleiten, drängend schieben, sich stapeln oder durchdringen — Wolken sind immer zugleich sichtbare Leere. Nicht nur in der Differenz, sondern auch in sich: Wolken sind, weil sie nicht sind — nicht mehr oder noch nicht, nicht Luft, noch nicht Regen, Schnee oder Hagel … Damit sind Wolke perfekte Elemente des Zwischen, eine spannende Verkörperung der Differenz. Und doch: Obwohl Wolken damit Marker von Differenz sind, bleiben sie selbst immer merkwürdig unbestimmt und grenzenlos, ihre eigenen Grenzen lösen sich in sich selbst auf: Wolken bleiben ohne klare, definierte Abgrenzung zu ihrer Umgebung. Wolken sind damit perfekte paradoxale Wesen oder Konstruktionen — bewusst, bemerkt, aber ohne es zu wissen oder auch ohne, dass wir es beim Betrachten der Wolken unbedingt selbst wissen.
Und dann bleiben da schließlich noch die Fragen: Wie weit „reist“ eine Wolke? Wie viel wiegt eine Wolke? Wie groß ist eine Wolke? Wie lange „lebt“ eine Wolke? Leicht und schwer zugleich sind Wolken, jeweils hier und dort, zugleich groß, ja riesig jenseits jeder Dimension und doch klein, zart und verletztlich — im Hauch vergänglich wie wir Menschen. Klar ist also gar nichts — noch nicht einmal, ob Wolken Natur oder Kultur sind. Und das ist natürlich gerade ihr größter Reiz: Wolken sind immer (auch) das andere.