Ungleichheiten sind das Wesen der Welt, und dass etwas besser sei, als anderes, ist leicht zu dulden Wilhelm von Humboldt, Litauischer Schulplan (zitiert nach: ders: Schriften zur Bildung. Hrsg. von Gerhard Lauer. Stuttgart: Reclam 2017, 140f.)
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Unsere Aufgabe ist, uns seelisch vor der Amerikanisierung zu bewahren, indem wir uns gleichwohl technisch amerikanisieren. Ob uns das gelingt, ist zweifelhaft; daß es uns gelingt, davon hängt Sein und Nichtsein in äußerem und innerem Sinne durchaus ab.Gertrud Bäumer, Das neue Lebensgefühl und seine Einwirkung auf das deutsche Bildungsgut, 1927
Jemanden erziehen heißt, ihn mit der Fähigkeit zu begaben, sich gegenüber seiner Umwelt eigensinnig zu verhalten, um Schwierigkeiten und Möglichkeiten zu sehen, die anderen nicht auffallen.Jürgen Kaube, Im Reformhaus, 17
Es ist wahr: so wenig der Mensch ohne Speise und Tranck seyn kan / so wenig kan er auch ohne Bücher oder etwas dergleichen zur Erkenntniß der Wahrheit und Tugend kommen.
— Christian Thomasius, Monatsgespräche V (1689), S. 1155.
Der Bundestag hat gestern (wieder einmal ganz kurz vor knapp, bevor die Frist am Jahresende ausläuft) beschlossen, die befristete Regelung des Urheberrechts in §52a noch einmal zwei Jahre zu verlängern. Damit ist es immerhin zunächst noch möglich, in Schulen und Universitäten Texte auch digital zur Verfügung zu stellen und nicht nur als Kopiervorlage im Ordner … Wie man aber — wie die Regierungsparteien — davon sprechen kann, dass die Auswirkungen “in der Praxis noch nicht abschließend bewertet” werden könnten, ist mir ein Rätsel. Die SPD hatte immerhin beantragt, dass gleich zu entfristen, weil die Regelung in §52a gerade praxistauglich sei. Und um die Schizophrenie noch etwas weiter zu treiben, haben CDU & FDP gleich angekündigt, in den nächsten Jahren über eine dauerhafte Regelung nachzudenken. Welche neue Erkenntnisse man da in den nächsten Monaten erwartet und warum man da so viel nachdenken und entscheiden muss, erschließt sich mir ja nicht so recht und verrät die Pressemitteilung des Bundestages leider auch nicht …
Die Mitteilung des Bundestages dazu im Wortlaut:
Gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen hat der Bundestag am 29. November den Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (17/11317) auf Empfehlung des Rechtsausschusses (17/11699) angenommen. Damit können urheberrechtlich geschützte Inhalte zwei Jahre länger, nämlich bis Ende 2014, unter bestimmten Voraussetzungen einem abgegrenzten Personenkreis für Unterrichts- und Forschungszwecke zugänglich gemacht werden, zum Beispiel, indem sie in das Intranet von Schulen oder Universitäten eingestellt werden. Für das Einstellen muss eine Vergütung an eine Verwertungsgesellschaft gezahlt werden. Die Koalition begründet die Verlängerung dieser Regelung um zwei Jahre damit, dass in dieser Zeit über den Inhalt einer endgültigen, unbefristeten Regelung entschieden werden soll. Die Auswirkungen der mehrmals befristeten Regelung in Paragraf 52a des Urheberrechtsgesetzes könnten in der Praxis noch nicht abschließend bewertet werden, heißt es zur Begründung. Gegen das Votum der Opposition lehnte der Bundestag einen Gesetzentwurf der SPD (17/10087) ab, der darauf abzielte, die Regelung in Paragraf 52a nicht länger zu befristen, weil sie sich bewährt habe.
Ich liebe ja so schwachsinnige Werbeumfragen. Da sieht man immer schön, was man als Kunde so zugetraut bekommt. Das Literaturmagazin (!) der “Zeit”, diesem (vermeintlichn) Hort des Restbildungsbürgertums, hängt die Ansprüche in seiner Leserumfrage gleich zu Beginn schön hoch:
Ich dachte ja, ich sehe nicht recht: Die meinen wirklich “pro Jahr”. Ich hatte eigentlich “pro Monat” gedacht — und selbst dann hätte “über 15” bei mir auch noch gestimmt …
Wie viel Bildungsdünkel kann man eigentlich in einen einfachen Bericht zum 50jährigen Bestehen eines Verlages stecken?1 Eine ganze Menge, wenn man Hannes Hintermeier heißt und für die FAZ schreibt. Der beginnt gleich größenwahnsinnig:
Diesem Verlag ist niemand entkommen. Es dürfte schwer sein, einen Haushalt zu finden, in dem kein Band aus dem Deutschen Taschenbuchverlag steht.
Wo lebt dieser Mann eigentlich? Eine gewisse Überschätzung des Bildungsbürgertums (oder seiner Reste, denn ein echter Bildungsbürger würde Taschenbücher nie kaufen …) mag ja schön und gut sein — aber das geht doch dermaßen offensichtlich zu weit. Schließlich gibt es mehr als genug Haushalte, in denen gar kein Buch steht (ja! und das sind nicht wenige!), von den Bänden des dtv ganz zu schweigen. So toll sind die ja schließlich auch nicht, bei aller Liebe … Mir scheint — aber das ist nur persönliche Wahrnehmung — deren Hochzeit eher die 1970er, vielleicht noch die 80er Jahre gewesen zu sein. Inzwischen ist der Verlag zwar nicht belanglos, aber schon länger nicht mehr von dieser überragenden Bedeutung.
Hintermeiers Text geht dann entsprechend lobhudelnd und hochtrabend weiter — Informationen, die der Rede wert wären, finden sich allerdings wenige.
Einen Geistesverwandten hat er aber offenbar im Verleger/Geschäftsführer Wolfgang Balk gefunden. Der wird zitiert:
„Hand aufs Herz: Wirklichen Lesespaß macht das nicht, das kann mir niemand weismachen.“
Da fällt mir doch fast die Kinnlade aus dem Gelenk. Hat der Mann mal ein E‑Book-Lesegerät wie etwa den Kindle in der Hand gehabt und wirklich damit gelesen? Und dann ein dtv-Taschenbuch, am besten noch eines, das schon 10–20 Jahre alt ist? Das ist doch überhautp kein Vergleich, der Kindle schlägt die dtv-Taschenbücher um Längen. Da können die Umschläge noch so toll künstlerisch gestaltet sein2, das Papier ist oft schlecht, die Folierung der Umschläge löst sich, die Bindung ist unbefriedigend, der Buchsatz auch nicht immer perfekt. Und warum soll ich für Unterhaltungsliteratur, die ich in der Regel nicht oft und nicht intensiv lese, ein Buch in den Schrank stellen? Aber Hintermeier macht es sich in seinem Bildungsdünkel entsprechend einfach:
Die amerikanische Hausfrau, so hört man allenthalben, lese ihre Thriller schon auf iPad, Kindle und Konsorten.
Soso, diese amerikanische Hausfrau also, der Untergang der abendländischen Kutlur. Was soll das Ganze eigentlich? Selbstvergewisserung einer untergehenden Spezies?
Aus der beliebten Reihe “Verbreitete Missverständnisse”. Finde den Fehler:
Das sind so die Schlagworte, die hier in Rheinland-Pfalz gerade von den Bildungspolitikern (oder denen, die es gerne werden möchten) in die Diskussion geworfen werden. Und das Ergebnis ist schrecklich und schaurig. Man muss sich nur mal den Text der CDU-Seite, vertreten durch den Historiker Andreas Rödder (dessen Lehre ich auch schon mehr oder weniger genossen haben), anschauen: Das ist ein schlimmer Rückfall in Zeiten und Muster, die ich längst für erledigt hielt. Schon wenn man sich Wortwahl, Rhetorik und Argumentationsstruktur des Beitrages in der Rhein-Zeitung anschaut, wird jedem vernünftigen Menschen hoffentlich schlecht: Allen, die andere Ideen von Bildung vertreten als der CDU-“Experte”, wird wiederholt und penetrant “Ideologie” unterstellt und vorgeworfen. Natürlich garniert mit dem bösen, bösen Wort “Einheitsschule” (wenn ich mich recht entsinne, versucht das ja auch auf die Schule der DDR anzuspielen [aber damit kann ichauch irren]). Rödder benötigt sowieso den meisten Raum seiner Ausführungen dazu, den SPD-Politikern Versagen, Unehrlichkeit (“durch die Hintertür”) und Fehler vorzuwerfen. Was er dem entgegensetzen will, bleibt dann — um es höflich auszudrücken — blass. Viel mehr als “Leistung” steht da nicht. Die wird vor allem und bevorzugt mit dem Gymnasium in Verbindung gebracht, das wieder zur Elitenschule vergangener Jahrhunderte werden soll. Und solche kuschelpädagogischen Konzepte (das Wort fällt nicht, ist aber ziemlich offensichtlich mitgedacht) wie Binnendifferenzierung oder individuelle Beurteilungsmaßstäbe oder — Gott behüte — die Ersetzung der numerischen Zensuren durch verbale (schriftliche) Beurteilungen über die zweite Klasse hinaus werden — übrigens so ziemlich komplett gegen den in diesen Belangen relativ eindeutigen bildungswissenschaftlichen Erkenntnisstand — als böse, ungenügend und vor allem die angebetete Leistung ver-/behindernd dargestellt. Auf so einen Blödsinn muss man auch erst einmal kommen.
Wie eigentlich immer bei den Leistungsapologeten spielt auch nur die Spitze eine Rolle [wäre man böse, könnte man einfügen: der Autor hat es dahin ja auch nicht geschafft, sondern ist an so einer mittelmäßigen Universität wie der Mainzer hängen geblieben], was mit den anderen — im Gymnasium selbst und vor allem außerhalb bzw. hier eben deutlich unterhalb dessen — passieen soll, das ist keiner Überlegung wert. Warum auch, die haben ja einfach nicht genug geleistet …
Bei Doris Ahnen von der SPD kommen immerhin solche Prinzipien wie “Vielfalt” und “soziale Gerechtigkeit” als Leitfäden einer Bildungspolitik, die nicht nur in die Geschichte schaut, sondern sich bemüht, auf die Änderungen und Herausforderungen der Gegenwart zumindest einmal zu reagieren (wenn nicht sogar gestaltend einzugreifen), vor. Dass Ahnen auch nur wenig konkrete Projekte und Ziele nennt, sondern vor allem die Erfolge der letzten Jahre heranzitiert, bleibt freilich auch enttäuschend. Aber immerhin, interessnt ist es schon, dass ausgerechnet jetzt, nachdem in den letzten Jahren eigentlich etwas Entspannung in die aufgeladene Bildungs- und Schuldiskussion geraten war, das wieder so stark auf die alten Gegensätze polarisiert wird. Ob es dem Gegenstand gut tut? Ich bezweifle es …