Siebenbürgen ist nicht gerade ein Zentrum deutscher Kirchenmusik. Genauer gesagt, ist es eher ein Zentrum von gar nichts. Manchmal sind aber die Ränder durchaus interessanter als die Mitte. Etwa, wenn dort bestimmte Traditionen überleben, wie zum Beispiel die über lange Zeit weitergegebenen lokalen Passionsmusiken. Das sollte man wissen, wenn man sich die „Siebenbürgische Passionsmusik“ für Chor, Solisten und Orgel von Hans Peter Türk anhört. Denn Türk ist ein siebenbürgischer Komponist.
Eine neue Matthäus-Passion also, als Fortführung noch erhaltener Bräuche – aber dennoch überhaupt nicht bloß bewahrend, sondern eben weiterführend. Denn Türk ist zwar kein Avantgardist, aber doch – trotz seiner geographischen Randlage – als Kompositionsprofessor ein Kenner der Entwicklungen und Techniken in der Musik. Und zwar nicht nur der Musik der letzten Jahre. Denn seine „Siebenbürgische Passionsmusik“ bedient sich bei Formen und Techniken aus eigentlich der ganzen abendländischen Musikgeschichte. Das führt zu einigen eigenartigen und bemerkenswerten Ergebnissen, die die Einspielung mit der Meißner Kantorei 1961 unter Christfried Brödel und mit Ursula Philippi an der Orgel eindrücklich vorführt.
Denn wie immer, wenn sich Bekanntes mit Fremdem, Vertrautes mit Exotischem mischt, entdeckt man reilich Neues und Interessantes – in Beidem. Der Text bleibt ganz auf vertrautem Boden, in der Musik entwickelt der 1940 geborene Siebenbürge aber einen eigenen Ton. Dabei vertraut Türk auf die Worte – und zwar sehr stark. Daraus und damit entwickelt er eine Musik, die sich dem Hörer unmittelbar unmitteilt. Und sie zeigt deutlich: Hier geht es nicht darum, um jeden Preis außergewöhnliche Musik zu finden. Türk strebt offenbar viel mehr danach, der Passionserzählung ein zeitgemäßes musikalisches Gewand zu geben, sie aber zuallererst als Erzählung zu verstehen. Und das kann dann eben auch heißen, sich als Komponist extrem zurückzunehmen. Auch in dieser konzentrierten Form, mit wenigen Einwürfen, behutsam untermalenden Tönen der Orgel etwa gelingt es ihm ohne Weiteres, starke Kontraste und nahegehende Stimmungen zu vermitteln, spannende Rezitative zu schreiben, die natürlich und kunstvoll zugleich wirken. Und vor allem hochgradig einfühlsame, intensiv vibrierende Choräle, die den wahren Kern dieser Passionsmusik bilden.
Das ist dann in der Summe eine durchaus moderne Musik, die verständlich und unbedingt zugänglich auch für Nicht-Kenner der zeitgenössischen Musik ist. Und eigentlich sogar für deren Verächter zu ertragen. Gut funktionierende Kirchenmusik also.
Hans Peter Türk: Siebenbürgische Passionsmusik für den Karfreitag nach dem Evangelisten Matthäus für Chor, Solisten und Orgel. Ursula Philippi, Orgel. Meißner Kantorei 1961, Christfried Brödel. Musikproduktion Dabringhaus und Grimm 2009. MDG 902 1554–6.
(geschrieben für die neue chorzeit)
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