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Schlagwort: festival

Tage Alter Musik Regensburg 2025

Eini­ge weni­ge sub­jek­ti­ve und unge­ord­ne­te An- und Bemer­kun­gen zu mei­nem Besuch der Tage Alter Musik (TAM) in Regens­burg in der vier­zigs­ten Aus­ga­be an Pfings­ten 2025.

  1. Das Fes­ti­val bot wie­der eine wun­der­ba­re Viel­falt im Pro­gramm zwi­schen gewal­tig-bom­bas­tisch-pom­pö­sen Prunk­mu­si­ken und inti­men Kammermusiksettings.
  2. Mei­ne Tage waren die­ses Mal sehr katholisch ;-).
  3. Es nerv­te micht erstaun­lich stark, wenn die ange­ge­be­ne Kon­zert­dau­er so über­haupt nicht stimm­te. Ich war in eini­gen Kon­zer­ten, bei denen die Musiker*innen deut­lich über­zo­gen. Eigent­lich ist das ja zunächst mal über­haupt nicht schlimm, irgend­wie hat es mich – und auch eini­ge ande­re, mit denen ich sprach – doch ein wenig ver­stimmt. Ver­mut­lich, weil die Erwar­tungs­hal­tung dann ein­fach nicht mehr pass­te. Meis­tens war das ja auch nicht wild: 90 Minu­ten statt 70 sind ja kein Welt­un­ter­gang (son­dern mehr gute Musik!). Am Sams­tag Abend, bei Solomon’s Knot, war mit 2,5 Stun­den der Bogen aller­dings deut­lich überspannt.
  4. Die klei­ne­ren, unschein­ba­re­ren Pro­gram­me haben mir die­ses Mal durch die Bank deut­lich bes­ser gefal­len als die ganz „gro­ßen“ Acts.
  5. Vie­le Pro­gram­me spie­len mit oder ver­su­chen zumin­dest eine irgend­wie his­to­ri­sche Über­hö­hung der Musik: Ver­bo­ten, ver­ges­sen, ver­hin­dert, ver­steckt, – und dann ein­ma­lig und ganz beson­ders in der Wie­der­auf­le­bung und so wei­ter. Das wird durch die musi­ka­li­sche Sub­stanz aus mei­ner Per­spek­ti­ve nicht immer wirk­lich gedeckt, kann man aber als Wer­be­maß­nah­me auch getrost ein­fach ignorieren.
  6. His­to­ri­sche Räu­me haben oft erstaun­lich unbe­que­me Sitz­ge­le­gen­hei­ten, Bän­ke und Stüh­le glei­cher­ma­ßen. Die Kir­chen­bän­ke der Drei­ei­nig­keits­kir­che aus dem 17. Jahr­hun­dert ste­chen da beson­ders heraus.
  7. Drei Nacht­kon­zer­te hin­ter­ein­an­der mit Beginn jeweils um 22.45 Uhr sind für mich, der ich um die­se Zeit nor­ma­ler­wei­se schon schla­fe, doch anstrengend.
  8. Die Orga­ni­sa­ti­on der TAM ist sehr sou­ve­rän, die haben das alles per­fekt im Griff. Kein Wun­der, das war ja auch schon das vier­zigs­te Mal.
  9. Das Pro­gramm­heft mit 160 Sei­ten im A4-For­mat ist für mich etwas unprak­tisch und unhand­lich. Ich hät­te mir eine pdf-Ver­si­on gewünscht. Und bei so eini­gen Pro­gram­mein­füh­run­gen ein biss­chen mehr Tief­gang in ana­ly­ti­scher und musik­ge­schicht­li­cher Hin­sicht. Ich bin mir recht sicher, das Publi­kum der TAM wür­de das ver­kraf­ten. Und: Ich habe irgend­wie im Gedächt­nis, das frü­her die Pro­gramm­fol­ge auch ohne das offi­zi­el­le Pro­gramm (auf der Web­site?) zugäng­lich war. Die am Ein­gang jeweils aus­ge­teil­ten gesun­ge­nen Tex­te sind aber eine gro­ße Hilfe.
  10. Das/​Der Hathor Cons­ort mit den Sopra­nis­tin­nen Doro­thee Mields und Han­na Blaží­ko­vá mit einer Aus­wahl von Bar­ba­ra Stroz­zi, eine der weni­gen Kom­po­nis­tin­nen der Alten Musik, war ein wun­der­ba­rer Auf­takt für mich im ers­ten Nacht­kon­zert am Frei­tag. Das war ein stim­mi­ges Pro­gramm mit guter Dra­ma­tur­gie, prä­zi­se, leben­dig und sehr far­big gesun­gen war das eine gro­ße Freu­de mit (mir) unbe­kann­ter Musik.
  11. Sams­tag Nacht, im zwei­ten Nacht­kon­zert, fei­er­te der Ten­ebrae Choir Pal­estri­nas 500. Geburts­tag mit sei­ne Mis­sa Viri Gali­laei im Mit­tel­punkt. Ein sehr schö­nes und aus­ge­wo­ge­nes Pro­gramm, in dem der wun­der­bar into­nie­ren­de Ten­ebrae Choir in der schö­nen früh­go­ti­schen St. Bla­si­us kla­re Lini­en in gelas­se­ner Ruhe und klang­li­cher Schön­heit ent­fal­te­te – ein ruhi­ger, fast medi­ta­ti­ver Abschluss des Tages.
  12. Für das drit­te Nacht­kon­zert luden Cap­pel­la Pra­ten­sis und das mir schon von frü­her als famos bekann­te Soll­az­zo Ensem­ble ins Brau­haus am Schloss. Nun­ja, das Set­ting war zwar von der Idee her pas­send und nahe­lie­gend: Das Pro­gramm war eine Rekon­struk­ti­on des „Schwa­nen­mahls“ der Mari­en­gil­de in ’s‑Hertogenbosch. Aber mich hat das ein wenig gestört. Der Raum war arg über­be­legt, es war schon im Nor­mal­zu­stand kaum ein Durch­kom­men zwi­schen den Tischen. Was hier pas­siert wäre bei einem Unglück mag ich mir kaum aus­ma­len, zumal auch der ein­zi­ge Not­aus­gang mit einem Tisch zuge­stellt war (die gan­ze Bele­gung kann mei­nes Erach­tens feu­er­po­li­zei­lich nicht geneh­mi­gungs­fä­hig gewe­sen sein). Die Bedie­nun­gen haben trotz anders­lau­ten­der Ankün­di­gung im Pro­gramm noch die ers­ten 15 Minu­ten des Kon­zer­tes (das es ja doch war und auch sein soll­te!) bedient, das war sehr stö­rend. Aber die Musik! Die fünf Män­ner der Cap­pel­la Pra­ten­sis san­gen Mess­tei­le, direkt aus Fak­si­mi­les der ori­gi­na­len Quel­len (und nicht aus moder­nen Tran­skrip­tio­nen). Das heißt ja auch, dass sie alle aus einem Exem­plar san­gen, sich also dort her­um ver­sam­meln. Und das setzt natür­lich vor­aus, dass alle die his­to­ri­schen Nota­tio­nen (die ja nach heu­ti­gen Stan­dards eher rudi­men­tär sind und viel Zusatz­wis­sen um die kor­rek­te Les­art erfor­dern) genau­so beherr­schen wie die Umset­zung in Klang. Ich weiß nicht, ob das wirk­lich einen ent­schei­den­den Unter­schied macht, aber sie beherr­schen die Kunst und ihre rei­nen Stim­men auf jeden Fall bis ins letz­te Detail. Das war wirk­lich fas­zi­nie­rend in jedem Augen­blick und jedem Detail. Und zusam­men mit dem Soll­az­zo Ensem­ble erge­ben sich noch zusätz­li­che wun­der­ba­re Farb­kom­bi­na­tio­nen, die auch sehr inten­siv und direkt mit­ein­an­der agie­ren. Das gilt natür­lich gnaz beson­ders, wenn sie so etwas wie Scherz­cou­plets mit schlüpf­ri­gen Andeu­tun­gen auf­füh­ren. Ein wirk­lich wun­der­ba­rer Aus­flug ins 15. und 16. Jahr­hun­dert, der mich sehr entzückte!
  13. Mei­ne Skep­sis gegen­über Rekon­struk­tio­nen ver­lo­ren gegan­ge­ner Musik hat sich zumin­dest teil­wei­se bestä­tigt. Schon im letz­ten Jahr hat­te mich die Bach-Rekon­struk­ti­on nur halb über­zeugt, in die­sem Jahr gar nicht: Für Solomon’s Knot hat Chad Kel­ley die Trau­er­mu­sik Bachs für Leo­pold von Köthen, sei­nen ehe­ma­li­gen Dienst­her­ren, rekon­stru­iert oder neu geschrie­ben. Über­lie­fert ist nur das Libret­to von Pican­der und der Hin­weis, dass Bach für die Trau­er­mu­sik (unter ande­rem) aus der Mat­thä­us­pas­si­on par­odiert hat. Das war ja gän­gi­ge Pra­xis und gibt heu­ti­gen Spe­zia­lis­ten viel Mög­lich­keit, Pseu­do-Bach neu zu schrei­ben. Ob es dann tat­säch­lich so klang, ist in der Regel rei­ne Spe­ku­la­ti­on – was genau er und vor allem wie par­odiert hät­te, ist ja gera­de nicht bekannt. Jeden­falls hat die Köthe­ner Trau­er­mu­sik also eini­ge Hits aus der Mat­thä­us­pas­si­on. Da kann man lus­ti­ges Erken­nen spie­len. Aber der Text ist halt doch rein situa­ti­ons­be­zo­gen, weist eigent­lich nie wirk­lich über den kon­kre­ten Anlass, das Begräb­nis des Fürs­ten, hin­aus, tran­szen­diert das also über­haupt nicht vom kon­kre­ten Trau­er­fall in all­ge­mei­ne­re Ideen, Glau­bens­sät­ze oder Inhal­te zu Tod oder Trau­er. Die Kom­bi­na­ti­on dann, also rein situa­ti­ver Text mit Musik, die aus ande­ren Kon­tex­ten sehr gut bekannt ist, mach­te das Werk für mich weit­ge­hend unin­ter­es­sant (zumal das auch noch recht umfang­reich war). Obwohl Solomon’s Knot das aus­ge­spro­chen groß­ar­tig musi­ziert haben! Die vor­an­ge­stell­te Trau­er-Ode fand ich wesent­lich inten­si­ver, fas­zi­nie­ren­der und berührender.
  14. Musi­ka­li­sche Wit­ze kön­nen auch ner­vend wer­den. Das ita­lie­ni­sche Ensem­ble Zefi­ro unter dem Obo­is­ten Alfre­do Ber­nar­di­ni hat ein Pro­gram „Fol­lia“ prä­sen­tiert, das mir ein wenig arg auf die komi­sche und wit­zi­ge Vari­an­te hin­aus­lief, die – vor allem in der wie­der­hol­ten Kom­bi­na­ti­on – dann doch etwas platt geriet. Viel­leicht bin ich dafür aber nur zu sau­er­töp­fisch, die Musiker*innen selbst und das Publi­kum schie­nen viel Spaß zu haben …
  15. Immer wie­der aber groß­ar­tig die Ensem­bles, die sich mit viel Ein­satz und Genau­ig­keit der Musik und ihren Pro­gramm ver­schrie­ben. The Beggar’s Ensem­ble mit/​unter Augus­tin Luss­on prä­sen­tie­ren „Meis­ter des fran­zö­si­schen Barocks“ – Orches­ter­stü­cke von Rameau und Vio­lin­kon­zer­te von Jean-Marie Leclair und Joseph Bodin die Bois­mor­tier. Das war nicht nur (gera­de in den Kon­zer­ten) hoch­vir­tu­os, son­dern vor allem aus­ge­spro­chen far­big, obwohl ein rei­nes Strei­cher­en­sem­ble. Aber die Pla­si­zi­tät und Aus­drucks­kraft, die The Beggar’s Ensem­ble aus ihrem Pro­gram her­aus­hol­ten, hat mich durch­weg begeis­tert. Grandios.
  16. Wirk­lich schön auch das Pro­gramm „Il Con­cer­to Segre­to“ von La Néré­i­de. Mit drei Sopra­nis­tin­nen und eher zurück­hal­ten­der (und klein besetz­ter) Beglei­tung führ­ten sie eine schö­ne Aus­wahl der Madri­ga­le von Luz­zas­co Luzaa­schi und Kol­le­gen aus Ita­li­en kurz vor 1600 auf. Das war mir ein völ­lig unbe­kann­tes Reper­toire, das die Mino­ri­ten­kir­che aber schön, fein­sin­nig und im durch­aus vir­tuo­sen Gesang auch sehr klang­sin­nig füll­te. Zum Glück stör­te das Mar­tins­horn erst beim Ende der zwei­ten Zugabe.
  17. Nicht alle Aus­gra­bun­gen sind beson­ders zwin­gend. Xenia Löff­ler und die Batz­dor­fer Hof­ka­pel­le haben sich in der Biblio­thek der Thurn-und-Taxi’schen Hof­ka­pel­le umge­se­hen und eine Aus­wahl sin­fo­ni­scher Musik mit beson­de­rer Berück­sich­ti­gung der Obo­en in St. Emer­am auf­ge­führt (also fast am his­to­ri­schen Ort der Urauf­füh­rung im Schloss Thurn und Taxis). Ins­be­son­de­re Theo­do­re von Schachts Con­cer­tan­te mit 3 Obo­en ist in Bezug auf die ver­lang­te und hier tadel­los vor­ge­führ­te Viruo­si­tät durch­aus bein­dru­ckend. Sowohl Haydns „Schulmeister“-Sinfonie als auch die Sin­fo­nia von Johann Gott­lieb Graun waren für mich nun aber kei­ne unbe­dingt zwin­gen­de Ausgrabungen.
  18. Immer wie­der wahr: Begeis­te­rung und Hin­ga­be der Aus­füh­ren­den erzeugt fast zwangs­läu­fig Begeis­te­rung auch beim Publikum.
  19. Das Prunk­pro­gramm „Sple­ndor Aus­triae“ von Ars Anti­qua Aus­tria und den St. Flo­ria­ner Sän­ger­kna­ben unter Gunar Letz­bor mit Mes­sen und ande­ren geist­li­chen Wer­ken von Bene­dikt Auf­schnai­ter und Hein­rich Ignaz Franz Biber hat mich nur teil­wei­se begeis­tert. Gera­de die 32-stim­mi­ge Ves­per­ae von Biber konn­te sich für mich nicht so recht ent­fal­ten, da ging mir zu viel ver­lo­ren – was viel­leicht auch an mei­nem Platz auf der Empo­re lag. Das war kei­nes­falls schlecht, son­dern in der Ernst­haf­tig­keit durch­aus auch beein­dru­ckend (auch wenn Letz­bor mir ein wenig zu sehr Ram­pen­sau war), hat mich aber jen­seits der tech­ni­schen Exe­ku­ti­on nicht so recht berührt oder erreicht.
  20. Die dies­jäh­ri­gen TAM hat­ten einen sehr spek­ta­ku­lä­re Schluss mit Le Con­cert Spi­ri­tuel, die unter Her­vé Niquet die Rekon­struk­ti­on der musi­ka­li­schen Tei­le einer Fest­mes­se in den schö­nen Raum von St. Bla­si­us brach­ten. Fünf jeweils acht­stim­mi­ge Chö­re (also 40 Sän­ge­rin­nen und Sän­ger) und ein blä­ser­las­ti­ges Instru­men­tal­ensem­ble füll­ten die Kir­che mit sehr erha­be­nen und erhe­ben­den Klän­gen. Schon die Ein­gangs­pro­zes­si­on der Musiker*innen mit einem gre­go­ria­ni­schen Cho­ral und dann auch der gan­ze Rest ver­mit­telt mehr als eine Andeu­tung des­sen, was die Florentiner*innen bei einer Mes­se zum Johan­nis­fest um 1560 gehört haben könn­ten. Im Detail ging für mich im hin­te­ren Drit­tel des Publi­kums aber viel ver­lo­ren, die Mehr­chö­rig­keit war dort nur noch andeu­tungs­wei­se wirk­lich zu erle­ben.
    Das ist ja ein gene­rel­les Pro­blem die­ser oft extrem artis­tisch aus­ge­feil­ten Musi­ken, sei es in ita­lie­ni­schen Städ­ten oder in Kir­chen des Reichs. Das ist oft an sehr bestimm­te archi­tek­to­ni­sche und akus­ti­sche Gele­gen­h­ei­en gebun­den (das Mus­ter­bei­spiel ist natür­lich S. Mar­cus in Vene­dig mit sei­nen meh­re­ren Empo­ren) und lässt sich so heu­te kaum ent­spre­chend rekon­stru­ie­ren. Zumal auch schon unter ori­gi­na­len Gege­ben­hei­ten das natür­lich nur für ver­hält­nis­mä­ßig weni­ge genau so wie inten­diert erfahr­bar war. Es bleibt aber im Ide­al­fall doch genü­gend gro­ße und groß­ar­ti­ge Musik, die auch unter sub­op­ti­ma­len Hör­be­din­gun­gen berüh­ren und gefal­len kann. Und das gelang Le Con­cert Spi­ri­tuel definitiv.

Ins Netz gegangen (13.11.)

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  • „Geburt der Gegen­wart“: Wenn der Mond den Fri­seur­ter­min bestimmt | Ber­li­ner Zei­tung – stef­fen mar­tus hat achim land­wehrs „geburt der gegen­wart“ gelesen:

    Der Düs­sel­dor­fer His­to­ri­ker Achim Land­wehr geht die­sen Fra­gen bis in jene Epo­che nach, als die Kalen­der die Welt erober­ten. Die Vor­ge­schich­te unse­rer zeit­li­chen Ver­stri­ckung in Ter­mi­ne und Daten ist dabei nur ein Bei­spiel für jene „Geburt der Gegen­wart“, von der er anschau­lich, anek­do­ten­reich und klug erzählt: In der Frü­hen Neu­zeit büß­te die Ver­gan­gen­heit in bestimm­ten Berei­chen ihre Auto­ri­tät ein, wäh­rend die Zukunft noch nicht als Objekt mensch­li­cher Ver­fü­gung wirk­te. In einer Art Zwi­schen­pha­se dehn­te sich die Gegen­wart als „Mög­lich­keits­raum“ aus und bahn­te damit jenes Zeit­re­gime an, dem wir heu­te unterstehen.

  • Lite­ra­tur­de­bat­te : Der Buch­preis ist kei­ne Geschlechts­um­wand­lung wert – Lite­ra­ri­sche Welt – DIE WELT – mar­le­ne stre­eru­witz über den buch­preis und sei­ne struk­tu­ren und funktionen:

    Aber. Der Deut­sche Buch­preis ist das fröh­lichs­te Bei­spiel, wie die qua­si­re­li­giö­se Ein­deu­tig­keit eines Mar­ke­ting­in­stru­ments her­ge­stellt wird. In einer kon­stru­ie­ren­den Vor­gangs­wei­se wird der Bör­sen­ver­ein selbst zum Autor der Ver­mark­tung der Autoren und Autorin­nen im Deut­schen Buchpreis.

    Das alles erfolgt im Archil­e­xem (der Ver­wen­dung der männ­li­chen Form der Bezeich­nung, unter der die weib­li­che Form mit­ge­meint ist): In den Aus­sen­dun­gen des Bör­sen­ver­eins gibt es nur Autoren und kei­ne Autorin­nen. Auch das gehört zur Stra­te­gie der Ein­deu­tig­keit. Es gibt kei­ne Geschlech­ter­dif­fe­renz, sagen sol­che For­mu­lie­run­gen. Stellt euch unter die männ­li­che Form und lasst dif­fe­ren­zie­ren­de Kin­ker­litz­chen wie die geschlech­ter­ge­rech­te Spra­che sein. Nur in ein­deu­ti­gen For­mu­lie­run­gen gelingt ein umfas­sen­des Spre­chen, in dem Bücher ver­kauft wer­den kön­nen. Popu­lis­mus wird nicht nur in Kauf genom­men. Popu­lis­mus ist erwünscht.

  • Ste­fan Nig­ge­mei­er | Neu­es von Wert­her: Sui­zid-Häu­fung nach brei­ter Sui­zid-Bericht­erstat­tung – nig­ge­mei­er berich­tet über eine ame­ri­ka­ni­sche stu­die, die indi­zi­en für den wert­her-effekt beob­ach­ten konnte:

    Selbst­mord ist anste­ckend. Bericht­erstat­tung über Sui­zi­de erhöht die Zahl der Sui­zi­de. Eine neue Stu­die aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten lie­fert wei­te­re Indi­zi­en dafür, dass die­ser soge­nann­te „Wert­her-Effekt“ tat­säch­lich existiert. 

  • Algo­rith­men: Fer­gu­son zer­split­tert in den sozia­len Netz­wer­ken | ZEIT ONLINE – gün­ter hack:

    Der der­zei­ti­ge Umgang mit der algo­rith­mi­schen Per­so­na­li­sie­rung ist die Voll­endung des Neo­li­be­ra­lis­mus auf Ebe­ne der öffent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wenn du etwas nicht gese­hen hast, dann bist du selbst Schuld, weil du den Algo­rith­mus von Face­book ent­spre­chend trai­niert hast oder dir die Pro­fi-Ver­si­on mit dem bes­se­ren Zugang zu den Daten nicht leis­ten kannst.

  • Inter­view mit Hei­ner Goeb­bels, dem Inten­dan­ten der Ruhr­tri­en­na­le | Lesen was klü­ger macht – hol­ger pau­ler befragt hei­ner goeb­bels zu sei­nen erfah­run­gen in und mit der ruhr­tri­en­na­le und vor allem der „frei­en sze­ne“ (und am schluss auch zu „cas­si­ber“). hei­ner goebbels:

    In Deutsch­land gibt es für eine bestimm­te Liga von frei­en Künst­le­rin­nen und Künst­lern kaum Pro­duk­ti­ons­spiel­räu­me. Es gibt zwar ein welt­weit ein­zig­ar­ti­ges Thea­ter­sys­tem, das ist aller­dings einer gewis­sen Mono­kul­tur ver­pflich­tet, die sich auf das Opern‑, Schauspiel‑, oder Orches­ter­re­per­toire bezieht – dar­über hin­aus blei­ben weni­ge Mög­lich­kei­ten für freie Kunst. Die­se Lücke woll­te ich mit der Ruhr­tri­en­na­le zu schlie­ßen versuchen.

  • [AMA] Ich bin Ste­fan Nig­ge­mei­er. Fragt mich alles! : de_​IAmA
  • Intro­du­cing TapP­ath for Android – You­TubeIntro­du­cing TapP­ath for Android! – eine schö­ne klei­ne app, die das leben (und sur­fen) auf einem andro­iden ein­fa­cher und ange­neh­mer macht

Ins Netz gegangen (22.7.)

Ins Netz gegan­gen (22.7.):

  • 18 Tage in einer Welt ohne Mensch­lich­keit – Gesellschaft/​Leben – Im Reich des Todes Die gan­ze Welt schaut nach Kai­ro – zugleich fol­tern Bedui­nen auf der ägyp­ti­schen Sinai-Halb­in­sel Tau­sen­de afri­ka­ni­sche Migran­ten, um Löse­geld zu erpres­sen. Und gleich neben­an machen ahnungs­lo­se deut­sche Tou­ris­ten Urlaub. Unter­wegs durch eine Regi­on, in der kri­mi­nel­le Gewalt, Tou­ris­mus und Welt­po­li­tik nahe beieinanderliegen.
  • Fest­spiel-Infla­ti­on : Kommt der Som­mer, blüht die Fes­ti­vali­tis – DIE WELT – Manu­el Brug bringt es in der WELT auf den Punkt:

    Ohne den regu­lä­ren, hoch sub­ven­tio­nier­ten Betrieb, der die Künst­ler her­an­züch­tet, die Kol­lek­ti­ve unter­hält, gäbe es kei­ne Fes­ti­valsai­son. Eine Insti­tu­ti­on wie das Fest­spiel­haus Baden-Baden wird zwar direkt kaum sub­ven­tio­niert, aber sei­ne Star­vio­li­nis­tin­nen und Sopran­pri­ma­don­nen sind anders­wo groß gewor­den. Hier schöp­fen sie nur in meist risi­ko­lo­sen Pro­gram­men den Rahm ihrer Exis­tenz ab.

  • Fefes Blog – „Die sind ja selbst zum Lügen zu däm­lich! Das ist doch die ein­zi­ge Kern­kom­pe­tenz, die Poli­ti­ker haben!“ >

Jazz oder so

Das bes­te kam mal wie­der zum Schluss. Das ist schon eine klei­ne Tra­di­ti­on bei den Main­zer Jazz­ta­gen, dass die beein­dru­ckends­ten Auf­trit­te erst wirk­lich spät am Abend begin­nen. Die Ver­an­stal­ter, die Betrei­ber der Main­zer Klang­raum-Stu­di­os, haben ja inzwi­schen schon Erfah­rung. Zum fünf­ten Mal rich­te­ten sie jetzt die Main­zer Jazz­ta­ge aus. Das Jazz im Titel darf man dabei getrost sehr, sehr weit fas­sen und ger­ne in Rich­tung Pop­mu­sik ausdehnen.

Auch bei der Eröff­nung der Jubi­lä­ums­auf­la­ge, wie immer in den gut beset­zen Räu­men der Show­büh­ne, waren die Pro­gramm­ma­cher groß­zü­gig: Was Til­mann Höhn da auf sei­nen Gitar­ren – er hat gleich vier davon in den Hän­den – fri­ckel­te, kann man nach allen bekann­ten Kri­te­ri­en nun wirk­lich nicht mehr Jazz nen­nen. Gut war es trotz­dem, und das Publi­kum lausch­te auch den fein­sin­ni­gen Spie­le­rei­en, denen er bekann­te und belieb­te Pop­songs unter­zog, sehr aufmerksam.

Auch mit der voka­len Unter­stüt­zung von Mari­us Mertz änder­te sich dar­an wenig: „Songs we know“ haben sie ihr Pro­gramm genannt – und wür­de man nicht so andäch­tig lau­schen, könn­te man tat­säch­lich immer mit­sin­gen oder wenigs­tens mit­sum­men, wenn das Duo U2, James Tay­lor oder Mark Knopf­ler interpretiert.

Über­haupt die Spie­le­rei­en: Das ist viel­leicht das, was die Acts auch bei den fünf­ten Jazz­ta­gen am ehes­ten ver­bin­det: Die Lust, sich in den Details zu ver­lie­ren, hoff­nungs­los an jedem Klang­mo­ment her­um­zu­spie­len und zu bas­teln. Schon die Eröff­nung durch das Quar­tett „The Hip“, des­sen Name sich wirk­lich auf das Kör­per­teil und nicht auf irgend eine Hipp­ness bezieht, führ­te das vor. Im Kern spie­len die vier jun­gen Musik um Saxo­pho­nist Dani­el Gug­gen­heim soli­den Modern Jazz mit behut­sam noch­mals moder­ni­sier­te Stan­dards. Und das lebt eben vor allem von den Details: Den qur­ir­li­gen Fen­der Rho­des (Ulf Klei­ner), dem knal­len­den Schlag­zeug (Tobi­as Back­haus), den eif­ri­gen Saxo­phon­kas­ka­den und dem beru­hi­gend wum­mern­den Bass (Hanns Höhn). Gekonnt und prä­zi­se – aber etwas spar­sam mit dem Neuen.

Das kann man Kli­ma Kali­ma nicht unbe­dingt vor­wer­fen. Und des­halb waren sie auch ganz zu Recht am Schluss des Frei­tags zu hören, eigent­lich auch schon als Sams­tag­mor­gen­mu­sik: Die­ses Trio, benannt in Anleh­nung an sei­nen Lea­der und Gitar­ris­ten Kal­le Kali­ma, fetzt unbarm­he­zig und ohne Vor­war­nung los. Ihre typi­sche Ber­li­ner Mischung aus genau kom­po­nier­ten und inspi­riert impro­vi­sier­te Gebil­den greift ger­ne weit aus. Die spür­ba­re Kom­ple­xi­tät ist dabei immer gewollt. Trotz­dem bleibt die Musik von Kli­ma Kali­ma aber ganz stark bidlich – durch die Titel wird das noch unter­stri­chen: „Mexi­co City Dri­ve School“ heißt das, oder „Satur­day Night – Sun­day Mor­ning“: Eine wil­de, rau­schen­de Par­ty, der ver­schla­fe­nes und schlaf­trun­ke­nes Vaga­bun­die­ren folgt, prü­geln Oli­ver Steid­le am Schlag­zeug und Oli­ver Potratz (Kon­tra­bass) da aus sich her­aus – nicht nur eine „Son­ne aus Musik“, son­dern eigent­lich eine gan­ze Gala­xie, ein end­lo­ser Rei­gen an Bil­dern, Ideen, Bre­chun­gen und laby­rin­thi­schen Erkundungstouren.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zeitung.)

jazz oder was? die dritten jazztage des mainzer klangraums

zumin­dest der ers­te tag, beim zwei­ten abend konn­te ich lei­der nicht dabei sein. aber die ers­te hälf­te war schon ziem­lich an- & auf­re­gend – genau wie es das lin­e­up ver­hieß: tri­band, frau con­tra bass, dani­el stel­ter band etc.

hier mei­ne betrach­tun­gen für die main­zer rhein-zeitung:
Zwei Duos und zwei Quar­tet­te: Schon der Auf­takt der drit­ten Klang­raum-Jazz­ta­ge Mainz bot ein reich­hal­ti­ges Pro­gramm: Mit Blue Snow, Frau­Con­tra­Bass, Tri­band und der Dani­el-Stel­ter-Band war das Pro­gramm nicht nur gut voll­ge­packt, son­dern auch sehr unter­schied­lich bestückt. Und eini­ge Bekann­te waren ja auch dabei, zusam­men mit den neu­en Gesich­tern beim aus­ver­kauf­ten ers­ten Tag in der Show­büh­ne. Die Ver­an­stal­ter vom Klang­raum-Stu­dio freut der wach­sen­de Zuspruch, die am am Ein­gang ver­geb­lich noch um Ein­lass bit­ten­den ver­mut­lich weni­ger. Ddenn sie ver­pass­ten wirk­lich eini­ges. Nach dem lei­sen, fein­sin­nig-ver­spon­nen Auf­takt von Blue Snow, dem schwei­ze­ri­schen Per­cus­sio­nis­ten-Duo, das mit Marim­ba­phon, Vibra­phon und auch auf dem umfunk­tio­nier­ten Ikea-Tisch Rhyth­men aller mög­li­chen Her­künf­te ganz ohne schwei­zer Gemüt­lich­keit misch­te, war es aber mit der Ruhe und Gelas­sen­heit ganz schnell vorbei.
Frau­Con­tra­Bass, das ande­re Duo, erfreu­ten schon im letz­ten Jahr bei den Jazz­ta­gen. Auch jetzt hat­ten Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn wie­der viel lau­ni­ge Musik dabei. Mit Stevie Won­der, Jami­ro­quai und vie­len ande­ren wid­men die bei­den sich der Lie­be – der kör­per­li­chen und der pla­to­ni­schen, der erfüll­ten und der ver­sag­ten. Trotz der Reduk­ti­on des musi­ka­li­schen Mate­ri­als erzeu­gen sie groß­ar­ti­ge Effek­te: Höhn schram­melt, zupft, klopft und reibt an allen Ecken und Enden sei­nes Kon­tra­bas­ses, Debus lässt ihre kräf­ti­ge, vol­le Stim­me röh­ren, scat­ten und schmeicheln.
Auch die Dani­el-Stel­ter-Band, die zum Schluss, gegen Mit­ter­nacht, als das Publi­kum schon anfing zu schwä­cheln, der Show­büh­ne ein­heiz­te, war im letz­ten Jahr schon zu Gast. Und immer noch schei­nen die vier Män­ner über uner­schöpf­li­che Ener­gie­re­ser­voirs zu ver­fü­gen. Die Rhyth­mus­grup­pe ist zwar per­so­nal­iden­tisch mit der von Tri­band. Aber mit Ulf Klei­ner an den Fen­der-Rho­des und Dani­el Stel­ters sowie sei­ner E‑Gitarre wird das ganz anders: Die druck­vol­len, kna­ckig dröh­nen­den Groo­ves wer­den mit dem Mut und der Kraft zu ganz schlich­ten, betö­ren­den Melo­dien gro­ßer Prä­gnanz kon­fron­tiert und ergänzt. Egal, ob als Hom­mage an einen Hip­Hop­per oder in der trau­ri­gen Geschich­te eines unter­ge­hen­den Papier­böt­chens: Alles über­flüs­si­ge wird gna­den­los ent­sorgt, auf der Suche nach dem Opti­mum ihrer Musik ist das Quar­tett schon ziem­lich nah am Ziel.
Damit knüp­fen sie nicht nur per­so­nell an Tri­band an. Auch die machen nicht ger­ne vie­le unnö­ti­ge Wor­te und Töne. Aber sie sind exal­tier­ter, expe­ri­men­tier­freu­di­ger. Ihre Mischung aus Pop, Jazz, Funk und einem reich­li­chen Schuss Soul ist dabei aber auch wun­der­bar aus­ge­feilt. Und live noch bes­ser als im Stu­dio: Noch prä­zi­ser in den Stim­mun­gen, noch genau­er und auch noch kon­zen­trier­ter, noch – was man kaum glau­ben mag – ein biss­chen mehr ent­schlackt und zugleich gna­den­los fokus­siert. Die­se Stren­ge, gepaart mit der unbän­di­gen Freu­de – die Musi­ker schei­nen oft noch mehr Spaß zu haben als das auch schon begeis­ter­te Publi­kum – das ist so zwin­gend, so unbarm­her­zig rich­tig – und so wun­der­bar gut.
Und es ist eine herr­li­che Ergän­zung für die Jazz­ta­ge und passt genau in deren Pro­fil. Nach dem ers­ten Abend war ja noch nicht Schluss: Am Sams­tag ging es genau­so bunt und umfang­reich wei­ter – dies­mal mit der Phoe­nix-Foun­da­ti­on und Lars Reichow, mit dem akus­ti­schen Jazz von Spa­ni­ol 4, dem elek­tro­nisch abge­schmeck­ten Klän­gen von „2 fishes in the big big sea“ und den haus­ei­ge­nen Vibes.

oh, merry england!

Der arme Ste­ven Devi­ne. Der Cem­ba­list muss am Schluss einen ziem­lich stei­fen Hals gehabt haben. Denn mehr als in sei­ne Noten blick­te er beim Kon­zert in der Augus­ti­ner­kir­che zu sei­nen Ensem­ble­kol­le­gen von Lon­don Baro­que. Und dafür muss­te er stän­dig schrägt über sei­ne rech­te Schul­ter schau­en. Die Ver­ren­kun­gen haben sich aber gelohnt. Zumin­dest für das Publi­kum, das so Erst­klas­si­ges zu hören bekam.

Die per­ma­nen­te visu­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on des Quar­tetts, die nicht nur vom Cem­ba­lo aus­ging, son­dern den Gam­bis­ten Charles Med­lam genau­so ein­be­zog wie die bei­den Gei­ge­rin­nen Ingrid Sei­fert und Han­nah Med­lam, die­se stän­di­ge gegen­sei­ti­ge Kon­trol­le und Ver­ge­wis­se­rung der Gemein­sam­kei­ten führt zu einem star­ken, wun­der­bar kon­zen­trier­ten Klang­bild. Die Erfah­rung aus über drei­ßig Jah­ren gemein­sa­men Musi­zie­rens hilft da natür­lich auch noch. Jeden­falls gab es eini­ges zu sehen: Nicht nur auf­merk­sa­me, hell­wa­che und kom­mu­ni­ka­ti­ve Musi­ker, deren Bli­cke sich öfter kreuz­ten als ihre Melo­dien, son­dern auch ganz viel Bewe­gung: Da tanz­ten die Bögen mun­ter über die Sai­ten und die Fin­ger wir­bel­ten die Griff­bret­ter hoch und run­ter – Lan­ge­wei­le hat­te kei­ne Chan­ce in der Augustinerkirche.

Nur der Bach-Noten­band auf dem Pult vor Devi­ne blieb stum­mes, unbe­weg­li­ches Requi­sit – ganz der eng­li­schen Musik hat­ten die Lon­do­ner sich gewid­met. Natür­lich, wür­de man sagen, wüss­te man nicht, dass die Lon­do­ner auch ganz aus­ge­zeich­net deut­sche und ita­lie­ni­sche Barock­mu­sik spie­len kön­nen. Aber davon gab es die­ses Mal nur in der Zuga­be eine klit­ze­klei­ne Kostprobe.

Eng­li­sche Musik des 17. Jahr­hun­dert also – das ist vie­les, was kaum noch jemand wirk­lich kennt: Kam­mer­mu­sik von Kom­po­nis­ten wie John Jenk­ins, Chris­to­pher Simpson, Wil­liam Lawes oder Matthew Locke ist heu­te nicht mehr sehr ver­brei­tet. Zu ihrer Zeit waren das in und um Lon­don aber alles aus­ge­wie­se­ne, geschätz­te Meis­ter. Die For­men rei­chen von emp­find­sa­men Tanz­sät­zen – groß­ar­tig etwa das Cem­ba­lo­so­lo „A sad Pavan for the­se dis­trac­ted times“, in der Tho­mas Tom­kins die Wir­ren nach der Hin­rich­tung des Königs Charles in eine für das 17. Jahr­hun­dert extrem emo­tio­na­le Musik fasst – bis zur typi­schen eng­li­schen Gat­tung der Grounds. Von die­sen frei­en Varia­tio­nen über ein wie­der­hol­tes Bass­the­ma hat­te das Ensem­ble eini­ge dabei, etwa Chris­to­pher Simpsons “Ground Divi­si­ons“, die dem Gam­bis­ten Charles Med­lam viel Mög­lich­kei­ten gab, nicht nur sei­ne Fin­ger­fer­tig­keit, son­dern auch sei­nen Ein­falls­reich­tum vorzuführen.

Die abschlie­ßen­de Hän­del-Sona­te – in Eng­land gilt Geor­ge Fre­de­ric Han­del ja genau­so selbst­ver­ständ­lich als Eng­län­der wie hier als Deut­scher – aller­dings war dann nicht mehr ganz so typisch eng­lisch. Aber Lon­don Baro­que ist kosm­po­li­tisch genug, auch das zu meis­tern: Mit ihrer typi­schen Ein­füh­lungs­kraft und der wun­der­bar wach­sa­men, reak­ti­ons­freu­di­gen Gemein­sam­keit ihres ener­gi­schen Spiels mach­ten sie sich Hän­del genau­so zu eigen wie den Rest des Programms.

(gechrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fest­li­cher geht es kaum. Pas­sen­der aber auch nicht: Denn die fei­er­li­che Eröff­nung des Main­zer Musik­som­mers – der die­ses Jahr schon sei­nen zehn­ten Geburts­tag fei­ern kann – ver­bin­det sich im ers­ten Kon­zert mit einer inten­si­ven Wür­di­gung eines der dies­jäh­ri­gen Jubi­la­re der Musik­ge­schich­te. Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schaft diri­gier­te zum Auf­takt der dies­jäh­ri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­an­stal­te­ten Kon­zert­rei­he, näm­lich ein rei­nes Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „sei­nem“ Raum, dem Dom, natur­ge­mäß vor­wie­gend Kir­chen­mu­sik her­an­zog, ein glei­cher­ma­ßen reprä­sen­ta­ti­ves und abwechs­lungs­rei­ches. Denn neben dem Zen­trum, der Gro­ßen Orgel-Solo-Mes­se und dem „Te Deum Lau­da­mus“ noch zwei Orgel­kon­zer­te aus dem rei­chen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­las­sen hat.

Der Lim­bur­ger Orga­nist Mar­kus Eichen­laub meis­ter­te dabei auch die vir­tuo­sen Pas­sa­gen fast non­cha­lant, immer mit coo­lem under­state­ment und läs­si­ger Ele­ganz, die ihre Wir­kung vor allem aus der leicht dahin flie­gend, locker und ent­spannt wir­ken­den tech­ni­schen Prä­zi­si­on schöpf­te. Das Kur­pfäl­zi­sche Kam­mer­or­ches­ter ließ Breit­schaft etwas erdi­ger und stär­ker grun­diert beglei­ten. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lie­ber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamt­klang eingliederte.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungs­kon­zer­tes stand mit der gro­ßen und groß­ar­ti­gen Mes­se eine fröh­lich-über­schwäng­li­che Ver­to­nung des Ordi­na­ri­ums. Und Breit­schaft ließ kei­nen Zwei­fel an sei­ner Bereit­schaft, der Mes­se nicht nur Power ohne Ende mit­zu­ge­ben, son­dern auch stark kon­tras­tie­ren­de zar­te und inni­ge Momen­te. Und dann wie­der war die Mess­ver­to­nung sprit­zig-pul­sie­rend bis zur Gren­ze des Wahn­wit­zes. Aber es ging alles gut – der Dom­kam­mer­chor war bes­tens prä­pa­riert und ver­wöhn­te mit jugend­lich-fri­schem und schlan­ken Klang. Und die ver­sier­ten Solis­ten, neben der gewohnt sou­ve­rä­nen Janice Cres­well und der kla­ren Dia­na Schmid sowie dem zurück­hal­ten­den Bass Cle­mens Breit­schaft vor allem der cha­ris­ma­ti­sche und enga­gier­te Tenor Dani­el Jenz, lie­ßen auch kei­ne Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Dom­kap­pell­meis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wur­de dann so rasant und ener­gie­prot­zend, dass es fast einen Tick ange­be­risch wirk­te. Aber nur fast: Denn Breit­schaft blieb immer gera­de noch so kon­trol­liert und ziel­ge­rich­tet, dass das Te deum zu einer unwi­der­steh­li­chen Ver­füh­rung, einer sanf­ten, unmerk­li­chen Über­re­dung hin zu Glau­ben und Kir­che, wur­de. Dass so wun­der­schö­ne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­füh­rung – die schließ­lich durch­aus im Sin­ne Haydns ist – ger­ne durch­ge­hen. Und hofft, dass die rest­li­chen Kon­zer­te des Musik­som­mers genau­so vie­le Ver­hei­ßun­gen preis­ge­ben werden.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung.)

jazz im klangraum: jazztage mainz, tag 1

Beim ers­ten Mal hät­te es noch Glück sein kön­nen, beim zwei­ten Mal kann der Erfolg der Jazz­ta­ge Mainz kein Zufall mehr sein. Acht Bands in zwei Tagen ist eine Men­ge Musik, aber im „Klang­raum“, wie die Orga­ni­sa­to­ren sich nen­nen, ist Platz für vie­les. Musi­ka­li­sche Gren­zen sind hier längst auf­ge­ho­ben. So war es auch bei­lei­be kein rei­nes Jazz-Fes­ti­val, der Pop nahm auch gehö­ri­gen Raum ein.
Den Anfang mach­te das sehr relax­te „Diet­helm Duo“. Mit der Beset­zung Fen­der Rho­des und Saxo­phon spiel­ten sie ange­nehm ent­spann­te Kom­po­si­tio­nen mit unüber­hör­ba­ren Wur­zeln im West-Coast-Cool-Jazz. Ihre fein gewo­be­nen, durch­aus mal psy­che­de­lisch ange­hauch­ten klar struk­tu­rier­ten Songs glei­chen dabei Aus­flü­ge in ver­träum­te Gegenden.
Das Quar­tett um den Gitar­ris­ten Dani­el Stel­ter, dass die Büh­ne danach erober­te, führ­te in ganz ande­re Regio­nen. Denn sie heiz­ten unbarm­her­zig ein, als wür­den sie schon ewig zusam­men spie­len. Dabei waren die Jazz­ta­ge ihr ers­ter Live-Auf­tritt über­haupt, bis­her spiel­ten sie nur im Stu­dio zusam­men. Uner­bitt­lich groov­ten sie mit allen Mit­teln und ent­pupp­ten sich dabei als ech­te Klang-Extre­mis­ten. Vom ers­ten Ton jedes neu­en Stü­ckes an ver­folg­ten sie die Eska­la­ti­on ihres kna­cki­gen Sounds mit enor­mer Kon­se­quenz. Die Rasanz, mit der die­se Mischung aus Jazz, Fusi­on und har­tem Rock von einem Extrem ins ande­re kippt, war beein­dru­ckend. Genau­so wie die Sicher­heit, mit der die vier jun­gen Musi­ker das mit vol­lem Kör­per­ein­satz vom wip­pen­den Fuß bis zur exal­tier­ten Mimik umsetzten.
Frau­Con­tra­Bass ver­hieß dann erst ein­mal wie­der kam­mer­mu­si­ka­li­sche Ent­span­nung. Aber von wegen: Auch das Duo von Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn ließ kaum Luft zum Aus­ru­hen. Dafür hat­ten ja auch die reich­lich dimen­sio­nier­ten Umbau­pau­sen genü­gend Gele­gen­heit gege­ben. Auf die Idee muss man frei­lich erst ein­mal kom­men, mit Bass und Gesang aus­ge­such­te Per­len der Pop­ge­schich­te neu zu inter­pre­tie­ren. Stevie Won­der hat die­se artis­ti­sche Duo genau­so auf dem Pro­gramm wie Micha­el Jack­son oder Brit­ney Spears. Und weil Debus eine sehr wand­lungs­fä­hi­ge Sän­ge­rin auch ohne Text ist und Höhn sei­nen Kon­tra­bass auch mal zum Schlag­zeug ver­wan­delt, funk­tio­nier­te das wunderbar.
Funk­tio­nie­ren trifft auch die Vor­ge­hens­wei­se von „Trance Groo­ve“ sehr genau. Die sie­ben Musi­ker um den Schlag­zeu­ger Ste­fan Krach­ten groo­ven mit scham­lo­sem Ekkle­ti­zis­mus und gna­den­lo­ser guten Lau­ne seit über fünf­zehn Jah­ren durch Jazz, Rock und Funk. Und sie klin­gen immer noch frisch und unver­braucht, vol­ler Ideen und vor allem Spon­ta­nei­tät und ech­ter Kraft – auch in der Show­büh­ne Mainz. Ein wirk­lich mit­rei­ßen­der und fet­zi­ger Abschluss des Abends – für die Jazz­ta­ge Mainz aller­dings gera­de ein­mal die Halb­zeit, denn auch der Sams­tag war ja wie­der vol­ler Musik.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

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