Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: festival

Ins Netz gegangen (13.11.)

Ins Netz gegan­gen am 13.11.:

Ins Netz gegangen (21.8.)

Ins Netz gegan­gen am 21.8.:

  • “Geburt der Gegen­wart”: Wenn der Mond den Friseurter­min bes­timmt | Berlin­er Zeitung — stef­fen mar­tus hat achim landwehrs “geburt der gegen­wart” gele­sen:

    Der Düs­sel­dor­fer His­torik­er Achim Landwehr geht diesen Fra­gen bis in jene Epoche nach, als die Kalen­der die Welt eroberten. Die Vorgeschichte unser­er zeitlichen Ver­strick­ung in Ter­mine und Dat­en ist dabei nur ein Beispiel für jene „Geburt der Gegen­wart“, von der er anschaulich, anek­doten­re­ich und klug erzählt: In der Frühen Neuzeit büßte die Ver­gan­gen­heit in bes­timmten Bere­ichen ihre Autorität ein, während die Zukun­ft noch nicht als Objekt men­schlich­er Ver­fü­gung wirk­te. In ein­er Art Zwis­chen­phase dehnte sich die Gegen­wart als „Möglichkeit­sraum“ aus und bah­nte damit jenes Zeitregime an, dem wir heute unter­ste­hen.

  • Lit­er­atur­de­bat­te : Der Buch­preis ist keine Geschlecht­sumwand­lung wert — Lit­er­arische Welt — DIE WELT — mar­lene streeruwitz über den buch­preis und seine struk­turen und funk­tio­nen:

    Aber. Der Deutsche Buch­preis ist das fröh­lich­ste Beispiel, wie die qua­sire­ligiöse Ein­deutigkeit eines Mar­ketin­gin­stru­ments hergestellt wird. In ein­er kon­stru­ieren­den Vor­gangsweise wird der Börsen­vere­in selb­st zum Autor der Ver­mark­tung der Autoren und Autorin­nen im Deutschen Buch­preis.

    Das alles erfol­gt im Archilex­em (der Ver­wen­dung der männlichen Form der Beze­ich­nung, unter der die weib­liche Form mit­ge­meint ist): In den Aussendun­gen des Börsen­vere­ins gibt es nur Autoren und keine Autorin­nen. Auch das gehört zur Strate­gie der Ein­deutigkeit. Es gibt keine Geschlech­ter­dif­ferenz, sagen solche For­mulierun­gen. Stellt euch unter die männliche Form und lasst dif­feren­zierende Kinker­l­itzchen wie die geschlechterg­erechte Sprache sein. Nur in ein­deuti­gen For­mulierun­gen gelingt ein umfassendes Sprechen, in dem Büch­er verkauft wer­den kön­nen. Pop­ulis­mus wird nicht nur in Kauf genom­men. Pop­ulis­mus ist erwün­scht.

  • Ste­fan Nigge­meier | Neues von Werther: Suizid-Häu­fung nach bre­it­er Suizid-Berichter­stat­tung — nigge­meier berichtet über eine amerikanis­che studie, die indizien für den werther-effekt beobacht­en kon­nte:

    Selb­st­mord ist ansteck­end. Berichter­stat­tung über Suizide erhöht die Zahl der Suizide. Eine neue Studie aus den Vere­inigten Staat­en liefert weit­ere Indizien dafür, dass dieser soge­nan­nte „Werther-Effekt“ tat­säch­lich existiert.

  • Algo­rith­men: Fer­gu­son zer­split­tert in den sozialen Net­zw­erken | ZEIT ONLINE — gün­ter hack:

    Der derzeit­ige Umgang mit der algo­rith­mis­chen Per­son­al­isierung ist die Vol­len­dung des Neolib­er­al­is­mus auf Ebene der öffentlichen Kom­mu­nika­tion. Wenn du etwas nicht gese­hen hast, dann bist du selb­st Schuld, weil du den Algo­rith­mus von Face­book entsprechend trainiert hast oder dir die Profi-Ver­sion mit dem besseren Zugang zu den Dat­en nicht leis­ten kannst.

  • Inter­view mit Hein­er Goebbels, dem Inten­dan­ten der Ruhrtri­en­nale | Lesen was klüger macht — hol­ger pauler befragt hein­er goebbels zu seinen erfahrun­gen in und mit der ruhrtri­en­nale und vor allem der “freien szene” (und am schluss auch zu “cas­si­ber”). hein­er goebbels:

    In Deutsch­land gibt es für eine bes­timmte Liga von freien Kün­st­lerin­nen und Kün­stlern kaum Pro­duk­tion­sspiel­räume. Es gibt zwar ein weltweit einzi­gar­tiges The­ater­sys­tem, das ist allerd­ings ein­er gewis­sen Monokul­tur verpflichtet, die sich auf das Opern‑, Schauspiel‑, oder Orch­ester­reper­toire bezieht – darüber hin­aus bleiben wenige Möglichkeit­en für freie Kun­st. Diese Lücke wollte ich mit der Ruhrtri­en­nale zu schließen ver­suchen.

  • [AMA] Ich bin Ste­fan Nigge­meier. Fragt mich alles! : de_IAmA
  • Intro­duc­ing Tap­Path for Android — YouTubeIntro­duc­ing Tap­Path for Android! — eine schöne kleine app, die das leben (und sur­fen) auf einem androiden ein­fach­er und angenehmer macht

Ins Netz gegangen (22.7.)

Ins Netz gegan­gen (22.7.):

  • 18 Tage in ein­er Welt ohne Men­schlichkeit — Gesellschaft/Leben — Im Reich des Todes Die ganze Welt schaut nach Kairo — zugle­ich foltern Beduinen auf der ägyp­tis­chen Sinai-Hal­binsel Tausende afrikanis­che Migranten, um Lösegeld zu erpressen. Und gle­ich nebe­nan machen ahnungslose deutsche Touris­ten Urlaub. Unter­wegs durch eine Region, in der krim­inelle Gewalt, Touris­mus und Welt­poli­tik nahe beieinan­der­liegen.
  • Fest­spiel-Infla­tion : Kommt der Som­mer, blüht die Fes­ti­vali­tis — DIE WELT — Manuel Brug bringt es in der WELT auf den Punkt:

    Ohne den reg­ulären, hoch sub­ven­tion­ierten Betrieb, der die Kün­stler her­anzüchtet, die Kollek­tive unter­hält, gäbe es keine Fes­ti­val­sai­son. Eine Insti­tu­tion wie das Fest­spiel­haus Baden-Baden wird zwar direkt kaum sub­ven­tion­iert, aber seine Starvi­o­lin­istin­nen und Sopran­pri­madon­nen sind ander­swo groß gewor­den. Hier schöpfen sie nur in meist risikolosen Pro­gram­men den Rahm ihrer Exis­tenz ab.

  • Fefes Blog — “Die sind ja selb­st zum Lügen zu däm­lich! Das ist doch die einzige Kernkom­pe­tenz, die Poli­tik­er haben!” >

Jazz oder so

Das beste kam mal wieder zum Schluss. Das ist schon eine kleine Tra­di­tion bei den Mainz­er Jaz­zta­gen, dass die beein­druck­end­sten Auftritte erst wirk­lich spät am Abend begin­nen. Die Ver­anstal­ter, die Betreiber der Mainz­er Klan­graum-Stu­dios, haben ja inzwis­chen schon Erfahrung. Zum fün­ften Mal richteten sie jet­zt die Mainz­er Jaz­ztage aus. Das Jazz im Titel darf man dabei get­rost sehr, sehr weit fassen und gerne in Rich­tung Pop­musik aus­dehnen.

Auch bei der Eröff­nung der Jubiläum­sauflage, wie immer in den gut beset­zen Räu­men der Show­bühne, waren die Pro­gram­m­mach­er großzügig: Was Tilmann Höhn da auf seinen Gitar­ren – er hat gle­ich vier davon in den Hän­den — frick­elte, kann man nach allen bekan­nten Kri­te­rien nun wirk­lich nicht mehr Jazz nen­nen. Gut war es trotz­dem, und das Pub­likum lauschte auch den feinsin­ni­gen Spiel­ereien, denen er bekan­nte und beliebte Pop­songs unter­zog, sehr aufmerk­sam.

Auch mit der vokalen Unter­stützung von Mar­ius Mertz änderte sich daran wenig: „Songs we know“ haben sie ihr Pro­gramm genan­nt – und würde man nicht so andächtig lauschen, kön­nte man tat­säch­lich immer mitsin­gen oder wenig­stens mit­sum­men, wenn das Duo U2, James Tay­lor oder Mark Knopfler inter­pretiert.

Über­haupt die Spiel­ereien: Das ist vielle­icht das, was die Acts auch bei den fün­ften Jaz­zta­gen am ehesten verbindet: Die Lust, sich in den Details zu ver­lieren, hoff­nungs­los an jedem Klang­mo­ment herumzus­pie­len und zu basteln. Schon die Eröff­nung durch das Quar­tett „The Hip“, dessen Name sich wirk­lich auf das Kör­perteil und nicht auf irgend eine Hipp­ness bezieht, führte das vor. Im Kern spie­len die vier jun­gen Musik um Sax­o­phon­ist Daniel Guggen­heim soli­den Mod­ern Jazz mit behut­sam nochmals mod­ernisierte Stan­dards. Und das lebt eben vor allem von den Details: Den qurirli­gen Fend­er Rhodes (Ulf Klein­er), dem knal­len­den Schlagzeug (Tobias Back­haus), den eifrigen Sax­ophonkaskaden und dem beruhi­gend wum­mern­den Bass (Hanns Höhn). Gekon­nt und präzise – aber etwas sparsam mit dem Neuen.

Das kann man Kli­ma Kali­ma nicht unbe­d­ingt vor­w­er­fen. Und deshalb waren sie auch ganz zu Recht am Schluss des Fre­itags zu hören, eigentlich auch schon als Sam­stag­mor­gen­musik: Dieses Trio, benan­nt in Anlehnung an seinen Leader und Gitar­ris­ten Kalle Kali­ma, fet­zt unbarmhezig und ohne Vor­war­nung los. Ihre typ­is­che Berlin­er Mis­chung aus genau kom­ponierten und inspiri­ert impro­visierte Gebilden greift gerne weit aus. Die spür­bare Kom­plex­ität ist dabei immer gewollt. Trotz­dem bleibt die Musik von Kli­ma Kali­ma aber ganz stark bidlich – durch die Titel wird das noch unter­strichen: „Mex­i­co City Dri­ve School“ heißt das, oder „Sat­ur­day Night – Sun­day Morn­ing“: Eine wilde, rauschende Par­ty, der ver­schlafenes und schlaftrunk­enes Vagabundieren fol­gt, prügeln Oliv­er Stei­dle am Schlagzeug und Oliv­er Potratz (Kon­tra­bass) da aus sich her­aus – nicht nur eine „Sonne aus Musik“, son­dern eigentlich eine ganze Galax­ie, ein end­los­er Reigen an Bildern, Ideen, Brechun­gen und labyrinthis­chen Erkun­dungs­touren.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

jazz oder was? die dritten jazztage des mainzer klangraums

zumin­d­est der erste tag, beim zweit­en abend kon­nte ich lei­der nicht dabei sein. aber die erste hälfte war schon ziem­lich an- & aufre­gend — genau wie es das line­up ver­hieß: triband, frau con­tra bass, daniel stel­ter band etc.

hier meine betra­ch­tun­gen für die mainz­er rhein-zeitung:
Zwei Duos und zwei Quar­tette: Schon der Auf­takt der drit­ten Klan­graum-Jaz­ztage Mainz bot ein reich­haltiges Pro­gramm: Mit Blue Snow, Frau­Con­tra­Bass, Triband und der Daniel-Stel­ter-Band war das Pro­gramm nicht nur gut voll­gepackt, son­dern auch sehr unter­schiedlich bestückt. Und einige Bekan­nte waren ja auch dabei, zusam­men mit den neuen Gesichtern beim ausverkauften ersten Tag in der Show­bühne. Die Ver­anstal­ter vom Klan­graum-Stu­dio freut der wach­sende Zus­pruch, die am am Ein­gang verge­blich noch um Ein­lass bit­ten­den ver­mut­lich weniger. Ddenn sie ver­passten wirk­lich einiges. Nach dem leisen, feinsin­nig-ver­spon­nen Auf­takt von Blue Snow, dem schweiz­erischen Per­cus­sion­is­ten-Duo, das mit Marim­baphon, Vibraphon und auch auf dem umfunk­tion­ierten Ikea-Tisch Rhyth­men aller möglichen Herkün­fte ganz ohne schweiz­er Gemütlichkeit mis­chte, war es aber mit der Ruhe und Gelassen­heit ganz schnell vor­bei.
Frau­Con­tra­Bass, das andere Duo, erfreuten schon im let­zten Jahr bei den Jaz­zta­gen. Auch jet­zt hat­ten Sän­gerin Katha­ri­na Debus und Bassist Hanns Höhn wieder viel lau­nige Musik dabei. Mit Ste­vie Won­der, Jamiro­quai und vie­len anderen wid­men die bei­den sich der Liebe – der kör­per­lichen und der pla­tonis­chen, der erfüll­ten und der ver­sagten. Trotz der Reduk­tion des musikalis­chen Mate­ri­als erzeu­gen sie großar­tige Effek­te: Höhn schram­melt, zupft, klopft und reibt an allen Eck­en und Enden seines Kon­tra­bass­es, Debus lässt ihre kräftige, volle Stimme röhren, scat­ten und schme­icheln.
Auch die Daniel-Stel­ter-Band, die zum Schluss, gegen Mit­ter­nacht, als das Pub­likum schon anf­ing zu schwächeln, der Show­bühne ein­heizte, war im let­zten Jahr schon zu Gast. Und immer noch scheinen die vier Män­ner über uner­schöpfliche Energiereser­voirs zu ver­fü­gen. Die Rhyth­mus­gruppe ist zwar per­son­ali­den­tisch mit der von Triband. Aber mit Ulf Klein­er an den Fend­er-Rhodes und Daniel Stel­ters sowie sein­er E‑Gitarre wird das ganz anders: Die druck­vollen, knack­ig dröh­nen­den Grooves wer­den mit dem Mut und der Kraft zu ganz schlicht­en, betören­den Melo­di­en großer Präg­nanz kon­fron­tiert und ergänzt. Egal, ob als Hom­mage an einen HipHop­per oder in der trau­ri­gen Geschichte eines unterge­hen­den Papier­bötchens: Alles über­flüs­sige wird gnaden­los entsorgt, auf der Suche nach dem Opti­mum ihrer Musik ist das Quar­tett schon ziem­lich nah am Ziel.
Damit knüpfen sie nicht nur per­son­ell an Triband an. Auch die machen nicht gerne viele unnötige Worte und Töne. Aber sie sind exaltiert­er, exper­i­men­tier­freudi­ger. Ihre Mis­chung aus Pop, Jazz, Funk und einem reich­lichen Schuss Soul ist dabei aber auch wun­der­bar aus­ge­feilt. Und live noch bess­er als im Stu­dio: Noch präzis­er in den Stim­mungen, noch genauer und auch noch konzen­tri­ert­er, noch – was man kaum glauben mag – ein biss­chen mehr entschlackt und zugle­ich gnaden­los fokussiert. Diese Strenge, gepaart mit der unbändi­gen Freude – die Musik­er scheinen oft noch mehr Spaß zu haben als das auch schon begeis­terte Pub­likum – das ist so zwin­gend, so unbarmherzig richtig – und so wun­der­bar gut.
Und es ist eine her­rliche Ergänzung für die Jaz­ztage und passt genau in deren Pro­fil. Nach dem ersten Abend war ja noch nicht Schluss: Am Sam­stag ging es genau­so bunt und umfan­gre­ich weit­er – dies­mal mit der Phoenix-Foun­da­tion und Lars Rei­chow, mit dem akustis­chen Jazz von Span­iol 4, dem elek­tro­n­isch abgeschmeck­ten Klän­gen von „2 fish­es in the big big sea“ und den hau­seige­nen Vibes.

oh, merry england!

Der arme Steven Devine. Der Cem­bal­ist muss am Schluss einen ziem­lich steifen Hals gehabt haben. Denn mehr als in seine Noten blick­te er beim Konz­ert in der Augustin­erkirche zu seinen Ensem­blekol­le­gen von Lon­don Baroque. Und dafür musste er ständig schrägt über seine rechte Schul­ter schauen. Die Ver­renkun­gen haben sich aber gelohnt. Zumin­d­est für das Pub­likum, das so Erstk­las­siges zu hören bekam.

Die per­ma­nente visuelle Kom­mu­nika­tion des Quar­tetts, die nicht nur vom Cem­ba­lo aus­ging, son­dern den Gam­bis­ten Charles Med­lam genau­so ein­be­zog wie die bei­den Geigerin­nen Ingrid Seifert und Han­nah Med­lam, diese ständi­ge gegen­seit­ige Kon­trolle und Vergewis­serung der Gemein­samkeit­en führt zu einem starken, wun­der­bar konzen­tri­erten Klang­bild. Die Erfahrung aus über dreißig Jahren gemein­samen Musizierens hil­ft da natür­lich auch noch. Jeden­falls gab es einiges zu sehen: Nicht nur aufmerk­same, hellwache und kom­mu­nika­tive Musik­er, deren Blicke sich öfter kreuzten als ihre Melo­di­en, son­dern auch ganz viel Bewe­gung: Da tanzten die Bögen munter über die Sait­en und die Fin­ger wirbel­ten die Griff­bret­ter hoch und runter – Langeweile hat­te keine Chance in der Augustin­erkirche.

Nur der Bach-Noten­band auf dem Pult vor Devine blieb stummes, unbe­weglich­es Req­ui­sit – ganz der englis­chen Musik hat­ten die Lon­don­er sich gewid­met. Natür­lich, würde man sagen, wüsste man nicht, dass die Lon­don­er auch ganz aus­geze­ich­net deutsche und ital­ienis­che Barock­musik spie­len kön­nen. Aber davon gab es dieses Mal nur in der Zugabe eine klitzek­leine Kost­probe.

Englis­che Musik des 17. Jahrhun­dert also – das ist vieles, was kaum noch jemand wirk­lich ken­nt: Kam­mer­musik von Kom­pon­is­ten wie John Jenk­ins, Christo­pher Simp­son, William Lawes oder Matthew Locke ist heute nicht mehr sehr ver­bre­it­et. Zu ihrer Zeit waren das in und um Lon­don aber alles aus­gewiesene, geschätzte Meis­ter. Die For­men reichen von empfind­samen Tanzsätzen – großar­tig etwa das Cem­baloso­lo „A sad Pavan for these dis­tract­ed times“, in der Thomas Tomkins die Wirren nach der Hin­rich­tung des Königs Charles in eine für das 17. Jahrhun­dert extrem emo­tionale Musik fasst – bis zur typ­is­chen englis­chen Gat­tung der Grounds. Von diesen freien Vari­a­tio­nen über ein wieder­holtes Bass­the­ma hat­te das Ensem­ble einige dabei, etwa Christo­pher Simp­sons “Ground Divi­sions“, die dem Gam­bis­ten Charles Med­lam viel Möglichkeit­en gab, nicht nur seine Fin­ger­fer­tigkeit, son­dern auch seinen Ein­fall­sre­ich­tum vorzuführen.

Die abschließende Hän­del-Sonate – in Eng­land gilt George Fred­er­ic Han­del ja genau­so selb­stver­ständlich als Englän­der wie hier als Deutsch­er – allerd­ings war dann nicht mehr ganz so typ­isch englisch. Aber Lon­don Baroque ist kosm­poli­tisch genug, auch das zu meis­tern: Mit ihrer typ­is­chen Ein­füh­lungskraft und der wun­der­bar wach­samen, reak­tions­freudi­gen Gemein­samkeit ihres ener­gis­chen Spiels macht­en sie sich Hän­del genau­so zu eigen wie den Rest des Pro­gramms.

(gechrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fes­tlich­er geht es kaum. Passender aber auch nicht: Denn die feier­liche Eröff­nung des Mainz­er Musik­som­mers – der dieses Jahr schon seinen zehn­ten Geburt­stag feiern kann – verbindet sich im ersten Konz­ert mit ein­er inten­siv­en Würdi­gung eines der diesjähri­gen Jubi­lare der Musikgeschichte. Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft dirigierte zum Auf­takt der diesjähri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­anstal­teten Konz­ertrei­he, näm­lich ein reines Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „seinem“ Raum, dem Dom, naturgemäß vor­wiegend Kirchen­musik her­an­zog, ein gle­icher­maßen repräsen­ta­tives und abwech­slungsre­ich­es. Denn neben dem Zen­trum, der Großen Orgel-Solo-Messe und dem „Te Deum Lau­damus“ noch zwei Orgelkonz­erte aus dem reichen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­lassen hat.

Der Lim­burg­er Organ­ist Markus Eichen­laub meis­terte dabei auch die vir­tu­osen Pas­sagen fast non­cha­lant, immer mit coolem under­state­ment und läs­siger Ele­ganz, die ihre Wirkung vor allem aus der leicht dahin fliegend, lock­er und entspan­nt wirk­enden tech­nis­chen Präzi­sion schöpfte. Das Kurpfälzis­che Kam­merorch­ester ließ Bre­itschaft etwas erdi­ger und stärk­er grundiert begleit­en. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lieber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamtk­lang eingliederte.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungskonz­ertes stand mit der großen und großar­ti­gen Messe eine fröh­lich-über­schwängliche Ver­to­nung des Ordi­nar­i­ums. Und Bre­itschaft ließ keinen Zweifel an sein­er Bere­itschaft, der Messe nicht nur Pow­er ohne Ende mitzugeben, son­dern auch stark kon­trastierende zarte und innige Momente. Und dann wieder war die Messver­to­nung spritzig-pulsierend bis zur Gren­ze des Wah­n­witzes. Aber es ging alles gut – der Domkam­mer­chor war bestens prä­pari­ert und ver­wöh­nte mit jugendlich-frischem und schlanken Klang. Und die ver­sierten Solis­ten, neben der gewohnt sou­verä­nen Jan­ice Creswell und der klaren Diana Schmid sowie dem zurück­hal­tenden Bass Clemens Bre­itschaft vor allem der charis­ma­tis­che und engagierte Tenor Daniel Jenz, ließen auch keine Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Domkap­pellmeis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wurde dann so ras­ant und energieprotzend, dass es fast einen Tick ange­berisch wirk­te. Aber nur fast: Denn Bre­itschaft blieb immer ger­ade noch so kon­trol­liert und ziel­gerichtet, dass das Te deum zu ein­er unwider­stehlichen Ver­führung, ein­er san­ften, unmerk­lichen Überre­dung hin zu Glauben und Kirche, wurde. Dass so wun­der­schöne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­führung – die schließlich dur­chaus im Sinne Haydns ist – gerne durchge­hen. Und hofft, dass die restlichen Konz­erte des Musik­som­mers genau­so viele Ver­heißun­gen preis­geben wer­den.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

jazz im klangraum: jazztage mainz, tag 1

Beim ersten Mal hätte es noch Glück sein kön­nen, beim zweit­en Mal kann der Erfolg der Jaz­ztage Mainz kein Zufall mehr sein. Acht Bands in zwei Tagen ist eine Menge Musik, aber im „Klan­graum“, wie die Organ­isatoren sich nen­nen, ist Platz für vieles. Musikalis­che Gren­zen sind hier längst aufge­hoben. So war es auch beileibe kein reines Jazz-Fes­ti­val, der Pop nahm auch gehöri­gen Raum ein.
Den Anfang machte das sehr relaxte „Diethelm Duo“. Mit der Beset­zung Fend­er Rhodes und Sax­ophon spiel­ten sie angenehm entspan­nte Kom­po­si­tio­nen mit unüber­hör­baren Wurzeln im West-Coast-Cool-Jazz. Ihre fein gewobe­nen, dur­chaus mal psy­che­delisch ange­haucht­en klar struk­turi­erten Songs gle­ichen dabei Aus­flüge in verträumte Gegen­den.
Das Quar­tett um den Gitar­ris­ten Daniel Stel­ter, dass die Bühne danach eroberte, führte in ganz andere Regio­nen. Denn sie heizten unbarmherzig ein, als wür­den sie schon ewig zusam­men spie­len. Dabei waren die Jaz­ztage ihr erster Live-Auftritt über­haupt, bish­er spiel­ten sie nur im Stu­dio zusam­men. Uner­bit­tlich groovten sie mit allen Mit­teln und ent­pup­pten sich dabei als echte Klang-Extrem­is­ten. Vom ersten Ton jedes neuen Stück­es an ver­fol­gten sie die Eskala­tion ihres knack­i­gen Sounds mit enormer Kon­se­quenz. Die Rasanz, mit der diese Mis­chung aus Jazz, Fusion und hartem Rock von einem Extrem ins andere kippt, war beein­druck­end. Genau­so wie die Sicher­heit, mit der die vier jun­gen Musik­er das mit vollem Kör­pere­in­satz vom wip­pen­den Fuß bis zur exaltierten Mimik umset­zten.
Frau­Con­tra­Bass ver­hieß dann erst ein­mal wieder kam­mer­musikalis­che Entspan­nung. Aber von wegen: Auch das Duo von Sän­gerin Katha­ri­na Debus und Bassist Hanns Höhn ließ kaum Luft zum Aus­ruhen. Dafür hat­ten ja auch die reich­lich dimen­sion­ierten Umbau­pausen genü­gend Gele­gen­heit gegeben. Auf die Idee muss man freilich erst ein­mal kom­men, mit Bass und Gesang aus­ge­suchte Perlen der Popgeschichte neu zu inter­pretieren. Ste­vie Won­der hat diese artis­tis­che Duo genau­so auf dem Pro­gramm wie Michael Jack­son oder Brit­ney Spears. Und weil Debus eine sehr wand­lungs­fähige Sän­gerin auch ohne Text ist und Höhn seinen Kon­tra­bass auch mal zum Schlagzeug ver­wan­delt, funk­tion­ierte das wun­der­bar.
Funk­tion­ieren trifft auch die Vorge­hensweise von „Trance Groove“ sehr genau. Die sieben Musik­er um den Schlagzeuger Ste­fan Kracht­en grooven mit scham­losem Ekkle­tizis­mus und gnaden­los­er guten Laune seit über fün­fzehn Jahren durch Jazz, Rock und Funk. Und sie klin­gen immer noch frisch und unver­braucht, voller Ideen und vor allem Spon­taneität und echter Kraft – auch in der Show­bühne Mainz. Ein wirk­lich mitreißen­der und fet­ziger Abschluss des Abends – für die Jaz­ztage Mainz allerd­ings ger­ade ein­mal die Hal­bzeit, denn auch der Sam­stag war ja wieder voller Musik.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

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