Eini­ge weni­ge sub­jek­ti­ve und unge­ord­ne­te An- und Bemer­kun­gen zu mei­nem Besuch der Tage Alter Musik (TAM) in Regens­burg in der vier­zigs­ten Aus­ga­be an Pfings­ten 2025.

  1. Das Fes­ti­val bot wie­der eine wun­der­ba­re Viel­falt im Pro­gramm zwi­schen gewal­tig-bom­bas­tisch-pom­pö­sen Prunk­mu­si­ken und inti­men Kammermusiksettings.
  2. Mei­ne Tage waren die­ses Mal sehr katholisch ;-).
  3. Es nerv­te micht erstaun­lich stark, wenn die ange­ge­be­ne Kon­zert­dau­er so über­haupt nicht stimm­te. Ich war in eini­gen Kon­zer­ten, bei denen die Musiker*innen deut­lich über­zo­gen. Eigent­lich ist das ja zunächst mal über­haupt nicht schlimm, irgend­wie hat es mich – und auch eini­ge ande­re, mit denen ich sprach – doch ein wenig ver­stimmt. Ver­mut­lich, weil die Erwar­tungs­hal­tung dann ein­fach nicht mehr pass­te. Meis­tens war das ja auch nicht wild: 90 Minu­ten statt 70 sind ja kein Welt­un­ter­gang (son­dern mehr gute Musik!). Am Sams­tag Abend, bei Solomon’s Knot, war mit 2,5 Stun­den der Bogen aller­dings deut­lich überspannt.
  4. Die klei­ne­ren, unschein­ba­re­ren Pro­gram­me haben mir die­ses Mal durch die Bank deut­lich bes­ser gefal­len als die ganz „gro­ßen“ Acts.
  5. Vie­le Pro­gram­me spie­len mit oder ver­su­chen zumin­dest eine irgend­wie his­to­ri­sche Über­hö­hung der Musik: Ver­bo­ten, ver­ges­sen, ver­hin­dert, ver­steckt, – und dann ein­ma­lig und ganz beson­ders in der Wie­der­auf­le­bung und so wei­ter. Das wird durch die musi­ka­li­sche Sub­stanz aus mei­ner Per­spek­ti­ve nicht immer wirk­lich gedeckt, kann man aber als Wer­be­maß­nah­me auch getrost ein­fach ignorieren.
  6. His­to­ri­sche Räu­me haben oft erstaun­lich unbe­que­me Sitz­ge­le­gen­hei­ten, Bän­ke und Stüh­le glei­cher­ma­ßen. Die Kir­chen­bän­ke der Drei­ei­nig­keits­kir­che aus dem 17. Jahr­hun­dert ste­chen da beson­ders heraus.
  7. Drei Nacht­kon­zer­te hin­ter­ein­an­der mit Beginn jeweils um 22.45 Uhr sind für mich, der ich um die­se Zeit nor­ma­ler­wei­se schon schla­fe, doch anstrengend.
  8. Die Orga­ni­sa­ti­on der TAM ist sehr sou­ve­rän, die haben das alles per­fekt im Griff. Kein Wun­der, das war ja auch schon das vier­zigs­te Mal.
  9. Das Pro­gramm­heft mit 160 Sei­ten im A4-For­mat ist für mich etwas unprak­tisch und unhand­lich. Ich hät­te mir eine pdf-Ver­si­on gewünscht. Und bei so eini­gen Pro­gram­mein­füh­run­gen ein biss­chen mehr Tief­gang in ana­ly­ti­scher und musik­ge­schicht­li­cher Hin­sicht. Ich bin mir recht sicher, das Publi­kum der TAM wür­de das ver­kraf­ten. Und: Ich habe irgend­wie im Gedächt­nis, das frü­her die Pro­gramm­fol­ge auch ohne das offi­zi­el­le Pro­gramm (auf der Web­site?) zugäng­lich war. Die am Ein­gang jeweils aus­ge­teil­ten gesun­ge­nen Tex­te sind aber eine gro­ße Hilfe.
  10. Das/​Der Hathor Cons­ort mit den Sopra­nis­tin­nen Doro­thee Mields und Han­na Blaží­ko­vá mit einer Aus­wahl von Bar­ba­ra Stroz­zi, eine der weni­gen Kom­po­nis­tin­nen der Alten Musik, war ein wun­der­ba­rer Auf­takt für mich im ers­ten Nacht­kon­zert am Frei­tag. Das war ein stim­mi­ges Pro­gramm mit guter Dra­ma­tur­gie, prä­zi­se, leben­dig und sehr far­big gesun­gen war das eine gro­ße Freu­de mit (mir) unbe­kann­ter Musik.
  11. Sams­tag Nacht, im zwei­ten Nacht­kon­zert, fei­er­te der Ten­ebrae Choir Pal­estri­nas 500. Geburts­tag mit sei­ne Mis­sa Viri Gali­laei im Mit­tel­punkt. Ein sehr schö­nes und aus­ge­wo­ge­nes Pro­gramm, in dem der wun­der­bar into­nie­ren­de Ten­ebrae Choir in der schö­nen früh­go­ti­schen St. Bla­si­us kla­re Lini­en in gelas­se­ner Ruhe und klang­li­cher Schön­heit ent­fal­te­te – ein ruhi­ger, fast medi­ta­ti­ver Abschluss des Tages.
  12. Für das drit­te Nacht­kon­zert luden Cap­pel­la Pra­ten­sis und das mir schon von frü­her als famos bekann­te Soll­az­zo Ensem­ble ins Brau­haus am Schloss. Nun­ja, das Set­ting war zwar von der Idee her pas­send und nahe­lie­gend: Das Pro­gramm war eine Rekon­struk­ti­on des „Schwa­nen­mahls“ der Mari­en­gil­de in ’s‑Hertogenbosch. Aber mich hat das ein wenig gestört. Der Raum war arg über­be­legt, es war schon im Nor­mal­zu­stand kaum ein Durch­kom­men zwi­schen den Tischen. Was hier pas­siert wäre bei einem Unglück mag ich mir kaum aus­ma­len, zumal auch der ein­zi­ge Not­aus­gang mit einem Tisch zuge­stellt war (die gan­ze Bele­gung kann mei­nes Erach­tens feu­er­po­li­zei­lich nicht geneh­mi­gungs­fä­hig gewe­sen sein). Die Bedie­nun­gen haben trotz anders­lau­ten­der Ankün­di­gung im Pro­gramm noch die ers­ten 15 Minu­ten des Kon­zer­tes (das es ja doch war und auch sein soll­te!) bedient, das war sehr stö­rend. Aber die Musik! Die fünf Män­ner der Cap­pel­la Pra­ten­sis san­gen Mess­tei­le, direkt aus Fak­si­mi­les der ori­gi­na­len Quel­len (und nicht aus moder­nen Tran­skrip­tio­nen). Das heißt ja auch, dass sie alle aus einem Exem­plar san­gen, sich also dort her­um ver­sam­meln. Und das setzt natür­lich vor­aus, dass alle die his­to­ri­schen Nota­tio­nen (die ja nach heu­ti­gen Stan­dards eher rudi­men­tär sind und viel Zusatz­wis­sen um die kor­rek­te Les­art erfor­dern) genau­so beherr­schen wie die Umset­zung in Klang. Ich weiß nicht, ob das wirk­lich einen ent­schei­den­den Unter­schied macht, aber sie beherr­schen die Kunst und ihre rei­nen Stim­men auf jeden Fall bis ins letz­te Detail. Das war wirk­lich fas­zi­nie­rend in jedem Augen­blick und jedem Detail. Und zusam­men mit dem Soll­az­zo Ensem­ble erge­ben sich noch zusätz­li­che wun­der­ba­re Farb­kom­bi­na­tio­nen, die auch sehr inten­siv und direkt mit­ein­an­der agie­ren. Das gilt natür­lich gnaz beson­ders, wenn sie so etwas wie Scherz­cou­plets mit schlüpf­ri­gen Andeu­tun­gen auf­füh­ren. Ein wirk­lich wun­der­ba­rer Aus­flug ins 15. und 16. Jahr­hun­dert, der mich sehr entzückte!
  13. Mei­ne Skep­sis gegen­über Rekon­struk­tio­nen ver­lo­ren gegan­ge­ner Musik hat sich zumin­dest teil­wei­se bestä­tigt. Schon im letz­ten Jahr hat­te mich die Bach-Rekon­struk­ti­on nur halb über­zeugt, in die­sem Jahr gar nicht: Für Solomon’s Knot hat Chad Kel­ley die Trau­er­mu­sik Bachs für Leo­pold von Köthen, sei­nen ehe­ma­li­gen Dienst­her­ren, rekon­stru­iert oder neu geschrie­ben. Über­lie­fert ist nur das Libret­to von Pican­der und der Hin­weis, dass Bach für die Trau­er­mu­sik (unter ande­rem) aus der Mat­thä­us­pas­si­on par­odiert hat. Das war ja gän­gi­ge Pra­xis und gibt heu­ti­gen Spe­zia­lis­ten viel Mög­lich­keit, Pseu­do-Bach neu zu schrei­ben. Ob es dann tat­säch­lich so klang, ist in der Regel rei­ne Spe­ku­la­ti­on – was genau er und vor allem wie par­odiert hät­te, ist ja gera­de nicht bekannt. Jeden­falls hat die Köthe­ner Trau­er­mu­sik also eini­ge Hits aus der Mat­thä­us­pas­si­on. Da kann man lus­ti­ges Erken­nen spie­len. Aber der Text ist halt doch rein situa­ti­ons­be­zo­gen, weist eigent­lich nie wirk­lich über den kon­kre­ten Anlass, das Begräb­nis des Fürs­ten, hin­aus, tran­szen­diert das also über­haupt nicht vom kon­kre­ten Trau­er­fall in all­ge­mei­ne­re Ideen, Glau­bens­sät­ze oder Inhal­te zu Tod oder Trau­er. Die Kom­bi­na­ti­on dann, also rein situa­ti­ver Text mit Musik, die aus ande­ren Kon­tex­ten sehr gut bekannt ist, mach­te das Werk für mich weit­ge­hend unin­ter­es­sant (zumal das auch noch recht umfang­reich war). Obwohl Solomon’s Knot das aus­ge­spro­chen groß­ar­tig musi­ziert haben! Die vor­an­ge­stell­te Trau­er-Ode fand ich wesent­lich inten­si­ver, fas­zi­nie­ren­der und berührender.
  14. Musi­ka­li­sche Wit­ze kön­nen auch ner­vend wer­den. Das ita­lie­ni­sche Ensem­ble Zefi­ro unter dem Obo­is­ten Alfre­do Ber­nar­di­ni hat ein Pro­gram „Fol­lia“ prä­sen­tiert, das mir ein wenig arg auf die komi­sche und wit­zi­ge Vari­an­te hin­aus­lief, die – vor allem in der wie­der­hol­ten Kom­bi­na­ti­on – dann doch etwas platt geriet. Viel­leicht bin ich dafür aber nur zu sau­er­töp­fisch, die Musiker*innen selbst und das Publi­kum schie­nen viel Spaß zu haben …
  15. Immer wie­der aber groß­ar­tig die Ensem­bles, die sich mit viel Ein­satz und Genau­ig­keit der Musik und ihren Pro­gramm ver­schrie­ben. The Beggar’s Ensem­ble mit/​unter Augus­tin Luss­on prä­sen­tie­ren „Meis­ter des fran­zö­si­schen Barocks“ – Orches­ter­stü­cke von Rameau und Vio­lin­kon­zer­te von Jean-Marie Leclair und Joseph Bodin die Bois­mor­tier. Das war nicht nur (gera­de in den Kon­zer­ten) hoch­vir­tu­os, son­dern vor allem aus­ge­spro­chen far­big, obwohl ein rei­nes Strei­cher­en­sem­ble. Aber die Pla­si­zi­tät und Aus­drucks­kraft, die The Beggar’s Ensem­ble aus ihrem Pro­gram her­aus­hol­ten, hat mich durch­weg begeis­tert. Grandios.
  16. Wirk­lich schön auch das Pro­gramm „Il Con­cer­to Segre­to“ von La Néré­i­de. Mit drei Sopra­nis­tin­nen und eher zurück­hal­ten­der (und klein besetz­ter) Beglei­tung führ­ten sie eine schö­ne Aus­wahl der Madri­ga­le von Luz­zas­co Luzaa­schi und Kol­le­gen aus Ita­li­en kurz vor 1600 auf. Das war mir ein völ­lig unbe­kann­tes Reper­toire, das die Mino­ri­ten­kir­che aber schön, fein­sin­nig und im durch­aus vir­tuo­sen Gesang auch sehr klang­sin­nig füll­te. Zum Glück stör­te das Mar­tins­horn erst beim Ende der zwei­ten Zugabe.
  17. Nicht alle Aus­gra­bun­gen sind beson­ders zwin­gend. Xenia Löff­ler und die Batz­dor­fer Hof­ka­pel­le haben sich in der Biblio­thek der Thurn-und-Taxi’schen Hof­ka­pel­le umge­se­hen und eine Aus­wahl sin­fo­ni­scher Musik mit beson­de­rer Berück­sich­ti­gung der Obo­en in St. Emer­am auf­ge­führt (also fast am his­to­ri­schen Ort der Urauf­füh­rung im Schloss Thurn und Taxis). Ins­be­son­de­re Theo­do­re von Schachts Con­cer­tan­te mit 3 Obo­en ist in Bezug auf die ver­lang­te und hier tadel­los vor­ge­führ­te Viruo­si­tät durch­aus bein­dru­ckend. Sowohl Haydns „Schulmeister“-Sinfonie als auch die Sin­fo­nia von Johann Gott­lieb Graun waren für mich nun aber kei­ne unbe­dingt zwin­gen­de Ausgrabungen.
  18. Immer wie­der wahr: Begeis­te­rung und Hin­ga­be der Aus­füh­ren­den erzeugt fast zwangs­läu­fig Begeis­te­rung auch beim Publikum.
  19. Das Prunk­pro­gramm „Sple­ndor Aus­triae“ von Ars Anti­qua Aus­tria und den St. Flo­ria­ner Sän­ger­kna­ben unter Gunar Letz­bor mit Mes­sen und ande­ren geist­li­chen Wer­ken von Bene­dikt Auf­schnai­ter und Hein­rich Ignaz Franz Biber hat mich nur teil­wei­se begeis­tert. Gera­de die 32-stim­mi­ge Ves­per­ae von Biber konn­te sich für mich nicht so recht ent­fal­ten, da ging mir zu viel ver­lo­ren – was viel­leicht auch an mei­nem Platz auf der Empo­re lag. Das war kei­nes­falls schlecht, son­dern in der Ernst­haf­tig­keit durch­aus auch beein­dru­ckend (auch wenn Letz­bor mir ein wenig zu sehr Ram­pen­sau war), hat mich aber jen­seits der tech­ni­schen Exe­ku­ti­on nicht so recht berührt oder erreicht.
  20. Die dies­jäh­ri­gen TAM hat­ten einen sehr spek­ta­ku­lä­re Schluss mit Le Con­cert Spi­ri­tuel, die unter Her­vé Niquet die Rekon­struk­ti­on der musi­ka­li­schen Tei­le einer Fest­mes­se in den schö­nen Raum von St. Bla­si­us brach­ten. Fünf jeweils acht­stim­mi­ge Chö­re (also 40 Sän­ge­rin­nen und Sän­ger) und ein blä­ser­las­ti­ges Instru­men­tal­ensem­ble füll­ten die Kir­che mit sehr erha­be­nen und erhe­ben­den Klän­gen. Schon die Ein­gangs­pro­zes­si­on der Musiker*innen mit einem gre­go­ria­ni­schen Cho­ral und dann auch der gan­ze Rest ver­mit­telt mehr als eine Andeu­tung des­sen, was die Florentiner*innen bei einer Mes­se zum Johan­nis­fest um 1560 gehört haben könn­ten. Im Detail ging für mich im hin­te­ren Drit­tel des Publi­kums aber viel ver­lo­ren, die Mehr­chö­rig­keit war dort nur noch andeu­tungs­wei­se wirk­lich zu erle­ben.
    Das ist ja ein gene­rel­les Pro­blem die­ser oft extrem artis­tisch aus­ge­feil­ten Musi­ken, sei es in ita­lie­ni­schen Städ­ten oder in Kir­chen des Reichs. Das ist oft an sehr bestimm­te archi­tek­to­ni­sche und akus­ti­sche Gele­gen­h­ei­en gebun­den (das Mus­ter­bei­spiel ist natür­lich S. Mar­cus in Vene­dig mit sei­nen meh­re­ren Empo­ren) und lässt sich so heu­te kaum ent­spre­chend rekon­stru­ie­ren. Zumal auch schon unter ori­gi­na­len Gege­ben­hei­ten das natür­lich nur für ver­hält­nis­mä­ßig weni­ge genau so wie inten­diert erfahr­bar war. Es bleibt aber im Ide­al­fall doch genü­gend gro­ße und groß­ar­ti­ge Musik, die auch unter sub­op­ti­ma­len Hör­be­din­gun­gen berüh­ren und gefal­len kann. Und das gelang Le Con­cert Spi­ri­tuel definitiv.