Anyone who’s had their hand shaken by Macron is lost to the opposition: they’re destined to vote Macron and to convert to Macronism. But you can’t shake hands with everyone in the country. And anyway, just what is Macronism?
Dass solch teurer Scheißdreck, in mancher Hinsicht durchaus state of the art, von der deutschen Vorab-Kritik gefeiert und gehätschelt wurde, sollte ihr das Rückgrat brechen, wenn sie eines hätte. Aber sie versteht sich ja seit Jahrzehnten als Promoter und Mentor dieser deutschen Scheiße, deren Ursünde die volkspädagogische Gutgemeintheit ist, die weder Realismus noch artifizielle Überspannung („The Singing Detective“) zulässt.
“Gemälde eines Erschlagenen”, “Dämonen”, “Jagt die Wölfe zurück” — schon die Titel verraten, dass Adriana Hölszkys Musik sich nicht mit beschaulicher Besinnung aufhält. Aus Live-Aufnahmen von der musica viva haben der Bayerische Rundfunk und Neos jetzt eine CD vor allem mit Chormusik zusammengestellt. Und die fängt gleich überwältigend, ganz groß an: 72 Stimmen verlangt das “Gemälde eines Erschlagenen” von 1993, das auf einem Text von Jakob Michael Reinhard Lenz beruht. Davon schnappt man immer wieder Worte, einzelnen Silben, kurze Satzteile auf. Ins Zentrum des Trubels einer Mordszene führt die Musik, hinein in die klanglich bedrückende und eindrückliche Schilderung einer Tötung eines Wehrlosen. Damit ist das “Gemälde eines Erschlagenen” eine Musik, der man sich ausliefern muss — und die einen dann in dieser Aufnahme mit dem von Gustaf Sjökvist vorzüglich geführten Chor des Bayerischen Rundfunks mit emotionaler Gewalt umzingelt: Grauen und Schrecken kann sie dem Hörer lehren und vegegenwärtigen, ihn — körperlich ganz unbeschädigt und entspannt — mitten durch diese dumpfe Szene menchlischer Abgründe führen.
Auch die “Dämonen” sind wieder groß notiert: Statt 72 sind es immerhin noch 48 einzeln notierte Stimmen, die Hölzsky dem Chor vorlegt. Wiederum wird die Sprache aufgelöst — und wiederum ist das inhaltlich begründet. Dieses Mal — “Dämonen” ist ein Auftragswerk für das Mozartjahr 2006 der Salzburger Festspiele — sind es die inneren Stimmen Don Giovannis bei seiner Höllenfahrt, die sie vertont. Das sind wahrhaft dämonische, sehr geheimnisvolle Stimmen total verwirrter Gedanken, die sich eben auf keinen festen Text mehr zurückführen lassen. Aus einzelnen klanglichen und sprachlichen Ereignissen, die als Impulsgeber dienen, entfaltet die Komponistin faszinierende Psychogramme en miniature, die zusammen das plastische klangliche Abbild einer rauen, zerwühlten und verlebten Seele geben. Und genau so rabiat, roh und verwildert lässt der Chor des Bayerischen Rundfunks, der hier in einem Mitschnitt der deutschen Erstaufführung zu hören ist, das auch klingen — ganz großartig!
Fast naturwissenschaftlich begründet wirkt dagegen “Formicarium”, dass auf der Beobachtung von Ameisenvölkern beruht. Auch hier sind die vielen Stimmen des Chor des Bayerischen Rundfunks bei der Uraufführung (fast) immer in Bewegung. Kleine Parzellen unterschiedlichster Strukuren lösen einander ab. Immer wieder kann man dabei die Auflösung von einzelnen Klanggruppen hören, kann man miterleben, wie die ganz ohne Text funktionierendenen, streng organisierten, weit aufgefächerten flächigen Klänge in ein kraftvolles, aber weitgehend chaotisch erscheinendes dichtes Gewusel der in Gruppen geordneten Stimmen aufbrechen — wie in einem Ameisenstock eben. Überhaupt zeichnet das die hier vom Chor des BR so engagiert aufgeführten Chorwerke alles aus: Die Verbindung von oft weit aufgesplitteten, verzweigten und komplex organisierten Abschnitten — die Stimmenzahl der Chöre gibt einen Hinweis — mit oft ganz dicht und eng, um Nuancen des Klangs und der Erfahrung ringenden Klangbildern.
Ergänzt wird das auf dieser formidablen CD noch um zwei instrumentale Werke, die ebenfalls im Rahmen der Münchenr “musica viva” aufgeommen wurden: “on the other side”, ein kleines Konzert für Klarinette, Harmonika, Akkordeon und Orchester sowie die Arbeit “Jagt die Wölfe zurück” für sechs Schlagzeuger.
Adriana Hölszky: Chorwerke und anderes 1993–2010 (musica viva Vol. 19). Neos Music 2014
(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Ausgabe 12/2014)
Es war dann doch einiges mehr als „Trost für Trauernde”: Ralf Otto und der Bachchor trösteten gleich die ganze Menschheit. Genau die richtige Musik am Vorabend des Ewigkeitssonntages also. Was auf dem Papier etwas seltsam aussieht, funktioniert in der Christuskriche jedenfalls so gut, dass man sich fragt, warum noch niemand auf die Idee gekomen ist: Die Kombination des Brahmsschen “Deutschen Requiem” mit den “Canti di prigionia” von Luigi Dallapiccola.
Natürlich ist das ein Bruch — aber ein fruchtbarer. Brahms, den man so oft hört, erfährt durch die 70 Jahre jüngere Musik des Italieners eine neue Perspektive. Und umgekeht werden auch Dallapiccolas drei Gesänge für Chor und Schlagwerk anders wahrgenommen, wenn man sie mitten im reinen Wohlklang von Brahms hört. Denn das war es natürlich mal wieder: Reiner Wohlklang. Was anderes ist bei Ralf Otto und dem Bachchor nicht zu erwarten. Der Chor, noch verstärkt durch die jungen Stimmen der Choristen der Mainzer Musikhochschule, agiert klangbewusst wie immer . Aber auch klar und konzise , immer – selbst in den zurückgenommensten, leistesten Passagen, mit beeindruckender Präsenz und Deutlichkeit. Möglich war das vor allem, weil er nicht gegen ein Orchester ansingen muss: Denn Otto hatte für dieses Experiment das „Deutsche Requiem“ in der Version für zwei Klaviere mit Pauke (die einige ungeheuerlich eindrucksvolle Einsätze hat) ausgewählt — nicht, dass ein Orchester für den Massenchor ein Problem gewesen wäre. So können die Sänger aber immer entspannt bleiben, immer in — für einen Chor dieser Größe — sehr leisen bis mittleren Lautstärken singen. Das macht den Klang nicht nur locker, sondern lässt offenbar Kapizitäten frei, die der Klangvielfalt und dem Ausdruck zu gute kommen.
Otto sucht für seine Interpretation des Klassikers sehr deutliche Positionen, er baut die sieben Sätze alle um zentrale Worte und Motive herum . Und er scheut die Spreizung nicht: Langsame Abschnitt dehnt er schon mal sehr deutlich und gibt dafür an anderen Stellen spürbar Gas. Seine Solisten, die Sopranistin Julia Kleiter und der Bariton Jochen Kupfer, unterstützen ihn damit mit viel Kraft. Und war dieses „Deutsche Requiem“ schon ein Lehrbeispiel für expressive Chormusik, so gilt das für Dallapiccolas „Canti“ noch stärker . 1939 im faschistischen Italien entstanden, sind sie mit ihren Texten berühmter Gefangener – Maria Stuart, Boethius und Savvonarola – und ihrer raffinierten Mischung tonaler und zwölftöniger Techniken ein frühes Exempel der engagierten Musik.
Und tatsächlich: Trost bietet diese Musik, ob sie nun von Brahms oder Dallapiccola stammt, nicht nur in ihren Texten, sondern auch in ihrem emotionalen Gehalt. Zumindest wenn man sie so raffiniert und mit Mut zu klaren Kanten aufführt wie Otto das kann. Trost, der aus dem Vertrauen geschöpft ist — in Gott und die Menschen, in die Ewigkeit und eine (bessere) Welt. Das kann man hören, in fast jeder Passage: Unverrückbar und unanfechtbar im Glauben, trotz aller Aufruhr und Anfechtung voller Gewissheit und Sicherheit, kreist diese große Ausdrucksmusik immer wieder um Trauer und Trost. Man muss sie nur so wörtlich nehmen wie Ralf Otto.
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Der erste Blick ist richtig erschreckend: „ss-p-t-pow“, „dang-dang-tsch-gang-g-dah-dab“ — das soll jetzt Händels Hallelujah sein? Dieses willkürliche Durcheinander von Pausen und Noten, von Punktierungen und Synkopen? Und diese sinnentleerten Laute?
Ja, hinter dem scheinbaren Chaos steckt tatsächlich „das“ Hallelujah aus Händels „Messiah“. Allerding ganz leicht überarteitet: Eine Renovierung könnte man die Bemühungen Bernhard Hofmanns nennen. Denn seine Bearbeitung soll den Klassiker mal wieder auffrischen: Er macht Pop, was schon immer Pop war und ist – nur dass es sich jetzt auch für das 21. Jahrhundert so anhört. Und in dieser Hinsicht findet dann plötzlich alles seinen Platz, steht jede Note und jede Pause ganz richtig und fängt – mit ein bisschem Durchblick und Übung – auch wirklich leicht zu grooven an. Vor allem rhythmische Sicherheit und Festigkeit der Sänger sind dafür allerdings unabdingbare Voraussetzung, sonst wird es schwierig, das lebendig werden zu lassen. Auch ein klangkräftiges, sicheres Bassgrundierung ist unablässlich. Aber das ist bei Händel ja auch nicht viel anders. Jedenfalls hat Hofmann für seinen sechstimmigen Satz die wesentlichen Momente des Originals – etwa die Unisoni bei „For the Lord God“ — bewahrt und ziemlich geschickt in sein Arragenment eingebaut, der zugleich klassischer Chorsatz und Popsong sein will.
Eine durchaus vorsichtige, ja sehr behutsame Renovierung ist das also: Ein frischer Anstrich für ein altes Haus – die Substanz ist die gleiche, an manchen Stellen sieht es trotzdem auf einmal ganz anders und neu aus, bietet der wahrscheinlich bekannteste Chorsatz der Musikgeschichte wieder ein neues Hörerlebnis. Ohne Zweifel ist das eine angenehme Überraschung – und ein wunderbares Zugabenstück.
John Eliot Gardiner hat eine Vorliebe für große und ungewöhnliche Projekte. Nach der Bach-Pilgrimage hat er sich inzwischen einem anderen großen B zugewendet: Brahms und seinen Sinfonien. Dessen vier Symphonien reichen aber nicht, das war dem Dirigenten offenbar zu wenig. Also hat Gardiner für seine Live-Aufnahmen noch große Chorwerke hinzugefügt — vorn Brahms, seinen Zeitgenossen, aber auch von ganz alten Meistern wie Gabrieli, Schütz und Bach. Er will damit vor allem die Vokaltät der Brahmsschen Orchesterwerke hervorheben. Inzwischen ist er damit auch fertig: Vier wunderschön klingende und auch schön anzuschauende CDs sind es geworden, die er mit “seinem” Orchester, dem Orchestre Révolutionnaie et Romantique, und dem Monteverdi-Choir eingespielt hat und auf seinem eignen Label Soli Deo Gloria veröffentlicht hat (vgl. Neue Chorzeit xx/xx).
Die dritte Symphonie wird ausschließlich von Chorwerken des Meisters selbst gerahmt. Vor allem der „Gesang der Parzen” und die „Nänie” stechen positiv hervor: Mit Augenmaß lässt Gardiner den Monteverdi-Choir sowohl den dramatischen Gestus als auch feine Details der Textausdeutung realisieren.
Auch die vierte CD dieser Reihe fängt ganz ausgesprochen dramatisch an, mit Beethovens Coriolan-Ouvertüre. Und geht dann auch so weiter . Geschmeidig und diszipliniert zugleich ist Gardiners Interpretation aller vier Symphonien, die schwungvoll die Dramatik der Partitur weckt, ohne je bemüht zu wirken. Genauso natürlich und ganz entspannt selbstverständlich (darin wirken diese Aufnahmen fast klassisch) lässt er den Monteverdi-Choir auch die Vokalwerke singen. Selbst die etwas spröderen Brahmsschen „Fest- und Gedenksprüche” fließen bei ihm ganz harmonisch aus den Lautsprechern. Nicht nur hier, auch bei den ausgewählten Chorsätzen von Giovanni Gabrieli, Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, zeichnen sich diese Aufnahmen immer durch eine angenehme Kombination aus Freude an der Detailgenauigkeit und großzügiger klanglicher Gestaltung aus.
Ob die unmittelbare Nachbarschaft der großen Vokalwerke die Symphonien nun wirklich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, ist eigentlich egal. Jedenfalls gelingen Gardiner alle vier in vorzüglicher Weise. Und wenn es dazu noch interessante Chormusik gibt — umso besser.
Da steht er nun also, der arme Tor, und ist genauso klug wie zuvor. Zwar steht er dieses Mal nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sondern im Altarraum der Altmünsterkirche. Aber auch der heilige Raum bringt Faust keine besondere Erleuchtung.
Zumindest nicht in der Inszenierung des hautnah-Theaters. Die Truppe gastiert gerade mit ihrem „Urfaust” in Mainz – und bringt eine Menge Leben in die Kirche. Denn Regisseur Rolf Bidinger hat den Urfaust, die erste Version des Faustdramas aus der Feder Goethes, stark konzentriert und deutlich auf die komische Seite der Verwicklungen zwischen Faust und Goethe fokussiert. Seine Inszenierung und die fast überdeutliche Aktionen der hautnah-Schauspieler sorgen deshalb für eine Menge Lacher und viel Heiterkeit. Und das nicht ohne Grund – der Text des Weimarer Dichters hat durchaus seine Komik, oft genug in einer recht derben und handfesten Variante.
Zugleich ist er aber auch – durchaus schon im Urfaust – mehr als eine tragikomische Liebesgeschichte. Schließlich lauert der Teufel von Anbeginn im Hintergrund, schon beim Vorspiel ist er immer präsent und wartet auf seine Gelegenheit. Und er bleibt es fast die ganze Zeit – der Teufel ist in der Altmünsterkirche fast zentraler als Faust oder sein Gretchen. Das liegt auch an Daniel Kröhnert, der den Mephisto mit lässiger Eleganz, süffisantem Sarkasmus und großer Präsenz ausfüllt und verkörpert. Dagegen bleibt der Faust von Jan Schuba etwas blässlich – anfangs, im Zimmer des Gelehrten vor allem, trifft er seine Rolle sehr gut. Aber je konkreter und direkter seine Liebe zu Grete wird, desto unwahrscheinlicher wirkt seine Darstellung. Grete dagegen macht eine sehr glaubhafte Wandlung durch: Vom keck-koketten Mädchen (das freilich bei Goethe die Religion viel ernster nimmt als hier) zur gefallenen Dirne und Kindsmörderin, die im Gefängnis vor Verzweiflung irr wird, verleiht Dana Kröhnert ihrem Gretchen eine sehr lebendige und plastische Gestalt.
Abgerundet und ergänzt wird das Spiel des hautnah-Theaters durch die Kantorei von St. Johannis. Unter Volker Ellenberger tritt sie wie ein klassischer Theaterchor kommentierend, warnend und vorausschauend auf: Mit dem Choral „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig” kommentiert der Chor das Geschehen im Wirtshaus, mit „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod” warnt er Grete vor dem verführerischen Faust und ergänzt und überhöht so das theatralische Geschehen, ohne direkt in die Handlung einzugreifen – die haben die Schauspieler voll im Griff.
Festlicher geht es kaum. Passender aber auch nicht: Denn die feierliche Eröffnung des Mainzer Musiksommers – der dieses Jahr schon seinen zehnten Geburtstag feiern kann – verbindet sich im ersten Konzert mit einer intensiven Würdigung eines der diesjährigen Jubilare der Musikgeschichte. Domkapellmeister Mathias Breitschaft dirigierte zum Auftakt der diesjährigen, gemeinsam von SWR und der Stadt Mainz veranstalteten Konzertreihe, nämlich ein reines Haydn-Programm. Und obwohl er in „seinem“ Raum, dem Dom, naturgemäß vorwiegend Kirchenmusik heranzog, ein gleichermaßen repräsentatives und abwechslungsreiches. Denn neben dem Zentrum, der Großen Orgel-Solo-Messe und dem „Te Deum Laudamus“ noch zwei Orgelkonzerte aus dem reichen Fundus, den Haydn auch da hinterlassen hat.
Der Limburger Organist Markus Eichenlaub meisterte dabei auch die virtuosen Passagen fast nonchalant, immer mit coolem understatement und lässiger Eleganz, die ihre Wirkung vor allem aus der leicht dahin fliegend, locker und entspannt wirkenden technischen Präzision schöpfte. Das Kurpfälzische Kammerorchester ließ Breitschaft etwas erdiger und stärker grundiert begleiten. So bot er dem Solisten viel Raum, der sich – aus der Partitur spielend – aber lieber zurückhielt und geschmeidig in den Gesamtklang eingliederte.
Doch im Zentrum des Eröffnungskonzertes stand mit der großen und großartigen Messe eine fröhlich-überschwängliche Vertonung des Ordinariums. Und Breitschaft ließ keinen Zweifel an seiner Bereitschaft, der Messe nicht nur Power ohne Ende mitzugeben, sondern auch stark kontrastierende zarte und innige Momente. Und dann wieder war die Messvertonung spritzig-pulsierend bis zur Grenze des Wahnwitzes. Aber es ging alles gut – der Domkammerchor war bestens präpariert und verwöhnte mit jugendlich-frischem und schlanken Klang. Und die versierten Solisten, neben der gewohnt souveränen Janice Creswell und der klaren Diana Schmid sowie dem zurückhaltenden Bass Clemens Breitschaft vor allem der charismatische und engagierte Tenor Daniel Jenz, ließen auch keine Wünsche offen.
Ähnlich forsch ging der Domkappellmeister auch das C‑Dur-Te deum an. Das wurde dann so rasant und energieprotzend, dass es fast einen Tick angeberisch wirkte. Aber nur fast: Denn Breitschaft blieb immer gerade noch so kontrolliert und zielgerichtet, dass das Te deum zu einer unwiderstehlichen Verführung, einer sanften, unmerklichen Überredung hin zu Glauben und Kirche, wurde. Dass so wunderschöne Musik entstand, war fast nur ein Nebenprodukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Verführung – die schließlich durchaus im Sinne Haydns ist – gerne durchgehen. Und hofft, dass die restlichen Konzerte des Musiksommers genauso viele Verheißungen preisgeben werden.
Ein norddeutscher Gottesdienst zu Beginn des 17. Jahrhunderts – wie der wohl geklungen hat? Und was dort zu hören und zu erleben, zu sehen und zu feiern war, wenn es ein wichtiger Feiertag war wie etwa die Michaelisvesper? Um das aufzuspüren, könnte man sich jetzt einige Wochen in die Bibliothek setzen und alte Kirchenordnungen, Musikerrechnungen und Partituren studieren. Oder man setzt sich entspannt in seinen Hörsessel und legt die gerade erschiene SACD des Knabenchor Hannover in den Player. Dort ist nämlich genau das aufgenommen: Eine versuchte Rekonstruktion so einer Michaelisvesper, wie sie etwa in den 1620er-Jahren zum Beispiel in Wolfenbüttel hätte geschehen können. Jörg Breiding, der Dirigent der Hannoveraner, hat mit fachkundiger Unterstützung aus den Werken Michael Praetorius, der genau dort Organist und Hofkapellmeister war, ein mögliches Gesamtkunstwerk einer musikalischen Vesper zu Michaelis zusammengestellt. Und das dann zu unserem Glück mit seinem Chor und einer Menge Instrumental-Experten (dem Johann-Rosenmüller-Ensemble und Hille Perls „The Sirius Viols“ sowie dem Bremer Lautten-Chor) auf eine Super-Audio-CD gebannt. 80 Minuten faszinierende Musik sind das geworden, in denen man mit dem fremden Blick des Nachgeborenen der ungeheueren Vielfalt der Musik Praetorius’ lauschen darf, seinen Konzertsätzen und seinen Psalmen etwa, aber auch dem großen Magnificat, das in sich noch einmal mit seinem breiten Spektrum musikalischer Gestaltungskraft fein differenziert. Genau das macht auch Breiding mit seinen Sängern und Instrumentalisten: Das ist, gerade in der Harmonie der Mannigfaltigkeit und der weichen Fülle des Klangs eine sehr feine und feinsinnige Aufnahme geworden. Schade nur, dass die Gottesdienste heute solche musikalischen Hochleistungen nicht (mehr) bieten.
Michaelisvesper mit Werken von Michael Praetorius. Viele Solisten …. Knabenchor Hannover, Jörg Breiding. Rondeau Production SACD ROP7007, 2009.