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Schlagwort: chormusik Seite 1 von 3

spinnennetz in der sonne

Ins Netz gegangen (26.10.)

Ins Netz gegan­gen am 26.10.:

Taglied 13.3.2015

Oxana Omelschuck, Gauner­lieder für gemis­cht­en Chor (die UA singt das SWR Vokalensem­ble unter Stephen Lay­ton beim Eclat-Fes­ti­val in Stuttgart):

Dämonen und andere Chorkunst von Adriana Hölszky

cover“Gemälde eines Erschla­ge­nen”, “Dämo­nen”, “Jagt die Wölfe zurück” — schon die Titel ver­rat­en, dass Adri­ana Höl­szkys Musik sich nicht mit beschaulich­er Besin­nung aufhält. Aus Live-Auf­nah­men von der musi­ca viva haben der Bay­erische Rund­funk und Neos jet­zt eine CD vor allem mit Chor­musik zusam­mengestellt. Und die fängt gle­ich über­wälti­gend, ganz groß an: 72 Stim­men ver­langt das “Gemälde eines Erschla­ge­nen” von 1993, das auf einem Text von Jakob Michael Rein­hard Lenz beruht. Davon schnappt man immer wieder Worte, einzel­nen Sil­ben, kurze Satzteile auf. Ins Zen­trum des Trubels ein­er Mord­szene führt die Musik, hinein in die klan­glich bedrück­ende und ein­drück­liche Schilderung ein­er Tötung eines Wehrlosen. Damit ist das “Gemälde eines Erschla­ge­nen” eine Musik, der man sich aus­liefern muss — und die einen dann in dieser Auf­nahme mit dem von Gustaf Sjökvist vorzüglich geführten Chor des Bay­erischen Rund­funks mit emo­tionaler Gewalt umzin­gelt: Grauen und Schreck­en kann sie dem Hör­er lehren und veg­e­gen­wär­ti­gen, ihn — kör­per­lich ganz unbeschädigt und entspan­nt — mit­ten durch diese dumpfe Szene mench­lis­ch­er Abgründe führen.

Auch die “Dämo­nen” sind wieder groß notiert: Statt 72 sind es immer­hin noch 48 einzeln notierte Stim­men, die Hölzsky dem Chor vor­legt. Wiederum wird die Sprache aufgelöst — und wiederum ist das inhaltlich begrün­det. Dieses Mal — “Dämo­nen” ist ein Auf­tragswerk für das Mozart­jahr 2006 der Salzburg­er Fest­spiele — sind es die inneren Stim­men Don Gio­van­nis bei sein­er Höl­len­fahrt, die sie ver­tont. Das sind wahrhaft dämonis­che, sehr geheimnisvolle Stim­men total ver­wirrter Gedanken, die sich eben auf keinen fes­ten Text mehr zurück­führen lassen. Aus einzel­nen klan­glichen und sprach­lichen Ereignis­sen, die als Impuls­ge­ber dienen, ent­fal­tet die Kom­pon­istin faszinierende Psy­chogramme en minia­ture, die zusam­men das plas­tis­che klan­gliche Abbild ein­er rauen, zer­wühlten und ver­lebten Seele geben. Und genau so rabi­at, roh und ver­wildert lässt der Chor des Bay­erischen Rund­funks, der hier in einem Mitschnitt der deutschen Erstauf­führung zu hören ist, das auch klin­gen — ganz großar­tig!

Fast natur­wis­senschaftlich begrün­det wirkt dage­gen “Formi­car­i­um”, dass auf der Beobach­tung von Ameisen­völk­ern beruht. Auch hier sind die vie­len Stim­men des Chor des Bay­erischen Rund­funks bei der Urauf­führung (fast) immer in Bewe­gung. Kleine Parzellen unter­schiedlich­ster Strukuren lösen einan­der ab. Immer wieder kann man dabei die Auflö­sung von einzel­nen Klang­grup­pen hören, kann man miter­leben, wie die ganz ohne Text funk­tion­ieren­de­nen, streng organ­isierten, weit aufge­fächerten flächi­gen Klänge in ein kraftvolles, aber weit­ge­hend chao­tisch erscheinen­des dicht­es Gewusel der in Grup­pen geord­neten Stim­men auf­brechen — wie in einem Ameisen­stock eben. Über­haupt zeich­net das die hier vom Chor des BR so engagiert aufge­führten Chor­w­erke alles aus: Die Verbindung von oft weit aufge­s­plit­teten, verzweigten und kom­plex organ­isierten Abschnit­ten — die Stim­men­zahl der Chöre gibt einen Hin­weis — mit oft ganz dicht und eng, um Nuan­cen des Klangs und der Erfahrung rin­gen­den Klang­bildern.

Ergänzt wird das auf dieser for­mi­da­blen CD noch um zwei instru­men­tale Werke, die eben­falls im Rah­men der Münchenr “musi­ca viva” auf­ge­om­men wur­den: “on the oth­er side”, ein kleines Konz­ert für Klar­inette, Har­moni­ka, Akko­rdeon und Orch­ester sowie die Arbeit “Jagt die Wölfe zurück” für sechs Schlagzeuger.

Adri­ana Höl­szky: Chor­w­erke und anderes 1993–2010 (musi­ca viva Vol. 19). Neos Music 2014

(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, Aus­gabe 12/2014)

Musikalischer Weltentrost

Es war dann doch einiges mehr als „Trost für Trauernde”: Ralf Otto und der Bach­chor trösteten gle­ich die ganze Men­schheit. Genau die richtige Musik am Vor­abend des Ewigkeitsson­ntages also. Was auf dem Papi­er etwas selt­sam aussieht, funk­tion­iert in der Chris­tuskriche jeden­falls so gut, dass man sich fragt, warum noch nie­mand auf die Idee gekomen ist: Die Kom­bi­na­tion des Brahmss­chen “Deutschen Requiem” mit den “Can­ti di pri­gio­nia” von Lui­gi Dal­lapic­co­la.

Natür­lich ist das ein Bruch — aber ein frucht­bar­er. Brahms, den man so oft hört, erfährt durch die 70 Jahre jün­gere Musik des Ital­ieners eine neue Per­spek­tive. Und umgeke­ht wer­den auch Dal­lapic­co­las drei Gesänge für Chor und Schlag­w­erk anders wahrgenom­men, wenn man sie mit­ten im reinen Wohlk­lang von Brahms hört. Denn das war es natür­lich mal wieder: Rein­er Wohlk­lang. Was anderes ist bei Ralf Otto und dem Bach­chor nicht zu erwarten. Der Chor, noch ver­stärkt durch die jun­gen Stim­men der Cho­ris­ten der Mainz­er Musikhochschule, agiert klang­be­wusst wie immer . Aber auch klar und konzise , immer – selb­st in den zurückgenom­men­sten, leis­testen Pas­sagen, mit beein­druck­ender Präsenz und Deut­lichkeit. Möglich war das vor allem, weil er nicht gegen ein Orch­ester ansin­gen muss: Denn Otto hat­te für dieses Exper­i­ment das „Deutsche Requiem“ in der Ver­sion für zwei Klaviere mit Pauke (die einige unge­heuer­lich ein­drucksvolle Ein­sätze hat) aus­gewählt — nicht, dass ein Orch­ester für den Massen­chor ein Prob­lem gewe­sen wäre. So kön­nen die Sänger aber immer entspan­nt bleiben, immer in — für einen Chor dieser Größe — sehr leisen bis mit­tleren Laut­stärken sin­gen. Das macht den Klang nicht nur lock­er, son­dern lässt offen­bar Kapiz­itäten frei, die der Klangvielfalt und dem Aus­druck zu gute kom­men.

Otto sucht für seine Inter­pre­ta­tion des Klas­sik­ers sehr deut­liche Posi­tio­nen, er baut die sieben Sätze alle um zen­trale Worte und Motive herum . Und er scheut die Spreizung nicht: Langsame Abschnitt dehnt er schon mal sehr deut­lich und gibt dafür an anderen Stellen spür­bar Gas. Seine Solis­ten, die Sopranistin Julia Kleit­er und der Bari­ton Jochen Kupfer, unter­stützen ihn damit mit viel Kraft.
Und war dieses „Deutsche Requiem“ schon ein Lehrbeispiel für expres­sive Chor­musik, so gilt das für Dal­lapic­co­las „Can­ti“ noch stärk­er . 1939 im faschis­tis­chen Ital­ien ent­standen, sind sie mit ihren Tex­ten berühmter Gefan­gener – Maria Stu­art, Boethius und Savvonaro­la – und ihrer raf­finierten Mis­chung tonaler und zwölftöniger Tech­niken ein früh­es Exem­pel der engagierten Musik.

Und tat­säch­lich: Trost bietet diese Musik, ob sie nun von Brahms oder Dal­lapic­co­la stammt, nicht nur in ihren Tex­ten, son­dern auch in ihrem emo­tionalen Gehalt. Zumin­d­est wenn man sie so raf­finiert und mit Mut zu klaren Kan­ten auf­führt wie Otto das kann. Trost, der aus dem Ver­trauen geschöpft ist — in Gott und die Men­schen, in die Ewigkeit und eine (bessere) Welt. Das kann man hören, in fast jed­er Pas­sage: Unver­rück­bar und unan­fecht­bar im Glauben, trotz aller Aufruhr und Anfech­tung voller Gewis­sheit und Sicher­heit, kreist diese große Aus­drucksmusik immer wieder um Trauer und Trost. Man muss sie nur so wörtlich nehmen wie Ralf Otto.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Taglied 26.7.202

Rhein­berg­er, Abend­lied (Cam­bridge Singers):

Abend­lied — J. Rhein­berg­er

Beim Klick­en auf das und beim Abspie­len des von YouTube einge­bet­teten Videos wer­den (u. U. per­so­n­en­be­zo­gene) Dat­en wie die IP-Adresse an YouTube über­tra­gen.

Poppiger Barock: Händels Hallelujah aufgepeppt

Der erste Blick ist richtig erschreck­end: „ss-p-t-pow“, „dang-dang-tsch-gang-g-dah-dab“ — das soll jet­zt Hän­dels Hal­lelu­jah sein? Dieses willkür­liche Durcheinan­der von Pausen und Noten, von Punk­tierun­gen und Synkopen? Und diese sin­nentleerten Laute?

Ja, hin­ter dem schein­baren Chaos steckt tat­säch­lich „das“ Hal­lelu­jah aus Hän­dels „Mes­si­ah“. Allerd­ing ganz leicht über­arteit­et: Eine Ren­ovierung kön­nte man die Bemühun­gen Bern­hard Hof­manns nen­nen. Denn seine Bear­beitung soll den Klas­sik­er mal wieder auf­frischen: Er macht Pop, was schon immer Pop war und ist – nur dass es sich jet­zt auch für das 21. Jahrhun­dert so anhört. Und in dieser Hin­sicht find­et dann plöt­zlich alles seinen Platz, ste­ht jede Note und jede Pause ganz richtig und fängt – mit ein biss­chem Durch­blick und Übung – auch wirk­lich leicht zu grooven an. Vor allem rhyth­mis­che Sicher­heit und Fes­tigkeit der Sänger sind dafür allerd­ings unab­d­ing­bare Voraus­set­zung, son­st wird es schwierig, das lebendig wer­den zu lassen. Auch ein klangkräftiges, sicheres Bass­grundierung ist unablässlich. Aber das ist bei Hän­del ja auch nicht viel anders. Jeden­falls hat Hof­mann für seinen sech­stim­mi­gen Satz die wesentlichen Momente des Orig­i­nals – etwa die Unisoni bei „For the Lord God“ — bewahrt und ziem­lich geschickt in sein Arra­gen­ment einge­baut, der zugle­ich klas­sis­ch­er Chor­satz und Pop­song sein will.

Eine dur­chaus vor­sichtige, ja sehr behut­same Ren­ovierung ist das also: Ein frisch­er Anstrich für ein altes Haus – die Sub­stanz ist die gle­iche, an manchen Stellen sieht es trotz­dem auf ein­mal ganz anders und neu aus, bietet der wahrschein­lich bekan­nteste Chor­satz der Musikgeschichte wieder ein neues Hör­erleb­nis. Ohne Zweifel ist das eine angenehme Über­raschung – und ein wun­der­bares Zugaben­stück.

(geschrieben für die Neue Chorzeit.)

 

Es ist vollbracht: Gardiners Brahms-Aufnahmen

John Eliot Gar­diner hat eine Vor­liebe für große und ungewöhn­liche Pro­jek­te. Nach der Bach-Pil­grim­age hat er sich inzwis­chen einem anderen großen B zugewen­det: Brahms und seinen Sin­fonien. Dessen vier Sym­phonien reichen aber nicht, das war dem Diri­gen­ten offen­bar zu wenig. Also hat Gar­diner für seine Live-Auf­nah­men noch große Chor­w­erke hinzuge­fügt — vorn Brahms, seinen Zeitgenossen, aber auch von ganz alten Meis­tern wie Gabrieli, Schütz und Bach. Er will damit vor allem die Vokaltät der Brahmss­chen Orch­ester­w­erke her­vorheben. Inzwis­chen ist er damit auch fer­tig: Vier wun­der­schön klin­gende und auch schön anzuschauende CDs sind es gewor­den, die er mit “seinem” Orch­ester, dem Orchestre Révo­lu­tion­naie et Roman­tique, und dem Mon­tever­di-Choir einge­spielt hat und auf seinem eignen Label Soli Deo Glo­ria veröf­fentlicht hat (vgl. Neue Chorzeit xx/xx).

Die dritte Sym­phonie wird auss­chließlich von Chor­w­erken des Meis­ters selb­st ger­ahmt. Vor allem der „Gesang der Parzen” und die „Nänie” stechen pos­i­tiv her­vor: Mit Augen­maß lässt Gar­diner den Mon­tever­di-Choir sowohl den drama­tis­chen Ges­tus als auch feine Details der Tex­taus­deu­tung real­isieren.

Auch die vierte CD dieser Rei­he fängt ganz aus­ge­sprochen drama­tisch an, mit Beethovens Cori­olan-Ouvertüre. Und geht dann auch so weit­er . Geschmei­dig und diszi­plin­iert zugle­ich ist Gar­diners Inter­pre­ta­tion aller vier Sym­phonien, die schwungvoll die Dra­matik der Par­ti­tur weckt, ohne je bemüht zu wirken. Genau­so natür­lich und ganz entspan­nt selb­stver­ständlich (darin wirken diese Auf­nah­men fast klas­sisch) lässt er den Mon­tever­di-Choir auch die Vokalw­erke sin­gen. Selb­st die etwas spröderen Brahmss­chen „Fest- und Gedenksprüche” fließen bei ihm ganz har­monisch aus den Laut­sprech­ern. Nicht nur hier, auch bei den aus­gewählten Chorsätzen von Gio­van­ni Gabrieli, Hein­rich Schütz und Johann Sebas­t­ian Bach, zeich­nen sich diese Auf­nah­men immer durch eine angenehme Kom­bi­na­tion aus Freude an der Detail­ge­nauigkeit und großzügiger klan­glich­er Gestal­tung aus.

Ob die unmit­tel­bare Nach­barschaft der großen Vokalw­erke die Sym­phonien nun wirk­lich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, ist eigentlich egal. Jeden­falls gelin­gen Gar­diner alle vier in vorzüglich­er Weise. Und wenn es dazu noch inter­es­sante Chor­musik gibt — umso bess­er.

(geschrieben für die Neue Chorzeit.)

Anfangs war der Faust noch ziemlich komisch

… meint zumin­d­est das The­ater haut­nah:

Da ste­ht er nun also, der arme Tor, und ist genau­so klug wie zuvor. Zwar ste­ht er dieses Mal nicht auf den Bret­tern, die die Welt bedeuten, son­dern im Altar­raum der Alt­mün­sterkirche. Aber auch der heilige Raum bringt Faust keine beson­dere Erleuch­tung.

Zumin­d­est nicht in der Insze­nierung des haut­nah-The­aters. Die Truppe gastiert ger­ade mit ihrem „Urfaust” in Mainz – und bringt eine Menge Leben in die Kirche. Denn Regis­seur Rolf Bidinger hat den Urfaust, die erste Ver­sion des Faust­dra­mas aus der Fed­er Goethes, stark konzen­tri­ert und deut­lich auf die komis­che Seite der Ver­wick­lun­gen zwis­chen Faust und Goethe fokussiert. Seine Insze­nierung und die fast überdeut­liche Aktio­nen der haut­nah-Schaus­piel­er sor­gen deshalb für eine Menge Lach­er und viel Heit­erkeit. Und das nicht ohne Grund – der Text des Weimar­er Dichters hat dur­chaus seine Komik, oft genug in ein­er recht der­ben und hand­festen Vari­ante.

Zugle­ich ist er aber auch – dur­chaus schon im Urfaust – mehr als eine tragikomis­che Liebesgeschichte. Schließlich lauert der Teufel von Anbe­ginn im Hin­ter­grund, schon beim Vor­spiel ist er immer präsent und wartet auf seine Gele­gen­heit. Und er bleibt es fast die ganze Zeit – der Teufel ist in der Alt­mün­sterkirche fast zen­traler als Faust oder sein Gretchen. Das liegt auch an Daniel Kröh­n­ert, der den Mephis­to mit läs­siger Ele­ganz, süff­isan­tem Sarkas­mus und großer Präsenz aus­füllt und verkör­pert. Dage­gen bleibt der Faust von Jan Schu­ba etwas blässlich – anfangs, im Zim­mer des Gelehrten vor allem, trifft er seine Rolle sehr gut. Aber je konkreter und direk­ter seine Liebe zu Grete wird, desto unwahrschein­lich­er wirkt seine Darstel­lung.
Grete dage­gen macht eine sehr glaub­hafte Wand­lung durch: Vom keck-koket­ten Mäd­chen (das freilich bei Goethe die Reli­gion viel ern­ster nimmt als hier) zur gefal­l­enen Dirne und Kindsmörderin, die im Gefäng­nis vor Verzwei­flung irr wird, ver­lei­ht Dana Kröh­n­ert ihrem Gretchen eine sehr lebendi­ge und plas­tis­che Gestalt.

Abgerun­det und ergänzt wird das Spiel des haut­nah-The­aters durch die Kan­tor­ei von St. Johan­nis. Unter Volk­er Ellen­berg­er tritt sie wie ein klas­sis­ch­er The­ater­chor kom­men­tierend, war­nend und vorauss­chauend auf: Mit dem Choral „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig” kom­men­tiert der Chor das Geschehen im Wirtshaus, mit „Es ist ein Schnit­ter, heißt der Tod” warnt er Grete vor dem ver­führerischen Faust und ergänzt und über­höht so das the­atralis­che Geschehen, ohne direkt in die Hand­lung einzu­greifen – die haben die Schaus­piel­er voll im Griff.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fes­tlich­er geht es kaum. Passender aber auch nicht: Denn die feier­liche Eröff­nung des Mainz­er Musik­som­mers – der dieses Jahr schon seinen zehn­ten Geburt­stag feiern kann – verbindet sich im ersten Konz­ert mit ein­er inten­siv­en Würdi­gung eines der diesjähri­gen Jubi­lare der Musikgeschichte. Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft dirigierte zum Auf­takt der diesjähri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­anstal­teten Konz­ertrei­he, näm­lich ein reines Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „seinem“ Raum, dem Dom, naturgemäß vor­wiegend Kirchen­musik her­an­zog, ein gle­icher­maßen repräsen­ta­tives und abwech­slungsre­ich­es. Denn neben dem Zen­trum, der Großen Orgel-Solo-Messe und dem „Te Deum Lau­damus“ noch zwei Orgelkonz­erte aus dem reichen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­lassen hat.

Der Lim­burg­er Organ­ist Markus Eichen­laub meis­terte dabei auch die vir­tu­osen Pas­sagen fast non­cha­lant, immer mit coolem under­state­ment und läs­siger Ele­ganz, die ihre Wirkung vor allem aus der leicht dahin fliegend, lock­er und entspan­nt wirk­enden tech­nis­chen Präzi­sion schöpfte. Das Kurpfälzis­che Kam­merorch­ester ließ Bre­itschaft etwas erdi­ger und stärk­er grundiert begleit­en. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lieber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamtk­lang eingliederte.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungskonz­ertes stand mit der großen und großar­ti­gen Messe eine fröh­lich-über­schwängliche Ver­to­nung des Ordi­nar­i­ums. Und Bre­itschaft ließ keinen Zweifel an sein­er Bere­itschaft, der Messe nicht nur Pow­er ohne Ende mitzugeben, son­dern auch stark kon­trastierende zarte und innige Momente. Und dann wieder war die Messver­to­nung spritzig-pulsierend bis zur Gren­ze des Wah­n­witzes. Aber es ging alles gut – der Domkam­mer­chor war bestens prä­pari­ert und ver­wöh­nte mit jugendlich-frischem und schlanken Klang. Und die ver­sierten Solis­ten, neben der gewohnt sou­verä­nen Jan­ice Creswell und der klaren Diana Schmid sowie dem zurück­hal­tenden Bass Clemens Bre­itschaft vor allem der charis­ma­tis­che und engagierte Tenor Daniel Jenz, ließen auch keine Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Domkap­pellmeis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wurde dann so ras­ant und energieprotzend, dass es fast einen Tick ange­berisch wirk­te. Aber nur fast: Denn Bre­itschaft blieb immer ger­ade noch so kon­trol­liert und ziel­gerichtet, dass das Te deum zu ein­er unwider­stehlichen Ver­führung, ein­er san­ften, unmerk­lichen Überre­dung hin zu Glauben und Kirche, wurde. Dass so wun­der­schöne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­führung – die schließlich dur­chaus im Sinne Haydns ist – gerne durchge­hen. Und hofft, dass die restlichen Konz­erte des Musik­som­mers genau­so viele Ver­heißun­gen preis­geben wer­den.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

gottesdienst wie in alten zeiten

Ein nord­deutsch­er Gottes­di­enst zu Beginn des 17. Jahrhun­derts – wie der wohl gek­lun­gen hat? Und was dort zu hören und zu erleben, zu sehen und zu feiern war, wenn es ein wichtiger Feiertag war wie etwa die Michaelisves­per? Um das aufzus­püren, kön­nte man sich jet­zt einige Wochen in die Bib­lio­thek set­zen und alte Kirchenord­nun­gen, Musik­er­rech­nun­gen und Par­ti­turen studieren. Oder man set­zt sich entspan­nt in seinen Hörs­es­sel und legt die ger­ade erschiene SACD des Knaben­chor Han­nover in den Play­er. Dort ist näm­lich genau das aufgenom­men: Eine ver­suchte Rekon­struk­tion so ein­er Michaelisves­per, wie sie etwa in den 1620er-Jahren zum Beispiel in Wolfen­büt­tel hätte geschehen kön­nen. Jörg Brei­d­ing, der Diri­gent der Han­nover­an­er, hat mit fachkundi­ger Unter­stützung aus den Werken Michael Prae­to­rius, der genau dort Organ­ist und Hofkapellmeis­ter war, ein möglich­es Gesamtkunst­werk ein­er musikalis­chen Ves­per zu Michaelis zusam­mengestellt. Und das dann zu unserem Glück mit seinem Chor und ein­er Menge Instru­men­tal-Experten (dem Johann-Rosen­müller-Ensem­ble und Hille Perls „The Sir­ius Vio­ls“ sowie dem Bre­mer Laut­ten-Chor) auf eine Super-Audio-CD geban­nt. 80 Minuten faszinierende Musik sind das gewor­den, in denen man mit dem frem­den Blick des Nachge­bore­nen der unge­heueren Vielfalt der Musik Prae­to­rius’ lauschen darf, seinen Konz­ert­sätzen und seinen Psalmen etwa, aber auch dem großen Mag­ni­fi­cat, das in sich noch ein­mal mit seinem bre­it­en Spek­trum musikalis­ch­er Gestal­tungskraft fein dif­feren­ziert. Genau das macht auch Brei­d­ing mit seinen Sängern und Instru­men­tal­is­ten: Das ist, ger­ade in der Har­monie der Man­nig­faltigkeit und der weichen Fülle des Klangs eine sehr feine und feinsin­nige Auf­nahme gewor­den. Schade nur, dass die Gottes­di­en­ste heute solche musikalis­chen Hochleis­tun­gen nicht (mehr) bieten.

Michaelisves­per mit Werken von Michael Prae­to­rius. Viele Solis­ten …. Knaben­chor Han­nover, Jörg Brei­d­ing. Ron­deau Pro­duc­tion SACD ROP7007, 2009.

(geschrieben für die neue chorzeit)

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