Es war dann doch eini­ges mehr als „Trost für Trau­ern­de“: Ralf Otto und der Bach­chor trös­te­ten gleich die gan­ze Mensch­heit. Genau die rich­ti­ge Musik am Vor­abend des Ewig­keits­sonn­ta­ges also. Was auf dem Papier etwas selt­sam aus­sieht, funk­tio­niert in der Chris­tusk­ri­che jeden­falls so gut, dass man sich fragt, war­um noch nie­mand auf die Idee geko­men ist: Die Kom­bi­na­ti­on des Brahms­schen „Deut­schen Requi­em“ mit den „Can­ti di pri­gio­nia“ von Lui­gi Dal­la­pic­co­la.

Natür­lich ist das ein Bruch – aber ein frucht­ba­rer. Brahms, den man so oft hört, erfährt durch die 70 Jah­re jün­ge­re Musik des Ita­lie­ners eine neue Per­spek­ti­ve. Und umge­keht wer­den auch Dal­la­pic­co­las drei Gesän­ge für Chor und Schlag­werk anders wahr­ge­nom­men, wenn man sie mit­ten im rei­nen Wohl­klang von Brahms hört. Denn das war es natür­lich mal wie­der: Rei­ner Wohl­klang. Was ande­res ist bei Ralf Otto und dem Bach­chor nicht zu erwar­ten. Der Chor, noch ver­stärkt durch die jun­gen Stim­men der Cho­ris­ten der Main­zer Musik­hoch­schu­le, agiert klang­be­wusst wie immer . Aber auch klar und kon­zi­se , immer – selbst in den zurück­ge­nom­mens­ten, leis­tes­ten Pas­sa­gen, mit beein­dru­cken­der Prä­senz und Deut­lich­keit. Mög­lich war das vor allem, weil er nicht gegen ein Orches­ter ansin­gen muss: Denn Otto hat­te für die­ses Expe­ri­ment das „Deut­sche Requi­em“ in der Ver­si­on für zwei Kla­vie­re mit Pau­ke (die eini­ge unge­heu­er­lich ein­drucks­vol­le Ein­sät­ze hat) aus­ge­wählt – nicht, dass ein Orches­ter für den Mas­sen­chor ein Pro­blem gewe­sen wäre. So kön­nen die Sän­ger aber immer ent­spannt blei­ben, immer in – für einen Chor die­ser Grö­ße – sehr lei­sen bis mitt­le­ren Laut­stär­ken sin­gen. Das macht den Klang nicht nur locker, son­dern lässt offen­bar Kapi­zi­tä­ten frei, die der Klang­viel­falt und dem Aus­druck zu gute kom­men.

Otto sucht für sei­ne Inter­pre­ta­ti­on des Klas­si­kers sehr deut­li­che Posi­tio­nen, er baut die sie­ben Sät­ze alle um zen­tra­le Wor­te und Moti­ve her­um . Und er scheut die Sprei­zung nicht: Lang­sa­me Abschnitt dehnt er schon mal sehr deut­lich und gibt dafür an ande­ren Stel­len spür­bar Gas. Sei­ne Solis­ten, die Sopra­nis­tin Julia Klei­ter und der Bari­ton Jochen Kup­fer, unter­stüt­zen ihn damit mit viel Kraft.
Und war die­ses „Deut­sche Requi­em“ schon ein Lehr­bei­spiel für expres­si­ve Chor­mu­sik, so gilt das für Dal­la­pic­co­las „Can­ti“ noch stär­ker . 1939 im faschis­ti­schen Ita­li­en ent­stan­den, sind sie mit ihren Tex­ten berühm­ter Gefan­ge­ner – Maria Stuart, Boe­thi­us und Sav­vo­na­ro­la – und ihrer raf­fi­nier­ten Mischung tona­ler und zwölf­tö­ni­ger Tech­ni­ken ein frü­hes Exem­pel der enga­gier­ten Musik.

Und tat­säch­lich: Trost bie­tet die­se Musik, ob sie nun von Brahms oder Dal­la­pic­co­la stammt, nicht nur in ihren Tex­ten, son­dern auch in ihrem emo­tio­na­len Gehalt. Zumin­dest wenn man sie so raf­fi­niert und mit Mut zu kla­ren Kan­ten auf­führt wie Otto das kann. Trost, der aus dem Ver­trau­en geschöpft ist – in Gott und die Men­schen, in die Ewig­keit und eine (bes­se­re) Welt. Das kann man hören, in fast jeder Pas­sa­ge: Unver­rück­bar und unan­fecht­bar im Glau­ben, trotz aller Auf­ruhr und Anfech­tung vol­ler Gewiss­heit und Sicher­heit, kreist die­se gro­ße Aus­drucks­mu­sik immer wie­der um Trau­er und Trost. Man muss sie nur so wört­lich neh­men wie Ralf Otto.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)