soviel gle­ich vor­weg: eine the­o­rie der unbil­dung hat kon­rad paul liess­mann nicht geschrieben — auch wenn er seinen groß-essay so über­ti­tel hat. was er aber sehr schön und pointiert macht: mit dem mythos, eine wis­sens­ge­sellschaft zeichne sich durch viel und hohe bil­dung aus, gründlich aufzuräu­men. er tut dies dur­chaus sehr pointiert. wenn auch nicht außergewöhn­lich orig­inell.

am her­vorstechend­sten ist schon seine analyse der augen­blick­lichen mis­ere (auch er muss natür­lich anerken­nen, dass sich das sys­tem der (aus-)bildung per­ma­nent in der krise befind­et) als eine erschei­n­ung der unbil­dung, die — im gegen­satz zu den refor­mver­suchen der nachkriegszeit — vol­lkom­men auf den anschluss an den begriff der bil­dung verzichtet, auch in der nega­tion nicht mehr auf ihn rekur­ri­ert (und damit unter­schieden ist von dem, was liess­mann in anschluss an adorno als halb­bil­dung klas­si­fiziert).

von dort aus ist es liess­mann dann ein leicht­es, einige der gröberen missstände anzuprangern und vorzuführen: das unen­twegte schie­len nach ran­glis­ten­po­si­tio­nen etwa, dass mit bil­dung nie etwas zu tun haben kann, da diese als qual­ität prinzip­iell nicht quan­tifizier­bar sei und damit auch nicht in ran­glis­ten oder ähn­lich ord­nun­gen über­führt wer­den könne. oder die krankheit der eval­u­a­tion, die auf dem gle­ichen missver­ständ­nis beruht, zusät­zlich allerd­ings beson­ders deut­lich auch noch geheime nor­ma­tive vor­gaben (schon durch die art der fra­gen) entwick­elt und etabliert. und immer wieder: der gegen­satz von wis­sen als ver­füg­barkeit von infor­ma­tion­spar­tikeln und bil­dung (im klas­sis­chen, human­is­tis­chen sinn, unter direk­tem rück­griff auf wil­helm von hum­boldts ideen und ide­ale).

der man­gel an diesem ver­such wie bei allen ähn­lichen unternehmungen: sie kom­men immer zu spät (ein vor­wurf, der liess­mann unbe­d­ingt tre­f­fen muss — er ist schließlich teil des miss­standes), sie sind immer zu gebildet und speziell, um gehört zu find­en. und hat dur­chaus auch einige lose enden (zum beispiel bei seinem angriff auf die rechtschreibre­form — warum die neue rechtschrei­bung unbe­d­ingt weniger ästhetisch sein soll als die alte erschließt sich mir über­haupt nicht — vielle­icht bin ich dafür aber auch zu sehr prag­matik­er). alles in allem: eine lesen­werte stre­itschrift für bil­dung und gegen die ver­dum­mungs­be­mühun­gen der informierten wis­sens­ge­sellschaft.

kon­rad paul liess­mann: the­o­rie der unbil­dung. wien: zsol­nay 2006.

bei der taz gibt es online ein inter­view von robert misik mit liess­mann.

und noch ein p.s.: wie frag­il und flüchtig wis­sen auch in der soge­nan­nten wis­sens­ge­sellschaft (oder ger­ade hier) ist, lässt sich an liess­man­ns büch­lein exzel­lent beobacht­en: das ist näm­lich grot­ten­schlecht geset­zt — unter mis­sach­tung der eigentlich immer noch gülti­gen satzregeln. zum beispiel habe ich sel­ten ein buch eines immer­hin renom­mierten ver­lags gele­sen, in dem es der­maßen auf­fäl­lig von schus­ter­jun­gen wim­melt. und in dem es nicht nur ein­mal vorkommt, dass fußnoten nicht nur auf der falschen seite, son­dern tat­säch­lich auf der falschen dop­pel­seite platziert sind (also zwis­chen dem fußnoten­ze­ichen und der fußnote ein zwangsweis­es umblät­tern liegt) — so ein mist sollte doch eigentlich jedem lehrling in der ersten woche abgewöh­nt wor­den sein …

p.p.s.: ganz passend habe ich ger­ade auf tele­po­lis ein artikel gefun­den, der hier per­fekt passt (vor allem zu liess­man­ns viertem kapi­tel, der wahn der ran­gliste): „die welt in zahlen — Rank­ings gehören zu den wirk­mächtig­sten Mythen des neolib­eralen All­t­ags”. dort heißt es unter anderem: „Rank­ings for­men die Wirk­lichkeit, die sie zu messen vorgeben”. anson­sten ste­ht da (wie so oft) kaum etwas bemerkenswertes drin. aber die koinzi­denz mit mein­er lek­türe war doch wieder ein­mal bemerkenswert …