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Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Bibliothek (gebogene Reihe)

Aus-Lese #54

Eber­hard Kolb: Otto von Bis­mar­ck. Eine Biogra­phie. München: Beck 2014. 208 Seit­en. ISBN 978–3‑406–66774‑9.

kolb, bismarck (cover)Als Biogra­phie ist das für mich kaum sat­is­fak­tions­fähig: Zu blass und ver­schwom­men bleibt das Bild. Der Men­sch Bis­mar­ck, die Per­son, tritt nahezu gar nicht auf — ab und an gibt es Hin­weise auf seine Gesund­heit oder ein paar ganz wenige auf Frau und Kinder. Im Vorder­grund oder bess­er alleine im Fokus ste­ht sein poli­tis­ches Han­deln. Das beschreibt Kolb mit Zunei­gung, aber dur­chaus auch mit Blick für die Ambivalen­zen Bis­mar­cks. Aber auch das Zen­trum, die Poli­tik, bleibt blut- und far­b­los. Das liegt vor allem daran, dass Kolb oft sehr großzügig durch die Geschehnisse und Tat­en durch eilt udn nur die Ergeb­nisse berichtet, den Weg aber meist nur sum­marisch (und oft genug mit dem Hin­weis: Die Details sind bekan­nt). Das wiederum hängt damit zusam­men, dass er keinen recht­en Zugriff find­et: Eigentlich ist das eine preußische/deutsche Geschichte am Beispiel Bis­mar­cks. Und bei­des ist in diesem Umfang natür­lich kaum beson­ders inten­siv oder tiefge­hend zu leis­ten.

Wu Ming: Man­i­tu­a­na. Berlin, Ham­burg: Assozi­a­tion A 2018. 509 Seit­en. ISBN 978–3‑86241–465‑9.

wu ming, manituana (cover)Man­i­tu­a­na reicht lei­der nicht an die let­zten Bände von Wu Ming her­an. Das kann dur­chaus daran liegen, dass der USA, ihre Unab­hängigkeit­skrieg und der Kampf mit, um und gegen die “Indi­an­er” schon an sich nicht so ganz mein Ding sind. Da passiert dann zwar wieder viel, es wird gekämpft, bet­ro­gen, ver­rat­en und ver­han­delt, eine Del­e­ga­tion darf auch nach Eng­land reisen und sich im Luxus (und den Niederun­gen Lon­dons) des Adel­slebens gehörig fremd fühlen. Ich hat­te beim Lesen aber schon eigentlich durch­weg den Ein­druck, dass das an Span­nung und vor allem hin­sichtlich des bild­haften, detail­re­ichen Erzäh­lens ein­fach nicht (mehr) so gut ist. Zu sehr dringt hier immer wieder die Absicht an die Ober­fläche und stellt sich vor den Text — und damit funk­tion­iert genau das, was bei anderen Tex­ten von Wu Ming die beson­dere Span­nung und den speziellen Reiz aus­macht, hier lei­der nicht.

Jan Peter Bre­mer: Der junge Dok­torand. 2. Auflage. München: Berlin 2019. 176 Seit­en. ISBN 978–3‑8270–1389‑7.

bremer, der junge doktorand (cover)Das ist ein über­raschend feines, kleines Buch. Jan Peter Bre­mer hat­te ich bish­er ja über­haupt nicht auf dem Schirm. Aber in Der junge Dok­torand zeigt er sich dur­chaus als gewiefter Erzäh­ler, der sein Handw­erk ver­ste­ht und vor allem ernst nimmt: Ernst nehmen in dem Sinn, dass er sich bemüht, sauber zu arbeit­en, Fehler zu ver­mei­den. Das zeigt der Text, der mit Gespür und Form­be­wusst­sein erzählt ist. Das kun­stvolle Beherrschen des Erzäh­lens zeigt sich auch in dem Umfang des Buch­es: Das ist ein klein­er Roman. Es geht auch gar nicht so sehr um große, allum­fassende Dinge — die Welt wird hier nicht ger­ade erzählt. Aber auch wenn er sich beschei­den gibt: Bre­mer gelingt es doch, auf den weni­gen Seit­en mit genauen Sätzen, tre­f­fend­en Beschrei­bun­gen und Bewusst­sein für das richtige Tem­po große The­men zu erzählen: Es geht um Ehe, um Gesellschaft und Indi­vidu­um, und natür­lich, vor allem, um Kun­st — und auch ein biss­chen um nicht-normierte Lebensläufe wie den des jun­gen Dok­toran­den, der wed­er jung noch Dok­torand ist. Das klingt in der Zusam­men­fas­sung recht trock­en und ja, fast banal, ent­fal­tet bei Bre­mer aber eine tre­f­fend­en und sub­tile Komik. Und das macht dann ein­fach Spaß.

Nor­bert Scheuer: Win­ter­bi­enen. 5. Auflage. München: Beck 2019. 319 Seit­en. ISBN 978–3‑406–73964‑4.

scheuer, winterbienen (cover)Die Win­ter­bi­enen haben mich etwas ent­täuscht und rat­los zurück­ge­lassen. Ich habe Scheuer ja dur­chaus als erfahre­nen Erzäh­ler und Autor schätzen gel­ernt. Dieser Roman hat aber mehr Schwächen als er mit seinen eher mäi­gen Stärken aus­gle­ichen kann. Da ist zum einen die selt­same Tage­buch-Fik­tion. Die passt näm­lich vorne und hin­ten nicht: Gut, dass der Tage­buch­text in Fußnoten die lateinis­chen Zitate über­set­zt, das wird noch von der Her­aus­ge­ber­fik­tion gedeckt. Dass (als ein Beispiel von vie­len) Egid­ius Ari­mond (schon der Name macht mich ja beina­he wahnsin­nig) als erfahren­er Imk­er aber nach jahrzehn­te­langer Tätigkeit seinem Tage­buch erk­lärt, was er warum bei den Bienen, vor allem eben im Win­ter, macht, ist ein­fach handw­erk­lich­er bzw. erzähltech­nis­ch­er Unsinn, der ein­er Lek­torin dur­chaus mal hätte auf­fall­en dür­fen. Der Roman an sich ist für mich etwas zwiespältig: Natür­lich sehr durch­drun­gen von völkisch­er Ide­olo­gie, die eben wieder durch die Tage­buch-Fik­tion legit­imiert wird. Dann ist da noch das Lei­den eines Krieges, der auf die Aggres­soren zurück­ge­fall­en wird, hier aber — in Ari­mond und den restlichen, schemen­haft auf­tauchen­den Eifel­be­wohn­ern — eher als irgend­wie gegeben hin­genom­men wird. Ange­blich ist die erzählte Welt geprägt von dem “Wun­sch nach ein­er friedlichen Zukun­ft” — davon merkt man im Text aber reich­lich wenig. Im ganzen bleibt mir das etwas frag­würdig und vor allem aus­ge­sprochen unbe­friedi­gend: Warum erzählt Scheuer uns das? Und warum ver­steckt sich der Autor so (beina­he) vol­lkom­men hin­ter sein­er Fig­ur — was will mir das eigentlich sagen?

außer­dem gele­sen:

  • Heim­i­to von Doder­er: Unter schwarzen Ster­nen. Erzäh­lun­gen. München: Deutsch­er Taschen­buch Ver­lag 1973. 154 Seit­en. ISBN 3–7642-0055–3.
  • Glenn Gould: Frei­heit und Musik. Reden und Schriften. 2., durchge­se­hene und ergänzte Auflage. Ditzin­gen: Reclam 2019 (Was bedeutet das alles?). 84 Seit­en. ISBN 978–3‑15–019412‑6.
  • Alger­non Black­wood: Eine Kan­u­fahrt auf der Donau. / Die Wei­den. Ulm: danube bookes 2018. 154 Seit­en. ISBN 978–3‑946046–13‑4.
  • Sibylle Schwarz: Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschw­er?. Leipzig: Rei­necke & Voß 2016. 58 Seit­en. ISBN 978–3‑942901–21‑5.

Hölderlin

Hölder­lin und die Bibel sind die einzi­gen Dinge auf der Welt, die sich niemals wider­sprechen kön­nen.

—Ger­shom Sholem, Tage­buch 1918–1919

Goethe und Schiller

Nichts ist so egal wie etwas, das neben Goethe und Schiller ste­ht. Nie­mand besucht es. —Clemens J. Setz, Bot, 38

Vergangenheit

The past is frag­ile, as frag­ile as bones grown brit­tle with age, as frag­ile as ghosts seen in win­dows or the dreams that fall apart upon wak­ing and leave noth­ing behind them but a feel­ing of unease or dis­tress or, more rarely, a kind of eerie sat­is­fac­tion.

—Siri Hustvedt, Mem­o­ries of the Future, 13

Docere

quodque parum novit, nemo docere potest
[Nie­mand kann lehren, was er wenig ver­ste­ht.]Ovid, Tris­tia, 2,348

spinnennetz vor natur

Ins Netz gegangen (10.10.)

Ins Netz gegan­gen am 10.10.:

Aus-Lese #53

Jür­gen Beck­er: Die fol­gen­den Seit­en. Jour­nalgeschicht­en. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2006. 156 Seit­en. ISBN 978–3‑518–41820‑8.

becker, seiten (cover)Schon der Unter­ti­tel zeigt die Ambivalenz des Buch­es: Ist das ein Jour­nal oder sind es Geschicht­en? Man muss das wohl wirk­lich zusam­mendenken: Das ist kein Tage­buch, also schon Fik­tion. Aber es simuliert das tägliche Schreiben: Der Erzäh­ler nimmt sich ein Notizbuch mit 200 Seit­en vor und beschreibt jeden Tag eine Seite mehr oder weniger voll. Vielle­icht hat Beck­er das auch so gemacht — aber das ist ja auch egal. Schade ist nur, dass der Ver­lag die Idee, die 200 Seit­en eines Jour­nale fik­tion­al zu beschreiben (des Erzäh­lers), nicht im realen Buch abbilden wollte — das wäre doch eine schöne Per­for­manz des Textes gewe­sen, der sein Organ­i­sa­tion­sprinzip ja immer­hin selb­st erläutert. Dafür sind die Jour­nalgeschicht­en aber immer­hin ohne Seiten­zahlen gedruckt.

Man erlebt, seufzt der Men­sch, das Wet­ter gar nicht mehr, wie es kommt, wie es ist, wie es geht. Man erlebt nur noch, wie es eine Prophezeiung erfüllt. (150)

Der Text ist eine Mis­chung aus grund­sät­zlichen Reflex­io­nen, leicht und fast neben­bei, als Zufall und Fund­stücke etc präsen­tiert, mit den Erin­nerun­gen und vielfälti­gen Erin­nerungsan­lässen eines alt(ernd)en Mannes, die immer wieder vom Ein­bruch der “Real­ität” der Schreibge­gen­wart, zum Beispiel den wieder­holt auf­tauchen­den “Gästen”, unter­brochen wer­den. Vieles sind “nette”, fre­undliche, zuge­wandte Tage­buch­skizzen mit viel untergemis­chter (per­sön­lich­er) “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung”, auch viel Hitler & Co. Das ist dann — nicht nur hin und wieder — schon etwas sen­ti­men­tal, aber dank der Wortkun­st Beck­ers noch auszuhal­ten. Den­noch ist mir das ins­ge­samt etwas zu belan­g­los, das plätschert zu ziel­los vor sich hin. Die sym­pa­this­che kurze/kleine Form wird für meinen Geschmack nicht aus­re­ichend für die poet­is­che Verdich­tung genutzt, deshalb wirkt vieles doch etwas blass und bleibt ohne tief­ere Wirkung für mich.

In diesem Jahr kön­nte es soweit sein. Im ver­gan­genen Jahr hätte es auch soweit sein kön­nen, eben­so im Jahr davor, oder vor zwei, drei, vor zehn Jahren schon. Vielle­icht ist es erst im näch­sten Jahr soweit, oder im übernäch­sten; dabei müssen es nicht ein­mal Jahre, es kön­nen auch kürzere Fris­ten sein, Wochen, Tage, Stun­den, wer weiß. Ganz sich­er ist, irgend­wann ist es soweit, ob plöt­zlich, oder ob es sich hinzieht. (16)

Giu­lia Beck­er: Das Leben ist eines der Härtesten. Ham­burg: Rowohlt 2019. 224 Seit­en. ISBN 978–3‑498–00689‑1.

giulia becker, das leben ist eines der härtesten (cover)
Giu­lia Beck­ers erster Roman mit dem schö­nen Titel Das Leben ist eines der Härtesten fällt hier wahrschein­lich etwas aus dem Rah­men. Denn das ist, auch wenn es im Lit­er­aturver­lag Rowohlt erschienen ist, keine Kun­st, son­dern Unter­hal­tung. Und auch noch recht derbe Unter­hal­tung dazu. Die kurze, episo­den­haft erzählte Geschichte um einige Ver­lier­ertypen aus Borken ist aber immer­hin dur­chaus komisch oder, um das gle­ich etwas einzuschränken, hat zumin­d­est viele komis­che Momente in der Übertrei­bung und Zus­pitzung der Charak­tere (die eher ziem­lich flache Typen sind).
Aber, und das ist halt ein großes Aber: Lit­er­arisch taugt das nicht, wed­er for­mal noch stilis­tisch trägt das irgend­wie. Ästhetisch ist das belan­g­los (so wie der Inhalt der Geschichte ja auch eigentlich eher belan­g­los bleibt). Das funk­tion­iert als nette — und recht flache — Unter­hal­tung, als eine unkom­plizierte, anspruch­slose Lek­türe für zwis­chen­durch, mit dem einen oder anderen Lach­er. Die Süd­deutsche hat das in ihrer Rezen­sion als “Pri­vat­fernsehlit­er­atur” beze­ich­net (behauptet der Per­len­tauch­er) — und das trifft es ziem­lich genau: Mit und vor allem über die ver­murk­sten Leben der anderen lachen, sich selb­st dabei wohlig über­he­blich und sich­er fühlen — viel mehr will und kann dieser Text nicht.

Sin­clair Lewis: Bab­bitt. Über­set­zt von Bern­hard Robben. Mit einem Nach­wort von Michael Köhlmeier. München: Manesse 2017. 784 Seit­en. ISBN 978–3‑641–211476‑0.

lewis, babbitt (cover)
Bonaven­tu­ra hat mich darauf gebracht, doch mal wieder außer­halb des deutschsprachi­gen Bere­ichs zu lesen. In der Tat war mir Sin­clair Lewis bish­er ger­ade so dem Namen nach bekan­nt, gele­sen hat­te ich noch nichts. Das hat sich nun geän­dert: Bab­bitt ist eine dur­chaus vergnügliche Lek­türe. Von den über 700 Seit­en sollte man sich nicht abschreck­en lassen. Erstens sind das Seit­en im kleinen Manesse-Ver­lag, wo die Neuüber­set­zung von Bern­hard Robben (mit eini­gen weni­gen Stellen, die mir selt­sam schienen, ohne sie am Orig­i­nal geprüft zu haben) 2017 erschienen ist. Zweit­ens lässt sich das, zumin­d­est in der Über­set­zung, recht flott lesen. Bab­bitt ist, da würde ich Michael Köhlmeiers selt­samen Nach­wort doch wider­sprechen, eine Satire. Eine Satire auf den amerikanis­chen Mit­tel­stand kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Der namensgebende Titel­held, George F. Bab­bitt, ist Immo­bilien­mak­ler und vor allem ein Ange­ber und Schwätzer vor dem Her­ren. Der Roman bestätigt schön meine Vorurteile über die ober­fläch­liche, kap­i­tal­is­tis­che, patri­ar­chalis­che und weit­ge­hend un- bzw. amoralis­che Gesellschaft der USA im 20. Jahrhun­dert (ja, ich weiß, böse Vorurteile — und nicht, dass es in Europa bess­er wäre …). Lewis macht das aber auf eine sehr amüsante Weise und erzählt Bab­bitt vor allem als einen imper­fek­ten Men­schen, der nach mehr — dem Sinn des Lebens, der Erfül­lung, irgend­was neben dem erwarteten und vorgeze­ich­neten Leben eines amerikanis­chen Geschäfts­man­nes eben — sucht, ohne selb­st zu wis­sen, das er auf der Suche ist und schon gar nicht, wonach ihm eigentlich dürstet und gelüstet (jen­seits des Alko­hols natür­lich …). Bab­bitt fängt sehr dicht am Pro­tag­o­nis­ten an, fol­gt ihm sozusagen zunächst auf Schritt und Tritt, in fein­er Detailau­flö­sung. Zunehmend löst sich das, die Hand­lung springt, beschle­u­nigt und bremst wieder, was mir doch hin und wieder den Ein­druck eines for­malen Ungle­ichgewichts erweck­te: Nach der äußerst detail­lierten und aus­führlichen Expo­si­tion scheint sich die Fabel ger­ade im let­zten Vier­tel immer mehr zu beschle­u­ni­gen und weniger genau erzählt zu wer­den. Das funk­tion­iert natür­lich trotz­dem, ger­ade durch und wegen des hyper­de­tail­lierten Beginns. Dabei wird die Gesellschaft der fik­tiv­en Großs­tadt Zenith, in der Bab­bitt spielt, aber immer deut­lich­er als eine restrik­tive und strat­i­fizierte erkennbar, in der ger­ade nicht­snutzige Schwätzer wie Bab­bitt durch ihre Verbindung mit anderen ihres­gle­ichen (in den Clubs und Vere­ini­gun­gen) die Macht und vor allem das wirtschaftliche Geschehen, ungeachtetet ihrer im Roman ziem­lich deut­lich zutage tre­tenden Inkom­pe­tenz und Amoral­ität, fest in der Hand haben und behal­ten.

Daniela Krien: Die Liebe im Ern­st­fall. Frank­furt am Main: Büchergilde Guten­berg 2019. 288 Seit­en. ISBN 978–3‑85420–978‑2.

daniela krien, liebe im ernstfall (cover)

Ich weiß ja wieder ein­mal nicht so recht: Von der Kri­tik recht ein­hel­lig sehr pos­i­tiv bew­ertet und besprochen, finde ich das Buch dann doch eher belan­g­los. Ja, die fünf Lebensläufe der Frauen, die lose miteinan­der verknüpft diesen Roman bzw. dessen fünf Abschnitte bilden, sind inter­es­sant zu ver­fol­gen (auch ger­ade als männlich­er Leser wahrschein­lich). Aber das bleibt im Erzählen wieder so schreck­lich banal und gewöhn­lich. Vielle­icht sind solche Büch­er, ger­ade in ihrer Stil­losigkeit (oder zumin­d­est in ihrem neu­tralen, unauf­fäl­li­gen Stil) notwendig — aber pack­en oder gar begeis­tern kann mich das nicht.

Das mag auch daran liegen, dass mir das arg pes­simistisch grundiert zu sein scheint: Änderun­gen, Entwick­lun­gen der Pro­tag­o­nistin­nen zum Beispiel, scheinen hier kaum bis gar nicht möglich. Ansätze dazu gibt es, die wer­den aber gerne und immer wieder von der Außen­welt, von den anderen, von Män­nern und Kindern und anderen Ver­wandten vor allem, ver­nichtet und zer­schmettert.

Sie weiß mehr als damals, doch was nützt es ihr? (125)

Inter­es­sant übri­gens, das nur am Rande, dass alle Frauen auf­fäl­lig viel Musik — und zwar in erster Lin­ie klas­sis­che Musik — hören. Das wäre wahrschein­lich einen genaueren Blick wert. Beim ersten Lesen scheint mir das aber, ger­ade im Zusam­men­hang mit den erzählten Lebensläufen und deren Prob­le­men, nicht beson­ders ergiebig. Aufge­fall­en ist es mir vor allem, weil es mir zumin­d­est zu einem Teil der Fig­uren nicht so recht zu passen scheint. Aber typ­isch für Die Liebe im Ern­st­fall ist, dass auch dies — wie nahezu alle äußere Hand­lung (abseits von der Gefühlsin­nen­welt der Pro­tag­o­nistin­nen) nur Neben­sache ist, nur so anbei geschieht. “Sätze ohne Span­nung, ohne Klang, ohne Zauber” beschreibt eine der Pro­tag­o­nistin­nen, die als Schrift­stel­lerin arbeit­et oder zu arbeit­en ver­sucht, wenn die Kinder ihr Zeit und Energie lassen, ein­mal ihre Tage­spro­duk­tion (125). Und das trifft auch Die Liebe im Ern­st­fall ziem­lich genau.

außer­dem gele­sen:

  • Moritz Föllmer: “Ein Leben wie im Traum”. Kul­tur im Drit­ten Reich. München Beck 2016. 288 Seit­en. ISBN 978–3‑406–67905‑6.
  • Jan Philipp Reemts­ma: Gewalt als Lebens­form. Zwei Reden. Stuttgart: Reclam 2016. 64 Seit­en. ISBN 9783150193822.
  • Heinz Gärt­ner: Der Kalte Krieg. Bünd­nisse — Krisen — Kon­flik­te. Wies­baden: mar­ix 2017. 254 Seit­en. ISBN 9783737410335.
  • Hans Eisen­träger: Der Mann sein­er Frau. Nov­el­le. Hrsg. von Niko­la Roßbach. Han­nover: Wehrhahn 2018. 68 Seit­en. ISBN 978–3‑86525–641‑6.

Epirrhema

Müs­set im Naturbe­tra­cht­en
Immer eins wie alles acht­en;
Nichts ist drin­nen, nichts ist draußen:
Denn was innen ist das ist außen.
So ergreifet ohne Säum­nis
Heilig öffentlich Geheim­nis

Freuet euch des wahren Scheins,
Euch des ern­sten Spieles:
Kein Lebendi­ges ist ein Eins,
Immer ist’s ein Vieles.Johann Wolf­gang von Goethe, Epir­rhe­ma (aus: Samm­lung von 1827, Abschnitt “Gott und Welt”)

Bücherreihe

Aus-Lese #52

Ich pro­biere mal wieder etwas Neues … Da ich meine Mel­dun­gen “Aus-Lese” mit ein­er kurzen sub­jek­tiv­en Skizze der jew­eili­gen Lek­türe und meines Ein­druck­es dazu verse­hen habe, bedeutet das einen (zwar kleinen) gewis­sen Aufwand, der mich in der let­zten Zeit weit­ge­hend davon abge­hal­ten hat, die Serie fortzuführen. Also gibt es jet­zt einen neuen Ver­such im deut­lich reduzierten For­mat …

Heim­i­to von Doder­er: Unter schwarzen Ster­nen. Erzäh­lun­gen. München: Deutsch­er Taschen­buch-Ver­lag 1973. 153 Seit­en. ISBN 978–3‑423–00889‑1.

Der schmale Band mit Erzäh­lun­gen — über­wiegend aus den 1950er und 1960er Jahren — hat es nicht geschafft, meine respek­tvolle Dis­tanz zu Doder­er zu ver­ringern. Ich erkenne (und schätze) die Kun­st­fer­tigkeit und das Stil­be­wusst­sein des Autors, aber davon abge­se­hen bleiben mir die Texte (das ging mir mit seinen Roma­nen ähn­lich) eher fremd.

Wolf­gang Schuller: Cicero. Ditzin­gen: Reclam 2018 (Reclam 100 Seit­en). 101 Seit­en. ISBN 978–3‑15–020435‑1.

Eine nette kurze Feier­abendlek­türe, die den Men­schen Mar­cus Tul­lius Cicero flott, unter­halt­sam, auch pointiert porträtiert. Dabei klingt das große (selb­stver­ständliche) Fach­wis­sen der römis­chen Geschichte immer mit. Mir fehlt allerd­ings etwas die genauere und aus­führlichere Beschäf­ti­gung mit den Inhal­ten von Ciceros Werken. Der Band bleibt (absichtlich) weit­ge­hend (nicht nur, aber doch über­wiegend) am Äußeren von Ciceros Leben. — Natür­lich wäre das auch viel ver­langt, bei­des auf 100 Seit­en zufrieden­stel­lend zu erledi­gen, das ist mir dur­chaus bewusst. Für meinen Geschmack hätte eine zumin­d­est teil­weise Ver­schiebung des Fokus aber den­noch gut getan.

Ger­hard Pop­pen­berg: Herb­st der The­o­rie. Erin­nerun­gen an die alte Gelehrten­re­pub­lik Deutsch­land. Berlin: Matthes & Seitz 2018 (Fröh­liche Wis­senschaft 111). 239 Seit­en. ISBN 978–3‑95757–386‑5.

Ein faszinieren­der Text. Ich kön­nte aber nur schw­er genau sagen, was das eigentlich ist — und worauf der Text hin­aus will. Auf der Suche nach so etwas wie ein­er geisti­gen Sig­natur der BRD liest Pop­pen­berg Autoren und ihre Rück­blicke auf die let­zten Jahrzehnte. So kom­men Philipp Felsch, Frank Witzel, Ulrich Raulff und Friedrich Kit­tler gemein­sam in den Blick, wer­den genau (!) gele­sen und mit dur­chaus sujek­tive gefärbten Darstel­lun­gen und Erin­nerun­gen kom­biniert. Das klingt jet­zt viel selt­samer als es im Text ist. Der ist näm­lich dur­chaus faszinierend und gelehrt — eine über­aus anre­gende Mis­chung und auch eine anre­gende Lek­türe.

Valentin Sen­ger: Kaiser­hof­s­traße 12. 4. Auflage der Neuaus­gabe. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2012. 316 Seit­en. ISBN 978–3‑89561–485‑9.

senger, kaiserhofstraße 12 (cover)Roman oder auto­bi­ographis­che Erzäh­lung — eigentlich ist das ja egal. Was es auf jeden Fall ist: Eine — angesichts des Sujets — erstaunlich leichte und leicht­füßige Erzäh­lung der jüdis­chen Fam­i­lie Sen­ger vor und während des Nation­al­sozial­is­mus. Das einzi­gar­tige daran ist, das merkt der Erzäh­ler auch selb­st, wie wun­der­voll das gelingt: Ein Wun­der ist das Über­leben, ein Wun­der ohne Staunen. Natür­lich gibt es, ganz klas­sisch, Schwierigkeit­en zu über­winden. Aber um Ende siegt doch die Leichtigkeit, das Leben, die fast unver­schämte Unver­nun­ft und Unbe­sorgth­eit des Erzäh­lers und sein­er Fam­i­lie. Das ganze ist sehr direkt, unmit­tel­bar erzählt — ein Text, dem man sich kaum entziehen kann (und es ja eigentlich auch nicht möchte). Die meis­ten­teils knap­pen Kapi­tel, fast Erin­nerungs­bruch­stücke (vor allem im ersten Teil, der frühen Kind­heit des Erzäh­lers) machen dne Text auch gut zugänglich und kon­sum­ier­bar — sicher­lich auch ein Fak­tor, der zum Erfolg des Buch­es, das seit 1978 in mehreren Aufla­gen und Aus­gaben (und Ver­la­gen) erschienen ist.

Nor­bert Frei/Christian Morina/Franka Maubach/Maik Tändler: Zur recht­en Zeit. Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus. Berlin: Ull­stein 2019. 224 Seit­en. ISBN 978–3‑550–20015‑1.

frei et al., zur rechten zeit (cover)Der Titel kündigt eigentlich eher eine Stre­itschrift an: “Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus”. Das kann der Band aber kaum ein­lösen. Was er aber kann, und das dur­chaus recht gut und überzeu­gend: Hin­ter­gründe für Entwick­lun­gen geben. Die Autor*innen bieten näm­lich eine Rückschau auf die deutsche Geschichte seit 1945, in West und Ost, mit dem Fokus auf die diversen recht­en, nation­al­is­tis­chen Strö­mungen, Diskus­sio­nen und Parteien, von der Ent­naz­i­fizierung bis in die unge­fähre Gegen­wart. Das ist als Einord­nung und Argu­men­ta­tion­shil­fe gut gemacht und gut zu nutzen. Die gesamt­deutsche Per­spek­tive ist dabei dur­chaus hil­fre­ich — unsich­er bin ich allerd­ings, ob Büch­er wie diese ihr Ziel wirk­lich erre­ichen kön­nen …

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