Ich pro­biere mal wieder etwas Neues … Da ich meine Mel­dun­gen “Aus-Lese” mit ein­er kurzen sub­jek­tiv­en Skizze der jew­eili­gen Lek­türe und meines Ein­druck­es dazu verse­hen habe, bedeutet das einen (zwar kleinen) gewis­sen Aufwand, der mich in der let­zten Zeit weit­ge­hend davon abge­hal­ten hat, die Serie fortzuführen. Also gibt es jet­zt einen neuen Ver­such im deut­lich reduzierten For­mat …

Heim­i­to von Doder­er: Unter schwarzen Ster­nen. Erzäh­lun­gen. München: Deutsch­er Taschen­buch-Ver­lag 1973. 153 Seit­en. ISBN 978–3‑423–00889‑1.

Der schmale Band mit Erzäh­lun­gen — über­wiegend aus den 1950er und 1960er Jahren — hat es nicht geschafft, meine respek­tvolle Dis­tanz zu Doder­er zu ver­ringern. Ich erkenne (und schätze) die Kun­st­fer­tigkeit und das Stil­be­wusst­sein des Autors, aber davon abge­se­hen bleiben mir die Texte (das ging mir mit seinen Roma­nen ähn­lich) eher fremd.

Wolf­gang Schuller: Cicero. Ditzin­gen: Reclam 2018 (Reclam 100 Seit­en). 101 Seit­en. ISBN 978–3‑15–020435‑1.

Eine nette kurze Feier­abendlek­türe, die den Men­schen Mar­cus Tul­lius Cicero flott, unter­halt­sam, auch pointiert porträtiert. Dabei klingt das große (selb­stver­ständliche) Fach­wis­sen der römis­chen Geschichte immer mit. Mir fehlt allerd­ings etwas die genauere und aus­führlichere Beschäf­ti­gung mit den Inhal­ten von Ciceros Werken. Der Band bleibt (absichtlich) weit­ge­hend (nicht nur, aber doch über­wiegend) am Äußeren von Ciceros Leben. — Natür­lich wäre das auch viel ver­langt, bei­des auf 100 Seit­en zufrieden­stel­lend zu erledi­gen, das ist mir dur­chaus bewusst. Für meinen Geschmack hätte eine zumin­d­est teil­weise Ver­schiebung des Fokus aber den­noch gut getan.

Ger­hard Pop­pen­berg: Herb­st der The­o­rie. Erin­nerun­gen an die alte Gelehrten­re­pub­lik Deutsch­land. Berlin: Matthes & Seitz 2018 (Fröh­liche Wis­senschaft 111). 239 Seit­en. ISBN 978–3‑95757–386‑5.

Ein faszinieren­der Text. Ich kön­nte aber nur schw­er genau sagen, was das eigentlich ist — und worauf der Text hin­aus will. Auf der Suche nach so etwas wie ein­er geisti­gen Sig­natur der BRD liest Pop­pen­berg Autoren und ihre Rück­blicke auf die let­zten Jahrzehnte. So kom­men Philipp Felsch, Frank Witzel, Ulrich Raulff und Friedrich Kit­tler gemein­sam in den Blick, wer­den genau (!) gele­sen und mit dur­chaus sujek­tive gefärbten Darstel­lun­gen und Erin­nerun­gen kom­biniert. Das klingt jet­zt viel selt­samer als es im Text ist. Der ist näm­lich dur­chaus faszinierend und gelehrt — eine über­aus anre­gende Mis­chung und auch eine anre­gende Lek­türe.

Valentin Sen­ger: Kaiser­hof­s­traße 12. 4. Auflage der Neuaus­gabe. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2012. 316 Seit­en. ISBN 978–3‑89561–485‑9.

senger, kaiserhofstraße 12 (cover)Roman oder auto­bi­ographis­che Erzäh­lung — eigentlich ist das ja egal. Was es auf jeden Fall ist: Eine — angesichts des Sujets — erstaunlich leichte und leicht­füßige Erzäh­lung der jüdis­chen Fam­i­lie Sen­ger vor und während des Nation­al­sozial­is­mus. Das einzi­gar­tige daran ist, das merkt der Erzäh­ler auch selb­st, wie wun­der­voll das gelingt: Ein Wun­der ist das Über­leben, ein Wun­der ohne Staunen. Natür­lich gibt es, ganz klas­sisch, Schwierigkeit­en zu über­winden. Aber um Ende siegt doch die Leichtigkeit, das Leben, die fast unver­schämte Unver­nun­ft und Unbe­sorgth­eit des Erzäh­lers und sein­er Fam­i­lie. Das ganze ist sehr direkt, unmit­tel­bar erzählt — ein Text, dem man sich kaum entziehen kann (und es ja eigentlich auch nicht möchte). Die meis­ten­teils knap­pen Kapi­tel, fast Erin­nerungs­bruch­stücke (vor allem im ersten Teil, der frühen Kind­heit des Erzäh­lers) machen dne Text auch gut zugänglich und kon­sum­ier­bar — sicher­lich auch ein Fak­tor, der zum Erfolg des Buch­es, das seit 1978 in mehreren Aufla­gen und Aus­gaben (und Ver­la­gen) erschienen ist.

Nor­bert Frei/Christian Morina/Franka Maubach/Maik Tändler: Zur recht­en Zeit. Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus. Berlin: Ull­stein 2019. 224 Seit­en. ISBN 978–3‑550–20015‑1.

frei et al., zur rechten zeit (cover)Der Titel kündigt eigentlich eher eine Stre­itschrift an: “Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus”. Das kann der Band aber kaum ein­lösen. Was er aber kann, und das dur­chaus recht gut und überzeu­gend: Hin­ter­gründe für Entwick­lun­gen geben. Die Autor*innen bieten näm­lich eine Rückschau auf die deutsche Geschichte seit 1945, in West und Ost, mit dem Fokus auf die diversen recht­en, nation­al­is­tis­chen Strö­mungen, Diskus­sio­nen und Parteien, von der Ent­naz­i­fizierung bis in die unge­fähre Gegen­wart. Das ist als Einord­nung und Argu­men­ta­tion­shil­fe gut gemacht und gut zu nutzen. Die gesamt­deutsche Per­spek­tive ist dabei dur­chaus hil­fre­ich — unsich­er bin ich allerd­ings, ob Büch­er wie diese ihr Ziel wirk­lich erre­ichen kön­nen …