in der spex ein grauenhaft text über oder besser gesagt neben das album (das nämlich kaum vorkommt). aber immerhin schafft er es, mich dann doch zum hören zu inspirieren — was denn so einen krieg der begriffe, so ein schlagwortgestammel heutzutage noch auslösen kann, will ich schon wissen: peaches: impeach my bush. das ist, da muss man natürlich fair sein, trotz allen geredes zunächst einmal eine pop‑, d.h. elektropunk oder so ähnlich, platte. und als solche ist sie ziemlich erfolgreich. die zeit hat peaches mal die „punkinspirierte gender-theoretikerin” genannt, weil sie so schön spielerisch auf den entsprechenden vorurteilen, stereotypen und konstrukten herumspielt, sie lächerlich macht und das ganze schön gekonnt performativ vorführt. vor allem ist das aber (leider) viel weniger politisch als ich hoffte, und auch viel weniger kritisch oder gender-theoretisch — aber ich bin ja sowieso immer mehr der überzeugung, dass kunst und insbes. pop nur bedingt für solche dinge geeignet sind — und gerade wenn sie es ganz feste wollen, klappt es meistens überhaupt nicht — weder inhaltlich sozusagen noch künstlerisch. das ist bei peaches wenigstens insofern anders, als impeach my bush nach kriterien des pop ziemlich gut zu funktionieren scheint — und gar nicht so wenig spaß macht. — songs wie „tent in your pants” oder „slippery dick” können durchaus mit textlichem und musikalischem witz aufwarten — auch wenn mir einiges schon wieder zu rockig (halt ein wenig elektronischer verspielt und konstruiert) wird. schön ist freilich auch die wendung in der kurzen einleitung der cd, „fuck or kill”: „i’d rather fuck who i want, when kill who i told to” — klar, das würden wohl die meisten von uns. aber was folgt daraus? außerdem: besonders dreckig ist das alles gar nicht mehr — genau das ist ja das alles lähmende problem des pop: subversion ist in diesem feld nicht mehr möglich (vgl. dazu behrens’ aufsatz), und schon gar nicht „revolution” — auch wenn peaches das behaupten mag: „die revolution kann jetzt auf ganzer ebene losgehen.” (steht so in der spex vom juli). denn auch „als infiltrierung verstandenes entertainment” (ebd.) ist eben entertainment und kommt da — in der regel — nicht mehr lebend heraus: auch peaches ist insofern nur eine marke. und die ist zwar noch nicht ganz so klinisch rein wie viele andere auf dem globalen markt der selbstverkäufer, aber so richtig dreckig auch nicht (mehr). interesant übrigens, dass die berliner zeitung das viel besser verstanden hat als die spex: da heißt es nämlich: „Das ist alles ehrenhaft. Als ernstgemeinter Diskursbeitrag wirkt die Sexerei jedoch überholt. Schließlich gibt es für jedwede sexuelle Präferenz eine coole Vorabendserie; und die Ubiquität der Pornographie, ob in enzyklopädischen Fetischsparten im Netz, in Konzeptkunst und Kunstkino bringt wohl außer Hardcore-Islamisten und christlichen Ekstatikern niemanden mehr in Verlegenheit. Sich metrosexuell für den Markt herzurichten ist andererseits vom smarten Banker zum gegelten Türkenkid längst zwingendes Programm. Zu denken, es helfe dem Knacken von Identitätsfixierungen, wenn alle gemeinsam an albernen Körpernormierungen leiden, wirkt so kurzschlüssig wie die Idee, sexuelle Machtverhältnisse zerbrächen, wenn man sie einfach umkehrt.” (berliner zeitung)
macht die aneinanderreihung von ganz vielen zeichen einen text zum roman? „die garnitur“, eine art textagentur mit dem anspruch besonderer innovativität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg steinleitner haben die 205.293 zeichen einen roman genannt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügigen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekommen ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manchmal der nachteil so extensiver listenführereien… – gelohnt hat es sich jedenfalls nicht, noch nicht einmal als unterhaltung ist es wirklich brauchbar. es ist so ein versuch, die amerikanische gangsterstory oder eher den gangsterfilm nach europa zu verlegen. weil die autoren (oder, wie sie sich selbst benennen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativität, vorstellungskraft, stilgefühl und ästhetische urteilssicherheit verfügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harmloser: student, der im pflegeheim arbeitete, schnappt sich das viele bargeld einer seiner gerade verstorbenen patientinnen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug herausstellt, erlebt verschiedene „abenteuer“ etc. etc. – kommt natürlich reich, wenn auch etwas versehrt, mit seiner traumfrau aus dem schlamassel heraus.
so ein text ist wohl das unausweichbare ergebnis, wenn kreative besonders kreativ und auch noch innovativ oder avantgardistisch sein wollen: eine außerordentlich bemühte plot-konstruktion (deutlich zu merken der konstruktionsplan…), ein grauenhaft banaler stilistischer brei, total platte und abgelutsche motive und so weiter. – andere erklärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunstwillen führt aber nur zur pseudokunst – etwa im nachrichtenticker, der unten über die seiten läuft. vielleicht ist das ja als besondere realitätsversicherung gemeint, es bringt aber überhaupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte paratext, etwa auch das motto von nicolas cage (klar, deutlicher verweis auf das referenzsystem dieses textes: früher stand hier ein bonmot eines dichters, eine sentenz oder so etwas ähnliches, jetzt ist es halt das ergebnis eines halbwegs hellen augenblicks eines schauspielers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügner, zu viele diebe. das beschleunigungstempo unserer kultur [!!] ist so hoch, das bietet günstige bedingungen für arschlöcher. nur wer die historie kenn, kann sich eine korrekte meinung bilden.“ oder auch die aufmachung – wirkt fast wie realsatire (titel mit präsentator, aufruf zur texteinsendung „aller gewichtsklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „performance-musik“, catering von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offenbar doch tatsächlich ernst gemeint war (natürlich wohl mit dem zwinkernden auge – es gibt kaum schlimmeres als so entstandene texte – die sind nämlich fast nie wirklich witzig und schon gar nicht gut)
so ein text ist wohl das unausweichbare ergebnis, wenn kreative besonders kreativ und auch noch innovativ oder avantgardistisch sein wollen: eine außerordentlich bemühte plot-konstruktion (deutlich zu merken der konstruktionsplan…), ein grauenhaft banaler stilistischer brei, total platte und abgelutsche motive und so weiter. – andere erklärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunstwillen führt aber nur zur pseudokunst – etwa im nachrichtenticker, der unten über die seiten läuft. vielleicht ist das ja als besondere realitätsversicherung gemeint, es bringt aber überhaupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte paratext, etwa auch das motto von nicolas cage (klar, deutlicher verweis auf das referenzsystem dieses textes: früher stand hier ein bonmot eines dichters, eine sentenz oder so etwas ähnliches, jetzt ist es halt das ergebnis eines halbwegs hellen augenblicks eines schauspielers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügner, zu viele diebe. das beschleunigungstempo unserer kultur [!!] ist so hoch, das bietet günstige bedingungen für arschlöcher. nur wer die historie kenn, kann sich eine korrekte meinung bilden.“ oder auch die aufmachung – wirkt fast wie realsatire (titel mit präsentator, aufruf zur texteinsendung „aller gewichtsklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „performance-musik“, catering von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offenbar doch tatsächlich ernst gemeint war (natürlich wohl mit dem zwinkernden auge – es gibt kaum schlimmeres als so entstandene texte – die sind nämlich fast nie wirklich witzig und schon gar nicht gut)
das war aber wirklich nichts, trotz der hilfe von der meinerseits sehr geschätzen martina gedeck. pianist & dirigent sebastian knauer verwendet offenbar leider mehr zeit beim friseur und auf der sonnenbank als beim nachdenken über mozarts musik — das war dermaßen banales gedudel, das hat selbst mozart nicht verdient. und das publikum klatscht auch noch wie blöd dem eitlen geck — der sich, ganz typisch für solche leute, auf der bühne prächtig produziert — und sehr, sehr lange bitten lässt, bevor er sich noch einmal verbeugt…
es ist alles nur ein traum. mozarts frühe gönnerin, die baronin waldstätten, imaginiert sich ein konzerpausengespräch mit leopold, dem vater des komponisten. sebastian und wolfgang knauer habe sich das ausgedacht, diesen sympathetischen rückblick auf mozart und seine frauengeschichten, seine galanterien und affären vor und nach der hochzeit. martina gedeck durfte der baronin ihre stimme leihen: charmant und lässig plaudert sie sich in der glashalle der mainzer railion-zentrale durch den abend der mittelrhein musik-momente. und sebastian knauer macht die musik dazu zwei der bekannteren klavierkonzerte hat er sich dafür ausgesucht, von mozart natürlich: das jeunehomme-konzert in es-dur und das späte d‑moll-konzert. auch knauer, der zugleich als pianist und pseudo-dirigent auftrat, agierte eher lässig. seine spärlichen ansätze, vom flügel aus zu dirigieren, waren sowieso recht überflüssig: die koblenzer staatsphilharmonie befand sich ganz offensichtlich auf vertrautem terrain und spielte auch ohne seine hilfe sehr geschlossen und zuverlässig. die überraschungen und verrückten kaspereien mozarts, die der text immer wieder aufgriff, schlugen sich in dieser musik freilich nicht wieder. das war eine rundum vernünftige, manchmal sogar ein wenig biedere interpretation. sebastian knauer spielte die konzerte sehr routiniert und so vollkommen gelassen, dass sich der eindruck gepflegter langeweile nicht immer vermeiden ließ. auch seine pianistischen fähigkeiten beansprucht er nur mäßig, da gibt es nur ansätze zu einer differenzierten artikulation und kaum klangnuancen. allerdings waren die umstände auch nicht die besten: zunächst brachte die schwül-stickige atmosphäre die musiker dazu, ihren frack abzulegen. und dann wurde es auch noch richtig feucht: das prasseln der wassermassen auf dem glasdach ließ den beginn des d‑moll-konzertes völlig untergehen, da konnte auch knauer nichts mehr retten. am besten gelangen ihm allerdings sowieso bei beiden konzerten die schlusssätze: dem jeunehomme-konzert gab er so einen flinken und ein bisschen augenzwinkernd, frech verspielten abschluss. und selbst das bei ihm eher schwerfällige und gemütliche d‑moll-konzert trieb er zum ende in die mozartsche übermut: turbulent ließ er die musik immer wieder um sich selbst kreiseln.
georg klein zählt ja nicht gerade zu meinen lieblingsautoren – wer schriftsteller wie jirgl, kurzeck etc. schätzt, wird das auch selten tun. als kleine nachtlektüre zwischendurch lässt er sich aber noch aushalten. etwa sein erzählungsband von den deutschen (hamburg: rowohlt 2002). der ist ziemlich typisch für seine art zu schreiben – nämlich größtenteils harmlos – oder sogar ganz? jedenfalls ist das zweifellos ganz und gar glänzend erzählt. aber auch oft mit dem eindruck, es ginge nur noch um das erzählen an sich: das mittel ist zum zweck geworden. typisch ist dafür die perfekte beherrschung des erzählerischen handwerks. aber es wird auch bloß noch als handwerk betrieben, nicht mehr als kunst. dafür fehlt den texten nämlich die dringlichkeit, der durch nichts zu bändigende drang zur äußerung, zur mitteilung, der sich nur in der künstlerischen formung, der textkonstitution äußern kann. ein neben georg klein für eine solche schreibweise exemplarisch stehender autor ist etwa bodo kirchhoff, auch helmut krausser vefällt solchen tendenzen manchmal. das ist ja alles überhaupt nicht ehrenrührig. was mich an solchen autoren (weniger an kirchhoff, dafür besonders an klein und krausser) am meisten stört, ist ihre behauptung und womöglich sogar überzeugung, das sei wirklich schon große kunst, sei erzählen auf der höhe der zeit oder wie auch immer man das ausdrücken will. und das stimmt einfach nicht. es muss ja gar nicht immer modernistisch oder (formal) avantgardistisch sein. aber gerade diese erzählungen von klein sind einfach nur nette unterhaltung, die so tun, als seien sie was besonderes – genau das richtige eigentlich für das heute offenbar (wenn man sich die verkaufszahlen bestimmter bücher, etwa – auch so ein lieblingsbeispiel von mir – daniel kehlmann, anschaut) weit verbreitete pseudo-bildungs-bürgertum, das nur noch die erbärmlichen reste von bildung besitzt, sich aber immer noch in der priveligierten lage der kenner und wissenden glaubt. solche leser haben an diesen erzählungen bestimmt viel spaß, dafür sorgt auch noch die tendenz zum allegorischen aufbau der geschichten – aber letztlich scheint es mir fast immer irgendwie ins leere zu laufen: man spürt die bemühungen und ist verstimmt – so funktioniert kunst nicht, insofern er sein selbstgestecktes ziel permanent knapp zu verfehlen scheint, knapp unter der messlatte ihn die kräfte verlassen. was bleibt, ist einfach harmlose augenwischerei, zudem in vielen teilen erschreckend schnulzig und harmonieseelig (etwa „der gute ray“), auch mal mit exotischen zutaten (vorwiegend lokalitäten, „lm lande od“). erschreckend ist das, denn gerade die hier verbreitete harmlosigkeit ist ja besonders gefährlich: sie täuscht über den wahren zustand von kunst und welt, sie suggeriert längst nicht mehr vorhandene möglichkeiten des guten, gelingenden, erfüllenden lebens, des richtigen verhaltens und führt den leser damit nicht nur in eine ästhetische (und philosophische) falle, sondern auch unbarmherzig ins abseits, ins reich der lügen. und von dort ist es dann wirklich nicht mehr weit bis ins reich der vorabend-tv-serien – das ist dann wahrscheinlich nur noch eine frage der unterschiedlichen herkunft, erziehung, des divergierenden habitus: georg klein als tv-schnulze für leser….
es geht doch nichts über pure größe. zumindest dann nicht, wenn man den canto general, den großen gesang von mikis theodorakis auf die bühne bringen will.
und gerd rixmann, musiklehrer an der gutenbergschule in wiesbaden, will genau das: eine bühne bauen, mit musik, tanz und film auch wenn theodorakis eigentlich nur ein oratorium schrieb. aber das reicht ihm einfach nicht — was groß ist, lässt sich auch noch vergrößern. es ist nicht das erste mal, dass er so ein unternehmen als chorprojekt startet: seit 1993 ist es bereits das fünfte, wenn auch die vorgänger nicht ganz so groß und multimedial waren. begonnen hat es mit einer carmina burana, dann kam die schöpfung als eine art chortheater — aber das hat nicht so richtig gut funktioniert, gesteht rixmann ein. das theodorakis-projekt hat für das publikum zumindest ziemlich gut funktioniert und ist sehr bejubelt worden bei der premiere im ausverkauften wiesbadener kurhaus.
das besondere dieses projektes ist freilich nicht (nur) seine größe, sondern auch seine organisation. denn rixmann geht zwar von den ressourcen seiner schule, vor allem den von ihm geleiteten schulchören, aus. doch er weitet das ganze noch erheblich aus: ein zusätzlicher projektchor verdoppelt die sängerzahl auf rund 300 stimmen. hier versammeln sich ehemalige, interessierte und sänger aus anderen chören, im alter von 14 bis 75 jahren. für rixmann ist das auch ein mittel, sich von den vielen anderen leistungsstarken chören der region abzusetzen, ein eigenes profil zu entwickeln. und es scheintzu klappen schließlich sind nach den schnupperproben und einem dreiviertel jahr samstäglicher proben noch 150 sänger im projektchor und erfahren dort die beglückung des immer wieder singens. auch für die anderen teile der aufführung ziegt rixmann freiwillige hinzu: die leute sind sehr offen für ideen, sagt er, wenn man auf sie zugeht. er kann dabei sowohl auf die kontakte aus seiner langen praxis zurückgreifen als auch gezielt suchen. der regisseur eduardo lainos ist etwa ein schülervater, die zweite tanzgruppe wird von einem chilenen geleitet, den entwickler des films hartmut jahn hat er sich extra ausgesucht.
so wird im grunde in der umfassenden und nicht alltäglichen kombination von musik, gesang, tanztheater und filmporjektionen ein ganz neues werk. er häuft pathos über pathos, mit allen mitteln eine ergreifende und angreifende sache. denn das immer ganz bewusst auch eine politisch gedachte aufführung, die sich eben nicht nur im wohlklang den gibt es, da ist rixmann dann als versierter chorleiter schon hinterher, natürlich auch — , sondern eben auch in der humanen botschaft des canto manifestiert: der freude an der besonderen schönheit des landes, der trauer über seine ausnutzung und die diktaturen, die gewissheit und hoffnung auf eine mögliche bessere gesellschaft.
dafür hat er dem canto general auch seine eigene dramaturgie verpasst und die reihenfolge geändert: er möchte eine kleine geschichte erzählen, von der entstehung amerikas, der liebe zum land, von der natur und der mutter erde, von den tieren und natürlich von den menschen. rixmann kennt sich damit bestens aus, schließlich hat er selbst in den 70ern fünf jahre in südamerika, in uruguay, gelebt und hat vieles direkt erfahren unter anderem die große verehrung des canto von neruda in der südamerikanischen bevölkerung und die bedrückung durch diktaturen.
die geschichte ergibt sich vor allem aus den choreographien von eduardo lainos, der
mit seinen 60 tänzern, laien und profis gleichermaßen, in mosaik-art lauter kleine geschichten geschaffen: mal plastisch, mal verschwiegen-symbolisch. genauso eigenständig funktioniert der film, den zwei studenten unter leitung von hartmut jahn, professor für video & film an der fachhochschule in mainz, als semesterarbeit angefertig haben: reflexionen über text und musik des canto, die sowohl in form abstrakter sequenzen als auch konkreter bilder den abend begleiten.
die organisation eines solchen projektes ist aber auch ein enormer aufwand für eine person: das kann man nicht einfach so machen, gesteht der dirigent, das kostet mich ein halbes jahr meines lebens. denn alle fäden laufen immer bei ihm zusammen, ob es um den bühnenaufbau, die kostüme oder die musik geht nebenbei muss er ja auch noch dirigieren. und immerhin richten sich fast 400 mitwirkende nach seinem stab und das klappt erstaunlich reibungslos. als solisten konnte rixmann die zwei wiesbadener sänger heranziehen: katja boost rundem, fülligem alt und den in jeder situation brillanten bariton eike wim schulte. und das alles simultan ergibt eben pathos pur.
eine intensive und denkaufwändige lektüre: reinhard jirgl: abtrünnig. roman aus der nervösen zeit. münchen: hanser 2005. ich bin jetzt nach einer langen – mehrere wochen – lesereise bis ans ende vorgedrungen. und ich kann jedem nur empfehlen, sich dieser erfahrung, die manchmal zwar den charakter eines exerzitiums annehmen kann, zu unterziehen. den jirgl, schon lange einer meiner favoriten unter den noch lebenden und schreibenden autoren, hat hier ein beeindruckendes kunstwerk geschaffen. und als solches muss man es auch ganz bewusst und offensiv rezipieren: als kunst – nicht als unterhaltung, denn als bettlektüre taugt dieser roman sicherlich überhaupt nicht.
da ist zunächst einmal seine personale sonderorthographie, die hier – wie etwa auch in der genealogie des tötens – sehr eigenwillig erscheint. v.a. scheint sie ihre systematisierung ein wenig verloren zu haben. kritiken thematisieren diese sehr augescheinliche besonderheit der späteren jirglschen texte besonders gern. in der tat muss man aber sagen, dass sie entgegen etwaiger befürchtungen kein lesehindernis darstellt – sie wird sehr schnell sehr vertraut. was sie allerdings gerade in abtrünnig nicht wird, ist vollkommen verständlich: vieles bleibt zumindest bei der ersten lektüre (vielleicht hülfe da eine systematische durchdringung?) auf dem niveau der spielerei, weil sich einerseits keine bedeutungszuwachs oder ‑differenzierung erkennen lässt, andererseits auch weder eine absicht noch eine wenigstens vermutbare regelhaftigkeit. in manchen passagen wirkt diese extreme vermehrung der signifikanzen oder zumindest außerordentliche verdeutlichung der vieldeutigkeit des geschriebenen wortes, insbesondere natürlich durch die (ortho-)graphische eigenwilligkeit, wie eine künstlich forcierte annäherung an die mündlichkeit, das orale erzählen. andererseits ist sie in ihrer vielgestaltigkeit, die ja weit über die vereinheitlichende, normierte (und damit einschränkende) regelorthographie hinausgeht, auch offenbar der versuch der disambiguierung – der allerdings wieder dazu führt, das das schriftbild extrem hermetisch, abschreckend & unübersichtlich wirkt & auch tatsächlich wird: entzifferbar ist das kaum noch, weil das system nicht so einfach zu durchschauen ist (ist es überhaupt ein system?). und das führt schließlich auch dazu, dass man ihm leicht den vorwurf der spielerei machen kann. tatsächlich scheint manches auch nur das zu sein, lässt sich manche wort-verformung auch kaum anders auffassen. in seiner gesamtheit ist das, wenn man außerdem noch die formalen irregularien und stolpersteine – etwa die querverlinkungen und textbausteine – bedenkt, ein komplett verminter text und damit (auch) ein angriff auf den leser: die irregulären satzeichen als kleine sprengkörper, als angriffe auf das schnelle, einfache & gewöhnliche verstehen.
in abtrünnig ist die geschichte, die fabel, weitgehend zur nebensache geworden – noch nie war das bei jirgl (soweit ich sehe) so sehr der fall wie hier. im kern geht es um zwei männer, zwei liebende, die auf verschlungenen wegen nach berlin kommen und dort auf tragisch-groteske weise am und im leben scheitern. das ist aber auch schon wieder nur halb richtig, weil der zweite liebende, ein aus der ddr-nva in den bgs übernommener grenzschützer, der einer flüchtenden osteuropäerin zum illegalen grenzübergang nach deutschland verhilft, auf der suche nach ihr nach berlin kommt, dort als taxifahrer arbeitet, sie wiederfindet und just in dem moment, als sie zurück in ihre heimat gekehrt ist, um für die geplante heirat die notwendigen papiere zu organiseren, von ihrem offenbar psychisch gestörten bruder erstochen wird, weil also dieser zweite liebende, dessen geschichte natürlich durch begegnung mit der des anderen mannes verknüpft ist, gar keine besonders große rolle spielt.
wesentlicher als das ist aber das moment, der abtrünnig als „roman aus der nervösen zeit“ charakterisiert. das ist das autistische monologisieren, das durchbrochen wird von essayartigen passagen und genial erzählten teilen. natürlich spiegelt das wiederum nur das große, zentrale problem der hauptfigur und der modernen gesellschaft überhaupt: die suche nach dem ich, der identität, dem holistischen subjekt, dem eigenen lebens- und sinnentwurf – ein suche, die grandios scheitern muss und nur fragmente, zerstörung und beschädigte personen/figuren/menschen hinterlässt. der eindruck eines großen bruchwerkes bleibt dabei nicht aus: fragmentierte persönlichkeiten, sich auflösende soziale bindungen und gewissenheiten, kurz eine recht radikal ausgerichtete gesellschaftskritik sucht ihre form – und verliert sich dabei manches mal in essay-einschüben: abtrünnig ist in erster linie ein/das buch vom scheitern, seine bibel sozusagen: „es gibt kein richtiges leben im falschen“ – oder: das gelingen ist ganz und gar unmöglich geworden – & das muss man auch genau so kategorial formulieren, denn es gilt nicht nur für die figuren des textes, sondern auch für ihn selbst. deshalb ist er so, wie er ist; ist er in einer nach herkömmlichen maßstäben defizitären verfassung – er kann natürlich auch nicht mehr anders sein, das lässt die moderne welt, die „nervöse zeit“ nicht mehr zu. und genau wie diese ist er eine ziemlich gewaltige zu-mutung für den leser. denn er will ja nichts anderes, als diese schöne neue welt erklären oder mindestens aufzeigen – deshalb natürlich auch die (zeitweise durchaus überhand nehmenden) essay-passagen, die den kunstcharakter des gesamten textes beeinflussen – & das durchaus mit grenzwertigen ergebnissen. denn im ganzen ist das wohl so etwas wie ein anarchistisches kunstwerk – hoffnungslos unübersichtlich, kreuz und quer verlinkt durch die seltsamen „link“-kästen, die verweise vor und zurück im text, die eingestreuten zitate und auch wiederholungen, neuanläufe der beschreibung einer situation aus verschiedenen blickwinkeln. das alles hat zum ergebnis, das der roman, der vom tod der gesellschaft, vom tod des sozialen lebens, spricht, auch den tod des romans beschreibt, exemplifiziert – und auch reflexiert. denn auch wenn es gar nicht oder höchst selten explizit geschieht – vieles im text (etwa schon die daten der niederschrift (oder die behaupteten daten – schließlich befinden wir uns mit ihnen immer noch im fiktionalen text)) deutet auf eine reflexion der möglichkeiten des schreibens in einer nervösen, defizitären, verkommenen und immer weiter verkommenden gesellschaft hin. und wenn ein text wie abtrünnig das ergebnis dieser prozesse ist, kann man nun sagen, dass das schreiben unmöglich oder gar obsolet wird? das scheint mir zweifelhaft – denn trotz seiner unzweifelhaft zu konstatierenden schwächen ist abtrünnig als gesamtes doch ein beeindruckendes kunstwerk bemerkenswerter güte. interessant wird allerdings die fortsetzung – mir scheint es gerade mit diesem buch so, als schriebe sich der sowieso schon am rande des ästhetischen und insbesondere des literarischen diskurses stehende jirgl immer mehr ins abseits: ob er diese bewegung noch fruchtbar weiterführen kann?
guten tag, meine damen und herren.
die europäische kommission hat am späten samstagabend in einer eilverordnung die fifa wm 2006 in deutschland für beendet erklärt. wie die kommission in einer presseerklärung mitteilte, sei nach dem ausscheiden von brasilien die fortführung des turniers hinfällig: da nur noch europäische staaten um den titel kämpfen würden, seien weitere k.-o.-spiele nicht nötig. die eu sei ohnehin bereits sieger. kleinlich halbfinal- und finalspiele seien der europäischen integration abträglich und zudem angesichts der höchst angespannten gesamteuropäischen finanzlage nicht zu vertreten. die eingesparten mittel sollen für agrarsubventionen genutzt werden.
wir sind weltmeister … hurra, hurra.
(damit also doch noch ein eintrag zur wm — steht heute im “verboten” der taz.)
sammelbände zu besprechen ist meist keine besonders dankbare aufgabe — das editieren allerdings oft auch nicht. die regelmäßig übergroße zahl der beiträge, ihre methodische und thematische vielfalt und oft auch noch ihre stark divergierende qualität machen ein einheitliches urteil fast unmöglich. das gilt auch für den band “richard strauss und das musiktheater”, der die vorträge der gleichnamigen internationalen fachkonferenz in bochum 2001 versammelt. schon der titel zeigt ja an, wie umfassend das spektrum sein wird. zwei dutzend beiträge unterschiedlichsten umfangs und erkenntnisdichte füllen dann auch gut vierhundert seiten. und die herausgeberin julia liebscher betont auch ausdrücklich, das richard strauss aus allen möglichen blickwinkeln betrachtet werden soll, im verein mit theater- und filmwissenschaft, mit der librettoforschung und der dramaturgie. den angestrebten “methodologischen pluralismus” hebt sie zudem besonders hervor.
ein zweiter leitgedanke, der die meisten arbeiten prägt, ist die überzeugung von der modernität und fortschrittlichkeit sowie der “universalität” des strauss’schen oeuvre: “zweifellos ist strauss als letzter musiker der europäischen muikgeschichte zu würdigen, der jene universalität der musikalischen kultur repräsentierte, die in den pluralen kunstströmungen und spezialisierungen des 20. jahrhunderts endgültig zerbrochen ist” heißt es in der einführung von liebscher. den anhaltenden ruhm strauss’ auf diese faktoren zurückzuführen, hat sich ja in den letzten jahren — gegen etwa adornos frühes verdikt — zunehmend durchgesetzt.
der erste teil des bandes ist “musikalische dramaturgie” überschrieben und widmet sich vor allem den verschiedenen formen der überführung des (theater-)textes in musiktheater. und obwohl er damit auf eine lange forschungstradition aufbauen kann, ist er doch insgesamt der schwächste teil des bandes. die meisten aufsätze kauen nämlich bloß — teilweise sehr minutiös — die entstehungsgeschichten, die prozesse der zusammenarbeit zwischen librettist und komponist, also die transformationen von theater in oper bzw. musiktheater, durch. besondere erkenntnisse erwachsen daraus nicht oder zumindest arg selten. eine deutliche ausnahme ist allerdings jürgen maehders gekonnte studie zur “klangfarbenkomposition und dramatischen instrumentationskunst in den opern von richard strauss”. diese grundlegende arbeit, eine instrumentationsanalyse in der nachfolge von egon wellesz, macht sich die “interdependenz von klangfarbe und orchestersatz” mit der dramaturgischen aktion zu ihrem thema. und genau in dieser schnittmenge begibt er sich auf die suche nach der werkintention — eine mühsame aufgabe. vor allem die einführung neuer instrumente, die erweiterung und verdichtung des apparates lassen maehder dann strauss als nachfolger und fortsetzer der bemühungen richard wagners erkennen — ein nachfolger, der allerdings weit über seinen vorgänger hinausreicht. das vordringen in und ausloten von grenzbereichen orchestraler klangfarben wie dem tonhöhenlosen akkord und dem übergang zum geräusch, dem umschwung des verschmelzungsklanges in die verschleierung betonen die fortschrittlichkeit des opernkomponisten: “durch wechselseitige denaturierung der einzelnen töne erzeugte der komponist das erste »synthetische geräusch« der musikgeschichte, den grenzfall extremen instrumentatorischen raffinements.” und mit der hilfe einer detaillierten situierung der strauss’schen techniken in der orchestrationstechnik des fin de siècle kann maehder zu dem schluss kommen, dass mit strauss der abschied von der epigonalen nachfolge des musikdramas aus der “einsicht in das innerste seiner musikalischen sprache” vollzogen worden sei.
der zweite teil, “inszenierung — darstellung — gesang” vesammelt einige überlegungen zur aufführungspraxis. joachim herz als praktiker propagiert den begriff der “werkgerechtigkeit” anstelle der für ihn unmöglichen “werktreue” und legt anhand der “frau ohne schatten” die beweggründe seiner inszenierung dar. dabei kreist er in erster linie um das problem der verständlichkeit — eine inszenierung solle, so herz, sich darum bemühen, text, musik und vor allem die bühne, d.h. letztlich die ganze inszenierung besonders zur “explikation der fabel” zu nutzen — im falle seiner “frau ohne schatten” wäre das für ihn ein “hohelied von der veränderbarkeit des menschen”.
peter-michael fischer liefert eine sehr grundlegende und technisch solide arbeit zu den “anforderungen an die professionelle sängerstimme” und reflektiert dabei vor allem das problem des “opernmuseums”: jede zeitepoche hat nicht nur ein anderes stimmideal, sondern auch andere stimmtechnischen fähigkeiten und möglichkeiten, die es heute sowohl bei der besetzung als auch bei der interpretation entsprechend zu berücksichtigen gilt. im falle strauss sieht er das besondere in der etablierung eines neuen, aus dem natürlichen sprachduktus entwickelten gesangsstil durch den komponisten, der den belcanto um neue anforderungen — bedingt durch die erweiterte vertonung von sprache — ergänzt. thomas seedorf vervollständigt diese ausführungen mit seinem beitrag “kompositorische rollenkonzeption und sängerische realisierung” im wesentlich details. seedorf kann nämlich anhand der vorbereitung der uraufführungen zeigen, dass strauss, immer der theaterrealität verpflichtet, “im pragmatischen umgang mit dem eigenen werk” zu großen konzessionen hinsichtlich der details der stimmführung bereit war, um aus darstellerisch und musikalischen gründen gewünschten sängerinnen die entsprechenden partien zu ermöglichen und folgert daraus: “strauss hat auf seinem ursprünglichen ideal nicht bestanden, sondern andere interpretationen zugelassen.” eine solche, nämlich die ariadne-inszenierung von jossi wieler und sergio morabito, nimmt sich robert braunmüller zum gegenstand. er liefert eine ausführliche aufführungsanalyse und vergleicht dabei die konkrete inszenierungspraxis mit den vorgaben von strauss — mit ernüchterndem ergebnis. “seit jahren erschöpfen sich die meisten inszenierungen in der kontinuierlichen fortführung einer tradition.”
von dort aus ist der weg nicht weit zur untersuchung der rezeption(sgeschichte): die im dritten teil versammelten beiträge betonen durchweg die flexibilität des komponisten hinsichtlich der werktreue — solange die “intention” gewahrt blieb oder ihr damit gar gedient wurde, war strauss zu kürzungen und umstellungen, in guten augenblicken sogar zur umarbeitung fähig.
während roswitha schlötterer-traimer bei ihrer untersuchung der “musteraufführungen” unter clemens krauss in münchen immerhin noch so etwas wie eine grundtendenz der inszenierenden interpretation, nämlich das “streben nach größtmöglicher deutlichkeit” findet, begnügt sich günther lesnig gleich mit einer reinen datensammlung zu den salome-aufführungen in wien, mailand und new york. sonst glänzt der dritte, mit “rezeption” überschriebene teil vor allem durch seine glanzlosigkeit. hans-ulrich fuss kann in seiner untersuchung verschiedner aufnahmen der salome immerhin zeigen, dass es bei strauss nicht immer sinnvoll ist, möglichst exakt zu spielen: bestimmte texturen fordern die undeutlichkeit als eigenständiges ästhetisches attribut überhaupt erst heraus. und martin elste macht sich einige gedanken über den unterschied einer oper als tonaufnahme oder als theater: grundverschiedene tempi-notwendigkeiten für entsprechende dramaturgische effekte fordert er etwa. vor allem aber: “das bloße hören einer oper kommt dem eintauchen in eine traum‑, in eine scheinwelt gleich” — und konstantiert dann noch wenig überraschend: “oper von schallplatte wird primär als absolute musik gehört.” das verbindet er — ein wenig paradox — mit der quasi-natürlichen bevorzugung der sprache, d.h. der gesangsstimmen bei tonaufnahmen. er sieht dann darin auch eine nahezu ideale rezeptionsweise der oper — befreit von allen nebensächlichkeiten, als purer akustischer traum. das scheint mir aber dann doch ein arger fehlschluss, der viel zu stark von der persönlichen faszination des autors durch opernaufnahmen ausgeht — es gibt ja durchaus auch rezipienten, die opern mehr oder weniger ausschließlich in der kombination aus akustischen und visuellen reizen genießen können.
anderes schließlich sammelt sich unter der rubrik “trivia”: richard strauss’ leben und werke sind ja nicht ganz unerforscht. da kann man sich also auch durchaus mal auf nebenschauplätzen tummeln und dort nach interessantem material suchen. der ertrag lässt freilich wiederum meist zu wünschen übrig. und dennoch, schließlich ist strauss’ werk auch noch nicht wirklich umfassend und detailliert untersucht — da böten sich durchaus noch möglichkeiten für interessante analysen — die allerdings auch zeitgemäße methoden erforderten. aber damit hat, und das zeigt dieser band in seiner gesamtheit eben auch, die musikwissenschaft nicht immer die glücklichste hand: das meiste hier vesammelte ist in dieser hinsicht vor allem hochgradig unspektakulär, unbedarft bis unreflektiert und arbeitet mit altmodischer, teilweise auch einfach unzureichender methodik. dass etwa die musik strauss “an der lebendigen aufführung orientiert” und “auf unmittelbar sinnliche gegenwart” ausgerichtet ist (hans-ulrich fuss), wird zwar wiederholt angemerkt, schlägt sich in den analysen aber erstaunlich wenig nieder. vermutlich ist genau das einer gründe, warum die erforschung der musiktheaterproduktion richard strauss’, wie sie dieser band präsentiert, oft so bieder und altbacken wirkt.
julia liebscher (hrsg.): richard strauss und das musiktheater. bericht über die internationale fachkonferenze bochum, 14. bis 17. november 2001. berlin: henschel 2005.
ein größerer kontrast lässt sich kaum denken: direkt vom viertelfinale in die heiligen hallen der eberbacher klosterbasilika, zu den hehren klängen von mahler und bruckner. die beiden hauptakteure scheint es auch ein wenig mitgenommen zu haben. der eindruck stellt sich zumindest beim ersten der lieder eines fahrenden gesellen von mahler ein. denn bariton christian gerhaher und dirigent eliahu inbal bemühen sich so sehr, die verschiedenen schichten dieser musik zu verdeutlichen, dass sie bei jedem zusammentreffen ordentlich aneinandergeraten. schade, denn der ansatz ist so verkehrt gar nicht. das zeigen dann auch die restlichen drei gesänge das ganze konsolidiert sich in großer ernsthaftigkeit. gerhaher verhilft den texten in schlichter strenge zu sehr eindringlicher präsenz, inbal verknüpft das sehr zielstrebig zum zyklus.
der bariton hat seinen auftritt damit nach zwanzig minuten schon erledigt, während der drigient sozusagen noch in der aufwärmphase ist. denn für ihn geht es erst mit bruckners vierter symphonie so richtig zur sache. seine intention wird schnell deutlich und zeigt sich wunderbar klar: die ganze symphonie ist eine spirale nach oben, eine enorme aufwärtsbewegung. raumgewinn gibt es zwar keinen, aber dafür gelangt inbal mit dem wdr-sinfonieorchester immer höher, im weiter hinauf.
dazu bemüht er sich, die vom komponisten selbst als romantische titulierte symphonie nachgerade unromantisch zu spielen: das blockhafte komponieren bruckners, seine sequenzierte statik ist ihm hörbar wichtiger als schwelgerische klangmalereien. dadurch ist die vierte aber auch von vornherein sehr offen: inbal legt dem publikum sozusagen das skelett der symphonie zur begutachtung vor nicht immer mit optimaler auflösung, aber das liegt weniger am dirigenten als an den sich häufenden kleinen patzern des wdr-sinfonieorchesters. der drigient selbst verrichtet seinen anteil mit besonnener gründlichkeit, er baut mit unermüdlichem fleiß immer neue schichten der enormen klänge auf und entwickelt die in straffer organisation zu großer präsenz und offenheit: das strahlt gerade im letzten satz, kurz vor dem ende, in fast blendender helligkeit und beeindruckender klarheit.
und sich an einer neuen oder sagen wir einmal unbekannten wagner-operette erfreuen (genau, richard wagner hat auch eine operette geschrieben, man muss sie nur aus ihrem korsett des großen musikdramas — dem rheingold — befreien): die rheintor-saga.
was haben ein pumpgenie, eine bio-bäuerin, zwei mittelständische bauunternehmer und eine alkoholoabhängige dame der hohen gesellschaft gemein? genau, sie alle kommen im rheingold vor. zumindest in der zur rheintor-saga umgebogenen variante, mit der der kulturfonds mainzer wirtschaft geld für die erhaltung der mainzer rheintore sammelte.
das pumpgenie ist natürlich wie im richtigen leben niemand anderes als richard wagner der ii, der eigentlich der echte ist und ganz eigentlich wiederum der gastgeber im weihergart, peter hanser-strecker. er ist zwar in den letzten jahren ein wenig gewachsen und aus dem sächsischen akzent ist meenzerisch geworden, aber sonst ein ganz echter wagner. und er zieht den leuten auch genauso geschickt das geld aus der tasche nur ziemlich wahrscheinlich erheblich unterhaltsamer. denn die veranstalter haben sich von christian pfarr extra für diesen abend, als uraufführung ohne jede wiederholungmöglichkeit, ein libretto für ein neues kleines operettchen schreiben lassen. wolfram koloseus hat die musik dazu gemacht oder genauer gesagt, er hat die passenden stellen aus dem rheingold gesucht und veranstaltet damit am flügel ein ordentlich blätterorgi. die studenten aus dem jungen ensemble der hochschule für musik unter der leitung von claudia eder haben gesungen. die fricka von sarah kuffner ist davon frelich so gelangweilt, dass sie sich unentwegt sekt hinter die binde kippt. dabei hätte sie nur ihren mitstreitern zuhören müssen, um erstklassige unterhaltung gelifert zu bekommen.
das rheingold passt zum geldsammeln natürlich wunderbar schließlich gehts da ja auch um einen neubau. mit einer fülle solcher kleineren umdeutungen hat pfarr das wunderbar humoristisch angepasst. der richard wagner von hanser-strecker darf dabei für die notwendigen stichworte und außerdem für neue, lokalpatriotische verknüpfungen der kleinen ausschnitte sorgen so kommt dann etwa auch noch die finthener flurbereinigung ins spiel.
und da ja die rheintore fast das gleiche sind wie der reine tor, darf in dieser wagner-verwurstung auch parsifal (daniel jenz, der auch schon als loge sich mit dem rheingold plagen musste) noch einmal kurz zu wort kommen. und er darf sich zum schluss von den blumenmädchen sogar noch verführen lassen, ohne dafür bezahlen zu müssen.