Der Zusammenprall zweier Kulturen gilt oft als ein Zeichen von Unheil. Das muss aber nicht unbedingt so sein. Gerade in der Musik haben sich immer wieder große Ereignisse aus dem Aufeinandertreffen vollkommen unterschiedlicher Stile und Musiker ereignet. Das adventliche Chorkonzert im Dom war genau so ein Fall. Im Zentrum stand zwar der St. Petersburger Knabenchor. Aber die Mainzer ließen es sich nicht nehmen, den Mädchenchor wenigstens ein bisschen singen zu lassen. Und das war eine großartige Idee. Denn einen großen Teil seiner Wirkung und Eindrücklichkeit zog diese Adventsmusik aus dieser Konfrontation. Hier traten zwei völlig verschiedene Chortraditionen ins Blickfeld, zwei ganz gegensätzliche Klangkulturen.
Den Anfang machte der Mainzer Mädchenchor. Nicht viel war es, was sie sangen. Aber es reichte Karsten Storck, um das Niveau und die Qualität seines Ensembles wieder einmal plastisch bewusst zu machen. Egal, ob verträumt und sanft schwingend wie der Satz des Weihnachtsliedes „Maria durch ein Dornwald ging“ oder federnd zupackend wie bei der ausgewählten Magnificat-Vertonung: Immer bewiesen sie volle Präsenz, vorbildliche Klarheit und Einheit des Klangkörpers, der alle Strukturen klar erkennen ließ.
Und dann der Wechsel zu den russischen Jungen. Das war nicht nur ein anderes Geschlecht, das war eine ganz andere Idee des Chorklangs. Denn Transparenz und kompositorische Strukturen waren jetzt überhaupt nicht mehr wichtig. Jetzt ging es vor allem darum, den Raum mit Klang auszufüllen – ein Vorhaben, das im Mainzer Dom zu sehr anregenden Ergebnissen führte.
Alles war immer im Fluss, jeder Übergang wurde von Wladimir Ptscholkin so sorgsam abgefedert, dass er nahezu unerkennbar wurde. Es war eine scheinbar nie versiegende Fülle weicher Klangbilder, die sie aus den Werken vorwiegend russischer Komponisten herausholten. Und es war immer wieder verblüffend, wie nahtlos sie sich in den Raum schmiegten, wie die gar nicht so vielen Kinder und Jugendliche die Energien fließen ließen. Einen Sieger gab es in diesem Konzert natürlich nicht, nur zwei völlig unterschiedliche klangliche Ergebnisse. Aber schön waren beide.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)