Anton Bruckner, Locus iste:
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Anton Bruckner, Locus iste:
Ein norddeutscher Gottesdienst zu Beginn des 17. Jahrhunderts – wie der wohl geklungen hat? Und was dort zu hören und zu erleben, zu sehen und zu feiern war, wenn es ein wichtiger Feiertag war wie etwa die Michaelisvesper? Um das aufzuspüren, könnte man sich jetzt einige Wochen in die Bibliothek setzen und alte Kirchenordnungen, Musikerrechnungen und Partituren studieren. Oder man setzt sich entspannt in seinen Hörsessel und legt die gerade erschiene SACD des Knabenchor Hannover in den Player. Dort ist nämlich genau das aufgenommen: Eine versuchte Rekonstruktion so einer Michaelisvesper, wie sie etwa in den 1620er-Jahren zum Beispiel in Wolfenbüttel hätte geschehen können. Jörg Breiding, der Dirigent der Hannoveraner, hat mit fachkundiger Unterstützung aus den Werken Michael Praetorius, der genau dort Organist und Hofkapellmeister war, ein mögliches Gesamtkunstwerk einer musikalischen Vesper zu Michaelis zusammengestellt. Und das dann zu unserem Glück mit seinem Chor und einer Menge Instrumental-Experten (dem Johann-Rosenmüller-Ensemble und Hille Perls „The Sirius Viols“ sowie dem Bremer Lautten-Chor) auf eine Super-Audio-CD gebannt. 80 Minuten faszinierende Musik sind das geworden, in denen man mit dem fremden Blick des Nachgeborenen der ungeheueren Vielfalt der Musik Praetorius’ lauschen darf, seinen Konzertsätzen und seinen Psalmen etwa, aber auch dem großen Magnificat, das in sich noch einmal mit seinem breiten Spektrum musikalischer Gestaltungskraft fein differenziert. Genau das macht auch Breiding mit seinen Sängern und Instrumentalisten: Das ist, gerade in der Harmonie der Mannigfaltigkeit und der weichen Fülle des Klangs eine sehr feine und feinsinnige Aufnahme geworden. Schade nur, dass die Gottesdienste heute solche musikalischen Hochleistungen nicht (mehr) bieten.
Michaelisvesper mit Werken von Michael Praetorius. Viele Solisten …. Knabenchor Hannover, Jörg Breiding. Rondeau Production SACD ROP7007, 2009.
(geschrieben für die neue chorzeit)
Der Zusammenprall zweier Kulturen gilt oft als ein Zeichen von Unheil. Das muss aber nicht unbedingt so sein. Gerade in der Musik haben sich immer wieder große Ereignisse aus dem Aufeinandertreffen vollkommen unterschiedlicher Stile und Musiker ereignet. Das adventliche Chorkonzert im Dom war genau so ein Fall. Im Zentrum stand zwar der St. Petersburger Knabenchor. Aber die Mainzer ließen es sich nicht nehmen, den Mädchenchor wenigstens ein bisschen singen zu lassen. Und das war eine großartige Idee. Denn einen großen Teil seiner Wirkung und Eindrücklichkeit zog diese Adventsmusik aus dieser Konfrontation. Hier traten zwei völlig verschiedene Chortraditionen ins Blickfeld, zwei ganz gegensätzliche Klangkulturen.
Den Anfang machte der Mainzer Mädchenchor. Nicht viel war es, was sie sangen. Aber es reichte Karsten Storck, um das Niveau und die Qualität seines Ensembles wieder einmal plastisch bewusst zu machen. Egal, ob verträumt und sanft schwingend wie der Satz des Weihnachtsliedes „Maria durch ein Dornwald ging“ oder federnd zupackend wie bei der ausgewählten Magnificat-Vertonung: Immer bewiesen sie volle Präsenz, vorbildliche Klarheit und Einheit des Klangkörpers, der alle Strukturen klar erkennen ließ.
Und dann der Wechsel zu den russischen Jungen. Das war nicht nur ein anderes Geschlecht, das war eine ganz andere Idee des Chorklangs. Denn Transparenz und kompositorische Strukturen waren jetzt überhaupt nicht mehr wichtig. Jetzt ging es vor allem darum, den Raum mit Klang auszufüllen – ein Vorhaben, das im Mainzer Dom zu sehr anregenden Ergebnissen führte.
Alles war immer im Fluss, jeder Übergang wurde von Wladimir Ptscholkin so sorgsam abgefedert, dass er nahezu unerkennbar wurde. Es war eine scheinbar nie versiegende Fülle weicher Klangbilder, die sie aus den Werken vorwiegend russischer Komponisten herausholten. Und es war immer wieder verblüffend, wie nahtlos sie sich in den Raum schmiegten, wie die gar nicht so vielen Kinder und Jugendliche die Energien fließen ließen. Einen Sieger gab es in diesem Konzert natürlich nicht, nur zwei völlig unterschiedliche klangliche Ergebnisse. Aber schön waren beide.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)
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