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Schlagwort: johannes brahms Seite 1 von 2

Ins Netz gegangen (15.6.)

Ins Netz gegan­gen (11.6.–15.6.):

  • Peter Kurzeck zum Siebzig­sten: Leben­s­plan bis zum Lit­er­aturnobel­preis — FAZ — Andreas Platthaus find­et sehr emphatis­che Worte für seinen Geburt­stags­gruß an Peter Kurzeck:

    Es ist diese Liebe zur eige­nen Geschichte, die Kurzeck zu einem Erzäh­ler macht, der diese Beze­ich­nung wie kein Zweit­er ver­di­ent.

  • Zum 70. Geburt­stag: Ein Ständ­chen für Peter Kurzeck | hr-online.de — Ulrich Son­nen­schein rei­ht sich für den hr in die Rei­he der Grat­u­lanten zu Peter Kurzecks 70. Geburt­stag ein:

    Nun wird er schon 70 und es gibt noch so viel zu erzählen. Von Peter Kurzecks großes Roman­pro­jekt “Das alte Jahrhun­dert”, das in zwölf Büch­ern die let­zten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhun­derts auf­be­wahren soll, sind erst fünf erschienen. Und wer die Arbeitsweise von Peter Kurzeck ken­nt, schaut mit bangem Blick auf das Pro­jekt und erken­nt, dass es wahrschein­lich Frag­ment bleiben muss, so wie das Leben auch immer nur ein Frag­ment ist.

  • Ver­lage drosseln Taschen­buch-Pro­duk­tion radikal — buchre­port — Nicht nur die Telekom drosselt ihr Ange­bot, auch die Ver­lage sind dabei:

    Ein so niedriger Novitäten­pegel wie in diesem Juni wurde jeden­falls in den ver­gan­genen 20 Jahren nicht gemessen.

  • Johannes Brahms’ Bre­mer Tri­umphlied: Ver­schol­lenes Werk wieder­ent­deckt -

    Musik­wis­senschaftler der Uni­ver­sität Bre­men haben das bis­lang ver­schollen geglaubte Noten­ma­te­r­i­al der Urauf­führung des Tri­umphliedes op. 55 von Johannes Brahms im Archiv der Phil­har­monis­chen Gesellschaft Bre­men wiederge­fun­den. Anhand der his­torischen Abschriften der Chor- und Orch­ester­stim­men und im Ver­gle­ich zur bekan­nten, späteren Fas­sung des großan­gelegten Werks ist es Pro­fes­sor Ulrich Tad­day und Katrin Bock gelun­gen, die Par­ti­tur der Urauf­führung von 1871 voll­ständig zu rekon­stru­ieren.

    Das Ergeb­nis der mehrmonati­gen Forschungsar­beit über­trifft alle Erwartun­gen der Wis­senschaftler. Die Kom­po­si­tion unter­schei­det sich so sehr von der bekan­nten, späteren Fas­sung, dass es gerecht­fer­tigt ist, sie als eigen­ständi­ges Werk zu beze­ich­nen: Die Bre­mer Fas­sung des Tri­umphliedes.

  • Der Wortzerteil­er — taz.de — Jörg Mage­nau in seinem aus­führlichen Nachruf auf Wal­ter Jens:

    Jens sprach, um zu sprechen, und berauschte sich daran.

Musikalischer Weltentrost

Es war dann doch einiges mehr als „Trost für Trauernde”: Ralf Otto und der Bach­chor trösteten gle­ich die ganze Men­schheit. Genau die richtige Musik am Vor­abend des Ewigkeitsson­ntages also. Was auf dem Papi­er etwas selt­sam aussieht, funk­tion­iert in der Chris­tuskriche jeden­falls so gut, dass man sich fragt, warum noch nie­mand auf die Idee gekomen ist: Die Kom­bi­na­tion des Brahmss­chen “Deutschen Requiem” mit den “Can­ti di pri­gio­nia” von Lui­gi Dal­lapic­co­la.

Natür­lich ist das ein Bruch — aber ein frucht­bar­er. Brahms, den man so oft hört, erfährt durch die 70 Jahre jün­gere Musik des Ital­ieners eine neue Per­spek­tive. Und umgeke­ht wer­den auch Dal­lapic­co­las drei Gesänge für Chor und Schlag­w­erk anders wahrgenom­men, wenn man sie mit­ten im reinen Wohlk­lang von Brahms hört. Denn das war es natür­lich mal wieder: Rein­er Wohlk­lang. Was anderes ist bei Ralf Otto und dem Bach­chor nicht zu erwarten. Der Chor, noch ver­stärkt durch die jun­gen Stim­men der Cho­ris­ten der Mainz­er Musikhochschule, agiert klang­be­wusst wie immer . Aber auch klar und konzise , immer – selb­st in den zurückgenom­men­sten, leis­testen Pas­sagen, mit beein­druck­ender Präsenz und Deut­lichkeit. Möglich war das vor allem, weil er nicht gegen ein Orch­ester ansin­gen muss: Denn Otto hat­te für dieses Exper­i­ment das „Deutsche Requiem“ in der Ver­sion für zwei Klaviere mit Pauke (die einige unge­heuer­lich ein­drucksvolle Ein­sätze hat) aus­gewählt — nicht, dass ein Orch­ester für den Massen­chor ein Prob­lem gewe­sen wäre. So kön­nen die Sänger aber immer entspan­nt bleiben, immer in — für einen Chor dieser Größe — sehr leisen bis mit­tleren Laut­stärken sin­gen. Das macht den Klang nicht nur lock­er, son­dern lässt offen­bar Kapiz­itäten frei, die der Klangvielfalt und dem Aus­druck zu gute kom­men.

Otto sucht für seine Inter­pre­ta­tion des Klas­sik­ers sehr deut­liche Posi­tio­nen, er baut die sieben Sätze alle um zen­trale Worte und Motive herum . Und er scheut die Spreizung nicht: Langsame Abschnitt dehnt er schon mal sehr deut­lich und gibt dafür an anderen Stellen spür­bar Gas. Seine Solis­ten, die Sopranistin Julia Kleit­er und der Bari­ton Jochen Kupfer, unter­stützen ihn damit mit viel Kraft.
Und war dieses „Deutsche Requiem“ schon ein Lehrbeispiel für expres­sive Chor­musik, so gilt das für Dal­lapic­co­las „Can­ti“ noch stärk­er . 1939 im faschis­tis­chen Ital­ien ent­standen, sind sie mit ihren Tex­ten berühmter Gefan­gener – Maria Stu­art, Boethius und Savvonaro­la – und ihrer raf­finierten Mis­chung tonaler und zwölftöniger Tech­niken ein früh­es Exem­pel der engagierten Musik.

Und tat­säch­lich: Trost bietet diese Musik, ob sie nun von Brahms oder Dal­lapic­co­la stammt, nicht nur in ihren Tex­ten, son­dern auch in ihrem emo­tionalen Gehalt. Zumin­d­est wenn man sie so raf­finiert und mit Mut zu klaren Kan­ten auf­führt wie Otto das kann. Trost, der aus dem Ver­trauen geschöpft ist — in Gott und die Men­schen, in die Ewigkeit und eine (bessere) Welt. Das kann man hören, in fast jed­er Pas­sage: Unver­rück­bar und unan­fecht­bar im Glauben, trotz aller Aufruhr und Anfech­tung voller Gewis­sheit und Sicher­heit, kreist diese große Aus­drucksmusik immer wieder um Trauer und Trost. Man muss sie nur so wörtlich nehmen wie Ralf Otto.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Taglied 3.9.2012

Thomas Allen, Schu­bert-Lieder (Brahms-Orch­ester-Bear­beitung)

Thomas Allen sings Schubert’s “Gruppe aus dem Tar­tarus” and “Mem­non” (arr. by Brahms)

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Taglied 2.9.2012

Brahms, 2. Klavierkonz­ert, mit Clau­dio Arrau und dem Phil­har­mo­nia Orches­tra Lon­don unter Car­lo Maria Guili­ni, 1964:


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Johannes Brahms — 2. Klavierkonz­ert B Dur op.83 — III. Andante [1/2] — Clau­dio Arrau

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Kammermusik-Karrieren

Ein Konz­ert, das „Kar­ri­eren“ über­schrieben ist, gehört sich­er nicht zum All­t­ag. Auch bei der Vil­la Musi­ca nicht. Zum 25jährigen Jubiläum der Stiftung haben die „Fre­unde der Vil­la Musi­ca“, der Unter­stützervere­in, jet­zt aber ehe­ma­lige Stipen­di­at­en der Vil­la Musi­ca ein­ge­laden, zurück­zukehren – jet­zt, wo sie alle Kar­riere gemacht haben. Die mit­tler­weile arriv­ierten Kün­stler sollen sich musikalisch präsen­tieren und im Gespräch mit Bar­bara Har­nischfeger, der Vor­sitzen­den des Fre­un­desvere­ins, vom Ein­fluss und Wert der Kam­mer­musik für ein Musik­er­leben erzählen.

Erste Sta­tion war Mainz – und wieder mit außergewöhn­lichem Pro­gramm. Schon wegen der Beset­zung: Oboe, Klar­inette und Klavier kom­men in dieser Weise nicht so oft zusam­men. Aber natür­lich gibt es auch für diese For­ma­tion Musik. Zum Beispiel das Trio von Edouard Deste­nay, einem Zeitgenossen von unter anderem Claude Debussy, der aber inzwis­chen ziem­lich gründlich vergessen wurde. In der Vil­la Musi­ca erklingt das als geschmei­di­ge, kraftvoll-boden­ständi­ge Musik. Beson­ders die schö­nen Tri­aloge und Zwiege­spräche zwis­chen den Instru­menten fall­en auf: Vor allem Oboist Kai Fröm­b­gen und Klar­inet­tistin Ker­stn Grötsch führen immer wieder angeregte Kon­ver­sa­tio­nen – ein frisch gespielte, ansteck­end gut gelaunte Musik.

Das Kar­ri­eren-Konz­ert war aber auch darüber hin­aus ein schönes Beispiel für das Erfol­gsrezept der Vil­la Musi­ca beim Pub­likum und bei Musik­ern: Die Mis­chung von unbekan­nter und ver­trauter Musik, auf hohem Niveau von neugieri­gen, spiel­freudi­gen Musik­ern vor­ge­tra­gen, die sich in fast jedem Pro­gramm find­et. Zum Bekan­nten gehörte dieses Mal die zweite Klar­inet­ten­sonate von Johannes Brahms, eines sein­er wun­der­baren absoluten Spätwerke. Ker­stin Grötsch und Oliv­er Triendl ließen der Musik ganz viel Raum zur Ent­fal­tung: Sorgsam bemüht, die feine Struk­tur der Sonate zu zeigen und den emo­tionalen Gehalt lebendig wer­den zu lassen. Über weite Streck­en ist das dann ein­fach wun­der­bare Musik zum Loslassen.

Emo­tion­al sind Jörg Wid­manns „Inter­mezzi“ auch, das Loslassen ver­bi­etet sich bei ihnen aber vol­lkom­men. Oliv­er Triendl spielte diese oft düsteren, sehr effek­tvoll die ganze Klaviatur aus­nutzen­den kurzen und län­geren roman­tisch verk­lärten See­len­musiken in ihrer deutschen Erstauf­führung mit großer Sorgfalt, aber mit noch größer­er Emphase: Wenn das wirk­lich ein Spiegel der Seele des Kom­pon­is­ten ist, wie der Pianist andeutete, dann ver­heißt das wenig Gutes. Die Düster­n­is über­wiegt hier stark, Licht und Trost sind nur in Andeu­tun­gen zu find­en. Selb­st ein „Wiegen­lied“ endet dabei in Gewalt, Chaos und Umsturz, in wilden Erup­tio­nen don­nern­der Klaviertöne. Damit wurde dieses Konz­ert auch zu einem Beispiel für die Vielfalt der Kam­mer­musik – die ist schließlich, wie es Ker­stin Grötsch auf den Punkt brachte, „die Würze im Musik­er­leben.“

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Große Messe und große Interpretation

Die vie­len Kisten und Instru­mentenkof­fer des Orch­esters ste­hen noch im Ein­gangsraum – die Chris­tuskirche ist eben keine Konz­erthalle. Auch im Kirchenin­neren ist es voll, schon der Bach­chor und der unter­stützende Chor der Musikhochschule brauchen eini­gen Platz, dazu dann noch die üppig beset­ze Deutsche Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz. Aber für das Pub­likum ist noch genü­gend Platz. Zum Glück. Denn der ganze Aufwand der fast zwei­hun­dert Musik­er ist ja kein Selb­stzweck. Und Anton Bruck­n­ers dritte Messe in f‑Moll, das Hauptwerk des Konz­ertes am Tag der Deutschen Ein­heit, sorgt dafür, dass die Chris­tuskirche auch akustisch gut gefüllt wird.

Aber die Fülle des Klangs wurde nie drück­end, der machtvolle Klan­gap­pa­rat – und Bruck­n­er nutzt den dur­chaus aus­giebig – beschert dem Pub­likum kein­swegs eine beschw­er­liche Enge. Ganz im Gegen­teil. Der prä­gend­ste Ein­druck nicht nur bei der Bruck­n­er-Messe, son­dern auch schon in der Altrhap­sodie von Johannes Brahms, war die feine Aus­gestal­tung aller Klänge. Und das ist ein unbe­d­ingtes Ver­di­enst Ralf Ottos. Ein wirk­lich großes noch dazu. Die ger­adezu ver­rückt wirk­ende Detail­ge­nauigkeit in Chor und Orch­ester geht näm­lich mit ein­er ungeah­n­ten Offen­heit der Bruck­n­er­schen Musik ein­her. Was da an Vor­bere­itung dahin­ter steck­en muss!

Erstaunlich intim klingt die größte Messe Bruck­n­er in der Chris­tuskirche. Das ist nicht ger­ade kam­mer­musikalisch, aber trotz der teil­weise mächtig geschicht­en Chor- und Orch­esterk­länge – irgend­wie muss Bruck­n­er ja noch zu erken­nen sein – doch immer ganz direk­te Musik, die sich nicht nur dem unbe­d­ingten Glauben ihres Schöpfers ver­dankt, son­dern diese felsen­feste Gewis­sheit auch weit­ergeben kann – ohne zu ver­hehlen, dass vieles anders sein kön­nte. Der gern mal auftrumpfende, besser­wis­serische Bruck­n­er kommt hier nicht zum Klin­gen. Ob es nun die berück­ende Innigkeit des Glo­ria ist oder die großar­tig aus­ge­formten Kon­traste des Cre­do: Über­all in dieser Messe herrscht ein lebendig-atmender Klang, der vor allem eine Gebor­gen­heit in über­legter Gestal­tung ver­mit­telt, die sich den Rausch immer wieder ver­sagt – und so vieles über­haupt erst zu erken­nen gibt.

Der Bach­chor singt das wie ein gebändigter Tiger: Voller Kraft, mit pulsieren­der Wild­heit und natür­lichem Instinkt, die aber ganz dem Willen des Diri­gen­ten-Domp­teurs Otto unter­wor­fen sind und – ohne gebrochen zu weden, ohne an Ausstrahlung zu ver­lieren – zivil­isiert wur­den. Das ist immer ein schmaler Grat zwis­chen banalem Klan­grausch und gefühls­duseligem Kitsch, den Bruck­n­er im Ide­al­fall von seinen Diri­gen­ten ver­langt. Und noch dazu tech­nisch nicht ohne Tück­en. Otto wan­delt sich­er – und führt das Pub­likum so nicht nur zum Erleben, son­dern zum ganz neuen Ken­nen­ler­nen dieser großen Messe.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Es ist vollbracht: Gardiners Brahms-Aufnahmen

John Eliot Gar­diner hat eine Vor­liebe für große und ungewöhn­liche Pro­jek­te. Nach der Bach-Pil­grim­age hat er sich inzwis­chen einem anderen großen B zugewen­det: Brahms und seinen Sin­fonien. Dessen vier Sym­phonien reichen aber nicht, das war dem Diri­gen­ten offen­bar zu wenig. Also hat Gar­diner für seine Live-Auf­nah­men noch große Chor­w­erke hinzuge­fügt — vorn Brahms, seinen Zeitgenossen, aber auch von ganz alten Meis­tern wie Gabrieli, Schütz und Bach. Er will damit vor allem die Vokaltät der Brahmss­chen Orch­ester­w­erke her­vorheben. Inzwis­chen ist er damit auch fer­tig: Vier wun­der­schön klin­gende und auch schön anzuschauende CDs sind es gewor­den, die er mit “seinem” Orch­ester, dem Orchestre Révo­lu­tion­naie et Roman­tique, und dem Mon­tever­di-Choir einge­spielt hat und auf seinem eignen Label Soli Deo Glo­ria veröf­fentlicht hat (vgl. Neue Chorzeit xx/xx).

Die dritte Sym­phonie wird auss­chließlich von Chor­w­erken des Meis­ters selb­st ger­ahmt. Vor allem der „Gesang der Parzen” und die „Nänie” stechen pos­i­tiv her­vor: Mit Augen­maß lässt Gar­diner den Mon­tever­di-Choir sowohl den drama­tis­chen Ges­tus als auch feine Details der Tex­taus­deu­tung real­isieren.

Auch die vierte CD dieser Rei­he fängt ganz aus­ge­sprochen drama­tisch an, mit Beethovens Cori­olan-Ouvertüre. Und geht dann auch so weit­er . Geschmei­dig und diszi­plin­iert zugle­ich ist Gar­diners Inter­pre­ta­tion aller vier Sym­phonien, die schwungvoll die Dra­matik der Par­ti­tur weckt, ohne je bemüht zu wirken. Genau­so natür­lich und ganz entspan­nt selb­stver­ständlich (darin wirken diese Auf­nah­men fast klas­sisch) lässt er den Mon­tever­di-Choir auch die Vokalw­erke sin­gen. Selb­st die etwas spröderen Brahmss­chen „Fest- und Gedenksprüche” fließen bei ihm ganz har­monisch aus den Laut­sprech­ern. Nicht nur hier, auch bei den aus­gewählten Chorsätzen von Gio­van­ni Gabrieli, Hein­rich Schütz und Johann Sebas­t­ian Bach, zeich­nen sich diese Auf­nah­men immer durch eine angenehme Kom­bi­na­tion aus Freude an der Detail­ge­nauigkeit und großzügiger klan­glich­er Gestal­tung aus.

Ob die unmit­tel­bare Nach­barschaft der großen Vokalw­erke die Sym­phonien nun wirk­lich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, ist eigentlich egal. Jeden­falls gelin­gen Gar­diner alle vier in vorzüglich­er Weise. Und wenn es dazu noch inter­es­sante Chor­musik gibt — umso bess­er.

(geschrieben für die Neue Chorzeit.)

Meisterhafte Meisterwerke im Meisterkonzert

Sel­ten war wohl eine Konz­ert­pause so notwendig wie bei diesem Meistkonz­ert. Denn nicht nur waren in der Rhein­gold­halle größere Umbaut­en auf der Bühne und das Nach­stim­men des Flügels notwendig. Nein, vor allem waren das eigentlich zwei eigene Konz­erte, die von der Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz unter Karl-Heinz Stef­fens hier im Dop­pel­pack ange­boten wur­den.

Zunächst also zwei Bal­lett-Musiken: Mit dem Klas­sik­er „Prélude de l’après-midi d’un faune” von Claude Debussy eröffnete das Lud­wigshafen­er Orch­ester der Abend. Diri­gent Stef­fens wählte einen vor­sichti­gen, zurückgenom­men Zugang: Zart ent­fal­tet sich schon das ini­tiale Flö­ten­the­ma, und sacht, manch­mal etwas stock­end, dann aber wieder deut­lich treibend entwick­elt er die impres­sion­is­tis­che Klangschilderung sehr behut­sam. Als Fort­set­zung der Entwick­lung der mod­er­nen Bal­lettmusik sehr logisch fol­gte dieser Naturidylle Bela Bartóks Musik für die Tanz­pan­tomine „Der wun­der­bare Man­darin”. Die ließ Stef­fens deut­lich offen­er und fordernd-drägned­er musizieren – anderes wäre bei dieser Musik auch wider­natür­lich.

Grandios wurde es in der Rhein­gold­halle aber erst nach der Pause. Ent­ge­gen den üblichen Konz­ert­ge­wohn­heit­en kam das Solis­tenkonz­ert näm­lich zum Schluss – mit gutem Grund. Zum einen ist Brahms’ B‑Dur-Klavierkonz­ert mit unge­fähr 45 Minuten schon recht lang. Zum anderen kann man danach kaum noch sin­nvoll andere Musik machen. Zumin­d­est, wenn man es so wie Antti Siirala spielt, mit vollem Ein­satz, auf Leben und Tod qua­si. Da passt dann auch keine Zugabe mehr, obwohl der Saal danach gierte. Aber das war die richtige Entschei­dung – alles hätte den Ein­druck dieser großen Inter­pre­ta­tion höch­stens geschmälert. Denn Siirala und Stef­fens fan­den hier wun­der­bare Wege, die gesamte Vielfalt des Konz­ertes voll auszuschöpfen. Sie weigerten sich ein­fach – und sehr kon­se­quent -, sich auf einen einzi­gen Stan­dort zu begeben. Ständig wech­sel­ten sie die Per­spek­tive, zoomten von großen Gesten bis in fein­ste Details

Siirala kann sich diese unge­heure Vielgestaltigkeit leis­ten, weil er als Pianist viel­seit­ig genug ist. Sein kerniges, deut­lich akzen­tu­iertes Spiel kann phasen­weise auch ganz weich und san­ft tönen. Immer bleibt er aber aus­ge­sprochen agil – nicht ohne Grund sitzt er wie sprung­bere­it nur auf der vorder­sten Kante sein­er Klavier­bank. Und diese konzen­tri­erte Aufmerk­samkeit für alle Aspek­te der Par­ti­tur ermöglicht zwar nicht immer völ­lig schlüs­sige Entwick­lun­gen, aber auf jeden Fall eine Fülle faszinieren­der Momente, und genial span­nend erscheinen­der Pas­sagen – die dann selb­st den Diri­gen­ten immer wieder ganz verblüfft zu seinem Pianis­ten blick­en lassen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

 

brahms mal anders. aber ganz anders.

Ein ganz nor­males Orch­esterkonz­ert im Staat­sthe­ater: Etwas von Carl Maria von Weber, dann das Vio­linkonz­ert von Felix Mendelssohn Bartholdy und am Schluss noch die erste Sin­fonie von Brahms. Aber irgend etwas ist anders heute – die Musik­er sind alle so jung, den Solis­ten eingeschlossen. Ach so, das ist das Abschlusskonz­ert der Musikhochschule – das erk­lärt natür­lich die radikale Ver­jün­gung. Nicht aber die pro­fes­sionelle Sou­veränität, mit der das Orch­ester hier im Kleinen Haus spielt. Denn das Pro­gramm und das Diri­gat Wol­fram Koloseus’ waren alles andere als ein Schon­pro­gramm.

Am Beginn stand also Musik von Carl Maria von Weber: Die Ouvertüre und zwei Szenen aus dem Freis­chütz genau gesagt. Das war eine etwas selt­same Erfahrung. Mys­ter­iös gespen­stig ent­fal­tete Schauer­ro­man­tik im Orch­ester und szenis­che Andeu­tun­gen der jun­gen Sänger. Klan­glich fein abgeschmeckt und auch auf authen­tis­che Wirkung aus­gerichtet mit den Natur-Blech­blasin­stru­menten und dem vib­ri­eren­den Grun­drhyth­mus. Aber dann brechen die elek­tro­n­isch ver­stärk­ten und auch ver­fremde­ten Singstim­men in die feinsin­nige Klang­welt ein – das muss man wohl nicht ver­ste­hen. Doch sehr drama­tisch ist das alles, vor allem die Wolf­ss­chlucht-Szene mit Dani­lo Tep­sa, Calin Coz­ma und Flo­ri­an Küp­pers.

Mit sehr viel Freude am vir­tu­osen Spiel stürzt sich Igor Tsin­man dann in Mendelssohn Bartholdys Vio­linkonz­ert in e‑Moll. Er kann sich das aber auch leis­ten, sicher­er Tech­niker er er ist.

Klar und dicht, in den meis­ten Teilen sehr unsen­ti­men­tal spielt er – das ist ein­fach Musik pur, mal wild, mal gedanken­ver­loren träu­mend. Aber immer jugendlich unbeküm­mert. Schade nur, dass die robuste Präg­nanz des Solis­ten das fließend beglei­t­ende Orch­ester ganz unver­di­ent in den Hin­ter­grund drängt.

Das kan dafür noch mit der abschließen­den ersten Sin­fonie von Johannes Brahms ganz alleine bril­lieren. Das erregte Pulsieren des Anfang set­zt sich hier unen­twegt fort, im nervösen Hin und Her, in der Unruhe der ständi­gen Bewe­gung und der per­ma­nen­ten Unsicher­heit der unaus­ge­set­zten Hin­ter­fra­gung aller Posi­tio­nen und Werte. So, wie Wol­fram Koloseus das hier entwick­elt, klingt das viel mod­ern­er und gegen­wär­tiger, richtigge­hend dekon­struk­tivis­tisch eigentlich, als gewöhn­lich bei Brahms. Diese Hal­tung set­zt sich dann durch die ganze Sin­fonie hin­durch fort. So richtig auf­blühen kann sie dadurch nie. Auch wenn sich das Orch­ester redliche Mühe gibt und mit erstaunlich­er Klangkul­tur und großem Engage­ment dur­chaus einige Teil­er­folge erlan­gen kann, bleibt es befremdlich. Das Tem­po dieser fiebri­gen Hast ist immer sehr bemüht und wirkt mehr kon­stru­iert als emp­fun­den. Ins­ge­samt gibt das dann eine oft dämonis­che, bis zum Wahnsinn aufgetürmt rasende und zer­fet­zte Sin­fonie – eine echte Über­raschung.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

wieder neu: brahms sinfonien und chorwerke

Es ist schon eine kühne Idee und fast eine Steil­vor­lage für den Kri­tik­er: John Eliot Gar­diner will Brahms noch ein­mal „neu“ ent­deck­en – und dies­mal richtig. Vielle­icht muss man so selb­st­be­wusst wie Gar­diner sein, um dieser Musik gerecht zu wer­den. Denn das wird er in fast beängsti­gen­der Weise. Da bleibt ein­fch nichts mehr zu kri­tisieren.

Alle vier Sin­fonien hat er sich vorgenom­men. Und er ergänzt sie mit großen Chor­w­erken von Brahms selb­st oder aus seinem Umfeld. Das heißt für die ersten bei­den, bere­its erschienen CDs (die restlichen zwei fol­gen im Laufe des näch­sten Jahres): Das Schick­sal­slied, der Begräb­nis­ge­sang, die Alt-Rhap­sodie umrah­men die Sin­fonien 1 und 2, dazu kommt noch Mendelssohn Bartholdys „Mit­ten wir im Leben sind“ und Schu­berts „Gesang der Geis­ter über den Wassern“ sowie zwei von Brahms für Chor und Orch­ester arrang­ierte Schu­bert-Lieder. Die Inter­pre­ten sind alte Ver­traute Gar­diners: Das Orchestre Révo­lu­tion­naire et Roman­tique sorgt mit sein­er hohen inter­pre­ta­torischen und tech­nis­chen Kom­pe­tenz im Umgang mit his­torischen Instru­menten für den faszinierend durch­sichti­gen und far­ben­re­ichen Orch­esterk­lang, der Mon­tever­di-Choir für die vokale Präzi­sion und klan­gliche Wucht, die Gar­diner zu bevorzu­gen scheint.

Denn Gar­diner ist nicht nur ein Musik­er, der sein Tun sehr genau bedenkt. Son­dern auch ein großar­tiger Dra­matik­er – auch wenn er das meist im schlanken und flex­i­blen Ges­tus sein­er Inter­pre­ta­tio­nen ver­steckt. Nach der Hal­bzeit ist klar, was man von diesem Pro­jekt erwarten darf: Vieles. Vielle­icht sog­ar alles. Die Sin­fonien: Prächtig, lebendig, unge­heuer vital auf der einen Seite, aber auch ver­flixt ernst, bewusst und genau – als wüsste die Musik selb­st um ihren Stel­len­wert in der Musikgeschichte.

Und die Chor­musik: Durch­weg auf höch­stem Niveau. Gut, der Mon­tever­di-Choir lässt ab und an einen leicht­en englis­chen Akzent auf­blitzen. Das ist aber auch schon der einzige Vor­wurf, den man ihm machen kann. Die oft im besten Sinne the­atralis­che Dra­matik, die Weite des Spek­trums, die ihm in klan­glichem Aus­druck und Dynamik zur Ver­fü­gung ste­ht, die Beweglichkeit des Chores auch im großen Klangvol­u­men – das alles formt sich unter Gar­diners Hand zu fan­tastis­chen, unmit­tel­bar mitreißen­den und nach­haltig beein­druck­enden Musik.

Ob das die Brahms-Sicht wirk­lich ändert? Auf jeden Fall bringt es die Beteiligten dazu, diese Werke noch ein­mal so „neu“ aufzuführen, als wäre die Tinte in der Par­ti­tur erst gestern trock­en gewor­den.

(geschrieben für die neue chorzeit)

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