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Schlagwort: felix mendelssohn bartholdy

Taglied 20.3.2013

Ronald Brau­ti­gam spielt Men­dels­sohn Bar­thol­dys „Lie­der ohne Wor­te“ – eine wun­der­ba­re Klang­rei­se. Zum Bei­spiel nach Venedig …

Men­dels­sohn Bar­thol­dy: Lied ohne Wor­te op. 30/​6 – Vene­tia­ni­sches Gondellied

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Schmerz und Glaube in Musik

Das ers­te Solo­kon­zert in stren­ger zwölf­tö­ni­ger Manier: Da kann man leicht ein sprö­des Kunst­werk erwar­ten, sper­rig und unzu­gäng­lich – Papier­mu­sik eben. Aber Alban Bergs Vio­lin­kon­zert ist das über­haupt nicht. Nicht ohne Grund trägt es auch den Unter­ti­tel „Dem Andenken eines Engels“ und kann fast als Pro­gramm­mu­sik gel­ten. Aber eben nur fast, die bio­gra­phi­sche Bezü­ge las­sen sich erah­nen, wer­den aber nicht sehr expli­zit: Der Tod der 19jährigen Manon Gro­pi­us gab schöp­fe­ri­schen Impuls – und fiel mit dem Auf­trag zusam­men, für den ame­ri­ka­ni­schen Gei­ger Lou­is Kras­ner ein Kon­zert kom­po­nie­ren. Es soll­te Bergs letz­tes Werk wer­den, und eines sei­ner bekann­tes­ten. Die Rhei­ni­sche Orches­ter­aka­de­mie Mainz (ROAM) hat das jetzt in ihrem 16. Pro­jekt mit der jun­gen Gei­ge­rin Mar­ti­na Trumpp auf­ge­führt. Das ist ein ech­tes Fest der sub­ti­len Deut­lich­keit gewor­den: Diri­gent Ger­not Sah­ler diri­giert den Klas­si­ker der Modern mit viel Empa­thie, aber auch mit viel Klar­heit – eine wohl­tu­en­de Mischung. Klar ist die Kon­struk­ti­on der Musik hör­bar, und genau­so deut­lich ihr emo­ti­na­ler Gehalt. Das liegt nicht nur am Orches­ter, son­dern auch an der Solis­tin. Denn Mar­ti­na Trumpp spielt mit star­kem, strah­lend-leuch­ten­den Ton, der ein leich­tes unter­grün­di­ges Glü­hen trans­por­tiert und jede Sprö­dig­keit ver­mei­det: Ein in die Kunst tran­szen­dier­tes Lei­den, das in sei­ner Prä­zi­si­on und Kon­zen­tra­ti­on fes­selt und begeistert.

Die ROAM kom­bi­niert das geschickt und sinn­fäl­lig mit zwei ande­ren Ver­su­chen, in und mit der Musik letz­te Din­ge zu behan­deln, den Tod zu umkrei­sen und den Glau­ben aus­zu­drü­cken: Arvo Pärts „Fra­tres“ und Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dys Refor­ma­ti­ons­sin­fo­nie. Hier, in die­ser als Fest­mu­sik für die Jubi­lä­ums­fei­er des Aus­g­bur­ger Bekennt­nis­ses geplan­ten Sin­fo­nie, gibt es ein aus­drück­li­ches Pro­gramm: Das, was man kurz als das Lob der Refor­ma­ti­on zusam­men­fas­sen könn­te, quillt aus jedem Motiv und jedem Akkord. Im Kon­trast zu Bergs Kon­zert wirkt das manch­mal ziem­lich plump und auf­dring­lich – obwohl es Ger­not Sah­ler gelingt, den mas­si­ven Orches­ter­klang schnell zu beschleu­ni­gen und dyna­misch-forsch anzu­trei­ben und damit die instru­men­ta­to­ri­sche Meis­ter­schaft Men­dels­sohn Bar­thol­dys deut­lich wer­den zu las­sen. Man­ches gelingt auch durch­aus fein, eini­ges bleibt etwas holp­rig und vor allem der Final­satz wird im per­ma­nen­ten Ges­tus des Auf­trump­fens doch ein biss­chen arg lär­mend – ein grö­ße­rer Gegen­satz zum vor­sich­ti­gen Tas­ten der Strei­ch­er­klän­gen in den „Fra­tres“ von Pärt lässt sich kaum vorstellen.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zeitung.) 

Taglied 6.5.2012

Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy, Ein Som­mer­nachts­traum – fein gespielt vom Lon­don Sym­pho­ny Orches­tra unter Clau­dio Abbado

Men­dels­sohn – A Mid­sum­mer Night’s Dream: Over­tu­re (Abba­do)

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Stimmung und Kontrapunkt

„Will­kom­men in unse­rer Sau­na“ wer­den die Besu­cher des Main­zer Musik­som­mers in der Vil­la Musi­ca begrüßt: Im Som­mer heizt sich deren klei­ner Kon­zert­saal kräf­tig auf. Aber so heiß wur­de es dann gar nicht. Auch nicht musi­ka­lisch – das Duo Arp/​Frantz blieb gelas­sen und ließ sich von den hohen Tem­pe­ra­tu­ren nicht überwältigen.

Ein inter­es­san­tes Pro­gramm haben die bei­den jun­gen Musi­ker mit­ge­bracht: Sie kon­tras­tie­ren Wer­ke für Cel­lo und Kla­vier von Johann Sebas­ti­an Bach und Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy. Das passt – immer­hin war Men­dels­sohn Bar­thol­dy ein gro­ßer Ver­eh­rer Bachs. Davon kann man aber an die­sem Abend nur wenig hören. Denn den bei­den Musi­kern geht es nicht dar­um, zu zei­gen, wie geschickt der Roman­ti­ker kon­tra­punk­tisch arbei­tet oder Reve­ren­zen an die Musik­ge­schich­te in sei­ne Kam­mer­mu­sik ein­baut. Sie wol­len vor allem die Stim­mung herbeiholen.

Das macht sich schon gleich zu Beginn, in den „Varia­ti­ons Con­cer­tan­tes“, einem knap­pen Jugend­werk des fast zwan­zig­jäh­ri­gen Kom­po­nis­ten, bemerk­bar. Juli­an Arp und Cas­par Frantz spie­len das als ver­gnüg­li­che, kunst­voll gear­bei­te­te Unter­hal­tung im klei­nen Rah­men: Weich per­lend ver­strö­men die Varia­tio­nen gute Lau­ne und zei­gen sich dabei als Musik, die nicht viel will – oder zu wol­len scheint. Wesent­lich deut­li­cher – und viel­schich­ti­ger – wird es aber in Men­dels­sohn Bar­thol­dys zwei­ter Sona­te für Vio­lon­cel­lo und Kla­vier, in der das Duo die gan­ze Band­brei­te der Gefüh­le ausschöpft.

Stim­mungs­voll spielt das Duo auch zwei Sona­ten von Bach. Was ande­res bleibt ja auch kaum übrig, bei der dop­pel­ten Fehl­be­set­zung: Bach hat die­se Sona­ten der Gam­be und dem Cem­ba­lo zuge­dacht, nicht dem Cel­lo und Kla­vier. Dass es jetzt so ganz anders klingt, macht aber wenig. Vor allem bei der zwei­ten Sona­te hat das die neue Klang­pracht durch­aus Vor­tei­le. Vom zar­ten, vor­sich­ten Beginn bis zum kraft­vol­len Ende ent­steht dabei eine klei­ne Geschich­te der Bewe­gung. Am Anfang noch ganz zurück­hal­tend, vor­sich­tig tas­tend die Füh­ler aus­stre­ckend – ein Auf­bruch ins Unge­wis­se. Das Duo bekommt aber bald Boden unter den Füßen, mit dem zwei­ten Satz wird der Schritt fest und zuver­sicht­lich. Der drit­ter Satz erscheint dann als ver­träum­tes Spa­zie­ren, fast ein Schlaf­wan­deln, ein Schlen­dern ohne Ziel und Not. Der Schluss wie­der­um ist die höchs­te Form der Bewe­gung, ganz vom Nut­zen befreit: Das Tan­zen, neckisch, mit sicher gesetz­ten Poin­ten. Dabei sind Arp und Frantz nie effekt­ha­sche­risch. Denn die Klang­ver­bin­dung zwi­schen Cel­lo und Kla­vier ist eng, fast sym­bio­tisch. Man hört in bei­na­he jedem Moment, dass sie sich aus gutem Grund „Duo“ nen­nen: Sie müs­sen sich nicht ein­mal mehr anse­hen, so gut wis­sen sie um die Reak­ti­on des Part­ners. Und das hört man nicht nur in der tech­ni­schen Sou­ve­rä­ni­tät, son­dern auch im Gleich­klang der Far­ben und Schattierungen.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zeitung.)

Ein feines Streichquartett. Und ein Klavierquintett

So etwas nennt man wohl „Roman­tik pur”: Die Vil­la Musi­ca wählt nicht nur bei den Spiel­or­ten roman­ti­sche Erleb­nis­se, son­dern auch beim Kon­zert­pro­gramm. Zumin­dest für die Eröff­nung der „Musik in Bur­gen und Schlös­sern”. Das Eis­ler-Quar­tett setz­te den Auf­takt für die zwan­zigs­te Spiel­zeit näm­lich mit zwei wesent­li­chen Wer­ken den Roman­tik: Dem e‑Moll-Streich­quar­tett aus Opus 44 von Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy und Antonín Dvořáks Kla­vier­quin­tett in A‑Dur.

Men­dels­sohns Streich­quar­tett ist schon des­halb eine gute Wahl, weil es fast in Mainz ent­stand – auf der Hoch­zeits­rei­se des jun­gen Musi­kers, inspi­riert von den roman­ti­schen Land­schaf­ten des Rheins und sei­ner Städ­te. Die hier­bei aus­ge­dach­te Musik gibt sich oft sehr zau­ber­haft, auch in ihren undurch­dring­lich schei­nen­den, ver­schlei­er­ten For­men. Dazu passt die bei­na­he undurch­schau­ba­re Ent­ste­hungs­ge­schich­te, weil der Kom­po­nist immer und immer wie­der geän­dert und ver­bes­sert hat.

Davon, von die­sen Ver­wirr­spie­len, hört man in der Vil­la Musia vom Eis­ler-Quar­tett natur­ge­mäß nichts. Was man aber hört, ist die Inspi­ra­ti­on und die Lebens­freu­de ihres Schpfers. Das Ber­li­ner Quar­tett ver­liert sich aller­dings nicht im roman­ti­schen Gefühls­rei­gen, son­dern strebt hör­bar nach Klar­heit. Des­halb spie­len sie die Men­dels­sohn­sche Schöp­fung auch mit dich­tem Klang, ganz eng ver­webt und mit sehr genau aus­ge­ar­bei­te­ten Über­gän­gen. Dabei klin­gen sie zugleich forsch, fast unbe­küm­mert – aber auch das scheint nur so und ver­rät eher gro­ße Kunst als Nachlässigkeit.

Dvořáks Kla­vier­quin­tett hat eben­falls eine kurio­se Ent­ste­hungs­ge­schich­te: Ent­we­der woll­te er ein Jugend­werk ver­bes­sern oder konn­te die alten Noten nicht fin­den – jeden­falls schrieb Dvořák kur­zer­hand in weni­gen Tagen ein neu­es Quin­tett. Egal war­um, das ist auf jeden Fall ein Glück für uns, weil sich das Eis­ler-Quar­tett nun mit Kall­le Ran­da­lu am Kla­vier dar­an erfreu­en kann. Und nicht nur bei den Musi­kern ist die Freu­de über das eige­ne Tun groß, auch beim Publikum.

Grund dafür gibt es mehr als genug: Wuch­tig, aber nie schwer­fäl­lig, mit leben­di­ger Kon­zen­tra­ti­on auf das Wesent­li­che demons­trie­ren sie kraft­voll, wie viel­fäl­tig Dvořáks Musik sein kann.

Trau­rig und hei­ter, locker und schwär­me­risch, nach­denk­lich und aus­ge­las­sen – sie rei­zen die Palet­te der kom­po­nier­ten Emo­tio­nen weit aus. Und ihnen gelingt dabei ein klei­nes Kunst­stück, das gar nicht so klein ist: Sie schaf­fen es näm­lich, ihr genau über­leg­tes Musi­zie­ren so klin­gen zu las­sen, als ob sie die Par­ti­tur gera­de voll­kom­men neu ent­de­cken wür­den. Hier herrscht vom ers­ten Ton bis zum Schluss­ak­kord eine unver­stell­te Leben­dig­keit und freu­di­ge Bewe­gung vor. Genau von die­ser inspi­rie­ren­den Wir­kung müs­sen auch die Roman­ti­ker geträumt haben.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zeitung.)

brahms mal anders. aber ganz anders.

Ein ganz nor­ma­les Orches­ter­kon­zert im Staats­thea­ter: Etwas von Carl Maria von Weber, dann das Vio­lin­kon­zert von Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy und am Schluss noch die ers­te Sin­fo­nie von Brahms. Aber irgend etwas ist anders heu­te – die Musi­ker sind alle so jung, den Solis­ten ein­ge­schlos­sen. Ach so, das ist das Abschluss­kon­zert der Musik­hoch­schu­le – das erklärt natür­lich die radi­ka­le Ver­jün­gung. Nicht aber die pro­fes­sio­nel­le Sou­ve­rä­ni­tät, mit der das Orches­ter hier im Klei­nen Haus spielt. Denn das Pro­gramm und das Diri­gat Wolf­ram Kolo­seus’ waren alles ande­re als ein Schonprogramm.

Am Beginn stand also Musik von Carl Maria von Weber: Die Ouver­tü­re und zwei Sze­nen aus dem Frei­schütz genau gesagt. Das war eine etwas selt­sa­me Erfah­rung. Mys­te­ri­ös gespens­tig ent­fal­te­te Schau­er­ro­man­tik im Orches­ter und sze­ni­sche Andeu­tun­gen der jun­gen Sän­ger. Klang­lich fein abge­schmeckt und auch auf authen­ti­sche Wir­kung aus­ge­rich­tet mit den Natur-Blech­blas­in­stru­men­ten und dem vibrie­ren­den Grund­rhyth­mus. Aber dann bre­chen die elek­tro­nisch ver­stärk­ten und auch ver­frem­de­ten Sing­stim­men in die fein­sin­ni­ge Klang­welt ein – das muss man wohl nicht ver­ste­hen. Doch sehr dra­ma­tisch ist das alles, vor allem die Wolfs­schlucht-Sze­ne mit Dani­lo Tep­sa, Calin Coz­ma und Flo­ri­an Küppers.

Mit sehr viel Freu­de am vir­tuo­sen Spiel stürzt sich Igor Tsin­man dann in Men­dels­sohn Bar­thol­dys Vio­lin­kon­zert in e‑Moll. Er kann sich das aber auch leis­ten, siche­rer Tech­ni­ker er er ist.

Klar und dicht, in den meis­ten Tei­len sehr unsen­ti­men­tal spielt er – das ist ein­fach Musik pur, mal wild, mal gedan­ken­ver­lo­ren träu­mend. Aber immer jugend­lich unbe­küm­mert. Scha­de nur, dass die robus­te Prä­gnanz des Solis­ten das flie­ßend beglei­ten­de Orches­ter ganz unver­dient in den Hin­ter­grund drängt.

Das kan dafür noch mit der abschlie­ßen­den ers­ten Sin­fo­nie von Johan­nes Brahms ganz allei­ne bril­lie­ren. Das erreg­te Pul­sie­ren des Anfang setzt sich hier unent­wegt fort, im ner­vö­sen Hin und Her, in der Unru­he der stän­di­gen Bewe­gung und der per­ma­nen­ten Unsi­cher­heit der unaus­ge­setz­ten Hin­ter­fra­gung aller Posi­tio­nen und Wer­te. So, wie Wolf­ram Kolo­seus das hier ent­wi­ckelt, klingt das viel moder­ner und gegen­wär­ti­ger, rich­tig­ge­hend dekon­struk­ti­vis­tisch eigent­lich, als gewöhn­lich bei Brahms. Die­se Hal­tung setzt sich dann durch die gan­ze Sin­fo­nie hin­durch fort. So rich­tig auf­blü­hen kann sie dadurch nie. Auch wenn sich das Orches­ter red­li­che Mühe gibt und mit erstaun­li­cher Klang­kul­tur und gro­ßem Enga­ge­ment durch­aus eini­ge Teil­erfol­ge erlan­gen kann, bleibt es befremd­lich. Das Tem­po die­ser fieb­ri­gen Hast ist immer sehr bemüht und wirkt mehr kon­stru­iert als emp­fun­den. Ins­ge­samt gibt das dann eine oft dämo­ni­sche, bis zum Wahn­sinn auf­ge­türmt rasen­de und zer­fetz­te Sin­fo­nie – eine ech­te Überraschung.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

kammermusikalische europareise

so rich­tig habe ich den zusam­men­hang des pro­gramms ja nicht ver­stan­den: haydn – hin­de­mith – men­dels­sohn bar­thol­dy: viel gemein­sam­kei­ten gibt es da nicht … ganz nett war’s aber trotz­dem, das war ja zu erwar­ten in der vil­la musi­ca ;-). also, los gehts:

Sanft weht die zar­te Cel­lome­lo­die durch den Salon im ers­ten Stock, flu­tet durch das Trep­pen­haus und das gan­ze Anwe­sen, mit­füh­lend ver­folgt von der Vio­li­ne und zart unter­malt von der Kla­vier­stim­me: Die Vil­la Musi­ca ist aus dem Som­mer­schlaf erwacht.

Ganz ange­mes­sen geschieht das mit einem Kon­zert des haus­ei­ge­nen Ensem­bles Ville Musi­ca, also den rou­ti­nier­ten Meis­tern der Kam­mer­mu­sik, die hier nicht nur ihre Erfah­rung und ihr Wis­sen an jun­ge Künst­ler wei­ter­ge­ben, son­dern auch das Publi­kum an ihrem Kön­nen teil­ha­ben lassen.

Das lässt sich gefal­len. Denn aus der Som­mer­pau­se kommt das Ensem­ble, das ja nur lose gefügt ist und in ver­schie­de­nen Beset­zun­gen arbei­tet, mit fri­schem Élan zurück. Flott, fast unbe­küm­mert, mit kna­cki­ger Fri­sche und der ensem­ble­ty­pi­schen Mischung aus Genau­ig­keit und Läs­sig­keit, aus Gemein­sam­keit und indi­vi­du­el­ler Über­zeu­gungs­kraft an jedem Instru­ment las­sen sie Haydns Kla­vier­trio Nr. 42 in C‑Dur, eines der spä­ten Meis­ter­wer­ke nach sei­ner zwei­ten Eng­land­rei­se, sehr, sehr leben­dig wer­den. Gewiss, eine Min­dest­di­stanz bleibt immer spür­bar, das kann man vor allem im Andan­te sehr gut mer­ken, so ganz haben sie sich die­ses Trio nicht zu eigen gemacht. Aber dann blitzt doch wie­der der Schalk zwi­schen den Sai­ten her­vor – zumin­dest einen klei­nen, aber häu­fi­gen Erscheinungen.

Die­ses fri­sche Musi­zie­ren, die unver­brauch­te Inter­pre­ta­ti­on kann man auch in Paul Hin­de­mit­hs Kla­ri­net­ten­quar­tett deut­lich spü­ren. Forsch und taten­durs­tig sto­ßen die Vier hier ein ums ande­re Fens­ter in ande­re Wel­ten auf, las­sen Ein­bli­cke in Traum und Ima­gi­na­ti­on zu, ermög­li­chen das unbe­schwer­te Schwei­fen im Reich der Vor­stel­lung. Mit immer neu­en, ener­gi­schen Schü­ben sor­gen sie dafür, dass jeder die Gele­gen­heit bekommt, die­se Gren­ze zu über­schrei­ten und hin­über zu schau­en in die Welt der Kunst. Dazu mischen sie den pfif­fi­gen Witz Hin­de­mit­hs, sei­ne wei­ten Melo­dien und schrof­fen Klang­bal­lun­gen mit gro­ßer Aus­dau­er und fei­nem Gespür für die wohl­ge­form­te Dra­ma­tur­gie. Und genau das macht Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dys ers­tes Kla­vier­trio am Schluss des Kon­zer­tes zum Hit des Abends. Denn das Kon­zert­fi­na­le gelingt dem Ensem­ble ein­deu­tig am bes­ten, am leben­digs­ten und inten­sivs­ten. Patrick Demen­ga lässt sein Cel­lo hier noch ein­mal beson­ders weich und bestimmt brum­men, Muri­el Can­to­r­eg­gi geigt auf- und her­aus­for­dernd, drängt spie­le­risch immer wie­der vor­an. Und Yuka Ima­mi­ne am Kla­vier gibt ihre fei­ne Zurück­hal­tung wenigs­tens teil­wei­se auf. Die Mit­tel­sät­ze erzäh­len so zart und quir­lig fein­ge­spon­ne­ne Elfen­ge­schich­ten – typisch Men­dels­sohn Bar­thol­dy eben. Und die Rah­men­sät­ze bin­den das in gro­ßer Offen­heit, vom Ensem­ble Vil­la Musi­ca mit Gespür für die rich­ti­ge Dosis Grö­ße und Majes­tät, klang­li­che Abrun­dung und leben­di­ge Nuan­cie­rung rea­li­siert, präch­tig und klang­voll zusammen.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

schönheit in groß: mendelssohn bartholdys elias

Die gro­ße Büh­ne der Phö­nix­hal­le ist voll gefüllt. Dicht an dicht ste­hen und sit­zen die Stu­den­ten in Chor und Orches­ter des Col­le­gi­um Musi­cums der Uni­ver­si­tät. Denn Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy ver­langt vol­len Ein­satz und gro­ße Mas­sen für sein Ora­to­ri­um „Eli­as“. Und obwohl die Zahl der Mit­wir­ken­den hier noch lan­ge nicht an die der Urauf­füh­rung her­an­reicht, kommt der „Eli­as“ in die­sem Semes­ter-Abschluss­kon­zert ziem­lich groß­ar­tig und mäch­tig daher. Das hin­dert den Diri­gen­ten Jos­hard Daus aber über­haupt nicht dar­an, auch den Details aus­rei­chend Auf­merk­sam­keit zu schenken.
Die­ser „Eli­as“ ist also schön, über wei­te Stre­cken sogar wun­der­schön. Aber er ist ein­fach nur schön. Das ist zwar eigent­lich groß­ar­tig. Und auch über­haupt kei­ne ein­fa­che Leis­tung. Dass aber den­noch etwas fehlt, merkt man an eini­gen Stel­len. Etwa an den Soli von Ulf Bäst­lein, der geschmei­dig und voll­tö­nend einen wun­der­bar emo­tio­na­len Eli­as gibt, der durch­aus auch mal am feh­len­den Glau­ben sei­nes Vol­kes ver­zwei­feln kann. Oder auch an der ele­gan­ten Leich­tig­keit der Engels­mu­sik von Fionnu­a­la McCar­thy. Das ist näm­lich genau die Tren­nungs­li­nie zwi­schen den Solis­ten (außer­dem noch die soli­de Altis­tin Clau­dia Rüg­ge­berg und der etwas ver­wa­schen klin­gen­de Tenor Julio Fernán­dez) und den Ensem­bles, vor allem dem Chor: Daus küm­mert sich nicht beson­ders um die reli­giö­sen Inhal­te. Ihm scheint es im Gegen­satz zu sei­nen Solis­ten vor allem um die rei­ne Musik zu gehen, ihre klang­li­che Gestalt führt er immer wie­der auf Hoch­glanz poliert vor.
Das kann Daus aus­ge­zeich­net. Und auch deli­ka­te Stim­mun­gen evo­zie­ren. Aber was ihm weni­ger gelingt, das ist die wei­ter umfas­sen­de Span­nung, die Dra­ma­tur­gie des gesam­ten Ora­to­ri­ums. Zwar bemüht er sich um zügig-flie­ßen­de Tem­pi und dich­te Anschlüs­se der ein­zel­nen Sät­ze und Num­mern, ver­passt dabei aber immer wie­der eigent­li­che Höhe­punk­te. Dort, wo die Musik klein und leicht, detail­reich und schwe­bend sein kann und soll, dort hat er sei­ne größ­ten Stär­ken. Er lässt sei­ne Musi­ker zwar immer wie­der Anlauf neh­men für den nächs­ten Span­nungs­gip­fel – aber die letz­ten Meter ver­wei­gert er ihnen dann gerne.
Kei­nen Abbruch tut das dem Enga­ge­ment und der Leis­tung der Stu­den­ten. Vor allem der Chor zeigt sich wie­der ein­mal als Wachs in den Hän­den Daus’. Weich und geschmei­dig, kom­pakt und erstaun­lich beweg­lich folgt er ihm sehr bereit­wil­lig für zwei Stun­den gro­ße und rei­ne Musik
(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

stark im glauben und in der musik: paulus im dom

Pau­lus-Jahr, Kom­po­nis­ten-Jubi­lä­um, Weih­nach­ten – Anläs­se gibt es mehr als genug, Felix Men­dels­son-Bar­thol­dy Ora­to­ri­um „Pau­lus“ jetzt auf­zu­füh­ren. Aber eigent­lich ist der bes­te Grund ja schon, die­ses gro­ße Werk über­haupt zum Klin­gen zu brin­gen. Vor allem, wenn man sich dar­auf so aus­ge­zeich­net ver­steht wie Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schaft – dann braucht man wirk­lich kei­nen äuße­ren Anlass mehr. Die Erwar­tun­gen der vie­len Main­zer – selbst Steh­plät­ze waren schon knapp – wur­den im Dom also bestimmt nicht enttäuscht.
Von Anfang bis Ende, von der Stei­ni­gung des Ste­pha­nus über die Wand­lung des Sau­lus zum Pau­lus bis zum Abschied des Mär­ty­rers von sei­ner Gemein­de zeich­ne­te Breit­schaft mit den Dom­chö­ren und dem Main­zer Kam­mer­or­ches­ter eine inten­si­ve Klang­ge­schich­te des siche­ren Bestehens im Glau­ben. Der Haupt­ak­teur dabei war – wenig über­ra­schend an die­sem Ort – die Chö­re, also vor allem die Dom­kan­to­rei mit den ver­stär­ken­den Män­ner­stim­men des Dom­cho­res. Die gaben näm­lich den ent­schei­den­den Kick, berei­te­ten mit ihrer nach­drück­li­chen Prä­senz ein aus­ge­zeich­ne­tes Klangfundament.
Breit­schaft führ­te sei­ne Musi­ker in dra­ma­ti­scher Auf­la­dung genau und dis­zi­pli­niert, mit klar gezeich­ne­ten Struk­tu­ren und deut­li­chen Höhe­punk­ten in den wei­ten Bögen – so macht das rich­tig viel Freu­de. Und außer­dem gelang ihm noch etwas Beson­de­res: Zwei Chö­re schie­nen sich in den Keh­len der Sän­ger zu ver­ste­cken. So völ­lig ver­schie­de­nen klang das in den Chör­sät­zen einer­seits und den Cho­rä­len ande­rer­seits. Indem Breit­schaft die­sen Unter­schied aber so deut­lich mar­kier­te und gleich­zei­tig auch die Ver­bin­dung zwi­schen allen Tei­len des Wer­kes beson­ders stärk­te, erschien das nicht gera­de knap­pe Ora­to­ri­um hier wie aus einem Guss.
Das Solis­ten­quar­tett spiel­te oder sang dabei wun­der­bar mit, vor allem der kräf­ti­ge Sopran von Kaja Börd­ner und der stark aus­dif­fe­ren­zier­te Bari­ton Johan­nes Kös­ters als Paulus.
In der Ver­bin­dung mit den aus­ge­feil­ten Chor­pas­sa­gen und gera­de ihrer klang­li­chen Fes­tig­keit beton­te Breit­schaft damit ganz beson­ders die per­so­na­le, indi­vi­du­el­le Sei­te des Glau­ben, die Erfah­rung Got­tes. Die­se Gewiss­heit der reli­giö­sen Grund­la­ge macht das Pau­lus-Ora­to­ri­um so anrüh­rend – selbst Athe­is­ten muss so eine über­zeu­gen­de Dar­bie­tung zumin­dest Respekt entlocken.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

musik, den glauben zu festigen: voces cantantes in st. stephan

Anfangs lag noch ein sanf­ter blau­er Schim­mer über dem Kir­chen­raum. Doch bald schon schwand jede Außen­welt ganz und gar dahin. Das lag nicht nur an der ein­bre­chen­den Dun­kel­heit, son­dern vor allem an dem, was in der Kir­che pas­sier­te. Denn rei­ner Chor­klang erober­te den Raum, mach­te ihn sich zu eigen: St. Ste­phan fei­er­te das 30-jäh­ri­ge Jubi­lä­um der Chagall-Fens­ter mit einem Kon­zert der Voces Cantantes.
Und mit einer pas­sen­den Aus­wahl Musik: Wer­ke, die zwar immer wie­der ein Außen mit sich brin­gen, im Kern aber ganz auf sich selbst kon­zen­triert blei­ben hat­te sich Alex­an­der Süß für sei­nen Kam­mer­chor aus­ge­sucht. Denn in allem, was hier erklang, geht es nicht um die Welt, son­dern um Gott, um den Glau­ben und die Zwei­fel der Chris­ten – egal ob mit Musik aus der Renais­sance oder der Roman­tik, egal ob nun Jaco­bus Gal­lus, Johan­nes Brahms oder Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy christ­li­che Tex­te vertonen.
Der Kern des Kon­zer­tes waren eini­ge der vie­len Psalm­ver­to­nun­gen von Men­dels­sohn Bar­thol­dy. Und die tru­gen hier schon so viel Viel­falt in sich, dass sie allein schon aus­ge­reicht hät­ten. Denn die Voces Can­tan­tes bemüh­ten sich sehr und mit hör­ba­rem Erfolg um eine pas­sen­de Klang­ge­stalt für jeden Satz, fast sogar für jedes Wort. Immer wie­der such­te – und fand – Alex­an­der Süß die tref­fends­te Aus­drucks­form, die eine genau pas­sen­de, adäqua­te Umset­zung der stum­men Noten in aus­sa­ge­kräf­ti­gen Schall.
Und die Chor­sän­ger folg­ten ihm dabei sehr wil­lig. Ob es nun die durch­weg sehr fle­xi­blen Tem­pi, die wei­chen Ein­sät­ze oder der strah­lend tri­um­phie­ren­de Schluss­ak­kord waren – immer blie­ben sie eine homo­ge­ne Ein­heit. Dadurch blie­ben alle Gemüts­la­gen der Musik nicht nur erfahr­bar, son­dern auch ver­ständ­lich. Der Zwei­fel an der Gerech­tig­keit Got­tes leuch­te­te eben­so unmit­tel­bar ein wie die unbe­irr­ba­re Fes­tig­keit des Glau­bens und die Freu­de an der Gebor­gen­heit in Got­tes Hand oder an der Herr­lich­keit der Schöpfung.
Dass der eine oder ande­re Über­gang dabei etwas abrupt erfolg­te, dass die Span­nungs­bö­gen manch­mal etwas kurz­at­mig blie­ben, trüb­te die Freu­de nur sehr gering­fü­gig und kurz­zei­tig. Denn schließ­lich endet alles immer wie­der im Wohl­klang, auf den die Voces Can­tan­tes abon­niert schie­nen. Kei­ne Zwei­fel blei­ben, wenn nur der Glau­be fest genug ist – und die Schön­heit der Musik groß genug.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung.)

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