Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: theorie

Bücherreihe

Aus-Lese #52

Ich pro­biere mal wieder etwas Neues … Da ich meine Mel­dun­gen “Aus-Lese” mit ein­er kurzen sub­jek­tiv­en Skizze der jew­eili­gen Lek­türe und meines Ein­druck­es dazu verse­hen habe, bedeutet das einen (zwar kleinen) gewis­sen Aufwand, der mich in der let­zten Zeit weit­ge­hend davon abge­hal­ten hat, die Serie fortzuführen. Also gibt es jet­zt einen neuen Ver­such im deut­lich reduzierten For­mat …

Heim­i­to von Doder­er: Unter schwarzen Ster­nen. Erzäh­lun­gen. München: Deutsch­er Taschen­buch-Ver­lag 1973. 153 Seit­en. ISBN 978–3‑423–00889‑1.

Der schmale Band mit Erzäh­lun­gen — über­wiegend aus den 1950er und 1960er Jahren — hat es nicht geschafft, meine respek­tvolle Dis­tanz zu Doder­er zu ver­ringern. Ich erkenne (und schätze) die Kun­st­fer­tigkeit und das Stil­be­wusst­sein des Autors, aber davon abge­se­hen bleiben mir die Texte (das ging mir mit seinen Roma­nen ähn­lich) eher fremd.

Wolf­gang Schuller: Cicero. Ditzin­gen: Reclam 2018 (Reclam 100 Seit­en). 101 Seit­en. ISBN 978–3‑15–020435‑1.

Eine nette kurze Feier­abendlek­türe, die den Men­schen Mar­cus Tul­lius Cicero flott, unter­halt­sam, auch pointiert porträtiert. Dabei klingt das große (selb­stver­ständliche) Fach­wis­sen der römis­chen Geschichte immer mit. Mir fehlt allerd­ings etwas die genauere und aus­führlichere Beschäf­ti­gung mit den Inhal­ten von Ciceros Werken. Der Band bleibt (absichtlich) weit­ge­hend (nicht nur, aber doch über­wiegend) am Äußeren von Ciceros Leben. — Natür­lich wäre das auch viel ver­langt, bei­des auf 100 Seit­en zufrieden­stel­lend zu erledi­gen, das ist mir dur­chaus bewusst. Für meinen Geschmack hätte eine zumin­d­est teil­weise Ver­schiebung des Fokus aber den­noch gut getan.

Ger­hard Pop­pen­berg: Herb­st der The­o­rie. Erin­nerun­gen an die alte Gelehrten­re­pub­lik Deutsch­land. Berlin: Matthes & Seitz 2018 (Fröh­liche Wis­senschaft 111). 239 Seit­en. ISBN 978–3‑95757–386‑5.

Ein faszinieren­der Text. Ich kön­nte aber nur schw­er genau sagen, was das eigentlich ist — und worauf der Text hin­aus will. Auf der Suche nach so etwas wie ein­er geisti­gen Sig­natur der BRD liest Pop­pen­berg Autoren und ihre Rück­blicke auf die let­zten Jahrzehnte. So kom­men Philipp Felsch, Frank Witzel, Ulrich Raulff und Friedrich Kit­tler gemein­sam in den Blick, wer­den genau (!) gele­sen und mit dur­chaus sujek­tive gefärbten Darstel­lun­gen und Erin­nerun­gen kom­biniert. Das klingt jet­zt viel selt­samer als es im Text ist. Der ist näm­lich dur­chaus faszinierend und gelehrt — eine über­aus anre­gende Mis­chung und auch eine anre­gende Lek­türe.

Valentin Sen­ger: Kaiser­hof­s­traße 12. 4. Auflage der Neuaus­gabe. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2012. 316 Seit­en. ISBN 978–3‑89561–485‑9.

senger, kaiserhofstraße 12 (cover)Roman oder auto­bi­ographis­che Erzäh­lung — eigentlich ist das ja egal. Was es auf jeden Fall ist: Eine — angesichts des Sujets — erstaunlich leichte und leicht­füßige Erzäh­lung der jüdis­chen Fam­i­lie Sen­ger vor und während des Nation­al­sozial­is­mus. Das einzi­gar­tige daran ist, das merkt der Erzäh­ler auch selb­st, wie wun­der­voll das gelingt: Ein Wun­der ist das Über­leben, ein Wun­der ohne Staunen. Natür­lich gibt es, ganz klas­sisch, Schwierigkeit­en zu über­winden. Aber um Ende siegt doch die Leichtigkeit, das Leben, die fast unver­schämte Unver­nun­ft und Unbe­sorgth­eit des Erzäh­lers und sein­er Fam­i­lie. Das ganze ist sehr direkt, unmit­tel­bar erzählt — ein Text, dem man sich kaum entziehen kann (und es ja eigentlich auch nicht möchte). Die meis­ten­teils knap­pen Kapi­tel, fast Erin­nerungs­bruch­stücke (vor allem im ersten Teil, der frühen Kind­heit des Erzäh­lers) machen dne Text auch gut zugänglich und kon­sum­ier­bar — sicher­lich auch ein Fak­tor, der zum Erfolg des Buch­es, das seit 1978 in mehreren Aufla­gen und Aus­gaben (und Ver­la­gen) erschienen ist.

Nor­bert Frei/Christian Morina/Franka Maubach/Maik Tändler: Zur recht­en Zeit. Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus. Berlin: Ull­stein 2019. 224 Seit­en. ISBN 978–3‑550–20015‑1.

frei et al., zur rechten zeit (cover)Der Titel kündigt eigentlich eher eine Stre­itschrift an: “Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus”. Das kann der Band aber kaum ein­lösen. Was er aber kann, und das dur­chaus recht gut und überzeu­gend: Hin­ter­gründe für Entwick­lun­gen geben. Die Autor*innen bieten näm­lich eine Rückschau auf die deutsche Geschichte seit 1945, in West und Ost, mit dem Fokus auf die diversen recht­en, nation­al­is­tis­chen Strö­mungen, Diskus­sio­nen und Parteien, von der Ent­naz­i­fizierung bis in die unge­fähre Gegen­wart. Das ist als Einord­nung und Argu­men­ta­tion­shil­fe gut gemacht und gut zu nutzen. Die gesamt­deutsche Per­spek­tive ist dabei dur­chaus hil­fre­ich — unsich­er bin ich allerd­ings, ob Büch­er wie diese ihr Ziel wirk­lich erre­ichen kön­nen …

Ins Netz gegangen (27.2.)

Ins Netz gegan­gen am 27.2.:

Aus-Lese #10

ZEIT-Geschichte, 2/2013: Anders leben. Jugend­be­we­gung und Leben­sre­form in Deutsch­land um 1900. 114 Seit­en.

Das Heft bietet vor allem eines: Viele schöne Bilder luftiger oder gar nicht bek­lei­de­ter Men­schen … Die Texte haben mich näm­lich dieses Mal etwas ent­täuscht: Joachim Rad­kau haut im ein­lei­t­en­den Überblick­sar­tikel erst mal kräftig auf alle anderen His­torik­er aller Prove­nien­zen ein, die die (Lebens-)Reformbewegungen der Jahrhun­der­twende sowieso alle falsch ver­standen haben (im Gegen­satz zu ihm selb­st). Inter­es­sant ist dann noch der Text über den “Monte Ver­ità”, Andreas Moli­tors Text über die Darm­städter Mathilden­höhe hinge­gen bleibt flach — wie viele andere Beiträge auch. Ins­ge­samt sich­er eines der schlechteren Hefte — mit der Geschichte ein­er Idee kommt die Redak­tion mit ihren gewohn­ten Mit­teln offen­bar nicht zurande: Das ist nur eine lange Rei­hung von Einzelphänome­nen, die kaum ein großes oder nur ein größeres Bild ergeben.

Jörn Rüsen: Kann gestern bess­er wer­den? Zum Bedenken der Geschichte. Berlin: Kad­mos 2003 (Kul­tur­wis­senschaftliche Inter­ven­tio­nen, Bd. 2). 160 Seit­en.

Vier Essays über Geschichte an sich, als Prob­lem und Lösung, über die Ver­ant­wor­tung von His­torik­ern gegenüber der Ver­gan­gen­heit, der Gegen­wart und der Zukun­ft — all diese Grund­satzfra­gen beim Nach­denken über und Arbeit mit und an der Geschichte eben. Das ist alles sehr reflek­tiert, aber auch sehr trock­en und strikt the­o­retisch: typ­isch Rüsen eben … Typ­isch für ihn ist auch, immer von ein­er (exis­ten­zial­is­tis­chen) “Anthro­polo­gie des His­torischen” auszuge­hen und daraus seine Über­legun­gen zu Wert und Gestalt der Geschichte zu entwick­eln.

Ger­hard Falkn­er: Perg­a­mon Poems. Gedichte+Clips (dt-en). Überta­gen von Mark Ander­son. Berlin: kook­books 20012. 64 Seit­en + DVD.

Zu dem Perg­a­mon Poems auf Papi­er und Sil­ber-/Mattscheibe habe ich diese Woche schon ein biss­chen etwas geschrieben: klick.

Edgar Allan Poe: Die Geschichte der Arthur Gor­don Pym aus Nan­tuck­et. Über­set­zt von Hans Schmid, her­aus­gegeben von Hans Schmid und Michael Farin. Ham­burg: mare­buchver­lag 2008. 525 Seit­en.

Ein schön gemacht­es Buch, mit aus­führlichem Begleit­ma­te­r­i­al, ein­er neuen, gut les­baren Über­set­zung mit reich­lich­er Kom­men­tierung (auch wenn mich die Fußnoten fast ein biss­chen zu sehr ablenken beim Lesen des Haupt­textes). Vor allem aber ein wirk­lich großar­tiger Roman, ein Hochfest des unzu­ver­läs­si­gen Erzäh­lens — denn das einzige, das sich­er ist, ist, dass nichts sich­er ist, was hier erzählt wird … — da hil­ft auch die Beteuerung des Erzäh­lers nicht viel:

Ich berichte diese Umstände ganz detail­ge­treu, und ich berichte sie, wohlver­standen, exakt so, wie sie uns erschienen. (199)

Davon darf man sich den Spaß aber nicht verder­ben lassen. Im Gegen­teil, der schlit­zohrige Erzäh­ler ist ein nicht uner­he­blich­er Grund, warum diese Aben­teuergeschichte ein­er Seereise mit blin­dem Pas­sagi­er, Meuterei, Schiffs­bruch, Süd­see-Han­del, Süd­pol-Expe­di­tion und Kämpfen mit Einge­bore­nen … so unter­halt­sam daherkommt und so ein raf­finiert­er Text ist.

Netzfunde der letzten Tage (15.4.–17.4.)

Meine Net­z­funde für die Zeit vom 15.4. zum 17.4.:

feldforschung oder erzählung?

am woch­enende gele­sen: thomas mei­neck­es schmales bänd­chen feld­forschung (frank­furt am main: suhrkamp 2006). der unter­ti­tel behauptet, das seien erzäh­lun­gen. ich habe da so meine zweifel.
eigentlich war ich bish­er von mei­neck­es schrift­stel­lerischen arbeit­en immer recht ange­tan: tomboy habe ich vor eini­gen jahren mit großem vergnü­gen gele­sen, dann auch holz und The church of John F. Kennedy sehr genossen. die vor­e­in­stim­mung auf diesen band, der als &gdquo;narrativer Beitrag zur im AUgust 2006 eröffneten Aus­setlung ‘das achte feld. geschlechter, leben und begehren in der kun­st sein 1960’“ ent­stand, war also dur­chaus pos­i­tiv. den hin­ter­grund zitiere ich aus dem klap­pen­text deshalb so aus­führlich, weil er wahrschein­lich nicht ganz unwesentlich für die form des textes bzw. der elf stücke ver­ant­wortlich ist. vor allem aber, weil er so auf­fäl­lig noch ein­mal das wort „nar­ra­tiv“ bemüht. denn das ist eigentlich der knack­punkt bei diesem werk: wird hier über­haupt erzählt? ist es erzählen, wenn seit­en­lang die diskus­sion ein­er englis­chsprachi­gen mail­ingliste über drag queens und kings bzw. ihre zwis­chen­stufen und über­lagerunge und deren angemessene und kor­rek­te beze­ich­nung zitiert wird? oder ist das zitat nur fik­tion? die per­so­nen­na­men sind jeden­falls real und kön­nten auch — nach ein­er kurzen inter­net­suche — zu den entsprechen­den aus­sagen passen. eigentlich ist es aber egal, denn die wirk­lichkeit ist offen­bar nur noch der/ein/ text — und das heißt ja auch, dass wirk­lichkeit (und erst recht natür­lich mime­sis) kein kri­teri­um mehr ist. also, die frage bleibt aber auch unab­hängig von der fik­tion­al­ität dieser pas­sage: was wird hier eigentlich erzählt? natür­lich geht es um geschlecht(er), um ihrer kon­struk­tion, wahrnehmung etc. — fast hätte ich geschrieben: das übliche mei­necke-the­ma. aber noch ein­mal: ist das erzählt? es wir ja nur „be“-schrieben, nur sit­u­a­tio­nen geschildert. nur ganz sel­ten geschieht etwas, gibt es entwick­lun­gen und nur in weni­gen ansätzen gibt es so etwas wie zeit. und das scheint mir doch schon ein merk­mal von erzählen zu sein, dass zeit in irgend ein­er form anwe­send ist, eine rolle spielt. wenn über­haupt noch reste sozusagen von dem, was man geläu­fig unter erzählen fasst, zu find­en sind, sind sie ganz mei­necke-typ­isch neu­tral­isiert1: das grund­sät­zliche präsens zum beispiel. die unklarheit von gender/sex der erzählstimme — wo es sie noch gibt. zum beispiel in mis­ter gay, der rekon­struk­tion eines über­falls auf eine schwu­len­bar, bei der es natür­lich auch wieder um die ver­schwim­menden gren­zen geht: die übergänge von real­ität in fik­tion, von bericht (dessen stilmit­tel vorherrschen) zur erzäh­lung zum drehbuch, von psyschich­er „nor­mal­ität“ zu „krankheit“ usw. usf. oder, auch eine eher spezielle art des erzäh­lens: odysee, wo der text nur noch aus ein­er zeittafel und der — deu­ten­den — über­schrift beste­ht.
da ließe sich bes­timmt noch viel mehr dazu sagen. aber ob es sich lohnt? denn immer wieder dreht es sich aber — in dieser häu­fung dann auch schon sehr pen­e­trant — um die unklarheit­en des geschlechts, seine kon­struk­tio­nen, seine iden­titäten (und deren kon­struk­tio­nen)2 und so weit­er: „schon als klein­er junge war sie“ (63). wer das aber kapiert hat — und die mei­necke-leser ken­nen das ja eh’ schon -, dem ist eigentlich auch schon alles klar, was diese texte wollen. und der rest ist vor allem lang­weile.

Show 2 foot­notes

  1. ein typ­is­ch­er anfang bei mei­necke geht z.b. so: „bras­sai, unter dem ungarischen namen gyu­la halász geboren im sieben­bür­gis­chen kro­n­stadt, rumänisch brasov, wovon er sein pseu­do­nym phonetisch ableit­ete, dessen lebensweg von öster­re­ich-ungarn über deutsch­land nach frankre­ich führt, in den frühen 1930er jahren, auf seinen nok­tur­nen fotografis­chen streifzü­gen durch das soge­nan­nte geheime paris, augen­blick­lich im le mon­o­cle, ein­er, wie er sich, het­eronormiert, aus­drückt, auss­chließlich dem schö­nen geschlecht gewid­me­ten bar, in welch­er sämtliche frauen, die wirtin, sie hört auf den namen lulu de mont­par­nasse, die ander­norts leicht­bek­lei­de­ten bar- und ani­mier­mäd­chen, die kell­ner­in­nen, selb­st die garder­o­biere, män­nerklei­der tra­gen.“ (58) und das ist ger­ade ein­mal der erste absatz, es geht noch fünf seit­en so weit­er.
  2. „er brachte mir bei, was ich war, denn ich hat­te ja nie zuvor von fag hags gehört.“ (104)

was ist pop?

die ewige frage, wahrschein­lich eh‘ nicht wirk­lich umfassend und zufrieden­stel­lend zu beant­worten… aber stellen muss man sie halt doch immer wieder, son­st kommt man ja gar nicht voran, beim nach­denken über phänomene des pop. dass pop mehr ist als charthits und main­stream-pop­musik der seicht­en sorte, inklu­sive ihrer kul­turindus­triellen, mark­tkap­i­tal­is­tis­chen ver­w­er­tung­sorgien und mar­ket­ingkam­pag­nen, ist ja inzwis­chen hof­fentlich den vernün­fti­gen (!) klar. aber was ist pop dann? wal­ter grasskamp, michaela krützen und stephan schmitt haben beim fis­ch­er-taschen­buch-ver­lag einen kleinen band mit „zehn ver­suchen“ (so der unter­ti­tel) zur posi­tions­bes­tim­mung des pop in den ver­schiede­nen kul­turellen feldern her­aus­gegeben. damit ist auch schon deut­lich, was ein großes manko an diesem büch­lein ist: inhalt und titel passen gar nicht so gut zusam­men. was pop als solch­er und über­haupt ist, weiß man hin­te­nach näm­lich immer noch genau­so wenig wie vor beginn der lek­türe. das hat wohl auch mit der entste­hung des ban­des zu tun. ent­standen ist der näm­lich aus ein­er gemein­samen vor­lesungsrei­he der drei münch­n­er kun­sthochschulen (akademie, hochschule f. film & fernse­hen, hochschule für musik & the­ater), die einige mehr oder weniger berufene gas­tred­ner ver­sam­melte, deren texte hier vor­liegen.

in der ein­leitung wen­det sich der her­aus­ge­ber grasskamp auf für mich reich­lich befremdliche weise gegen die ver­meintlich erstark­ende, „ein­flussre­iche neuer schule“ (11) der „posi­tion der the­o­riefeindlichkeit“. ich weiß nicht, ob ich das ziel richtig iden­ti­fiziert habe… aber wenn, dann scheint mir grasskamp hier doch sehr, sehr weit zu sim­pli­fizieren. und von einem sehr aus­gewählten, typ­isch kun­st­geschichtlichen stand­punkt aus zu urteilen. denn natür­lich, das wer­den die hier ange­grif­f­en in der regel selb­st zugeben, ist the­o­rielosigkeit ein schw­eres manko. aber die frage ist eben, ob sie immer so the­o­rie­los sind, wie es – zugegeben – leicht den anschein hat. wom­it sie aber unbe­d­ingt recht haben, ist die tat­sache, dass pop sich auch darin von „herkömm­lichen“, ander­ern kul­tur­man­i­fes­ta­tio­nen der­art unter­schei­det, dass die üblichen, in den kunst‑, lit­er­atur und kul­tur­wis­senschaft entwick­el­ten instru­mente der erforschung, die hermeneutis­chen ver­fahrung, das hier prak­tizierte bemühen um ver­ständ­nis, nicht aus­re­ichen, den pop in sein­er spez­i­fis­chen form zu erfassen und zu ver­ste­hen. möglich ist, dass sie hil­fre­ich sein kön­nen, aber mit ihnen allein wird ein wirkl­ci­h­es ver­ständ­nis der pop­phänomene kaum gelin­gen. dazu kommt natür­lich auch noch die schlichte tat­sache, dass vieles, was – nicht nur in meinem ver­ständ­nis – auch und noch pop ist, über­haupt nur zu find­en, wahrzunehmen ist, wenn man mehr oder weniger stark im und mit dem pop lebt. wenn das dann alles in die arbeit über den pop ein­fliesst (die selb­st evtl. sog­ar wieder zum pop wer­den kann…), muss man noch lange nicht „urbaner bar­bar“ sein, wie grosskamp unter­stellt.

aber weit­er zum rest: was sehr schnell beim lesen auf­fällt und was mich ziem­lich gen­ervt hat: pop ist hier zunächst mal pop-art. und son­st kaum etwas. selb­st die eigentliche pop-musik kommt erst später zu wort. von der poplit­er­atur (welch­er auch immer) ganz zu schweigen, die fällt mal ein­fach so kom­plett unter den tisch… rudolf zwirn­ers auf­satz „pop art in den usa“ ist denn auch ein tota­laus­fall, falls man sich davon irgend eine antwort auf die frage „was ist pop?“ erhoffte. hier gibt es nur einen kurzen, sub­jek­tiv­en abriss der pop-art eines zeitgenossen. neben der pop-art noch sehr dom­i­nant in den meis­ten tex­ten: das kreisen um die (un-)möglichkeit der unter­schei­dung zwis­chen „hoher“ und „nieder­er“ kun­st (wobei pop natür­lich, ganz umstand­s­los und reflek­tions­frei, der let­zteren zuge­ord­net wird).

so, weit­er geht es mit boris groys und dem „pop-geschmack“. den verortet groys im gespür und inter­esse für die zahl: dem pop­per gefällt, was vie­len gefällt… ist auf den ersten blick vielle­icht ein­leuch­t­end, aber dann ins­ge­samt doch irgend­wie blöd und falsch. denn für solch einen pop-geschmack gibt es ja nur noch main­stream. und alles, was nicht main­stream ist, wäre dann kein echter, richtiger, guter, … pop. nun ja, da bin ich besseres von groys gewohnt. immer­hin gibt es ein paar licht­blicke. ein paar richtige ein­blicke. z.bsp., wenn er beobachtet: „in diesem sinne ist der pop-geschmack eine fort­set­zung, eine fortschrei­bung des avant­gardis­tis­chen geschmack­es. der pop-geschmack kon­sti­tu­iert sich näm­lich dadurt, dass er den kom­men­tar, d.h. die worte, durch zahlen erset­zt.“ (101) „die pop-sen­si­bil­ität ist näm­lich so kon­stru­iert, dass ihr träger im primären akt der wahrnehmung eines kunst­werks die zahlen sein­er ver­bre­itung mit wahrn­immt, mit­fühlt, mit­denkt.“ (101f.) beim lesen dieser pas­sagen kom­men mir dann doch zweifel – möglicher­weise hat groys doch so unrecht gar nicht (was aber fraglich bleibt: seine auss­chließliche fundierung des pop-geschmacks auf den zahlen – da spielt sich­er noch mehr mit…). denn kurz darauf heißt es sehr richtig: „der pop-geschmack ist […] ein reflek­tiert­er geschmack – er nimmt nicht nur das kunst­werk, son­der auch seinen kon­text wahr und beurteilt bei­de gle­ichzeit­ig.“ (102) – beim abtip­pen fällt mir ger­ade doch noch etwas deut­lich pos­i­tives an diesem auf­satz und dem ganzen band auf: pop wird ohne zweifel als kun­st (an)erkannt. selb­st das ist ja heute nicht selb­stver­ständlich… aber weit­er zu groys: die verbindungslin­ien, die er zwis­chen avant­garde und pop zieht, geben zu denken. denn die kom­men­ta­tive rezep­tion ist nur ein teil. bei­de verbindet außer­dem der ver­lust der geschichte und der massen, sowie ein sig­nifikan­ter ortswech­sel: „als ort der pro­fes­sionellen kun­st fungiert heute also nicht mehr das muse­um, son­dern die sta­tis­tik.“ (105) das prob­lem freilich bleibt: so wahr das an sich ist, groys übertreibt in der ver­ab­so­lu­tierung dieses fak­tums. deshalb mis­chen sich auch immer wieder selt­same und falsche state­ments unter den text – ein beispiel: „der pop-kon­formis­mus ist dage­gen ein glob­alkon­formis­mus – er ori­en­tiert sich an glob­alen infor­ma­tions­flüssen, die ihm die infor­ma­tio­nen darüber ver­mit­teln, was für die großen mehrheit­en in der großen außen­welt als ange­sagt gilt.“ (108) so weit mal dazu, das kom­men­tiere ich jet­zt mal nicht weit­er…

auf groys fol­gt ein ken­nt­nis­re­ich­er auf­satz des musik­wis­senschaftlers (vom berlin­er insti­tut für pop­uläre musik) peter wicke: sound­tracks. pop­musik und pop-diskurs. immer­hin ein­er, der gemerkt hat, dass der begriff „pop“ nicht von der pop-art erfun­den wurde. enjott schnei­der erzählt dage­gen in meinen augen viel blödsinn, was die rolle und den charak­ter des films ange­ht – aber da kenne ich mich kaum noch aus … lorenz engell liefert dage­gen eine schlüs­si­gen, inter­es­san­ten beitrag zum tv-pop, in dem er drei prinzip­i­en des fernse­hens und dessen entwick­lungsübergänge mit den phänomen des pop kurz­schließt und zu erk­lären ver­sucht – ein ansatz, der dur­chaus charme hat. michaele krützen führt das dann in ein­er detail­studie zu mtv und deren video-music-award, das tre­f­fen von madon­na, spears und aguil­era im zeichen des pop und des events, des tv und seinen pseu­do-events sowie den pseu­do-events zweit­er ord­nung fort. den abschluss schließlich macht ulf poschardt, hier noch kein fdp-anhänger, der erstaunlich tre­f­fend pop als „öffentlich­es gesicht“ zu beobacht­en ver­sucht, als (möglichkeit der) iden­tität­skon­sti­tu­tion, wie er sie in erster lin­ie anhand von pop-videos nach­weist. das ganze untern­immt er v.a. vor dem hin­ter­grund der virtuellen real­ität der maschi­nen, des com­put­ers, die zur visuellen fälschung des gesichts als zeichen der iden­tität führt. damit ist natür­lich ein prob­lem offen­sichtlich: das ver­schwinden der iden­tität, das pop rev­i­dieren sollte, ist zugle­ich auch ein teil des pop – als reak­tion auf dieses prob­lem. „iden­tität bleibt so dog­ma­tisch, als sowieso kon­stru­iert, in der möglichkeits­form haf­tend.“ (254). das ist zwar ein­leuch­t­end und wahrschein­lich auch richtig und wahr, erk­lärt aber immer noch nicht: „was ist pop?“ das frageze­ichen bleibt munter ….

porno-pop noch einmal

so, jet­zt ist auch der rest des ban­des bewältigt — mit dur­chaus zwiespälti­gen ein­drück­en. aber wie sollte es bei einem sam­mel­band auch anders sein. der anfang war ja sehr vielver­sprechend, der rest allerd­ings lei­der nicht immer genau­so span­nend. clau­dia gehrke hat einen etwas wirren erfahrungs­bericht (rotkäp­pchen und die pornografie) beiges­teuert, in dem sie von der pub­lika­tion “mein heim­lich­es auge” berichtet und den schwierigkeit des umgangs damit, was ins­beson­dere an der schwierigkeit ein­er klaren (juris­tis­chen) def­i­n­i­tion von pornogra­phie liegt. jörg met­tel­man hat in flesh for fan­ta­sy. das porno-pop-for­mat dage­gen sehr schön die kon­stan­ten und var­i­anzen des porno her­aus­gear­beit­et, ins­beson­dere auf the­o­retis­ch­er ebene recht erquick­lich. er beobachtet dabei neben anderem vor allem den ver­lust der erre­gung, die mit dem obszö­nen und sein­er über­schre­itung ver­bun­den war. die hin­wen­dung zur kun­st vol­lzieht zunächst hol­ger liebs, der in spul mal vor, alter vor allem die gegen­seit­ige befruch­tung von kun­st und pornografie in den blick nimmt — nicht sehr span­nend, weil nicht beson­ders viel dabei her­aus kommt. kathrin rög­gla verzweifelt dann an ihren fig­uren, die fick­en wollen, wenn sie nicht sollen beziehungsweise umgekehrt und so weit­er… diemar schmidt nimmt in zwis­chen den medi­en die trans­me­di­al­ität als pornographis­che bewe­gung (und die pornogra­phie als inter­me­di­ale unternehmung) mit bezug auf schnit­zlers traum­nov­el­le und kubricks anlehnung, eyes wide shut, in den blick. das schien mir aber vor allem kurios, nicht ganz klar ist mir gewor­den, warum er so darauf behar­rt, dass inter­me­di­al­ität ein pornographis­ches phänomen sei. dem rap wen­det sich flo­ri­an wern­er mit “pornog­ra­phy on wax”? zu. schlüs­sig unter­sucht er rap-texte, ins­beson­dere von eminem, auf den vor­wurf der pornogra­phie (ins­beson­dere natür­lich im zusam­men­hang mit der mut­terbeschimp­fung) und erken­nt sie als im grunde als aufk­lärerische pornogra­phie: anklage und stilmit­tel zugle­ich, gefan­gen in der ambi­gu­i­tät des under­dogs im main­stream etc… und sven­ja flaßpöh­ler ver­sucht mit shake your tits!, die rolle der frau bzw. ihrer stel­lung zwis­chen men­sch und sex-objekt in diversen schat­tierun­gen anhand der beispiele madon­na, christi­na aguil­era und brit­ney spears zu beleucht­en. aber das bleibt ziem­lich­es wis­chi-waschi…

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén