Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2008 Seite 2 von 14

alte und neue wege

ein her­rlich­er tag, der sam­stag. per­fek­tes laufwet­ter. und die lust steigt mit jedem kilo­me­ter, den mich der zug näher nach erbach bringt.
irgend­wann war’s dann endlich so weit, das mit­tagessen wenig­stens halb­wegs ver­daut und die schuhe geschnürt. die meis­ten teile der ins­ge­samt 31,58 kilo­me­ter bin ich schon irgend­wann ein­mal gelaufen — aber noch nie in dieser kom­bi­na­tion und teil­weise auch nur in der gegen­rich­tung: dieses mal hat­te ich mir nichts wirk­lich geplant, son­dern schaute ein­fach mal, was mir so unter die füße kam.
kalt war’s zwar an eini­gen stellen ziem­lich. vor allem da, wor noch schnee herum­lag ;-). aber das stört ja nicht weit­er …haupt­sache es läuft. und das tat es. schön gemütlich hat­te ich ange­fan­gen, über den anfang des dreiseen­tals zum buch­wald­skopf, dann den üblichen weg über son­nen­weg in rich­tung bul­lau eingeschla­gen. davor habe ich aber noch einen abstech­er gemacht und eine neue ecke aus­gekund­schaftet — schöne ficht­en­monokul­tur, die aber auf­grund der hanglage noch recht viel sonne am nach­mit­tag hat­te. jeden­falls führte mich ein weit­er bogen (bei dem ich nach eini­gen kilo­me­tern nicht mehr so genau wusste, wo ich eigentlich war) bis kurz vor bul­lau. von dort bin ich dann erst ein­mal hinüber nach würzberg gestürmt: langsam stieg das tem­po, die erste hälfte lag ja inzwis­chen auch schon hin­ter mir. von würzberg aus bin ich schließlich schön quer wieder zurück zum aus­gangspunkt des kutschen­weges, allerd­ings ein biss­chen unter­halb von diesem. dieses ganze hin und her hat­te den ein­deuti­gen vorteil, dass ich in den über zweiein­halb stun­den kaum einem dutzend men­schen begeg­net bin. dafür hat­te ich wun­der­schö­nen wald bei her­rlichem son­nen­schein und klar­er luft für mich ganz allein. aber auch das hat­te irgend­wann natür­lich ein ende: die let­zte konzen­tra­tionsanstren­gung, der schlechte hohlweg am wal­drand beim buch­wald­skopf — in der däm­merung nicht mehr ganz ein­fach, vor allem bergab bei hohem tem­po — und schon lag das müm­ling­tal im san­ften abendlicht — die sonne war kurz zuvor unterge­gan­gen — vor mir.

feldforschung oder erzählung?

am woch­enende gele­sen: thomas mei­neck­es schmales bänd­chen feld­forschung (frank­furt am main: suhrkamp 2006). der unter­ti­tel behauptet, das seien erzäh­lun­gen. ich habe da so meine zweifel.
eigentlich war ich bish­er von mei­neck­es schrift­stel­lerischen arbeit­en immer recht ange­tan: tomboy habe ich vor eini­gen jahren mit großem vergnü­gen gele­sen, dann auch holz und The church of John F. Kennedy sehr genossen. die vor­e­in­stim­mung auf diesen band, der als &gdquo;narrativer Beitrag zur im AUgust 2006 eröffneten Aus­setlung ‘das achte feld. geschlechter, leben und begehren in der kun­st sein 1960’“ ent­stand, war also dur­chaus pos­i­tiv. den hin­ter­grund zitiere ich aus dem klap­pen­text deshalb so aus­führlich, weil er wahrschein­lich nicht ganz unwesentlich für die form des textes bzw. der elf stücke ver­ant­wortlich ist. vor allem aber, weil er so auf­fäl­lig noch ein­mal das wort „nar­ra­tiv“ bemüht. denn das ist eigentlich der knack­punkt bei diesem werk: wird hier über­haupt erzählt? ist es erzählen, wenn seit­en­lang die diskus­sion ein­er englis­chsprachi­gen mail­ingliste über drag queens und kings bzw. ihre zwis­chen­stufen und über­lagerunge und deren angemessene und kor­rek­te beze­ich­nung zitiert wird? oder ist das zitat nur fik­tion? die per­so­nen­na­men sind jeden­falls real und kön­nten auch — nach ein­er kurzen inter­net­suche — zu den entsprechen­den aus­sagen passen. eigentlich ist es aber egal, denn die wirk­lichkeit ist offen­bar nur noch der/ein/ text — und das heißt ja auch, dass wirk­lichkeit (und erst recht natür­lich mime­sis) kein kri­teri­um mehr ist. also, die frage bleibt aber auch unab­hängig von der fik­tion­al­ität dieser pas­sage: was wird hier eigentlich erzählt? natür­lich geht es um geschlecht(er), um ihrer kon­struk­tion, wahrnehmung etc. — fast hätte ich geschrieben: das übliche mei­necke-the­ma. aber noch ein­mal: ist das erzählt? es wir ja nur „be“-schrieben, nur sit­u­a­tio­nen geschildert. nur ganz sel­ten geschieht etwas, gibt es entwick­lun­gen und nur in weni­gen ansätzen gibt es so etwas wie zeit. und das scheint mir doch schon ein merk­mal von erzählen zu sein, dass zeit in irgend ein­er form anwe­send ist, eine rolle spielt. wenn über­haupt noch reste sozusagen von dem, was man geläu­fig unter erzählen fasst, zu find­en sind, sind sie ganz mei­necke-typ­isch neu­tral­isiert1: das grund­sät­zliche präsens zum beispiel. die unklarheit von gender/sex der erzählstimme — wo es sie noch gibt. zum beispiel in mis­ter gay, der rekon­struk­tion eines über­falls auf eine schwu­len­bar, bei der es natür­lich auch wieder um die ver­schwim­menden gren­zen geht: die übergänge von real­ität in fik­tion, von bericht (dessen stilmit­tel vorherrschen) zur erzäh­lung zum drehbuch, von psyschich­er „nor­mal­ität“ zu „krankheit“ usw. usf. oder, auch eine eher spezielle art des erzäh­lens: odysee, wo der text nur noch aus ein­er zeittafel und der — deu­ten­den — über­schrift beste­ht.
da ließe sich bes­timmt noch viel mehr dazu sagen. aber ob es sich lohnt? denn immer wieder dreht es sich aber — in dieser häu­fung dann auch schon sehr pen­e­trant — um die unklarheit­en des geschlechts, seine kon­struk­tio­nen, seine iden­titäten (und deren kon­struk­tio­nen)2 und so weit­er: „schon als klein­er junge war sie“ (63). wer das aber kapiert hat — und die mei­necke-leser ken­nen das ja eh’ schon -, dem ist eigentlich auch schon alles klar, was diese texte wollen. und der rest ist vor allem lang­weile.

Show 2 foot­notes

  1. ein typ­is­ch­er anfang bei mei­necke geht z.b. so: „bras­sai, unter dem ungarischen namen gyu­la halász geboren im sieben­bür­gis­chen kro­n­stadt, rumänisch brasov, wovon er sein pseu­do­nym phonetisch ableit­ete, dessen lebensweg von öster­re­ich-ungarn über deutsch­land nach frankre­ich führt, in den frühen 1930er jahren, auf seinen nok­tur­nen fotografis­chen streifzü­gen durch das soge­nan­nte geheime paris, augen­blick­lich im le mon­o­cle, ein­er, wie er sich, het­eronormiert, aus­drückt, auss­chließlich dem schö­nen geschlecht gewid­me­ten bar, in welch­er sämtliche frauen, die wirtin, sie hört auf den namen lulu de mont­par­nasse, die ander­norts leicht­bek­lei­de­ten bar- und ani­mier­mäd­chen, die kell­ner­in­nen, selb­st die garder­o­biere, män­nerklei­der tra­gen.“ (58) und das ist ger­ade ein­mal der erste absatz, es geht noch fünf seit­en so weit­er.
  2. „er brachte mir bei, was ich war, denn ich hat­te ja nie zuvor von fag hags gehört.“ (104)

peter kurzeck bekommt noch einen preis

ger­ade gese­hen: peter kurzeck erhält den preis „hör­buch des jahres 2008“ — natür­lich für „ein som­mer der bleibt“. mit 15.000 euro auch ganz ansehn­lich dotiert. her­zlichen glück­wun­sch.

fundstück

song chart memes

via ste­fan nig­ger­meier

und noch mehr:
song chart memes

silence

„die ver­gan­gen­heit ist ein fremdes land. dort tun sie dinge anders.“ — leslie poles hart­ley, der zoll des glücks

ein katastrophenlauf oder: durchhaltetraining

eigentlich war gar nichts beson­deres geplant und vorge­se­hen: der übliche sam­stägliche lange lauf war gar so lang, 24 km soll­ten es wer­den, mti einem tem­po von 4:49 aber ohne rumtrödeln. aber irgend­wie war der wurm drin, gestern vor­mit­tag.
über nacht war es kalt gewor­den, also habe ich zum ersten mal in diesem jahr die dick­eren lauf­sachen aus dem schrank gesucht. ein wenig schnee lag noch auf den wiesen und äck­ern, auch auf den wegen. und ein kleines biss­chen tanzte durch die luft. also zog ich los, ich hat­te mir eine neue route aus mir bere­its bekan­nten teil­stück­en über­legt. und das war sozusagen schon eines der prob­leme, denn meine schätzung ging nicht ganz auf. doch dazu später.
los ging’s wie immer in erbach mit den län­geren läufen: erst ein­mal den buch­wald­skopf hin­auf. das hat den vorteil, dass man selb­st im tief­sten win­ter schon mal warm gelaufen ist. dann bin ich ganz klas­sisch weit­er über den son­nen­weg auf den schmalen wan­der­weg rich­tung bul­lauer straße. und hier wurde schon klar, dass es heute nicht beson­ders ein­fach wer­den würde: tiefe schlamm­stellen säumten den weg immer wieder, ver­steckt unter ein­er schö­nen schicht bun­ten laubs. dazu noch eine dünne schneeschicht, die noch weniger unter­grund erah­nen ließ und dafür mit größer­er rutschigkeit entschädigte: den erste beina­he-sturz kon­nte ich ger­ade noch abfan­gen. außer­dem begann ich schon hier, nach ger­ade ein­mal vier kilo­me­tern, so richtig hunger zu bekom­men. und der wollte ein­fach nicht ver­schwinden — bis zur rück­kehr hat er mich dieses mal begleit­et. aber noch war ich guten mutes und flot­ten schrittes unter­wegs, machte den bogen an der bul­lauer straße und stürzte mich den kutschen­weg in rich­tung würzberg hin­auf. den ver­ließ ich dann unge­fähr auf hal­ber höhe link­er hand, um quer zum hang leicht ansteigend ober­halb von ebuch und erns­bach vor­beizuziehen. so langsam merk­te ich das etwas hohe tem­po, es wurde ziem­lich anstren­gend. mein gesamtschnitt lag aber immer­hin schon bei 5:07 unge­fähr. der änderte sich jet­zt allerd­ings kaum noch, zumin­d­est für einige kilo­me­ter nicht. noch etwas däm­merte mir so allmäh­lich, je näher ich erns­bach kam: meine schätzung würde nicht ganz aufge­hen, ich musste noch eine schleife ein­bauen. tat­säch­lich hat­te ich, als ich dann am rand von würzberg aus dem wald kam, ger­ade ein­mal 12 kilo­me­ter auf dem fore­run­ner — das war etwas wenig. vor allem angesichts der tat­sache, dass ich mich mit­tler­weile ziem­lich müde fühlte und das hohe tem­po, dass jet­zt eigentlich noch etwas schneller wer­den sollte, immer mehr mühe bere­it­ete. aber ich quälte mich weit­er und zog in rich­tung man­gels­bach. hin­ter den häusern, auf dem limeswan­der­weg, begann dann das wahre lei­den. ein baum lag quer auf dem eh’ schon sehr schlecht­en und außeror­dentlich matschi­gen weg (eher eine schlammp­iste als ein richtiger wan­der­weg). also bin ich abseits des weges herumger­an­nt — und habe mir prompt zwis­chen beck­en und rip­pen einen quer­ste­hen­den ast in die seite ger­ammt. die näch­sten schritte waren nicht sehr angenehm, aber ste­hen­bleiben kam nicht in frage … schnell wurde meine aufmerk­samkeit aber wieder auf den boden gelenkt — oder das, was davon übrig blieb. hier war es näm­lich so weich, dass ich fast steck­en­blieb. zumin­d­est kam es mir so vor … der schlamm reichte bis ordentlich über die knöchel, meine füße wur­den erst nass und dann kalt. aber mit ein­er kleinen tem­pov­er­schär­fung auf dem dann mit­ten durch die bäume führen­den schmalen wan­der­weg sorgte für rasche erwär­mung. so gelangte ich dann immer­hin noch halb­wegs heil an die b47. die ver­ließ ich dann bald wieder — heute hat­te ich keine große lust auf straße, meine schuhe (die salomon 3d ultras) woll­ten so etwas nicht. also bin ich wieder auf den wan­der­weg eingeschwenkt. der führt hier direkt neben der straße ein­fach so durch die bäume, in schlangen­lin­ien und hak­en­schla­gend, ein schmaler tram­pelp­fad eher als ein richtiger weg. natür­lich war es nur eine frage der zeit, bis ich eine enge s‑kurve über­sah — rumms, da war ich zu schnell und lag auf dem boden. aber nix passiert, schnell aufger­ap­pelt und weit­er gedüst. hin­ter eul­bach wurde der weg — hin­unter zum haber­mannskreuz — dann zwar bre­it­er, aber auch wieder schlam­miger. jet­zt war es aber auch egal, der matsch hat­te seinen weg in meine schuhe bere­its gefun­den. immer­hin kon­nte ich das tem­po jet­zt langsam erhöhen und den schnitt schon ein­mal unter die 5:00-marke drück­en. vor­bei am haber­mannskreuz (wieder so ein lustiger pfad!) ging es weit­er in rich­tung gräsig. und weil es noch nci­ht reichte mit den unanehm­lichkeit­en, musste ich unbe­d­ingt noch ein­mal hin­fall­en: langsam erschöpft achtete ich einen moment nicht auf den weg, stolperte mit dem recht­en fuß gegen einen unter dem laub ver­steck­ten ast und kon­nte nicht mehr aus­gle­ichen: patsch, schon hat­te ich einen wun­der­schö­nen bauch­platsch­er in den schlamm gemacht. nur gut, dass ich schon fast zu hause war. die let­zten zwei kilo­me­ter gin­gen auch noch irgend­wie herum, sog­ar den kreuzweg bin noch hoch gekom­men. zuhause sam­melte ich dann erst­mal dreck und blät­ter aus mir und mein­er klei­dung: bis in die unter­hose hat­te sich der kram vorgear­beit­et … und dann waren es, trotz der schin­derei, noch nicht ein­mal 24 kilo­me­ter gewor­den! — 23 km @ 4:50 — immer­hin der schnitt ist in ord­nung, einige höhen­meter waren ja schon dabei …

nichts für müde beine oder müde ohren: candy dulfer in mainz

„Can­dy Store“ ste­ht in großen Buch­staben über der Bühne geschrieben. Aber das ist irreführende Wer­bung. Denn was hier über die Bühne geht, ist alles andere als süß. Die nieder­ländis­che Sax­o­phon­istin Can­dy Dulfer ist es, die mit ihrer Band den Frank­furter Hof aufmis­cht.
Nach län­ger­er Absti­nenz ist die Meis­terin des Funk mal wieder in Mainz. Und kaum ste­ht sie auf der Bühne, geht die Par­ty auch schon los. Denn das ist nichts zum Zuschauen, jed­er Groove geht in die Beine: Diese Funkat­tacke würde auch hart­ge­sot­tene Par­ty­muf­fel über­wälti­gen – wenn denn welche da wären. Denn die Par­ty find­et nicht nur auf der Bühne statt, son­dern auch davor. Kein Wun­der – schließloich präsen­tieren sich die Musik­er vom ersten bis zum let­zten Ton energiege­laden und spaßgetrieben. Das ist sozusagen die per­fek­te Novem­ber­musik.
Dafür bedi­ent sich Can­dy Dulfer wieder ein­mal aus­giebig vom reich­halti­gen Funkbuf­fett. Trotz der Fülle schmeckt es aber aus­geze­ich­net. Oder ger­ade deswe­gen. Denn das ist alles andere als ein chao­tis­ches Sam­mel­suri­um. Son­dern eine per­fekt abges­timmte Menü­folge. Nicht ohne Ver­di­enst daran ist die Crew, die die Chefköchin Dulfer unter­stützt. Das Zusam­men­spiel ist aus­ge­sprochen dicht. Deut­lich wird das noch ein­mal, wenn sie für das Finale einen großar­ti­gen Groove über mehrere Minuten schön sorgsam von unten Stück für Stück, Instru­ment für Instru­ment auf­bauen – da bleibt nie­mand unberührt, da kocht der Saal beina­he über. Es ist aber auch wirk­lich ein Groove der Extrak­lasse, der dabei her­auskommt. Und damit passt er genau zum krö­nen­den Abschluss. Denn wenn etwas beze­ich­nend für Dulfer und ihre Band ist, dann ist es die Fähigkeit, alles und jedes grooven zu lassen.
Ein biss­chen etwas Wahres ist also doch dran, an der Ver­heißung eines „Can­dy Stores“: Denn die Menge an Zutat­en, die vie­len Auswahlmöglichkeit­en, von denen sich Can­dy Dulfer und ihre Band bedi­enen könne, erin­nern schon an die über­wälti­gen­den Möglichkeit­en eines Süßwaren­han­dels. Einen Zuck­er­schock bekommt man davon allerd­ings nicht. Und außer­dem ist so ein Konz­ert auch noch bess­er für die Fig­ur.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung). was nicht drin ste­ht: der ziem­lich mäßige sound im hin­teren teil des saales — trotz oder wegen der ziem­lich hefti­gen laut­stärke …

sibelius und schostakowitsch im staatstheater

Es war kein reines Zuck­er­schleck­en, das zweite Sin­foniekonz­ert im Mainz­er Staat­sthe­ater. Aber dafür ein großar­tiges Erleb­nis. Und das aus vie­len Grün­den. Zum einen wäre da die Solistin, die Cel­listin Tat­jana Vas­sil­je­va. Schon die ersten Töne des hochvir­tu­osen ersten Vio­lon­cel­lo-Konz­ertes von Dim­itri Schostakow­itsch set­zten Maßstäbe, denen Tat­jana Vas­sil­je­va auch durch­weg gerecht wird. Der ganze erste Satz ist ein einziger atem­los­er Spurt, den die Russin mit gren­zw­er­tigem Druck und mit bis zum Zer­reißen anges­pan­nter Konzen­tra­tion absolviert. Über den stärk­er sin­gen­den, aber immer noch sehr fokussierten zweit­en Satz bis in die funken­sprühende Rasanz und kristallne Klarheit der Kadenz bis zur inten­siv­en Dichte des Schlusses reicht die Anspan­nung in einem einzi­gen großen Bogen.
Der zweite Grund für das beson­dere Gelin­gen des Konz­ertes war das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester. Denn die boten deut­lich mehr als übliche Rou­tine. Die klan­gliche Geschlossen­heit und ein­satzfreudi­ge Hingabe, mit der die Musik­er spiel­ten, beflügelte nicht nur Schostakow­itschs Konz­ert, son­dern auch und vor allem die vierten Sin­fonie von Jean Sibelius.
Und die führt auch schon direkt zum eigentlichen Zen­trum des Abends: Arvo Volmer. Denn vor allem an ihm lag es, dass die vierte Sin­fonie zu so einem Erfolg wurde. Ihm gelingt es näm­lich schein­bar ohne beson­dere Anstren­gung, die vie­len, nach allen Seit­en aus­greifend­en Episo­den dieser Musik immer fest zusam­men zu schweißen. Und darüber hin­aus, diese Ein­heit auch noch ganz natür­lich und organ­isch wirken zu lassen. Das ist zwar in jedem Moment sehr gut bedacht, aber nie bedächtig. Denn auch wenn er sich dur­chaus Zeit für die genau aus­gear­beit­et Ent­fal­tung der Musik und ihrer Form nimmt – lang­weilig wird das nie. Das liegt vor allem daran, die Ein­heit sein­er Inter­pre­ta­tion der inneren Logik der Sin­fonie sehr genau fol­gt. Sie behauptet nie eine heile Welt, son­dern ver­mit­telt auf verblüf­fend deut­liche und über­sichtliche Weise ganz viel: Die Erfahrun­gen und Ein­sicht­en des Kom­pon­is­ten in den Zus­tand der Welt und das Wesen der Mod­erne. Das geht weit über bloß anre­gende Unter­hal­tung hin­aus und ist alles andere als harm­lose, beliebige Kun­st – aber dafür umso lohnen­der. Vor allem, wenn es so deut­lich und überzeu­gend musiziert wird wie im Staat­sthe­ater.

fujian long yuan golden pekoe

mal wieder ein neuer tee, natür­lich von meinem lieblingsladen: chi­ne­sis­ch­er tee aus der prov­inz fujian: long yuan gold­en pekoe (nee­dle-leaf). ein ziem­lich inter­es­san­ter tee, das. schon die farbe der tee­blät­ter ist eher ungewöhn­lich, so dunkel sind sie eher sel­ten. und auch der fer­tige tee ist nicht gewöhn­lich: ein tiefes, dun­kles braun zeigt die tasse, mit ver­führerischem duft. und auch der geschmack ist nicht von schlecht­en eltern: inten­siv und weich, anre­gend und erfrischend, mit ein­er deut­lich aus­geprägten kakao-note — das hört sich selt­sam an, schmeckt aber sehr har­monisch und bekömm­lich. sich­er nicht jed­er­manns geschmack. aber mir gefällts.

zubere­itung: 15 g tee auf knapp 1,5 liter wass­er, drei minuten ziehzeit (aber der tee verträgt sich­er auch ein wenig mehr …)

beethoven und das motorrad

so, erstein­mal der „offizielle” text, den ich für die mainz­er rhein-zeitung geschrieben habe:

Motor­räder kom­men im klas­sis­chen Konzertleben recht sel­ten vor. Aber ander­er­seits sind auch Posaunenkonz­erte im tra­di­tionellen Reper­toire eher dürftig gesät. Was liegt also näher, als diese bei­den Sel­tenheit­en zur poten­zierten Unwahrschein­lichkeit zu kom­binieren?
Der Posaunist Chris­t­ian Lind­berg hat keinen Hin­derungs­grund gefun­den. Er geht sog­ar noch einen Schritt weit­er: Um das „Motor­bike Con­cer­to” von Jan Sand­ström so richtig authen­tisch aufzuführen – schließlich ist es eigens für ihn kom­poniert wor­den – schlüpft er sog­ar in eine passende Motor­rad­kluft. Nur das Motor­rad fehlt also noch in der Rhein­gold­halle. Aber zusam­men mit der Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz und deren Diri­gen­ten Ari Rasi­lainen ent­fal­tete Lind­berg immer­hin eine täuschend echte Geräuschkulisse.Das Motor­rad, das Lind­berg hier elo­quent und mit vollem Ein­satz verkör­pert, dröh­nt und röhrt, qui­etscht und braust durch die diversen Land­schaften. Sehr pit­toresk ist das alles, serviert immer mit einem gehöri­gen Schuss Komik. Denn Sand­ström hat hier Pro­gram­m­musik rein­sten Wassers geschrieben. Bekan­nter­maßen ist ja ein Motor­rad mehr als ein bloßes Fort­be­we­gungsmit­tel, son­dern ein regel­rechter Lebensstil. Und auf Tour bekommt so einiges mit – so viel, dass auch das „Motor­bike Con­cer­to” noch nach allen Seit­en von Ein­drück­en und Ein­fällen überquillt.1
Ganz im Gegen­satz dazu dann der Klas­sik­er über­haupt, Beethoven. Und gle­ich noch seine „Über&”-Sinfonie, die Fün­fte. Hochtra­bende und gewichtige Deu­tun­gen umranken und über­wuch­ern das Werk seit der Urauf­führung vor ziem­lich genau zwei­hun­dert Jahren. Aber das schein Rasi­lainen gar nicht so sehr zu beküm­mern. Ohne beson­ders übereifrige Über­höhung nimmt er sie erst ein­mal ein­fach als das, was sie schließlich ist: Musik. Und so offen bleibend, ohne der Vagheit anheim zu fall­en, entwick­elte die Staat­sphil­har­monie ein sehr geschlossenes Klang­bild. Der Diri­gent pro­fil­ierte sich als fließen­der Erzäh­ler, der ganze Lebensen­twürfe und Geschicht­en ent­fal­tet.2 Ohne Zweifel oder auch nur das leis­es­te Zögern über­ste­hen die selb­st die harten Kon­fronta­tio­nen mit der Real­ität im drit­ten Satz. Und immer wieder über­wälti­gend ist natür­lich die Wucht dieses unz­er­störten Glaubens an die Kraft des Indi­vidu­ums, die das Finale unter der her­risch gebi­etenden Hand des Diri­gen­ten ent­fal­tet. Und auch wenn die Staat­sphil­har­monie aus­gerech­net auf der Ziel­ger­aden, in den let­zten Tak­ten, das Ende schon vor­weg­n­immt und deut­lich an Präzi­sion und Klarheit ver­liert, bleibt das Zusam­men­wirken aller Kräfte selb­stver­ständlich immer noch tri­umphal – anders kann Beethovens Fün­fte gar nicht enden.3

Show 3 foot­notes

  1. und da haben wir auch schon eines der zen­tralen prob­leme: im prinzip hat sand­ström die form näm­lich über­haupt nicht bewältigt. das ist bloß eine ein­fall­slose aneinan­der­rei­hung von episo­den. ander­er prob­leme sind aber gravieren­der: die aus­sage dieser musik näm­lich gle­ich null. eigentlich ist das nur ein sehr aufwändi­ger kinder­garten: sand­ström erfuhr, was lind­berg auf der posaune so alles anstellen kann. und was er schon gehört hat. das hat er dann — weit­ge­hend tra­di­tionell (das mod­ern­ste moment ist die emanzi­pa­tion des geräusches (aber nur als geräusch, nicht als musikalis­ch­er fak­tor), die aber auch schon seit hun­dert jahren gegessen ist) — hingeschrieben. tech­nisch mag das ziem­lich bis sehr anspruchsvoll sein, der posaunist muss so einiges tun für sein geld. aber das meiste sind eben mätzchen. und die sind musikalisch so über­haupt nicht motiviert. das schlimm­ste daran ist ja fast, dass so etwas natür­lich großen erfolg beim pub­likum hat: die ober­fläche ist halt nett, nicht so arg kom­pliziert und vor allem sehr sehr pit­toresk. denken muss man nicht dabei. das ist wahrschein­lich der größte erfol­gs­fak­tor dieser musik, dass sie denkerischen mitvol­lzug eigentlich sog­ar unterbindet, nicht nur nicht fördert oder fordert.
  2. nur so neben­bei: der unter­schied zur erzählweise sand­ströms ist enorm: denn beethoven hat inhalte — so unspez­i­fisch sie im musikalis­chen aus­drucksver­fahren bleiben mögen. sand­ström hat nur eine bloße bilder­folge, keine nar­ra­tion, keine — inhaltlich gefüllte — erzäh­lung. und das ist ein wesentlich­er unter­schied. im prinzip näm­lich schon die dif­ferenz zwis­chen kun­sthandw­erk und kun­st. oder halt zwis­chen unter­hal­tungsmusik und kun­st. oder wie auch immer …
  3. nicht besprochen habe ich jet­zt die das konz­ert eröff­nen­den „egmont-ouvertüre” von beethoven und schließlich fer­di­nand davis „con­certi­no für posanue” op. 4. let­zteres muss man aber eigentlich auch nicht groß erwäh­nen — ein vir­tu­osen­stückchen halt, dass lind­berg mit tech­nis­ch­er sou­veränität sehr gelassen herun­ter­spielt. beson­ders nach­haltig ist die wirkung dieser musik nicht ger­ade. so eine dutzend­ware aus dem 19. jahrhun­dert halt — ganz nett, aber nicht sehr ein­drucksvoll. die egmont-ouvertüre hat rasi­lainen auch eher noch zum war­m­machen genutzt. auch das ist ja so eine unsitte des konz­er­twe­sens, sich während dem konz­ert noch einzus­pie­len, aufeinan­der einzustellen. passiert aber sehr häu­fig. und wird oft genug auch entsprechend geplant mit so kurzen füll­stück­en, damit wesentlich nix wichtiges ver­saut wird. nagut, so schlimm war’s auch nicht. aber halt auch nicht beson­der oder bemerkenswert.

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