Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: pop

jazz im klangraum: jazztage mainz, tag 1

Beim ers­ten Mal hät­te es noch Glück sein kön­nen, beim zwei­ten Mal kann der Erfolg der Jazz­ta­ge Mainz kein Zufall mehr sein. Acht Bands in zwei Tagen ist eine Men­ge Musik, aber im „Klang­raum“, wie die Orga­ni­sa­to­ren sich nen­nen, ist Platz für vie­les. Musi­ka­li­sche Gren­zen sind hier längst auf­ge­ho­ben. So war es auch bei­lei­be kein rei­nes Jazz-Fes­ti­val, der Pop nahm auch gehö­ri­gen Raum ein.
Den Anfang mach­te das sehr relax­te „Diet­helm Duo“. Mit der Beset­zung Fen­der Rho­des und Saxo­phon spiel­ten sie ange­nehm ent­spann­te Kom­po­si­tio­nen mit unüber­hör­ba­ren Wur­zeln im West-Coast-Cool-Jazz. Ihre fein gewo­be­nen, durch­aus mal psy­che­de­lisch ange­hauch­ten klar struk­tu­rier­ten Songs glei­chen dabei Aus­flü­ge in ver­träum­te Gegen­den.
Das Quar­tett um den Gitar­ris­ten Dani­el Stel­ter, dass die Büh­ne danach erober­te, führ­te in ganz ande­re Regio­nen. Denn sie heiz­ten unbarm­her­zig ein, als wür­den sie schon ewig zusam­men spie­len. Dabei waren die Jazz­ta­ge ihr ers­ter Live-Auf­tritt über­haupt, bis­her spiel­ten sie nur im Stu­dio zusam­men. Uner­bitt­lich groov­ten sie mit allen Mit­teln und ent­pupp­ten sich dabei als ech­te Klang-Extre­mis­ten. Vom ers­ten Ton jedes neu­en Stü­ckes an ver­folg­ten sie die Eska­la­ti­on ihres kna­cki­gen Sounds mit enor­mer Kon­se­quenz. Die Rasanz, mit der die­se Mischung aus Jazz, Fusi­on und har­tem Rock von einem Extrem ins ande­re kippt, war beein­dru­ckend. Genau­so wie die Sicher­heit, mit der die vier jun­gen Musi­ker das mit vol­lem Kör­per­ein­satz vom wip­pen­den Fuß bis zur exal­tier­ten Mimik umsetz­ten.
Frau­Con­tra­Bass ver­hieß dann erst ein­mal wie­der kam­mer­mu­si­ka­li­sche Ent­span­nung. Aber von wegen: Auch das Duo von Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn ließ kaum Luft zum Aus­ru­hen. Dafür hat­ten ja auch die reich­lich dimen­sio­nier­ten Umbau­pau­sen genü­gend Gele­gen­heit gege­ben. Auf die Idee muss man frei­lich erst ein­mal kom­men, mit Bass und Gesang aus­ge­such­te Per­len der Pop­ge­schich­te neu zu inter­pre­tie­ren. Stevie Won­der hat die­se artis­ti­sche Duo genau­so auf dem Pro­gramm wie Micha­el Jack­son oder Brit­ney Spears. Und weil Debus eine sehr wand­lungs­fä­hi­ge Sän­ge­rin auch ohne Text ist und Höhn sei­nen Kon­tra­bass auch mal zum Schlag­zeug ver­wan­delt, funk­tio­nier­te das wun­der­bar.
Funk­tio­nie­ren trifft auch die Vor­ge­hens­wei­se von „Trance Groo­ve“ sehr genau. Die sie­ben Musi­ker um den Schlag­zeu­ger Ste­fan Krach­ten groo­ven mit scham­lo­sem Ekkle­ti­zis­mus und gna­den­lo­ser guten Lau­ne seit über fünf­zehn Jah­ren durch Jazz, Rock und Funk. Und sie klin­gen immer noch frisch und unver­braucht, vol­ler Ideen und vor allem Spon­ta­nei­tät und ech­ter Kraft – auch in der Show­büh­ne Mainz. Ein wirk­lich mit­rei­ßen­der und fet­zi­ger Abschluss des Abends – für die Jazz­ta­ge Mainz aller­dings gera­de ein­mal die Halb­zeit, denn auch der Sams­tag war ja wie­der vol­ler Musik.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

„Wie schwie­rig es doch im nach­hin­ein ist, jam­me­re ich mei­ner Schwes­ter vor, die inno­va­ti­ven Momen­te, in denen sich gesell­schaft­li­che Errun­gen­schaf­ten sonisch, näm­lich immer zuerst in der Musik ankün­di­gen, auch ihre pro­duk­ti­ven Wider­sprü­che, weni­ger retro­spek­tiv als in his­to­risch zeit­ge­nös­si­scher Per­spek­ti­ve, nach­zu­voll­zie­hen respek­ti­ven, in Anspie­lung auf mein end­lich zu rea­li­sie­ren­des Buch­pro­jekt, nar­ra­tiv zu rekonstruieren.“—Thomas Meine­cke, Musik, 34

alles wieder geschlossen

nein, so heißt es gera­de nicht: „alles wie­der offen” behaup­tet das neue album (pha­se 3 der sup­port­er-zeit) der ein­stür­zen­den neu­bau­ten. aber lei­der stimmt das immer weni­ger. das letz­te war ja noch als ver­such in die rich­ti­ge rich­tung war­zu­neh­men (nach­dem per­pe­tu­um mobi­le auch schon nicht mehr die kraft der frü­hen en hat­te). aber das wird jetzt immer schlim­mer.

blixa bar­geld dreht mitt­ler­wei­le total ab in die rol­le des poè­te mau­dit. er kann sie aber dum­mer­wei­se nicht wirk­lich aus­fül­len: kli­schee über kli­sche über kli­schee häu­fen sei­ne tex­te inzwi­schen. das war ja schon eine wei­le abzu­se­hen. aber inzwi­schen strahlt die­se hal­tung auch auf die musik aus. und er scheint die grup­pe immer mehr zu domi­nie­ren. ent­täu­schend vor allem bass von alex hacke – das ist völ­lig belang­los gewor­den.

das schlimms­te dar­an ist vor allem die per­ma­nen­te bil­dungs­hu­be­rei der tex­te und ihre plat­te meta­pho­rik, die immer so tut, als sei sie gro­ße kunst. ein paar bei­spie­le? ger­ne doch. „enkla­ve mei­ner wahl” in „nagor­ny kara­bach” ist zunächst – was für eine über­ra­schung – die „enkla­ve mei­nes her­zens” – aber mehr als die­se par­al­le­li­sie­rung bringt das gan­ze lied nicht fer­tig. ja, es ist wirk­lich ein lied. und selbst klang ist inzwi­schen fast radio­kom­pa­ti­bel, so belie­big. und roman­tisch ver­klärt immer wie­der. das klingt ganz ein­fach viel zu „nor­mal”, nach stan­dard-instru­men­ten – auch wenn bar­geld betont, dass das alles „authen­tisch” sei: „Jeder Ton basiert auf einem natür­li­chen Klang, nicht auf Com­pu­ter­sounds, auch wenn esich das mit­un­ter so anhört.” (in einem ziem­lich schlech­ten inter­view mit dirk peitz in der süd­deut­schen zei­tung vom 30. okto­ber 2007) … es gibt kei­ne aus­brü­che mehr – unvor­stell­bar, dass die heu­te noch mit flex und schweiß­ge­rät auf die büh­nen gin­gen: sie wer­den halt auch älter.

und so mit­tel­mä­ßig geht es eigent­lich durch­weg wei­ter: „ich hat­te ein wort /​ein lan­ges, selbst­ge­zim­mer­tes wie eine Rin­ne, mit Rädern /​schmal wie ein Ein­baum, oder etwas das Zement lei­ten soll /​ein Modell zwar, wind­schnit­tig und wind­schief, aber meins” – so fängt „ich hat­te ein wort” an – grau­sam. und pri­mi­tiv – auch der schluss: „ich gebs nim­mer­mehr preis”

„von wegen” hat immer­hin noch eini­ge ahnun­gen und anklä­ge frü­he­rer ideen, des frü­her strah­len­den spiel­triebs, der ent­de­cker­freu­de der „wah­ren” ein­tür­zen­den neu­bau­ten. und end­lich wer­den auch ein­mal rosso­lo und mar­ti­net­ti zitiert – aber der­ma­ßen platt, mit der­ma­ßen grau­sam-pein­lich-pri­mit­ven geräusch­hin­ter­grund – das ist schlim­mer als nichts.

es fehlt mir bei die­ser plat­te also ein­fach der knack­punkt – der „win­ter­speck der mög­lich­kei­ten” (auch so eine tol­le zei­le) ver­birgt das poten­zi­al. ok, jetzt ist genug geschimpft, ganz so schlimmm ist es dann eigent­lich doch nicht – aber das ist ein­fach viel zu nett und zu belang­los für eine cd der ein­stür­zen­den neu­bau­ten, das bleibt hin­ter ihren frü­he­ren wer­ken zu weit zurück. das zeigt sich übri­gens stär­ker noch in den die ent­ste­hung der plat­te beglei­ten­den „jewels” – da lässt sich eher inter­es­san­te musik fin­den. aller­dings auch nur noch mit der zuhil­fe­nah­me von tricks: um zu ideen zu kom­men, müs­sen sie sich dem zwang der alea­to­rik unter­wer­fen und kar­ten mit spiel­an­wei­sun­gen zie­hen …

ein­stür­zen­de neu­bau­ten: alles wie­der offen (sup­port­er-ver­si­on). poto­mak 2007.

wenn männer den boogie haben

„Die Zei­ten der Machos sind vor­bei“, schreibt der Kom­po­nist im Vor­wort, „doch im Män­ner­chor­lied dür­fen sie immer mal wie­der nost­al­gisch auf­blü­hen.“ Dabei hat Uli Füh­re aber etwas wesent­li­ches ver­ges­sen. Denn in sei­ner klei­nen Samm­lung „Der Män­ner-Boo­gie-Blues“ bestimmt nicht (nur) die Nost­al­gie das Klang­ge­sche­hen. Viel stär­ker tre­ten hier eigent­lich Iro­nie und Komik in den Vor­der­grund. Denn all­zu ernst neh­men darf und soll man die acht klei­nen Sät­ze auf Tex­te von Jörg Ehni, Joa­chim Rin­gel­natz und Kurt Tuchol­sky nicht. Zwar geht es immer um ein aus­ge­spro­chen erns­tes The­ma: Män­ner und ihr Ver­hal­ten. Aber der stu­dier­te Schul- und Popu­lar­mu­si­ker Uli Füh­re ist ja in ers­ter Linie für sei­ne amü­sant-unter­hal­ten­de Chor­mu­sik bekannt. Und genau dazu gehö­ren auch der „Män­ner-Boo­gie-Blues“ und der „Ver­füh­rer-Tan­go“, das „War­zen­schwein“ genau­so wie „Mei­ne Mus­ca Dome­sti­ca“. Beson­ders schön: Das „Chan­son“ zur Völ­ker­ver­stän­di­gung à la Tuchol­sky mit aus­ge­spro­chen deli­ka­ter laut­ma­le­ri­scher Beglei­tung. Aber auch die ande­ren, durch­weg prä­gnant und gewitzt aus­ge­ar­bei­te­ten vier­stim­mi­gen a‑cap­pel­la-Sät­ze mit ihren ange­nehm sang­ba­ren Melo­dien und der abwechs­lungs­rei­chen, ryht­misch und sti­lis­tisch sehr viel­fäl­ti­gen Gestal­tung sind pri­ma Mate­ri­al zur Auf­hei­te­rung eines jeden Kon­zert­re­per­toires. Zumal es vom sel­ben Kom­po­nis­ten auch noch das Gegen­pro­gramm gibt: „Der Mond ist eine Frau“ heißt die Ant­wort der hol­den Weib­lich­keit auf die­se klin­gen­de Beschwö­rung der unver­wüst­li­chen Männ­lich­keit.

Uli Füh­re: Der Män­ner-Boo­gie-Blues. Für Män­ner­chor TTBB a‑cappella. Stutt­gart: Carus 2006 (Carus 9.611). 36 Sei­ten.

erschie­nen in der zeit­schrift des deut­schen chor­ver­ban­des, der „neu­en chor­zeit”, aus­ga­be juli/​august 2007.

ja ja, diese jugend …

was machen wir bloß mit der …, wohin soll die ewig par­ty und das stän­di­ge abhän­gen nur füh­ren? das muss doch end­lich – und zwar ganz gewal­tig bald – im tota­len absturz, im end­gül­ti­gen nie­der­gang und cha­os deutsch­lands enden. joa­chim lott­mann schlägt sich damit ja immer wie­der ger­ne rum: die jugend von heu­te. ihr zustand, ihre plä­ne, ihr beneh­men, ihre orte, ihre musik, ihre was-auch-immer… las­sen ihn auch im mitt­ler­wei­le recht fort­ge­schrit­te­nen alter nicht los. das ist immer etwas erklä­rungs­be­dürf­tig, und das weiß lott­mann auch sehr genau. nur kann oder will er es nicht recht klar machen, war­um sein erzäh­ler immer noch den jun­gen leu­ten hin­ter­her­he­chelt, in ihnen immer noch die erlö­ser vom all­tag sucht.das gilt natür­lich für kein text weni­ger als für „die jugend von heute“mischung aus rai­nald goetz auf der einen und ben­ja­min lebert sowie stuck­rad-bar­re auf der ande­ren sei­te. nur eben bei wei­tem nicht so kon­se­quent wie goetz (auch lan­ge nicht so fähig zur ana­ly­se), aber lei­der auch nicht so leicht und harm­los wie die ande­ren pseu­do-pop­per. des­halb bleibt das weit­ge­hend indif­fe­rent und nichts­sa­gend – egal, von wel­chem blick­win­kel aus man das büch­lein betrach­tet.

vor allem aber ist es eine fund­gru­be für lust­bar­kei­ten und schö­ne aus­sprü­che, die ich zwar gera­de abge­tippt hat­te, die mir word­press aber jetzt geklaut hat und die des­halb hier nicht mehr ste­hen. über­ig geblie­ben ist nur:

  • „unser kul­tur, also die jugend­kul­tur, war erkennt­nis­im­mun.“ (81)
  • „die­se gan­ze musik­in­dus­trie war für kin­der gemacht, für men­schen zumin­dest, die noch nie­mals vom baum der erkennt­nis genascht hat­ten und es auch nie tun wür­den.“

jolo (wie der autor sei­nen stell­ver­tre­ter, die erzäh­ler­fi­gur im buch nennt) wür­de sich wahr­schein­lich krumm und sche­ckig lachen über all die, die die­sen text auf irgend eine art und wei­se ernst neh­men… – vor sati­re- und iro­nie­merk­ma­len wim­melt es ja nur so im text…

man könn­te ihn natür­lich einen bor­der­line-jour­na­lis­ten nen­nen, aber das wäre blöd­sinn. denn damit wür­de man lott­mann natür­lich voll­kom­men miss­ver­ste­hen – was lott­mann wie­der­um freu­en wür­de, denn genau dar­auf spe­ku­liert er ja, dar­auf legt er es an. es geht natür­lich um etwas ande­res: wahr­heit – was ist das? eine über­flüs­si­ge, ana­chro­nis­ti­sche, in die irre füh­ren­de idee, deren haupt­man­gel es natur­ge­mäß ist, dass sie mit der wirk­lich­keit nicht zuran­de kommt, nichts mit dem erle­ben des lebens, dem „wah­ren“ leben also (ha, was für ein witz…) ein­fach kei­ne ver­bin­dung mehr ein­ge­hen kann. bzw. mög­li­cher­wei­se eh‘ nie konn­te… er selbst for­mu­liert das dann so: „Die Jugend von heu­te hat einen erwei­ter­ten Wirk­lich­keits­be­griff. […] Mei­nen. Sie glau­ben an nichts mehr, also an alles. Sie unter­schei­den nicht zwi­schen wahr und unwahr oder gut und böse. Sie däm­mern einem offe­nen Zukunfts­feld ent­ge­gen. Wo ande­re noch eine Schä­del­de­cke haben, hat die Jugend von heu­te eine weit offe­ne Tür. So ein cra­zy Lott­mann-Text kommt da gera­de recht.“
(aus der taz, wo holm frie­be, der als chef­den­ker der zen­tra­len intel­li­genz-agen­tur auch mehr­fach im text auf­taucht, dann dazu meint: „Alles Teil der Lottmann’schen Ver­schleie­rungs­tak­tik.“)

das pro­blem mit lott­mann ist halt nur, dass er damit über­haupt nicht weit kommt. ihm fehlt ein­fach nicht nur die ana­ly­ti­sche schär­fe, son­dern auch die gestal­te­ri­sche kraft, die fähig­keit des for­mes unter ästhe­ti­schen gesichts­punk­ten – da hat ihm halt ein autor wie rai­nald goetz (übri­gens in bei­den kate­go­rien) eini­ges vor­aus … er selbst sieht das (vgl. taz-bericht) nicht als nach­teil: als „eth­no­lo­ge“ schrei­be er eben nur auf, ohne wer­tung. das ist frei­lich schon wie­der blöd­sinn, denn etwas auf­schrei­ben ohne wer­tung – wie soll das denn gehen? er hät­te halt bes­ser mal bei hubert fich­te nach­le­sen sol­len, wie so etwas aus­se­hen und (sogar unter ver­schie­de­nen gesichts­punk­ten) funk­tio­nie­ren kann. olaf kar­nik bewun­dert das dann: „sein umher­schwei­fen­des Schrei­ben, sei­ne unver­fro­re­ne Auf­zeich­nung bana­ler All­tags­be­ob­ach­tun­gen, moti­viert von kecker Selbst­er­mäch­ti­gung.“ aber das sind auch wie­der nur lee­re hül­sen: was ist an der auf­zeich­nung, die natür­lich über­haupt kei­ne rei­ne auf­zeich­nung ist, so unver­fro­ren? und was ist an der selbst­er­mäch­ti­gung (mal abge­se­hen davon, dass die wohl jeder autor auf­zu­wei­sen hat…) so keck? immer­hin ist das noch tref­fen­der als die behaup­tun­gen auf single-generation.de. „Mit sei­nem neu­en Buch wird er zum Avant­gar­dis­ten des Anti-Pop.“ steht da – aber stimmt das? nein, denn er bleibt natür­lich pop. nur ist der pop halt nicht mehr der der 80er – das kann man bedau­ern oder fei­ern, aber es ist halt ein­fach so…

joa­chim lott­mann: die jugend von heu­te. köln: kie­pen­heur & witsch 2004.
eine web­sei­te zum buch gibt es auch, frei­lich fast ohne inhalt, dafür mit film­chen: www.young-kraut.de

benjamin lebert kann nicht

das war wohl nichts. dem kri­ti­ker so eine steil­vor­la­ge zu lie­fern mit die­sem titel, das ist wohl das mutigs­te an die­sem büch­lein. natür­lich (alles ande­re hät­te zumin­dest mich sehr über­rascht) „kön­nen“ weder lebert noch sein held und alter ego tim grä­bert. zumin­dest nicht in dem sinn, in dem es hier ver­wen­det wird: näm­lich schrei­ben kön­nen. zumin­dest die lite­ra­ri­sche figur kann ande­rer­seits doch – sex haben. sonst treibt sie aller­dings auch nicht viel an. ein jun­ger schrift­stel­ler, der vor eini­gen jah­ren einen gro­ßen erfolg hat­te mit sei­nem ers­ten roman und nun nichts mehr zu papier bringt – wen das an ben­ja­min lebert erin­nert, der ist nicht völ­lig schief gewi­ckelt. und ent­spre­chend geht es wei­ter: er vögelt lus­tig vor sich hin, ist aber – kli­schee, kli­schee – trotz­dem und immer noch nur ein armer ein­sa­mer hund… der kerl trifft über eine bekann­te (natür­lich aus dem ver­lag, wo anders als im medi­en­zir­kus treibt er sich gar nicht her­um) ein noch jün­ge­res mäd­chen, abitu­ri­en­tin aus bre­men, die gera­de in ber­lin prak­ti­kan­tin ist und die sich wohl inein­an­der ver­lie­ben sol­len (was natür­lich nicht so ganz klar wer­den darf, weder den prot­ago­nis­ten noch den lesern). gemein­sam gehen sie auf eine rei­se durch skan­di­na­vi­en, eti­ket­tiert als ruck­sack­trip, fah­ren aber mun­ter die gan­ze zeit taxi oder wenigs­tens bus… das gan­ze endet in einem ziem­li­chen fias­ko: das mäd­chen dreht immer mehr durch, ist offen­bar schwer geschä­digt durch abwe­sen­den vater und über­ehr­gei­zi­ge mut­ter, was schließ­lich in einer selbst­ver­stüm­me­lungs­or­gie endet, die wie­der­um über ein paar ver­wick­lun­gen dazu führt, das der „held“ grä­bert sich mit einem ande­ren („gro­ßen“) schrift­stel­ler anlegt und selbst von einem schwert ver­letzt wird. und danach end­lich kein bock mehr hat, nach ams­ter­dam fährt und sich fröh­lich oder trau­rig bei den pro­sti­tu­ier­ten dort ver­gnüg um schließ­lich sei­ne freun­din bei deren eltern abzu­lie­fern, damit er das pro­blem end­lich los ist.

das lek­to­rat hat sich dann tat­säch­lich erblö­det, das gan­ze „ein roman über ein­sam­keit und hel­den­haf­te ver­su­che, die­se zu über­win­den“ zu titu­lie­ren – auf so einen schmarrn muss man erst­mal kom­men. was mich aber viel mehr geär­gert hat (und schließ­lich las ich das auf­grund einer posi­ti­ven rezen­si­on, deren tenor unge­fähr war: jetzt ist lebert end­lich zu einem ernst zu neh­men­den schrift­stel­ler gereift), das der gan­ze ser­mon ein­fach unglaub­lich schlecht geschrie­ben ist. lebert kann weder ver­nünf­tig beob­ach­ten noch ordent­lich beschrei­ben – ver­steht also noch nicht ein­mal sein hand­werk. das ist alles schreck­lich blass und unspe­zi­fisch, die figu­ren reden furcht­bar gestelz­tes zeug daher etc. etc. for­mal ist das sowie­so der­ma­ßen pri­mi­tiv – schön hübsch der rei­he nach erzählt, ein paar völ­lig durch­schau­ba­re andeu­tun­gen sol­len wohl so etwas wie span­nung auf­bau­en (etwa der strang mit dem bru­der des hel­den, der behin­dert ist – rein zufäl­lig natür­lich genau­so wie der held von „cra­zy„…. – und sich kürz­lich umge­bracht hat), in 47 kapi­teln, die aber auch nur eine struk­tur sug­ge­rie­ren, die gar nicht vor­han­den ist, weil sie voll­kom­men will­kür­lich gesetzt sind.

ach ja, das „kannst du“ ist übri­gens ein zitat aus „mise­ry“ von ste­phen king (womit der refe­renz­rah­men ja auch geklärt wäre…) und bezieht sich hier ganz kon­kret auf die fähig­kei­ten der haupt­fi­gur, für sei­ne freun­din eine lie­bes­ge­schich­te zu schrei­ben. das miss­lingt – wen über­rascht es – natür­lich auch wie­der äußerst wort­reich. genau­so wie leberts text ein schreck­li­cher fehl­griff ist – das war wohl nichts.

ben­ja­min lebert: kanst du. köln: kie­pen­heu­er & witsch 2006.

Lyambiko: Selbsthilfegruppe für angstfreies Musizieren

Wenn ein Musi­ker sei­ne Band „Selbst­hil­fe­grup­pe für angst­frei­es Musi­zie­ren“ nennt, ver­fügt er wahr­schein­lich über eine gute Por­ti­on Humor. Wenn der Schlag­zeu­ger von Lyam­bi­ko, Tors­ten Zwin­gen­ber­ger, das tut, hat er vor allem Recht. Denn Angst haben Sän­ge­rin Lyam­bi­ko und ihr Trio im Frank­fur­ter Hof sicher­lich nicht: Sonst wür­den sie wohl kaum so relaxt und locker arbei­ten.

Aber ent­spann­tes Musi­zie­ren ohne Angst macht allein noch kei­ne gute Musik aus. Denn bei Lyam­bi­ko wird die Sicher­heit auf der Büh­ne durch einen weit­ge­hen­den Ver­zicht auf Risi­ken erkauft. Was gibt es schon zu hören: Eine jun­ge, talen­tier­te Sän­ge­rin mit ange­neh­mer Stim­me und ein ver­sier­tes All­round-Trio. Hem­mungs­lo­se Ekkle­zi­tis­ten sind sie alle, wie sie da auf der Büh­ne ste­hen. Aus allen Ecken suchen sie sich ihr Mate­ri­al zusam­men: Ein wenig Swing, eine gute Por­ti­on Blues, dann noch ein biss­chen Latin, ergänzt um eine Pri­se Eth­no-Pop und abge­schmeckt mit einer Pri­se Modern Jazz – fer­tig ist der Ein­topf. Dumm ist nur, dass aus dem gan­zen Misch­masch nichts Neu­es ent­steht. So bleibt eben gute, unge­wöhn­lich erfolg­rei­che Unter­hal­tung. Und des­halb ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass die CD von Lyam­bi­ko in den Pop-Charts notiert wird. Vom Geist des Jazz, von sei­ner Kraft und Aus­drucks­fä­hig­keit, ist das näm­lich schon ein gan­zes Stück ent­fernt.

Dabei sind die Musi­ker wirk­lich nicht schlecht. Neben den flin­ken Fin­gern des Pia­nis­ten Mar­que Lowen­thal ist es vor allem Schlag­zeu­ger Tors­ten Zwin­gen­ber­ger, der ab und an doch auf­hor­chen lässt. Wie er Stö­cke und Besen über Trom­mel und die rie­si­gen, hal­len­den Becken tan­zen lässt, wie er rast­los zwi­schen Per­cus­sions und Drum­set pen­delt – das alles weist ihn deut­lich als fein­sin­ni­gen Klang­tüft­ler aus.

Lyam­bi­ko selbst, ganz unbe­schei­den als „the most beau­tiful voice“ ange­kün­digt, ist ja durch­aus nett anzu­se­hen und anzu­hö­ren. Eine gefäl­li­ge, wohl­tö­nen­de Stim­me, die aber bis jetzt mehr von ihren poten­ti­el­len als den tat­säch­li­chen Qua­li­tä­ten pro­fi­tiert. Denn bei aller Gewandt­heit und Aus­drucks­fä­hig­keit: Inspi­ra­ti­on und Inno­va­ti­on sind ihre Stär­ken nicht. Als Jazz ist die Musik denn auch recht belang­los: Fried­lich mäan­dert das in gewohnt-belang­lo­ser Form vor sich hin. Als Unter­hal­tungs­mu­sik ist es soli­des Kunst­hand­werk – und das ist ja auch schon was.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung)

Seite 7 von 7

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén