Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: moderne

Ins Netz gegangen (7.5.)

Ins Netz gegan­gen am 7.5.:

  • Volks­banken: Meine Bank ist krank | ZEIT ONLINE — heinz-roger dohms hat eine (sehr) kleine und nicht sehr prof­itable genoss­es­nchafts­bank besucht und berichtet von deren stel­lung prob­leme wohltuend unaufgeregt und ohne große lösun­gen …
  • His­torik­er über Erin­nerungskul­tur: „Mar­tin Luther als Spielfig­ur“ — taz.de — der his­torik­er valentin groeb­n­er im gespräch mit jan fed­der­sen über erin­nerung, gedenken und den zusam­men­hang von ver­gan­gen­heit, geschichte und gegen­wart

    His­torische Jubiläen haben ziem­lich viel mit Heils­geschichte zu tun, mit kollek­tiv­en Erlö­sungswün­schen plus Sin­nange­bot.[…] Wie viel Platz für Über­raschen­des kann denn in den kollek­tiv­en Insze­nierun­gen von Gedenken sein? 2017 ist Luther-Jubiläum – dann wird es ähn­lich sein. Ein biss­chen zuge­spitzt for­muliert: Das Ver­hält­nis zur Ver­gan­gen­heit wird über Gebets­ge­mein­schaften organ­isiert.

  • Der 8. Mai 1945 – Tag der Befreiung? | res­o­nanz­bo­den — huber­tus knabe find­et die beze­ich­nung “tag der befreiu­ung” für den 8./9. mai 1945 unpassend und schlägt eine zurück­hal­tendere, bit­terere lesart der erin­nerung an das kriegsende vor

    Die Deutschen tun gut daran, sich von solch­er Mythen­bil­dung fernzuhal­ten. Für sie sollte der 8. Mai vor allem ein Tag der Scham und der Trauer sein. Über 50 Mil­lio­nen Men­schen kamen durch die Poli­tik der dama­li­gen deutschen Regierung ums Leben – eine Last, die zu ein­er dif­feren­zierten und real­is­tis­chen Sicht der Geschichte verpflichtet.

  • Varo­ufakis ben­immt sich echt unmöglich (behaupten anonyme Quellen)… | misik.at — robert misik legt sehr schön dar, wie ungesichert und gefährlich die ange­blichen infor­ma­tio­nen der medi­en aus der poli­tik, ins­beson­dere der brüs­sel­er, sein kön­nen:

    Wenn aber der immer gle­iche Spin aus den offen­bar immer gle­ichen “anony­men” Quellen kommt, dann sollte Ihnen als Leser klar sein, dass hier Jour­nal­is­ten vorsät­zlich instru­men­tal­isiert wer­den, um eine “Sto­ry­line” unter die Leute zu brin­gen.

  • Mak­ing the Right Choic­es: A John Cage Cen­ten­ni­al Cel­e­bra­tion — videos von john-cage-werken — schön gemachte seite von michael tilson thomas & new world sym­pho­ny
  • Plat­ten aus dem Plat­ten­bau — taz.de — andreas hart­mann hat für die taz das kleine, aber sehr feine (vor allem, wenn man auf abge­fahrene musik so abfährt wie ich …) plat­ten­la­bel karl­records ent­deckt

    Karl ist eines dieser vie­len kleinen, aber feinen Labels, die es weltweit gibt und die nach der Krise der Musikin­dus­trie durch die Dig­i­tal­isierung in den nuller Jahren in ein­er Nis­che blühen und gedei­hen — wegen des über­raschen­den Vinyl-Revivals.

    (ich bin aber immer froh, dass die ihre sachen nicht nur auf vinyl, son­dern auch dig­i­tal — bei band­camp — anbi­eten)

  • Die Neuzeit und die Kul­tur der Unruhe: Das Gesumm der men­schlichen Dinge — NZZ.ch — ralf kon­ers­mann über die “ent­deck­ung” der unruhe und ihre beschrei­bung und analyse durch blaise pas­cal

    Das Neue der Neuzeit war die Bejahung der Unruhe, nicht jedoch das Empfind­en der Unruhe selb­st.

  • Dig­i­tale Agen­da der Bun­desregierung — Bös­es Netz — Chris­t­ian Heise vom Cen­tre for Dig­i­tal Cul­tures der Leuphana Uni­ver­sität in Lüneb­urg kom­men­tiert in der süd­deutschen zeitung das totalver­sagen der bun­de­spoli­tik bei dig­i­tal­en und net­zpolit. the­men:

    Die Net­zpoli­tik der schwarz-roten Koali­tion ist ein Witz. Sie ist gekennze­ich­net durch fehlen­den Sachver­stand und eine grundle­gende Abwehrhal­tung gegenüber der Dig­i­tal­isierung. Statt Pri­or­itäten zu deren Aus­bau zu definieren, konzen­tri­ert sich die Bun­desregierung darauf, die Poten­ziale des Dig­i­tal­en zur Kon­trolle und zur Überwachung der Bürg­er zu nutzen.

    — auch der rest ist pointiert, tre­f­fend und sehr lesenswert!

  • Zum Ver­ständ­nis | Postkul­tur — jan kuhlbrodt:

    Ich ver­steh nicht, was mit Ver­ste­hen gemeint sein soll. […] Ver­ste­hen im ästhetis­chen Sinne aber, wäre die Offen­heit der Kunst­werke auszuhal­ten, und ihre Ver­weigerung, sich in einem instru­mentellen Sinn über­set­zen zu lassen, dass heißt, sich erset­zen zu lassen durch Hand­lung oder Aus­sage.

    — ich glaube, dass “wäre” sollte durch ein “ist” erset­zt wer­den …

  • Spi­onage: Der BND, ein gefährlich­er Staat im Staat | ZEIT ONLINE — kai bier­mann sehr pointiert zur neuesten wen­dung im spi­onage-skan­dal (kann man das eigentlich noch so nen­nen?)

    Der Fall zeigt, wie krank das Geschäft der Geheim­di­en­ste ist. Er zeigt, wie ver­schoben deren moralis­che und rechtliche Maßstäbe sind. Sehen­den Auges nahm der BND hin, dass ihn die NSA dazu miss­braucht, Unternehmen, Behör­den und Poli­tik­er in Europa auszus­pähen. Ein Pakt mit dem Teufel, dem zuges­timmt wurde, weil man glaubte, ihn kon­trol­lieren und vor allem davon prof­i­tieren zu kön­nen.
    Aber wenn jed­er jeden betrügt und aus­trickst, wo bleiben dann Recht und Gesetz? Richtig, auf der Strecke. Kein­er der Beteiligten scherte sich darum, nie­mand inter­essierte sich für Grun­drechte der Bürg­er, auch das wurde in den Befra­gun­gen im Unter­suchungsauss­chuss klar. […] Wenn nicht ein­mal die Regierung ihre Spi­one im Griff hat, dann hat nie­mand sie im Griff.

  • Angesichts der von #Lidl proklamierten… — Bäck­erei Richter, Kub­schütz — eine schöne reak­tion eines bäck­er­meis­ters als reak­tion auf die ziem­lich bescheuerte (und die einkaufend­en ver­arschende) wer­bekam­pagne von lidl

Ins Netz gegangen (15.4.)

Ins Netz gegan­gen am 15.4.:

  • Vor­rats­daten­spe­icherung: Du bist verdächtig | ZEIT ONLINE — ach, das ist doch alles so blöd, unsin­nig, ohne ver­stand und gemein — manch­mal möchte man wirk­lich aus­flip­pen. erst insze­niert sich jus­tizmin­is­ter maas als stand­hafter geg­n­er der anlass­losen überwachung namens vor­rats­daten­spe­icherung — jet­zt knickt er doch wieder ein und lässt sich halt einen neuen namen ein­fall­en. zum kotzen, das alles, diese ver­ach­tung der grun­drecht an höch­sten stellen … kai bier­mann hat dazu einen — ich weiß nicht, seinen wie viel­ten — klu­gen kom­men­tar geschrieben

    Und dann bleibt da noch die Hal­tung, die sich in dem Vorhaben zeigt. Das Grundge­setz wurde in dem Wis­sen geschaf­fen, dass die Exeku­tive prinzip­iell über­grif­fig ist, dass sie immer ver­suchen wird, ihre Bürg­er stärk­er zu überwachen. Das Grundge­setz soll die Bürg­er davor schützen, soll den Staat im Zaum hal­ten. Diverse Gerichte haben das angesichts der vie­len, vie­len Überwachungsin­stru­mente, die es längst gibt, immer wieder betont, bekräftigt, daran erin­nert. Überwachung trotz­dem aus­dehnen zu wollen, ist geschichtsvergessen und igno­rant gegenüber der Ver­fas­sung.

  • Er war kein Urvater des Pop — Rolf Dieter Brinkmann zum 75. Geburt­stag : literaturkritik.de — markus fauser erin­nert an rolf dieter brinkmann und seine lit­er­arische prä­gung, die keineswegs — wie immer noch oft angenom­men und behauptet wird — vor allem der pop war:

    Ihm war nicht zu helfen. In seinem kurzen Leben schuf er unter enormem Druck einige größere Werke. […] Seine gesamte Prosa hat­te ohne­hin mit Pop nichts zu tun und nur ein klein­er Teil sein­er Gedichte war davon angeregt. Ger­ade auch die jün­geren Stu­di­en aus der Forschung leg­en darauf Wert. Pop ste­ht nicht nur in der Lit­er­atur bis heute für ein pos­i­tives Weltver­hält­nis, für einen spielerischen Umgang mit der Real­ität und – vielle­icht am wichtig­sten – für das Hin­nehmen von Kon­sum und Kom­merz. Nichts davon passt auf Brinkmann. […] Sein Werk ste­ht vielmehr im Zeichen der nach­holen­den Mod­erne.

  • Konkur­renz zu Ama­zon: Nette Buch­händ­lerin­nen allein reichen nicht — Büch­er — FAZ — ulf erd­mann ziegler über­legt, ob nicht ver­lage, grossis­ten etc. in deutsch­land ein konkur­renz-unternehmen zu ama­zon im bere­ich des buchverkaufs/buchversands aufziehen kön­nten und/oder soll­ten
  • Gün­ter Grass: Oskar Matzerath ist eine ganze Epoche — nora bossong denkt anlässlich des todes von gün­ter grass wohltuend unaufgeregt über die rolle und die möglichkeit­en ein­er schrift­stel­lerin damals und heute nach

    Auch hat sich der Diskurs frag­men­tiert und in ver­schiedene Zuständigkeits­bere­iche aufgeteilt. Hier die Poli­tik, da die Kun­st, sprechen Sie, wenn Sie aufge­fordert wer­den und für den Rest gilt: Ruhe, set­zen. Ein Weisungsmonopol, wie es Grass innehat­te, kann heute kein Intellek­tueller mehr für sich beanspruchen und es scheint auch nicht mehr erwün­scht. Die Frage ist, ob zu viel Stille irgend­wann taub macht.

  • “House of Cards”: Die teuer­ste Seifenop­er der Welt | ZEIT ONLINE — nick­las baschek zeigt die prob­leme von “house of cards” sehr schön auf. mich stört ja daran vor allem: dieses ver­ständ­nis von poli­tik wird größ­ten­teils als real­is­tisch wahrgenom­men — und das hat, befürchte ich, doch mas­sive auswirkun­gen auf unser/das poli­tis­che han­deln in der wirk­lichkeit, die ich nicht gut find­en kann. man muss sich zum ver­gle­ich nur mal die darstel­lung des poli­tis­chen han­delns in “the west wing” anschauen, um zu sehen, wie zer­störerisch das net­flix-bild ist (und wie sehr sich das “durch­schnit­tliche” bild von poli­tik offen­bar in den let­zten jahren gewan­delt hat) …
  • Medi­en Inter­net: Die Okku­pa­tion der Pri­vat­sphäre | Kul­tur — Frank­furter Rund­schau -

    Wir gefährden die Demokratie, wenn wir die Gren­zen zwis­chen öffentlich und pri­vat aufheben, sei es mutwillig oder nach­läs­sig.

    sehr schönes gespräch mit har­ald welz­er über pri­vatheit, den nutzen und die gefahren von inno­va­tio­nen, auch dig­i­tal­en tech­niken, und die möglichkeit­en, sich dem ent­ge­gen­zustellen, das zu ändern …

  • Diese miese Krise — Nachricht­en Print — DIE WELT — Kein Geld, keine Würde. Eine griechis­che Fort­set­zungs­geschichte – mar­lene streeruwitz als nelia fehn schreibt die geschichte von “Die Reise ein­er jun­gen Anar­chistin nach Griechen­land” in einem recht selt­samen text fort
  • Wolf Won­dratschek: Best­seller, Auflage: 1 — Büch­er — FAZ — sehr selt­samer text von volk­er wei­der­mann über den meines eracht­ens ten­den­ziell über­be­w­erteten wolf won­dratschek. und das war mal ein lit­er­aturkri­tik­er! hier ist alles nur eine einzige jubelei. irgend ein his­torisch­er kon­text fehlt völ­lig: dass kun­st mäzene hat, die unter umstän­den die einzi­gen sind, die das werk ken­nen dürfen/können, ist ja nun wirk­lich nicht neu. inter­es­sant auch, wie kri­tik­los er den “mäzen” won­dratscheks porträtiert, der aus­drück­lich nicht kun­st, son­dern “den men­schen” kauft — alles sehr selt­sam. aber was soll man von einem lit­er­aturkri­tik­er hal­ten, der solche sätze schreibt: “Was für ein her­rlich­er Moment für einen Kri­tik­er: Ein Buch, das er nicht lesen kann, wird ihm vom Dichter selb­st erzählt.” — das ist ja mal wieder typ­isch: da bleibt doch nur der inhalt — aber die form, die das erst zur kun­st macht, ist doch da nicht mehr vorhan­den!

Ins Netz gegangen (17.2.)

Ins Netz gegan­gen am 17.2.:

  • Was man als klein­er Ver­lag so alles mit dem Buch­han­del erlebt | Seit­en­flügel — ein (sehr) klein­er ver­lag über seine erfahrun­gen mit dem hohen “kul­turgut” des deutschen buch­han­dels (und ama­zon zum ver­gle­ich):

    Viele kleine Buch­händler haben keineswegs erkennbar mehr Ver­ständ­nis für kleine Ver­lage. Sie wet­tern zwar her­zlich gern gegen Konz­erne und Monop­o­lis­ten, aber wenn man mit ihnen zu tun hat, ist ihr geschäftlich­er Ego­is­mus oft keinen Deut geringer als bei den Großun­ternehmen.

  • The­ologe Friedrich Wil­helm Graf — “Wir haben Reli­gion notorisch unter­schätzt” — graf, wie meis­tens sehr ver­ständig und klug, in einem sehr lesen-/hörenswerten inter­view mit deutsch­landra­dio über reli­gio­nen, mod­erne und ihre bedeu­tung:

    Ich weiß nicht, warum Beliebigkeit so etwas Schlimmes oder Schlecht­es sein soll. Wir müssen ein­fach mit der Tat­sache klarkom­men und dies akzep­tieren ler­nen, dass in den entschei­den­den Fra­gen unseres Lebens jed­er für sich selb­st oder jede für sich selb­st ver­ant­wortlich ist.

  • René Jacobs: “Ich beste­he auf meinem Recht, kreativ zu sein” — The­ater an der Wien — derStandard.at › Kul­tur — rené jacobs über seine arbeit, den “bar­bi­ere” von gio­van­ni paisiel­lo heute aufzuführen und dem kom­pon­is­ten gerecht zu wer­den:

    Es ist natür­lich gut, wenn man weiß, was ein Auto­graf enthält. Aber Oper war immer ein Work in Progress. Und ich beste­he auf meinem Recht, auch kreativ sein zu dür­fen.

  • Equa­tion Group: Spi­onage­soft­ware der Superla­tive ent­deckt | ZEIT ONLINE — es ist kaum zu glauben: aber es geht immer noch etwas grausiger, wenn nsa & co. im spiel sind

    Sie ver­steckt sich unlöschbar auf Fest­plat­ten und spi­oniert hochrangige Ziele aus: Antiviren­spezial­is­ten ent­deck­en extrem aus­ge­feilte Mal­ware mit Par­al­le­len zu Stuxnet.

  • SZ-Leaks: Schle­ich­wer­bung für Steuer­hin­terziehung | klar und deut­lich -

    Off­shore-Leaks, Lux-Leaks und jet­zt Swiss-Leaks: Die Süd­deutsche Zeitung ist das Stur­mgeschütz des Finan­zamts. Die Redak­tion veröf­fentlicht regelmäßig Infor­ma­tio­nen aus inter­nen Bankun­ter­la­gen, an die sie durch Whistle­blow­er kommt. Was die Zeitung nie erwäh­nt: Dass sie selb­st ihre Leser auf die Steuer­hin­terziehung im Aus­land hingewiesen hat und sich dafür von den Banken bezahlen ließ. Ich war damals in der Redak­tion dafür zuständig. Es war das Jahr 2007, es war mein erster Job nach d…

  • Sam Tay­lor-John­sons „50 Shades of Grey“ in der Kri­tik — ha! (diet­mar dath war im kino):

    Dass freilich das sex­uell Anre­gend­ste an einem Sado­ma­so-Film von 2015 die Kun­st eines seit siebzehn Jahren toten Mafia-Unter­hal­ters ist, spricht Bände über die Tal­sohle der enthemmt-verklemmten Dauer­lust­sim­u­la­tion, in der sich die Massenkul­tur derzeit täglich laut­stark ver­sichert, dass heute ja zum Glück so gut wie nichts mehr ver­boten ist.

  • Klaus Theweleit: “2000 Light Years from Home” (Vor­trag zur Popgeschichte) -

    Vor­trag von Klaus Theweleit unter dem Titel “So tun als gäbe es kein Mor­gen oder: 2000 Light Years from Home”,gehalten am 3. Novem­ber 2011

    — eine art popgeschichte

  • Die Ober­schenkel der Nation | Blog Mag­a­zin — michèle bin­swanger über sportre­porter, frauen­sport und sex­is­mus

    Man kann dem Sportre­porter wohl kaum einen Vor­wurf machen. Schliesslich beste­ht die Haup­tqual­i­fika­tion für diesen Beruf vornehm­lich darin, schwitzende Men­schen danach zu fra­gen, wie sie sich jet­zt fühlen.

  • Inter­view mit Opern-Gram­my-Gewin­ner Burkhard Schmil­gun — das (eher kleine) osnabrück­er label hat einen gram­my gewon­nen — für die ein­spielung ein­er weit­ge­hend vergesse­nen char­p­en­tier-oper:

    Nie­mand hat uns Bescheid gesagt. Auch der Diri­gent und der Kün­stler nicht, die die Ausze­ich­nung offen­bar in klein­er Gruppe in Los Ange­les ent­ge­gen genom­men haben.

  • Die Inte­gra­tion läuft deut­lich bess­er als ver­mutet — Süddeutsche.de — felix stephan in der sz:

    Inte­gra­tion wird immer noch dann als gescheit­ert betra­chtet, wenn am Ende etwas anderes als ein zweites Mün­ster her­auskommt.[…] In den mod­er­nen Metropolen gebe es eigentlich nur eine Gruppe, die sich eine eth­nis­che Seg­re­ga­tion leis­ten könne, so El-Mafaalani: die Wohlhaben­den.

  • Fast­nacht in Mainz: Frauen sind auf den när­rischen Büh­nen Man­gel­ware — Vere­ine wagen sich an Erk­lärungsver­suche — All­ge­meine Zeitung — die mainz­er az über die rolle der frauen in der mainz­er fast­nacht — und die zähigkeit, mit der sie sich im sch­neck­en­tem­po ändert:

    Nach­dem der MCC seine Komi­tee­terin präsen­tiert habe, seien die Frauen eines anderen großen Vere­ins auf die Bar­rikaden gegan­gen, da diese dort auch im Komi­tee sitzen woll­ten. „Woraufhin uns die Män­ner dieses Vere­ins verärg­ert gefragt haben, wie wir damit nur anfan­gen kon­nten“, berichtet er.

    (gibt noch mehr schöne beispiele für sex­is­mus im text .…

  • Open Access? Veröf­fentlichen unter Auss­chluss der Öffentlichkeit — Taschw­er forscht nach — derStandard.at -

    So wird open access zum finan­cial excess: Um sich als Autor ein­er Buchbe­sprechung für eine Fachzeitschrift das Recht zu erwirken, die Rezen­sion online stellen zu dür­fen, ver­langt Wiley-VCH schlanke 2500 Euro vom Rezensen­ten.

Ins Netz gegangen (18.2.)

Ins Netz gegan­gen am 18.2.:

  • Chris Board­man: “Hel­mets not even in top 10 of things that keep cycling safe” | road.cc — Chris Board­man berät die britis­che Regierung in Sachen Fahrrad­verkehr. Und er ver­tritt die Posi­tion: Helme brin­gen wenig. Die Dat­en leg­en näm­lich nahe, dass nicht so sehr Helme vor Ver­let­zun­gen schützen, son­dern vor allem Infra­struk­tur.
    Board­man “likened the cul­ture of hel­met use among keen cyclists to peo­ple wear­ing body armour because they have got used to being shot at.”
  • Fotografie: Krieg ist fotografisch nicht darstell­bar | Kul­tur — Berlin­er Zeitung — Ger­hard Paul ver­tritt im Inter­view die These, dass (mod­erne) Kriege fotografisch nicht abzu­bilden sind:

    …, dass der Krieg das Unmod­el­lier­bare schlechthin ist. Er ist viel zu kom­plex, um ihn durch Fotografie oder Film sicht­bar zu machen. Der mod­erne Krieg ist raum­greifend. Er ist mit fotografis­chen oder filmis­chen Mit­teln nicht darstell­bar.

    Aber da es natür­lich trotz­dem Bilder (und Filme) von Kriegen gibt, gilt immer­hin:

    Jed­er Krieg hat seine eigene ästhetis­che Ken­nung und seine eige­nen Bilder.

  • kul­tur & geschlecht — Das online­jour­nal kul­tur & geschlecht ist ein trans­diszi­plinäres Forum für Nach­wuchs-wis­senschaftler/in­nen der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum, die zu Geschlechter­fra­gen und ihren Kon­tex­ten forschen. Es wird am Lehrstuhl für Medi­enöf­fentlichkeit und Medi­en­ak­teure mit beson­der­er Berück­sich­ti­gung von Gen­der des Insti­tuts für Medi­en­wis­senschaft der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum von Astrid Deu­ber-Mankowsky und Anja Michaelsen her­aus­gegeben, gefördert von der Fakultät für Philolo­gie und dem Rek­torat der RUB.

    Ziel ist, Pro­jek­te, umfassendere Hausar­beit­en, Bach­e­lor- und Mas­ter­ar­beit­en, Tagun­gen und Work­shops, mit inno­v­a­tiv­en Ansätzen und Fragestel­lun­gen der Geschlechter­forschung ein­er größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Schw­er­punkt liegt auf aktuellen kul­tur-wis­senschaftlichen Gen­der Stud­ies. Dabei ist uns beson­ders wichtig, über ‚klas­sis­che’ The­men und Zugänge hin­aus­ge­hend Bezüge herzustellen. Dadurch hof­fen wir, rela­tionale Beziehun­gen sicht­bar zu machen, und um eine Per­spek­tive, die den Gen­der Stud­ies von Beginn an eigen ist: dass Geschlech­ter­dif­ferenz nicht als isoliertes Phänomen zu begreifen ist, son­dern nur durch umfassendes, trans­diszi­plinäres Befra­gen kom­plex­er kul­tureller Prozesse.

  • Sin­gen auf dem Rad­weg « Velophil — huch:

    An drei Stellen in Ams­ter­damer Parks hängte sie Schilder mit der Auf­schrift “Zang­fi­etspad” auf, was so viel heißt wie Gesangsrad­weg. Zudem war auf dem Schild ein sin­gen­der Rad­fahrer abge­bildet, und unter ihm stand die Auf­forderung: Hier kön­nen Sie offiziell auf dem Rad sin­gen.

  • Georg Diez über Homo­pho­bie — SPIEGEL ONLINE — Georg Diez in sein­er Spiegel-Kolumne:

    Man kann die Räder ja kaum noch zählen, die da alle zurückge­dreht wer­den sollen, mit solch biol­o­gis­tis­chem, fun­da­men­tal­is­tis­chem, bedrück­en­dem Unsinn — und das Trüb­sin­nig­ste daran ist, dass das alles im halb­sei­de­nen Gewand eines Kon­ser­vatismus geschieht, der seine eigene Über­lebtheit mit der Vertei­di­gung von ange­blich christlichen Werten cam­ou­fliert.

Tanzende Klänge

Diri­gen­ten erken­nt man an zwei Din­gen: Ihrem Umgang mit dem Klang und ihren Bewe­gungsmustern. Und meis­tens hängt das eng zusam­men. Aber sel­ten wird das so wun­der­bar hör- und sicht­bar wie bei Jonathan Nott. Der kam mit dem SWR-Sin­fonieorch­ester Baden-Baden und Freiburg als Gast zum let­zen Mainz­er Meis­terkonz­ert der Sai­son in die Rhein­gold­halle. Und was der Brite da vor­führte, war grandios: Der Diri­gent tanzt die Musik, er malt und zeich­net mit den Hän­den und Armen, zele­bri­ert und empfind­et mit dem ganzen Kör­p­er. Beethovens vierte Sin­fonie dirigiert Nott in ein­er der­ar­ti­gen Deut­lichkeit, dass man fast die Par­ti­tur danach rekon­stru­ieren kön­nte. Kein Wun­der, dass das Orch­ester entsprechend plas­tisch und beseelt spielt: Sel­ten hat die Vierte eine der­ar­tige Präsenz erfahren, sel­ten ist sie aber auch als solch rev­o­lu­tionäre Musik zu hören. Denn Nott begreift Beethoven über­haupt nicht als Klas­sik­er, son­dern immer als Neuer­er und Erfind­er. Das Pathetis­che inter­essiert ihn dabei wenig, die feingeisti­gen Klangede­tails und for­malen Beson­der­heit­en aber dafür umso mehr. Er dehnt etwa die Ein­leitung des ersten Satzes bis ins unheim­liche – und diese Ahnung des Ungewis­sen ver­liert seine Inter­pre­ta­tion dann auch in den knack­ig­sten Momenten nicht mehr.

Auch das dritte Klavierkonz­ert zeich­nete diesen Weg vor. Gemein­sam mit dem Pianis­ten Till Fell­ner zeigt das Orch­ester unter Nott mit faszinieren­der Deut­lichkeit im Detail, wie mod­ern Beethoven gele­sen wer­den kann. Sich­er, die Wiener Tra­di­tion klingt immer noch mit, ein zart-schmelzen­des Wiener­isch umwe­ht den samti­gen Klang. Aber wie Fell­ner dann den Anfang des zweit­en Satzes als ver­wun­sch­ene Märchen­stim­mung spielt, zeigt wieder, dass dies nur noch eine ferne Erin­nerung ist. Inter­es­san­ter ist für Nott und Fell­ner offen­sichtlich die Ahnung der Mod­erne, die sie in der Par­ti­tur schon ent­deck­en, die rev­o­lu­tionäre Seite des Klas­sik­ers Beethoven. Das SWR-Sin­fonieorch­ester lässt sich dabei dur­chaus auch als Beethoven-Orch­ester hören – zumin­d­est für einen Beethoven, der so mod­ern ist. Das liegt auch am Kon­text, den Nott schafft: Den ver­meintlichen Klas­sik­er Beethoven ergänzt er mit zwei Klas­sik­ern der Mod­erne, mit Alban Bergs „Lyrisch­er Suite“ von 1928 und den 1971 kom­ponierten „Melo­di­en für Orch­ester“ von Györ­gy Ligeti. Prob­lem­los wan­dert das Orch­ester zwis­chen den Epochen und Stilen hin und her: Genau­so faszinierend wie Beethovens Vierte gelin­gen auch die Lyrische Suite von Alban Berg und vor allem die „Melo­di­en“ von Ligeti. Das Orch­ester spielt die wun­der­bar gelassen, in ein­er präzisen Klarheit und Kon­turi­ertheit, die man sich öfters wün­scht: Wie ein rein­er Gebirgs­bach sprudeln und wirbeln die Klänge, deren Unter­grund und Struk­tur dabei immer kristal­lk­lar und trans­par­ent her­vorstrahlt — die Klänge tanzen, genau wie ihr Diri­gent.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

orff, bartók und gershwin glücklich vereint

Béla Bartók, George Gersh­win und Carl Orff haben wenig gemein. Und doch passen sie alle in das Konz­ert des Bach­chores in der Chris­tuskirche. Denn kleine Übere­in­stim­mungen find­en sich doch. Zum Beispiel, um ganz prag­ma­tisch anz­u­fan­gen, es gibt von jedem Musik für zwei Klaviere – wenn man schon zwei hochk­las­sige Pianis­ten wie die Brüder Para­tore zur Ver­fü­gung hat, muss man das ja auch nutzen. Und sie kom­ponierten (fast) zur gle­ichen Zeit: Gersh­wins „Rhap­sody in Blue“ war 1924 erst­mals zu hören, Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug im Jan­u­ar 1938 und Orffs „Carmi­na burana“ ent­stand ab 1934. Das hört man ihnen aber kaum an, denn trotz der zeitlichen Nähe bleibt diese Trias grund­ver­schieden.

Bartóks Sonate zum Beispiel ist ein eher sprödes, auch nur sel­ten aufge­führtes Werk. Und eigentlich klingt es auch nicht so harm­los, wie hier in der Chris­tuskirche. Da trägt der Raum große Mitschuld, der vieles weichze­ich­net und ver­schwim­men lässt. Antho­ny und Joseph Para­tore ver­suchen zwar, durch knack­ige Pointierun­gen dem etwas ent­ge­gen­zuset­zen. Aber so richtig weit kom­men sie damit nicht. So bleibt die Sonate mit der ungewöhn­lichen Beset­zung für zwei Klaviere und zwei Schlag­w­erk­er (die aus dem Ensem­ble Babette Haag kamen) für dieses Mal fast eine ver­wun­sch­ene Feen­musik, deren weich fließende, stel­len­weise sog­ar ins rauschhaft taumel­nde Klang­wel­ten aber dur­chaus auch bedrohlichere Szenar­ien her­beiza­ubert. Doch noch bleibt alles Rohe und Wilde in sicher­er Dis­tanz und fest eingezäunt.

Gersh­wins Musik ken­nt solche Gefahren nicht. Rou­tiniert arbeit­en sich die Pianis­ten mit jahrzehn­te­langer Erfahrung durch die Rhap­sody in Blue. Das Schlag­w­erk bleibt hier aber eher ras­sel­nder und schep­pern­der Fremd­kör­p­er, was dem Zauber aber nicht weit­er schadet.

Dafür dür­fen die Per­cus­sion­is­ten danach noch ein­mal alles geben: Die „Carmi­na burana“, die der Bach­chor in der vom Orff-Schüler Wil­helm Kill­may­er ange­fer­tigten Fas­sung für zwei Klavier und Schlag­w­erk präsen­tierte, bietet ja nicht nur dem Chor reich­lich Möglichkeit­en zum Bril­lieren. Dem aber unged­ingt auch – und der Bach­chor nutzt die wie immer ganz selb­stver­ständlich. Unter Ralf Ottos beseel­ter Leitung ergibt sich organ­isch eines aus dem anderen, laufen Chorsätze naht­los in Soli und umgekehrt, verbinden sich Humoreske und Folk­lore, Liebesleid und Freuden­taumel zu ein­er mächti­gen, klange­walti­gen Ein­heit. Beson­ders ausze­ich­nend dabei: Die uner­schüt­tliche Präzi­sion – nicht nur tech­nisch, son­dern auch klan­glich und emo­tion­al tre­f­fen Otto und seine Sänger immer genau auf den Punkt. Auch die Solis­ten passen gut dazu: Daniel Sans gefällt mit beherrschter Sicher­heit, der komö­di­antisch begabte Klaus Häger mit seinem unkom­pliziertem Bass und die Sopranistin Valenti­na Far­cas fügt sich mit selb­st in großer Höhe klar­er Stimme wun­der­bar ins Gesamt­bild. Kein Wun­der, dass die ausverkaufte Chris­tuskirche rest­los begeis­tert ist.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

erste lesedrücke von den bieresch

soviel gle­ich vor­weg: das (näm­lich klaus hof­fers bei den bieresch) ist ein selt­sames, befremdlich­es buch.

es ent­fal­tet eine völ­lig andere welt — und doch auch wieder nicht. bieresch ist selt­sames völkchen — schon die namen! alle sind sie mehrfach benan­nt, alle extrem mit bedeu­tung aufge­laden (aber auch wieder nicht, sie kön­nen sie ver­lieren, ändern, neue bekom­men …), je nach sit­u­a­tion und hier­ar­chie und stel­lung von adres­sat und adressier­er wech­seln sie immer wieder … die bräuche sind auch selt­sam, irgend­wie unge­nau, unscharf, nicht zu begreifen — aber: besuch­er ist nicht zum ersten mal dort, er war als kind dur­chaus in dieser gegend, unter diesen leuten — scheint aber kaum/keine erin­nerun­gen (mehr) daran zu haben

diese völ­lige frem­dar­tigkeit, diese ganz eigene welt (die allerd­ings dur­chaus — ncith nur auf metapho­risch­er ebene! — berührungspunk­te mit dem, was wir „wirk­lichkeit” zu nen­nen gewohnt sind, hat) ist zwar ein umstand, der die lek­türe sehr schw­er macht. aber auch faszinierend. und der dieses buch so wohltuend unter­schei­det von dem aller­meis­ten, was heutzu­tage als lit­er­atur pro­duziert wird — die sich in viel zu vie­len fällen darauf beschränkt, die ober­fläche der real­ität zu erzählen, also bloß wiederzugeben. von daher — dies so ganz neben­bei — sehe ich das esra-urteil des bun­desver­fas­sungs­gericht­es auch nicht als so große gefahr für die kun­st an: sich­er bin ich für eine größt­mögliche frei­heit der kun­st, über­haupt keine frage. aber ich wun­dere und frage mich dann doch oft, warum es vie­len autoren so schw­er fällt, sich von den tasäch­lichen begeben­heit­en ihres lebens zu lösen (inwieweit das alles auf max bil­ers esra zutrifft oder nicht, kann ich natür­lich gar nicht beurteilen, weil ich wed­er das buch noch die wirk­lichkeit kenne). was ich damit aber eigentlich sagen will: der kun­st sollte es — auch wenn sie die nähe zur wirk­lichkeit sucht — möglich sein, dies so zu tun, dass per­sön­lichkeit­srechte nicht ver­let­zt wer­den. auch im medi­um der sprache, dass für solche gren­züber­schre­itun­gen natür­lich wiederum das prädes­tinierteste über­haupt ist. aber das ist schon wieder ein anderes prob­lem, das große teile der heute pro­duzierten texte bet­rifft: dass sie keine eigene (kunst-)sprache haben (auch gar nicht erstreben), keinen stil, son­dern sich mit dem all­t­agswerkzeug der kom­mu­nika­tion schon zufrieden geben. das tut klaus hof­fer hier sicher­lich nicht.

hofmannsthal gemalt

ulrich weinzierl behauptet, „skizzen” zum „bild” hugo von hof­mannsthal geschrieben zu haben. meine überzeu­gung nach der lek­türe: das sind nur stu­di­en zum hin­ter­grund des porträts. und ein bild ohne seinen gegen­stand ist ziem­lich lang­weilig. dazu passt, dass er aus hof­mannsthal einen schrift­steller ohne werk macht. lit­er­arisches kommt in diesem rundgang durch hof­mannsthals epis­tolo­graphis­ches werk näm­lich so gut wie gar nicht vor.

dafür hat weinzierl alles an briefen und zeug­nis­sen gele­sen, was es zu hof­mannsthal gibt, und auch ganz fleißig exz­er­piert. und dann hat er seinen zettelka­s­ten abgeschrieben. beze­ich­nend für diese arbeitsweise ist das fre­unde-kapi­tel, zugle­ich der haupt­teil der nicht ger­ade umfan­gre­ichen studie: dort erfährt man im end­ef­fekt mehr über die fre­unde als über den eigentlichen gegen­stand, hugo von hof­mannsthal. so entste­hen knapp 230 seit­en, dafür aber fast 1000 fußnoten, die auss­chließlich zitat­nach­weise bieten (mit aus­nahme ein­er quelle hat der autor näm­lich alles in die end­noten gepackt).

das wesentliche fehlt aber. hof­mannsthal bleibt blass: kein men­sch wird hier beschrieben, keine per­son — nur äußerun­gen wer­den referiert. noch nicht ein­mal einen min­i­malen biographis­chen abriss leis­tet sich weinzierl — für wen ist das buch denn dann eigentlich gedacht? denn sein­er ansicht nach gibt es ja über­haupt gar keine taugliche biogra­phie des autors. auch wed­er die epoche wird einge­hend charak­ter­isiert noch der men­sch. gut, in bezug auf die epoche gibt es immer­hin ansätze — was das gesellschaftliche leben ange­ht vor allem, in hin­blick auf poli­tis­che oder gar kul­turelle zusam­men­hänge gibt sich weinzierl bedeckt.

die forschung bleibt immer anonym, mit for­mulierun­gen wie „neueste forschun­gen” mogelt sich weinzierl da durch. andere biogra­phien oder deren ver­suche hat er kaum zur ken­nt­nis genom­men bzw. kaum ver­w­ertet. zumin­d­est spiegelt der text kein­er­lei auseinan­der­set­zung wider. seine eige­nen urteile erscheinen mir — der ich kein experte auf diesem gebi­et bin — dann immer etwas freis­chwebend, sozusagen feuil­leton­is­tisch: pointiert bis ins extrem, aber ohne wirk­lich sach­haltige nach­weise oder belege. dafür mok­iert sich weinzierl aus­ge­sprochen gern über jeden einzel­nen schreibfehler in den briefen, beson­ders wenn er den absender in seinem ver­hält­nis zu hof­mannsthal sowieso neg­a­tiv zeich­nen will.

selt­sam und befremdlich fand ich auch seine marotte, zwis­chen homophilie, homo­erotik und homo­sex­u­al­ität beliebig hin- und herzuwech­seln — je nach bedarf. eigentlich erscheint mir ja schon die gern gebrauchte wen­dung der homo­erotik als halbe korinthenkack­erei und augen­wis­cherei, wird sie doch in der regel — ins­beson­dere bei thomas mann — gebraucht, um eine nicht prak­tizierte, nicht offen und umfassend aus­gelebte homo­sex­u­al­ität zu beschreiben. das mag ja noch ange­hen, aber dann noch eine homophilie — die, wenn ich das richtig sehe, vor allem eine jugendliche schwärmerei sein soll — zu kon­stru­ieren, ist doch irgend­wie lächer­lich: entwed­er geht es um eine (sex­uelle) ori­en­tierung oder um fre­und­schaft.

ins­ge­samt hin­ter­lässt mich weinzierl zutief­st unbe­friedigt: die rät­sel­haftigkeit, das sprung­hafte wesen hof­mannsthal, wie es sich ger­ade in der Pflege (oder Zer­störung) sein­er Fre­und­schaft zeigt, den zahlre­ichen brüskierun­gen eben­so wie den fle­hen­den bit­ten um verge­bung, lassen weinzierl (und damit seine leser auch) aus­ge­sprochen rat­los zurück. viel mehr als bloßes referieren leis­tet er da, wo es um das eigentlich der biogra­phie, die erforschung des charak­ters, gehen sollte, nicht. dafür zieht er sich, je weit­er er im text fortschre­it­et, immer mehr auf ein äußerst sim­plizis­tis­ches erk­lärungsmod­ell zurück: hof­mannsthal war halt ein genie und hat entsprechend unerk­lär­lich gehan­delt. das gipfelt dann in solch absur­den und idi­o­tis­chen sätzen wie diesem: „hat hugo von hof­mannsthal seine frau seel­isch mißhan­delt? keineswegs mehr, als jedes andere genie das eben tut.” (210) mehr braucht man dazu wirk­lich nicht sagen.

ulrich weinzierl: hof­mannsthal. skizzen zu seinem bild. darm­stadt: wis­senschaftliche buchge­sellschaft 2006 (wien: zsol­nay 2005).

kugelblitze sausen quer durch die lüfte und mittenhinein in mein literarisches nervenzentrum

noch eine frucht des woch­enen­des: endlich habe ich ulrike draes­ners let­zten gedicht­band mit dem titel kugel­blitz (münchen: luchter­hand 2005) gele­sen – er lag ja schon eine weile bere­it und hat auch schon zwei anläufe hin­ter sich gehabt, die allerd­ings bei­de ins leere liefen. auch dieses mal reichte die begeis­terung nicht für den ganzen band, der in drei große abschnitte (mit vor­spiel und nach­spiel) unterteilt ist: „(lieben)“, „(kriege)“ und „(später)“. fasziniert hat mich vor allem der erste teil, im zweit­en abschnitt fand ich viel mehr rou­tine und langeweile für den leser, der dritte teil zeigt aber dann wieder stark nach oben.

das ist wirk­lich zeit­genös­sis­che, mod­erne (oder schon zweite mod­erne?) lyrik. wesentlich­es, immer wieder auf­tauchen­des moment ist die erfahrung der natur beziehungsweise die prob­leme mit der erfahrbarkeit von natur, mit dem kon­takt zwis­chen men­sch und natur, v.a. die unfähigkeit des ver­ste­hens ihrer zeichen und die unerk­lär­lichkeit ihrer vorgänge: „nie / sagte jemand / ein begre­fil­ich­es / wort dazu“ (9). eben­so wiederkehrend: die gemachtheit der natur­erfahrung. dazu passen die dun­klen ver­gle­iche natur – technik/zivilisation, wie sie in der „enten­brust“ der straßen­bahn auf­taucht. und fol­gerichtig heißt ein gedicht dann auch „novo e raro mira­col di natu­ra“.

natur ist dabei (natür­lich [!]) nie ein­fach nur noch natur, son­dern erst in abgren­zung vom men­schen zur natur gewor­den. dabei wird sie aber ger­ade in ihrer zwit­ter­stel­lung inter­es­sant: natur scheint hier als das andere auf, das große gegenüber – aber (zumin­d­est schein­bar) befind­et es sich auch als solch­es wenig­stens teil­weise in der ver­fü­gungs­ge­walt des men­schen – die elek­triz­ität ist, beim titel des buch­es nicht ver­wun­der­lich, ein gern genutztes bild dafür: „hüh­n­er säu­bern ihr ei während du dir bere­its / einen ihrer schenkel in den mund“ (16, novo e raro micaol di natu­ra)

das vor­drin­gen der (noch unge­bändigten) natur in den zivil­i­sa­tion­sraum, das hoheits­ge­bi­et des men­schen als ver­nun­ft­be­gabtem tier – dafür ste­ht natür­lich schon das titel­gebende bild des kugel­blitzes: als blitz ist er zwar ein ele­mentares und vol­lkom­men unmit­tel­bares natur­ereig­nis. aber er ist es nicht in nor­maler erschei­n­ung, son­dern qua­si geformt, in behaupteter (näm­lich vom men­schen) kugel-form, also ein­er geometrisch „per­fek­ten“ form, d.h. der blitz wird zu ein­er rein nach ver­nun­ft­grün­den geformten erschei­n­ung (gedeutet). nicht nur natur wird zur zivil­i­sa­tion, son­dern auch und vor allem geschieht der trans­for­ma­tionsvor­gang in ent­ge­genge­set­zter rich­tung, vom men­schen in die natur. aber das führt zu rei­bun­gen, zu zusam­men­stößen: die natur bleibt eben auch dann noch, wenn men­schen sie nach eige­nen „ideen“ for­men wollen, „ver­schlossen“, dunkel und unver­ständlich: “ er dachte auf ihn. / so ver­ste­hen wir ‚natur‘. ist toll­wut / wenn ein­er sich wehrt? ach, es bud­delt / nach zufall, pfeift auf gedächt­nis, mis­cht.“ (77)

dazu wird dann vor draes­ner als kun­stvoll erdachter und aus­ge­führter kon­tra­punkt das dial­o­gis­che moment der gedichte (in der ersten und der drit­ten per­son, im indika­tiv und kon­junk­tiv), die anrede des „du“ einge­führt: der ver­such, die liebe zu beschreiben, zu kon­sta­tieren, zu behaupten und selb­stver­ständlich auch wieder zu for­men – samt den notwendig damti ein­herge­hen­den zweifeln. der erste große teil des buch­es heißt nicht umson­st „(liebe)“. und später heißt es ein­mal: „falls dies stimmt // wird auch das paar eine ver­mu­tung sein“ (22). die liebe, also die verbindung von ich und du zum wir, ste­ht dabei genau wie schon das sub­jekt für sich, immer in frage, ist nicht mehr ohne weit­eres als gelin­gende vorauszuset­zen: „das röhrchen der liebe (ver­loren)“ (28), „sicher­er auch // du?“ (30)

das ganze geschieht eigentlich immer in sehr geziel­tem auf­bau und mehrdeutigkeit­en: über­lap­pende sätze ohne gliederungsze­ichen, per­fek­tion des enjambe­ments, sein­er mehrdeutigkeit im syn­tak­tis­chen sinn sind mit­tel, die draes­ner per­fek­tion­iert hat. dazu passt auch der hohe grad an reflekiertheit – nie etwas unbe­dacht­es, kein wort, über das nicht nachgedacht wurde – genau das, was lyrik eben aus­machen (sollte). das wiederum entspricht der unmöglichkeit der unmit­tel­baren erfahrung, von der eigentlich auch jedes gedicht berichtet – das wahre träu­men: „sie dachte wie solch ein tier wohl schläft mit dem blu­men­topfrück­en / und sah mit braunem zuck­er bestreut all das vertäumte trara / (ange­blich des traums) aber sofort war er wach (die ohren) sofort // fiel er wieder um wie ein kind – wie es weint – alle / gefüh­le also seien erlernt“ (19). schuld an dieser grundle­gen­den ent­frem­dung des men­schen von sein­er umge­bung und sein­er selb­st ist z.b. die „nähe von maschi­nen“ (19, so heißt das gedicht)

wie es sich für echt mod­erne lyrik gehört (und das vergessen ja viele autoren und andere lei­der immer wieder) wird außer­dem auch die generelle prob­lematik des sub­jek­tes, sein­er iden­tität und die der ander­er men­schen (als adres­sat­en – der sprache, der lyrik, der liebe) the­ma­tisiert. „dies löchrige tuch ich spreche // dich // durch es. wenn ich sage ‚du‘. wenn / cih sage ‚ich wollte …‘ ‚ich …‘ ein / kinder­gesicht. oh ges­per­rt! löchriger // busch: so sprech ich dich wenn. / ich sage: du, eben, lüstern“ an ander­er stelle heißt es dann: „du bist. doch wo? / […] du bist nicht / wo nicht wen, du / gehst, der wald ste­ht still. / […] / […] ein / schat­ten ruft. was altes / weiß von dir. die kehle / streckt sich schon. der / wolf liebt seinen satz. / das rudel ruft.“ (81, vor gram­matik). und damit wird auch der näch­ste große the­menkom­plex dieser lyrik deut­lich: außer­dem in frage gestellt wer­den die worte in all­ge­meinen. genauer gesagt, wird auch hier nur die grundle­gende erfahrung der mod­erne, das alles in frage ste­ht, nur noch bekräftigt, aufgenom­men und ver­ar­beit­et. beson­ders gilt dies natür­lich für die verbindung wort – ding: „das eich­hörnchen drehte / die nuss eifrig wie wir das wort ‚nuss‘ / im gehirn“ (23). auch ein titel greift das auf: „tauch­er, rade­brech / (vom vier­fachen sinn der schrift)“ (82). die verge­gen­wär­ti­gung der schiller­schen bal­lade geht dann unge­fähr so: „anzüge mit füßen hin­gen / am gelän­der, im trock­n­er / hin­gen köpfe // je weit­er ein boot ent­fer­nt ist / umso tiefer nach unten muss man / um es zu hören // mit dem andrang der schwärze / gegen die maske vorm gesicht. // ertrinken.verstehen“ (82) – das ist natür­lich die tragik über­haupt: erst ertrinken, dann ver­ste­hen … die bei­den let­zten gedichte führen das noch ein­mal alles zusam­men. da heißt es dann „sehn­sucht rief mich / hast du ner­ven / gern komme ich gern / bin dein­er stimme ich / gefol­gt / immer so blu­men / blitzend, ver­wirrt (84), während die let­zten zeilen, das post­skrip­tum (außer­halb der drei großen teile) die schrift­form schon nahezu voll­ständig ver­loren ist und nur noch sprache ist – in lautschrift notiert, auf englisch – wenn ich das richtig entz­if­fert habe, ste­ht da: „you too / loved you / was invent­ed“

der zweite teil, „(kriege)“, blieb mir zumin­d­est bei der ersten lek­türe jet­zt ver­schlossen­er, nüchtern­er und oft auch deut­lich gewoll­ter. die poli­tis­che absicht etwa lässt sich zu leicht spüren und fassen – das tut der (kunst-)erfahrung der lyrik nicht gut. dabei ver­lieren die gedichte gle­icher­maßen an deut­lichkeit wie an der so faszinierend, weil stu­pend beherrscht­en mehrdeutigkeit.
„mit eige­nen augen sehen: getrimmt / zoomen begriffe weg. bis wir tröpfel­nd / vor sehn­sucht und glauben daliegen wie / der kopf ein­er geliebten katze unter / ein­er hand, die uns stre­ichelt oder stre­icht,“ (62f)

das ist alles zusam­men natür­lich ein fast wahnsin­niges pro­gramm. wer glaubt, ob all dieser fra­gen, dieser the­o­retisch-reflek­tieren­den gedankengän­gen gin­ge der kun­stcharak­ter der gedichte ver­loren, der itt. denn es ist kein wahn, keine hybris. denn die gedichte bleiben trotz der gefahr der the­o­retis­chen über­las­tung meist, d.h. in ihren über­wiegen­den teilen, immer auch sinnliche gebilde. eine unmit­tel­bare qual­ität der fügung ihrer worte (weniger der rhyth­men, mehr aus dem klang und den ver­mis­cht­en, kreuz und quer geschichteten bildlichkeit­en gear­beit­et) fes­selt das lesende auge und hirn, die vorstel­lungskraft. und sie zeu­gen von der faszinieren­den konzen­tra­tion, die diese gedichte bes­timmt. mehr lässt sich von lyrik eigentlich kaum noch ver­lan­gen. manch­es ist dabei dur­chaus gren­zw­er­tig – qual­itätsmäßig gese­hen: wenn genau diese konzen­tra­tion sich ver­liert, wirkt das ganze sehr schnell nur noch manieris­tisch. aber es bleibt festzuhal­ten: das sind 85 seit­en pure poe­sie unser­er zeit mit der ver­heißung, diese auch zu über­dauern. w

abtrünnig: eine trümmerlandschaft aus text

eine inten­sive und denkaufwändi­ge lek­türe: rein­hard jir­gl: abtrün­nig. roman aus der nervösen zeit. münchen: hanser 2005. ich bin jet­zt nach ein­er lan­gen – mehrere wochen – lesereise bis ans ende vorge­drun­gen. und ich kann jedem nur empfehlen, sich dieser erfahrung, die manch­mal zwar den charak­ter eines exerz­i­tiums annehmen kann, zu unterziehen. den jir­gl, schon lange ein­er mein­er favoriten unter den noch leben­den und schreiben­den autoren, hat hier ein beein­druck­endes kunst­werk geschaf­fen. und als solch­es muss man es auch ganz bewusst und offen­siv rezip­ieren: als kun­st – nicht als unter­hal­tung, denn als bet­tlek­türe taugt dieser roman sicher­lich über­haupt nicht.

da ist zunächst ein­mal seine per­son­ale son­derorthogra­phie, die hier – wie etwa auch in der genealo­gie des tötens – sehr eigen­willig erscheint. v.a. scheint sie ihre sys­tem­a­tisierung ein wenig ver­loren zu haben. kri­tiken the­ma­tisieren diese sehr augeschein­liche beson­der­heit der späteren jir­glschen texte beson­ders gern. in der tat muss man aber sagen, dass sie ent­ge­gen etwaiger befürch­tun­gen kein lese­hin­der­nis darstellt – sie wird sehr schnell sehr ver­traut. was sie allerd­ings ger­ade in abtrün­nig nicht wird, ist vol­lkom­men ver­ständlich: vieles bleibt zumin­d­est bei der ersten lek­türe (vielle­icht hülfe da eine sys­tem­a­tis­che durch­dringung?) auf dem niveau der spiel­erei, weil sich ein­er­seits keine bedeu­tungszuwachs oder ‑dif­feren­zierung erken­nen lässt, ander­er­seits auch wed­er eine absicht noch eine wenig­stens ver­mut­bare regel­haftigkeit. in manchen pas­sagen wirkt diese extreme ver­mehrung der sig­nifikanzen oder zumin­d­est außeror­dentliche verdeut­lichung der vieldeutigkeit des geschriebe­nen wortes, ins­beson­dere natür­lich durch die (ortho-)graphische eigen­willigkeit, wie eine kün­stlich forcierte annäherung an die mündlichkeit, das orale erzählen. ander­er­seits ist sie in ihrer vielgestaltigkeit, die ja weit über die vere­in­heitlichende, normierte (und damit ein­schränk­ende) regelorthogra­phie hin­aus­ge­ht, auch offen­bar der ver­such der dis­am­bigu­ierung – der allerd­ings wieder dazu führt, das das schrift­bild extrem her­metisch, abschreck­end & unüber­sichtlich wirkt & auch tat­säch­lich wird: entz­if­fer­bar ist das kaum noch, weil das sys­tem nicht so ein­fach zu durch­schauen ist (ist es über­haupt ein sys­tem?). und das führt schließlich auch dazu, dass man ihm leicht den vor­wurf der spiel­erei machen kann. tat­säch­lich scheint manch­es auch nur das zu sein, lässt sich manche wort-ver­for­mung auch kaum anders auf­fassen. in sein­er gesamtheit ist das, wenn man außer­dem noch die for­malen irreg­u­lar­ien und stolper­steine – etwa die querver­linkun­gen und textbausteine – bedenkt, ein kom­plett ver­minter text und damit (auch) ein angriff auf den leser: die irreg­ulären satze­ichen als kleine sprengkör­p­er, als angriffe auf das schnelle, ein­fache & gewöhn­liche ver­ste­hen.

in abtrün­nig ist die geschichte, die fabel, weit­ge­hend zur neben­sache gewor­den – noch nie war das bei jir­gl (soweit ich sehe) so sehr der fall wie hier. im kern geht es um zwei män­ner, zwei liebende, die auf ver­schlun­genen wegen nach berlin kom­men und dort auf tragisch-groteske weise am und im leben scheit­ern. das ist aber auch schon wieder nur halb richtig, weil der zweite liebende, ein aus der ddr-nva in den bgs über­nommen­er gren­zschützer, der ein­er flüch­t­en­den osteu­ropäerin zum ille­galen gren­züber­gang nach deutsch­land ver­hil­ft, auf der suche nach ihr nach berlin kommt, dort als tax­i­fahrer arbeit­et, sie wiederfind­et und just in dem moment, als sie zurück in ihre heimat gekehrt ist, um für die geplante heirat die notwendi­gen papiere zu organ­is­eren, von ihrem offen­bar psy­chisch gestörten brud­er erstochen wird, weil also dieser zweite liebende, dessen geschichte natür­lich durch begeg­nung mit der des anderen mannes verknüpft ist, gar keine beson­ders große rolle spielt.

wesentlich­er als das ist aber das moment, der abtrün­nig als „roman aus der nervösen zeit“ charak­ter­isiert. das ist das autis­tis­che monolo­gisieren, das durch­brochen wird von essa­yarti­gen pas­sagen und genial erzählten teilen. natür­lich spiegelt das wiederum nur das große, zen­trale prob­lem der haupt­fig­ur und der mod­er­nen gesellschaft über­haupt: die suche nach dem ich, der iden­tität, dem holis­tis­chen sub­jekt, dem eige­nen lebens- und sin­nen­twurf – ein suche, die grandios scheit­ern muss und nur frag­mente, zer­störung und beschädigte personen/figuren/menschen hin­ter­lässt. der ein­druck eines großen bruch­w­erkes bleibt dabei nicht aus: frag­men­tierte per­sön­lichkeit­en, sich auflösende soziale bindun­gen und gewis­senheit­en, kurz eine recht radikal aus­gerichtete gesellschaft­skri­tik sucht ihre form – und ver­liert sich dabei manch­es mal in essay-ein­schüben: abtrün­nig ist in erster lin­ie ein/das buch vom scheit­ern, seine bibel sozusagen: „es gibt kein richtiges leben im falschen“ – oder: das gelin­gen ist ganz und gar unmöglich gewor­den – & das muss man auch genau so kat­e­go­r­i­al for­mulieren, denn es gilt nicht nur für die fig­uren des textes, son­dern auch für ihn selb­st. deshalb ist er so, wie er ist; ist er in ein­er nach herkömm­lichen maßstäben defiz­itären ver­fas­sung – er kann natür­lich auch nicht mehr anders sein, das lässt die mod­erne welt, die „nervöse zeit“ nicht mehr zu. und genau wie diese ist er eine ziem­lich gewaltige zu-mutung für den leser. denn er will ja nichts anderes, als diese schöne neue welt erk­lären oder min­destens aufzeigen – deshalb natür­lich auch die (zeitweise dur­chaus über­hand nehmenden) essay-pas­sagen, die den kun­stcharak­ter des gesamten textes bee­in­flussen – & das dur­chaus mit gren­zw­er­ti­gen ergeb­nis­sen. denn im ganzen ist das wohl so etwas wie ein anar­chis­tis­ches kunst­werk – hoff­nungs­los unüber­sichtlich, kreuz und quer ver­linkt durch die selt­samen „link“-kästen, die ver­weise vor und zurück im text, die eingestreuten zitate und auch wieder­hol­un­gen, neuan­läufe der beschrei­bung ein­er sit­u­a­tion aus ver­schiede­nen blick­winkeln. das alles hat zum ergeb­nis, das der roman, der vom tod der gesellschaft, vom tod des sozialen lebens, spricht, auch den tod des romans beschreibt, exem­pli­fiziert – und auch reflex­iert. denn auch wenn es gar nicht oder höchst sel­ten expliz­it geschieht – vieles im text (etwa schon die dat­en der nieder­schrift (oder die behaupteten dat­en – schließlich befind­en wir uns mit ihnen immer noch im fik­tionalen text)) deutet auf eine reflex­ion der möglichkeit­en des schreibens in ein­er nervösen, defiz­itären, verkomme­nen und immer weit­er verk­om­menden gesellschaft hin. und wenn ein text wie abtrün­nig das ergeb­nis dieser prozesse ist, kann man nun sagen, dass das schreiben unmöglich oder gar obso­let wird? das scheint mir zweifel­haft – denn trotz sein­er unzweifel­haft zu kon­sta­tieren­den schwächen ist abtrün­nig als gesamtes doch ein beein­druck­endes kunst­werk bemerkenswert­er güte. inter­es­sant wird allerd­ings die fort­set­zung – mir scheint es ger­ade mit diesem buch so, als schriebe sich der sowieso schon am rande des ästhetis­chen und ins­beson­dere des lit­er­arischen diskurs­es ste­hende jir­gl immer mehr ins abseits: ob er diese bewe­gung noch frucht­bar weit­er­führen kann?

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