Der “Spiegel” schreibt über die “Tafel”-Bewegung und ihre Probleme. Und er schafft es, das zentralste aller Probleme mit dieser Organisation vollkommen auszublenden: Ihre Notwendigkeit. Denn sollte es in einem der reichsten Länder der Welt nicht selbstverständlich sein, dass der Staat, der dafür mannigfaltige Instrumente (die aus Abgaben der Bevölkerung bezahlt werden) zur Verfügung hat, eine grundsätzliche Lebenssicherung seiner gesamten Bevölkerung und nicht nur der arbeitenden gewährleisten? Das ist auch genau der Grund, warum ich die “Tafeln” — so ehrenwert sie im Einzelnen sind — für die falsche Aktion halte: Die gnadenvolle und barmherzig Abgabe von “Rest”-Lebensmitteln an Bedürftigen — das ist ein Rückfall ins katholische 19. Jahrhundert. Die richtige Lösung ist natürlich der Anspruch auf entsprechende Versorgungsleistungen, z.B. eben über ausreichende Hartz-IV-Sätze. Dass der “Spiegel” das nicht merkt, halte ich für ziemlich schwach — und typisch, denn dieser Punkt geht in der Diskussion immer wieder verloren.
Mancherorts übernahmen die Wohltätigkeitsvereine Aufgaben des Sozialstaats.
So heißt es dann auch noch — fast wie im Hohn — im “Spiegel”-Artikel, wenn es um Zusatzleistungen der “Tafeln” wie Kursangebote etc. geht. Mir bleibt fast die Sprache weg, wenn ich so etwas lese.
Planet History (@Planet_History)
[matthias-mader.de] Tafel und Staat http://t.co/PuO9u5i13b
Hanjo Iwanowitsch
Bei uns im Ort haben sich langjährige Sponsoren aus der Wirtschaft aus der Unterstützung der Tafel zurückgezogen, sodass die Tafel plötzlich ohne ausreichende finanzielle Deckung da steht. Man kann in einer solchen Situation dann den Standpunkt vertreten, dass Tafeln ohnehin ein falsches Konzept verwirklichen (ich sehe das prinzipiell genau wie Du) – wir haben von Seiten der Kommunalpolitik stattdessen den jährlichen Zuschuss deutlich erhöht. Der Grund dafür ist, dass wir an der Bedürftigkeit der Tafelkunden nichts ändern können, weil sie zum Beispiel gesetzlich auf anderer Ebene erzeugt wird. Wir können auch nichts daran ändern, dass Wirtschaftsunternehmen Profit höher werten als gesellschaftliche Verantwortung. Was wir können: einen Verein unterstützen, dessen Notwendigkeit bitter ist, aber Realität. Dessen ehrenamtliche Mitarbeiter konkret vor Ort helfen, statt über das System insgesamt zu lamentieren. – Dass nebenbei weiter daran gearbeitet werden sollte, dass Tafeln unnötig werden, ist klar – bis dahin ist aber ein weiter Weg.
Matthias Mader
Die bittere Notwendigkeit der “Tafeln” sehe ich leider auch. Aber ich befürchte eben immer ein bisschen, dass die Existenz der Tafeln dazu verleitet, das grundsätzliche Problem nicht anzupacken — das hat ja eine scheinbare Lösung. Ich weiß, dass ist sehr technologisch/systemisch gedacht und lässt das Leid der einzelnen Menschen erst einmal etwas außen vor. Mir ging es hier ja vor allem darum, die Notwendigkeit der Tafeln immer wieder anzuprangern. Und wenn ein Medium wie der “Spiegel” über die Probleme der Tafeln, die vermutlich auch nicht geringer werden, schreibt, ohne auf den grundlegenden Missstand wenigstens hinzuweisen, regt sich in mir eben einfach Unbehagen.