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Schlagwort: wolfgang amadeus mozart

Mozart mit japanischer Disziplin: Masaaki Suzukis “Requiem”

mozart, requiemNun also auch Masaa­ki Suzu­ki: Der Diri­gent hat mit seinem Bach Col­legium Japan jet­zt auch den namensgeben­den Bach und sein direk­tes Umfeld ver­lassen. Die großen Diri­gen­ten der his­torisch informierten Auf­führung­sprax­is machen das ja schon einige Zeit vor und sind inzwis­chen bere­its im 20. Jahrhun­dert ange­langt. Ganz so weit reist Suzu­ki in der Zeit nicht — aber bis Mozart hat er es inzwis­chen auch geschafft. Und sog­ar bis ganz an dessen Ende: Da ste­ht das Requiem — so dicht am Tod, dass es unvol­len­det blieb.

Fer­tig­stel­lun­gen des Frag­ments gibt es ohne Zahl, nur übertrof­fen von den Mythen, die sich um das Requiem und den Tod seines Schöpfers ranken. Masaa­ki Suzu­ki fügt dem für seine jet­zt erschiene Auf­nahme des Requiems eine eigene Ver­voll­ständi­gung hinzu — die aber wiederum sehr stark auf den bekan­nten Ergänzun­gen Franz Xaver Süß­may­ers beruht, sie haupt­säch­lich um kleine Änderun­gen in der Instru­men­ta­tion fortschreibt sowie mit Joseph Eyblers Arbeit­en ergänzt. Neu ist hier vor allem eine kurze Amen-Fuge am Ende der Sequenz, die Suzu­ki selb­st auf der Basis ein­er Mozart-Skizze (die dem Requiem nicht ein­deutig zuge­ord­net wer­den kann) geset­zt hat.

Und neu ist bei dieser Auf­nahme vor allem der her­rliche Klang des Bach Col­legiums Japan, der Mozart bish­er ver­sagt blieb. Und da sie all ihre Vorzüge, zu denen an erster Stelle ihr diszi­plin­iert­er, klar­er und heller Klang mit deut­lich­ster Artiku­la­tion gehört, auch bei Mozart ein­set­zen, wird das Requiem zu einem sehr reinen Vergnü­gen. Zumal Suzu­ki auch hier emo­tion­al sehr kon­trol­liert bleibt — es gibt zweifel­los über­schäu­mendere Auf­nah­men — und auf pathetis­che Gesten oder auf­se­hen erre­gende Effek­te ganz verzichtet. Die strin­gent leuch­t­ende Klarheit, die er – und vor allem die Sänger des Bach Col­legiums – dem Lac­rimosa mit­geben: Das ist großar­tig. Denn die Haup­tqual­ität sein­er Auf­nahme ist unbe­stre­it­bar: Man hört ein­fach alles, was in der Par­ti­tur passiert. Suzu­ki musiziert das Requiem mit ein­er schlanken Lebendigkeit und pointiert­er Pla­tiz­ität: Nichts scheint sein­er Aufmerk­samkeit zu ent­ge­hen, alle Teile erklin­gen in ein­er vib­ri­eren­den Aus­geglichen­heit. Die Präzi­sion der Artiku­la­tion und Phrasierung lassen auch die dur­chaus sehr zügi­gen Tem­pi ganz unprob­lema­tisch und natür­lich erscheinen: Die Span­nung bleibt über das gesamte Requiem hin­weg hoch, ein Nach­lassen ken­nt Suzu­ki kaum. Der feine, detail­re­iche Klang — an dem auch die um neu­trale und genaue Abbil­dung bemühte Ton­tech­nik von BIS großen Anteil hat — zeugt von akku­rater Vor­bere­itung und präzis­er Aus­führung, selb­st in bewegten und tur­bu­len­ten Sätzen wie dem Kyrie. Chor und Orch­ester — bei­des nicht sehr groß beset­zt — befind­en sich hier immer in wun­der­barster Bal­ance. In jedem Moment hat man den Ein­druck, den ganzen, den reinen Mozart zu hören — und ver­gisst darüber gerne, dass hier gar nicht so viel vom Meis­ter selb­st erklingt. Auch die Solis­ten, allen voran die Sopranistin Car­olyn Samp­son, passen sich in dieses fein aus­tari­erte Klanggeschehen fugen­los ein, wie das fast opern­hafte Recor­dare schon beim ersten Hören beweist. Ergänzt wird das for­mi­da­ble Requiem auf der vor­liegen­den SACD noch um eine ener­gisch strahlende Auf­nahme der “Ves­per­ae solennes de con­fes­sore” (KV 339) aus Mozarts Salzburg­er Zeit.

Wolf­gang Amadeus Mozart: Requiem d‑moll (KV 626), ver­voll­ständigt von Masaa­ki Suzu­ki; Ves­per­ae solennes de con­fes­sore (KV 339). Car­olyn Samp­son, Mar­i­anne B. Kiel­land, Mako­to Saku­ra­da, Chris­t­ian Imm­ler, Bach Col­legium Japan, Masaa­ki Suzu­ki. BIS 2091, 2014.

(zuerst erschienen in “Chorzeit — Das Vokalmagazin”, #13 Feb­ru­ar 2015)

Ins Netz gegangen (8.8.)

Ins Netz gegan­gen am 8.8.:

Messias mit angezogener Handbremse

Gut, dass es das mod­erne Urhe­ber­recht vor 225 Jahren noch nicht gab. Son­st hätte sich Mozart wom­öglich nie getraut, Hän­dels „Mes­si­ah“ zu bear­beit­en. Oder Hän­dels Erben hät­ten gar nicht genehmigt, dass da ein ander­er Kom­pon­ist die Instru­men­ta­tion des Ora­to­ri­ums ändert, die Arien umschreibt oder manch­es, was ursprünglich der Chor zu sin­gen hat­te, nun den Solis­ten anver­traut. Und das wäre schade gewe­sen, denn es hätte uns um die Mozart-Fas­sung des Hän­delschen „Mes­sias“ gebracht.

So ein Cov­er ist natür­lich ger­ade dann inter­es­sant, wenn das Orig­i­nal sowieso schon bekan­nt ist. Und das muss man für Hän­dels berühmtestes Ora­to­ri­um auch heute noch annehmen. Da ist eine Auf­führungsvari­ante also eine angenehme Abwech­slung: Man hört die bekan­nten Chöre – natür­lich wird auch bei Mozart ein kräftiges „Hal­lelu­ja“ gejubelt – und die ver­traut­en Arien, aber man hört auch etwas Neues, auch wenn Mozart die Par­ti­tur nur sehr behut­sam mod­ernisiert. Geän­dert ist vor allem die Instru­men­ta­tion, die mit zusät­zlichen Holzbläsern mehr Farbe ins Spiel bringt. Und neu klin­gen auch einige Arien. Oder zumin­d­est weniger bekan­nt. Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass der Bach­chor mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie die Mozart-Fas­sung in der Chris­tuskirche auf­führt.

Zum ersten Mal geschieht das allerd­ings ohne Ralf Otto: Der erkrank­te Chor­leit­er wurde kurzfristig durch Wol­fram Koloseus erset­zt – immer­hin ein erfahren­er Mozart-Diri­gent. Das wird in der Chris­tuskirche aber nicht so recht deut­lich. Vielle­icht war die Vor­bere­itungszeit ein­fach zu kurz. Jeden­falls klingt das sel­ten so, als wären Sänger, Instru­men­tal­is­ten und Diri­gent mit einan­der und dem Werk wirk­lich ver­traut. Von Num­mer zu Num­mer hangeln sie sich, mal bess­er, mal etwas hake­liger. Aber über weite Teile bleibt der Ein­druck, dass alle Beteiligten noch sehr in und an den Noten kleben – freies und lebendi­ges Musizieren ist das sel­ten.

Aus­gerech­net im ersten Teil, dem wei­h­nachtlichen Teil des Ora­to­ri­ums, wirkt dieser „Mes­sias“ deshalb selt­sam entrückt und fern: Das scheint die Musik­er über­haupt nicht zu berühren. Manch­es von dieser großar­ti­gen Musik ist sog­ar richtig schlaff. Sich­er, da sind dur­chaus ansprechende Momente dabei – aber gut ver­steckt in viel Mit­tel­maß. Auch die Solis­ten kön­nen das nicht ret­ten: Klaus Mertens wirft seine langjährige Erfahrung ins Gewicht, die man der rou­tinierten, aber dur­chaus pointierten Inter­pre­ta­tion immer anhört. Tenor Chris­t­ian Rathge­ber singt dage­gen auf­fal­l­end jugendlich und frisch, aber manch­mal auch etwas durch­set­zungss­chwach. Ähn­lich­es ist in der Damen­riege zu beobacht­en: Sopranistin Sarah Wegen­er kann mit klar­er und sub­til­er Gestal­tung überzeu­gen, wird manch­mal – etwa in der Arie „Er wei­det seine Herde“ auch richtig ver­führerisch, während die Mez­zoso­pranistn Nohad Beck­er etwas unschein­bar bleibt.
Blass bleibt aber eben auch vieles vom Rest. Die Staat­sphil­har­monie klingt durch­weg recht schroff, der Chor anfangs erstaunlich lust­los. Viele rhyth­mis­che und dynamis­che Akzente, die der sehr extro­viert dirigierende Koloseus den Musik­ern und Sängern zu ent­lock­en ver­sucht, ver­schleifen und ver­puffen wirkungs­los. Immer­hin bessert sich das zunehmend: Vor allem der Bach­chor find­et zur gewohn­ten Form, die hier sehr poliert und hell klingt. Ger­ade im zweit­en Teil fängt das an, zu strahlen. Schade nur, dass dann aus­gerech­net der Schluss­chor, das alles bestäti­gende große „Amen“, wieder so über­vor­sichtig zaghaft klingt, als wür­den Chor und Orch­ester mit ange­zo­gen­er Hand­bremse musizieren.

Ernsthaft gut: Doppelkonzerte im Meisterkonzert

Das Ganze ist ein Witz. Bei sein­er neun­ten Sin­fonie – aus­gerech­net der Neun­ten! — hat Schostakow­itsch es sich nicht nehmen lassen, mit allen Erwartun­gen und Tra­di­tio­nen zu spie­len. Das hing natür­lich auch mit sein­er eige­nen und der poli­tis­chen Sit­u­a­tion zusam­men – 1945 hat­te der Kom­pon­ist schon einige Erfahrung mit Stal­ins Regime und dessen Kri­tik­ern gesam­melt. Denen wollte er keine Tri­umph­musik schreiben – aber was er dann mit der Neun­ten im Herb­st ablieferte, das muss für ger­ade diese Kri­tik­er eine reine Unver­schämtheit gewe­sen sein: Die knappe halbe Stunde heit­er­er Musik trieft nur so vor Ironie. Die ganze Sin­fonie spielt mit klas­sis­chen For­men und Meth­o­d­en – bis zur Über­erfül­lung. Wahrschein­lich ist sie eine der klas­sis­chsten Sin­fonien, die im 20. Jahrhun­dert geschrieben wurde. Und ein hin­terlistiges Spiel mit den Erwartun­gen, auch des Hör­ers. Man kann das als nette, kun­stvoll gemachte Unter­hal­tung spie­len. Oder man kann, wie Mar­cus Bosch es beim 3. Meis­terkonz­ert mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie in der Rhein­gold­halle machte, die abgründi­gen Seit­en her­vork­itzeln und das Absurde dieser Musik beto­nen. Bosch gelang das der­maßen gut, dass die Ironie aus jedem schö­nen Akko­rd und jedem schö­nen melodis­chen Ein­fall nur so her­vorquoll. Vor allem die Mis­chung aus unter­gründig-bohren­der Span­nung und schwungvoll-aus­ge­lassen­er Spiel­freude, die Mar­cus Bosch im Finale bis zur tänz­erischen Über­mut aus­reizte, macht­en die Neunte zu einem so wun­der­baren Hör­erleb­nis.

Dabei war Schostakow­itschs Sin­fonie eigentlich nur das Aus­rufeze­ichen am Schluss eines span­nen­den Konz­ertes. Davor stand noch der sel­tene dop­pelte Genuss eines Dop­pelkonz­ertes. Mit den Pianistin­nen Mona und Rica Bard spielte die Staat­sphil­har­monie näm­lich nicht nur ein Dop­pelkonz­ert, son­dern gle­ich zwei: von Mozart und Fran­cis Poulenc. Witz haben bei­de, aber auf jew­eils ganz eigene Art.

Poulencs 1932 kom­poniertes Konz­ert für zwei Klaviere und Orch­ester ist mit seinen raschen Sprün­gen, vielfälti­gen Wech­seln und Reich­tum an bun­ten Ein­fällen und Stilmis­chun­gen ein geschick­ter Konz­er­tauf­takt. Die zwei schlagkräfti­gen Akko­rde des Beginns sind ein dop­pel­ter Startschuss. Damit begin­nt ein Feuer­w­erk der Klang­far­ben und des Rhyth­mus — „rein­ster Poulenc“, wie der Kom­pon­ist selb­st ein­mal bemerk­te. Bei Mona und Rica Bard war das Feuer­w­erk in guten Hän­den: Sie achteten sorgsam darauf, dass auch in der Hitze des Gefechts alles mit recht­en Din­gen zug­ing – während Bosch mit dem Orch­ester ver­suchte, zumin­d­est ein biss­chen zu zün­deln.

Mozarts einziges Konz­ert für zwei Klaviere ist der Gele­gen­heit des gemein­samen Musizierens mit sein­er Schwest­er geschuldet. Das merkt man der Musik auch ganz unmit­tel­bar an: Sel­ten sind die bei­den Solopar­tien so eng und unau­flös­bar ineinan­der ver­flocht­en wie hier. Und sel­ten hört man sie so har­monisch ineinan­der gefügt wie von den Bard-Schwest­ern. Die bei­den pflegten in der Rhein­gold­halle ein sehr konzen­tri­ertes und kun­stvolles Spiel. Das dabei der augen­zwinkernde Witz Mozarts manch­mal etwas hin­te­nanste­hen musste, verzieh man ihnen gerne. Zumal das Orch­ester alles tat, die kleine Lücke zu füllen. Die Auf­gaben­teilung war dabei schnell klar: Die Staat­sphil­har­monie über­nahm die großen Gesten, die Pianistin­nen die feinsin­nige, fast kam­mer­musikalis­che Klangtüftelei. Zusam­men erk­lang so ein ern­sthaft gutes Mozart-Konz­ert, das gewis­senhaft und emo­tion­al zugle­ich war – und alles andere als ein Witz.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Mozart und Paris

Mozart und Paris, das war alles andere als eine innige Liebes­beziehung. Und doch ist es sin­nvoll, Mozarts Es-Dur-Quin­tett mit­ten in ein Konz­ert mit franzö­sis­ch­er Musik zu platzieren. Denn auch wenn er über die Paris­er und die Fran­zosen im all­ge­meinen in sein­er unnachahm­lich direk­ten Art böse schimpfte – hinge­hört hat Mozart genau, als er an der Seine war. Bläs­er solo und im Ensem­ble hat er da zum Beispiel viel erlebt. Und vielle­icht wäre es ohne diese Bekan­ntschaft nicht zum Es-Dur-Quin­tett gekom­men. Ganz sich­er aber wäre es nicht dazu gekom­men, hätte Mozart nicht auch in Wien großar­tige Instru­men­tal­is­ten erlebt.

Wie auch immer: Das Quin­tett für Bläs­er und Klavier ist jeden­falls ein erster Höhep­unkt beim Konz­ert der Stipen­di­at­en der Vil­la Musi­ca um die bei­den Dozen­ten Ingo Goritz­ki und Johannes Peitz. Fast ein Dutzend junger Musik­er bevölk­ern in diesem Konz­ert abwech­sel­nd die Bühne. Und alle sehr sou­verän dabei. Das war auch dem Mozart-Quin­tett anzuhören: Hohe Anspan­nung und Konzen­tra­tion ist zu merken. So geschmei­dig der Klang sich dar­bi­etet, bleiben doch einige Kan­ten und eck­ige Phrasierun­gen, die ger­ade die Eck­sätze an manchen Stellen etwas schw­er­fäl­lig wirken lassen. Ander­er­seits passt das auch ins Konzept, das die schw­er­mütige Stim­mung, den etwas gedämpften Opti­mis­mus dieser Musik beson­ders her­vorhebt. Schade nur, das der Klavierk­lang hin­ter der schö­nen Klang­wand der vier Bläs­er etwas ver­steckt bleibt.

150 Jahre später klang die Stadt Paris ganz anders. Wie ein Kom­pon­ist sie in der Zwis­chenkriegszeit erlebte, davon ver­mit­telt Fran­cois Poulencs Sex­tett für Bläs­er und Klavier ein unmit­tel­bar tönen­des Bild: Trubel und Ele­ganz, Läs­sigkeit und Hek­tik prä­gen dieses Sex­tett, das in eini­gen Pas­sagen ein aufre­gend real­is­tis­ches akustis­ches Abbild der Metro­pole zeigt, ohne ander­er­seits die kun­stvolle Fer­tigkeit ihres Schöpfers zu ver­ber­gen. Vor allem in ein­er so plas­tis­chen Auf­führung wie in der Vil­la Musi­ca klingt das berauschend. Da stört es auch kaum noch, dass diese Musik im inti­men Konz­er­traum auf der Bastei eigentlich arg beengt ist – das ver­langt nach Größe und Frei­heit. Unbeküm­mert frisch, unver­braucht drän­gend sprudelt die reich­haltige Rafi­nesse Poulencs aber auch hier, von den Stipen­di­at­en mit Herzblut verge­gen­wär­tigt. Die vie­len präsen­ten Augen­blicke, die sich dank des Überblicks der Inter­pre­ten zu größeren Zusam­men­hän­gen for­men und bei­de Pole in einem aufre­gen­den Gle­ichgewicht hal­ten, sind genau so aufre­gend, wie eben nur Paris sein kann.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Taglied 4.3.2012

ein­fach mals so (weil ich mich ger­ade durch die Opern-Gesamt-Edi­tion von Gar­diner höre …):

Neu und alt, friedlich vereint — im Gedenken

Es war wie bei der Urauf­führung: Das Pub­likum war von Béla Bartóks „Musik für Sait­enin­stru­mente, Schlag­w­erk und Celes­ta“ so begeis­tert, dass das Orch­ester den let­zten Satz wieder­holen musste. Damals, vor fast 75 Jahren in Basel genau so wie jet­zt im Kur­fürstlichen Schloss. Das Orch­ester der Mainz­er Musikhochschule unter Wol­fram Koloseus war schuld an dieser Par­al­lelität. Denn beim Abschluss der diesjähri­gen „MainzMusik“-Konzertreihe bot es ein span­nen­des und über­raschen­des Pro­gramm, bei dem der Schlus­sap­plaus vol­lkom­men gerecht­fer­tigt war.

Der Beginn des Konz­ertes war aber etwas aktueller, mit der Stre­icher­musik „Der Opfer Hiroshi­mas gedenk­end“. Uwe Lohrmann — geboren im Jahr der Urauf­führung der Bartók-Musik – schrieb dieses Stück für dop­peltes Stre­i­chorch­ester und Solovi­o­line zur Erin­nerung an und aus Anlass des 60. Jahrestages des ersten Atom­bombenein­satz. Dichte, kom­plexe Akko­rde der vie­len Stre­ich­er­stim­men sind das, die das schreck­liche Geschehen sehr bild­haft ein­fan­gen. Vor allem aber ist es eine Musik der Trauer, des Schmerzes und des Ver­lustes – und darin ganz unmit­tel­bar. Genau darauf legt es auch Koloseus, der 2005 schon die Urauf­führung dirigierte, an. Und auch Ben­jamin Bergmann als Solist, der aber als solch­er gar nicht sehr her­aussticht, son­dern sich eng in das Orch­estergeschehen inte­gri­ert, fol­gt ihm eng. Zusam­men wid­men sie sich Lohrmanns Musik sehr effek­tiv und kon­trol­liert: Sie machen bewe­gende, emo­tionale Musik, ohne sich in Sen­ti­men­tal­itäten zu ver­lieren.
Der Trauer­musik fol­gt dann ein uner­warteter Abstech­er in die Wiener Klas­sik: Mozarts große g‑Moll-Sin­fonie. Und es funk­tion­ierte. Denn Mozarts vor­let­zte Sin­fonie erweist sich im Schloss als wun­der­bare Ergänzung, wie ein Kom­men­tar aus der Ver­gan­gen­heit. In gewiss­er Weise ist das ein biss­chen wie ein Rück­kehr in die Nor­mal­ität, die aber auch nie eine heile Welt war – denn Koloseus führt auch die Abgründe und Brüche dieser Musik vor, ohne sich darin zu ver­lieren. Geschmei­dig und für ein Stu­den­tenorch­ester sehr klangkul­tiviert navigiert er sich­er durch Mozarts Spätwerk.

Wie über­haupt vieles klappte an diesem Abend. Selb­st die kleinen Unge­nauigkeit­en, die sich in Bartóks „Musik für Sait­enin­stru­mente, Schlag­w­erk und Celes­ta“ hin und wieder ein­schlichen, gehören dazu: Denn Koloseus wirft sich und das Hochschu­lorch­ester betont ungestüm in die kul­tivierte Wild­heit Bartóks, ihre ewig drän­gen­den Unruhe und rast­losen Bewe­gung, die nur kurze Momente des Innehal­tens, der idyl­lis­chen Inseln der Har­monie im Meer der Unrast erlaubt. Und das ist so mitreißend, dass selb­st der Diri­gent auf­passen muss, auf der Bühne nicht ein­fach loszu­tanzen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Kreuz und quer durch die Musikgeschichte

Von Mozart zu Šen­derovas, dann noch ein­mal von Mahler zu Aren­sky (zurück ins tief­ere 19. Jahrhun­dert): Das Konz­ert in der Vil­la Musi­ca mit den Dozen­ten Kalle Ran­dalu und David Geringas sowie ein­er Menge Stipen­di­at­en find­et keine Ruhe:

Größere Gegen­sätze sind kaum denkbar: Ein­er­seits ste­hen Mozart und Mahler auf dem Pro­gramm. So hat die Vil­la Musi­ca ihr Stipen­di­atenkonz­ert auch betitelt. Aber das reicht noch nicht für ein Konz­ert. Also kom­men noch zwei Werke von Ana­toli­jus Šen­derovas und Anton Aren­sky dazu. Zwei halb oder gar nicht bekan­nte Kom­po­si­tio­nen, die dann aber wesentlich span­nen­der und inter­es­san­ter waren als der Rest.

Denn Mozarts Klavierquar­tett in Es-Dur schien hier eher belan­g­los und als brav absolvierte Pflichtübung. Mahlers Quar­tettsatz immer­hin kam bre­it aus­ge­spielt und kraftvoll entschlossen mit großem Ges­tus daher – ein­deutig als ein unein­gelöstes Ver­sprechen: Was hätte Gus­tav Mahler nicht auch für die Kam­mer­musik leis­ten kön­nen, wenn er sich nicht auf orches­trale Großw­erke beschränkt hätte. Das kurze Werk des jugendlichen Genies ist eine einzige Vorah­nung auf Späteres. Und genau so, mit dem Wis­sen der späteren Entwick­lung des Kom­pon­is­ten, spiel­ten die die Stipen­di­at­en um Kalle Ran­dalu die einzige erhal­tene Kam­mer­musik Mahlers auch.

Im a‑Moll-Quar­tett des rus­sis­chen Kom­pon­is­ten Anton Aren­sky läuft das Denken in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung: In die Ver­gan­gen­heit. Denn dieses Stre­ichquar­tett in der unüblichen Beset­zung mit Vio­line, Bratsche und zwei Cel­li ist von Aren­sky als Toten­klage auf seinen Fre­und Tschaikowsky kom­poniert. Vir­tu­os und weit aus­holend begin­nt es, spiel­tech­nisch anspruchsvoll bleibt es auch in den Vari­a­tio­nen über The­ma von Tschaikowsky – ein berühren­der Satz, gründlich durchgear­beit­et und getra­gen von der Dunkel­heit des Abschiedes. Die drei Stipen­di­at­en und Dozent David Geringas am Cel­lo spie­len das gle­icher­maßen wuchtig und ath­mo­sphärisch, fol­gen den elegis­chen Erin­nerun­gen mit viel Klangsinn und Gespür für die mach­mal schmerzvolle, manch­mal wehmütige und manch­mal auch etwas verträumte Musik.

Ath­mo­sphärische und stim­mungsvolle Klänge bietet auch­das zweite Klavier­trio des Litauers Ana­toli­jus Šen­derovas. 1984 kom­poniert, wie Aren­skys Quar­tett in memo­ri­am eines Fre­un­des geschrieben, bietet es in mod­erne Ton­sprache eine bre­ite Aus­druckspalette. Und jun­gen Musik­er wid­men sich dem mit viel Hingabe und Konzen­tra­tion und kön­nen die volle Vielfalt dieser Musik ein­dringlich beschwören. So entste­ht, von den ersten Fla­geo­letts als Bild der fahle Wirk­lichkeit über weite Kan­tile­nen und harsch-drama­tis­che Ein­brüchen, aus dem sprachlosen Raum der Trauer und der Erin­nerung eine echte See­len­musik. Frei von for­malen Zwän­gen, ganz dem Aus­druck ver­schrieben, set­zt Senderovas der schalen Real­ität die man­nig­falti­gen Möglichkeit­en der Kun­st ent­ge­gen. Vielfalt ist eben immer wieder ein großer Gewinn. Und wenn sie nur dazu führt, unbekan­nte Musik zu ent­deck­en.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

genies der klassik — bekannte und weniger bekannte

Genies waren sie egentlich alle drei. Und doch hat nur Wolf­gang Amadeus Mozart geschafft, was Louis Spohr und Lui­gi Cheru­bi­ni ver­wehrt blieb: Dauer­haft im Bewusst­sein der Musik­lieb­haber und auf den Konz­ert­po­di­en präsent zu sein. Seine 29. Sin­fonie stand im vierten Sin­foniekonz­ert des The­aters neben dem einzi­gen sin­fonis­chen Werk Cheru­bi­nis, dass eher sel­ten zu hören ist. Auch Spohr ist wenn über­haupt mit Kam­mer­musik zu hören – ganz bes­timmt nicht mit seinem Con­cer­tante für zwei Vio­li­nen und Orch­ester. Denn wann sind schon zwei Vio­lin­is­ten von Rang bere­it, sich gegen­seit­ig die Schau zu stehlen? Selb­st Ingolf Tur­ban und Kol­ja Less­ing machen das nicht allzu oft. Lei­der. Denn sie kön­nen es wahrlich vortr­e­f­flich. Ihre per­fek­te, oft beina­he sym­bi­o­tisch scheinende Ergänzung in musikalis­ch­er Hin­sicht demon­stri­erten sie im Staat­sthe­ater schon vor dem ersten Ton – mit ein­er genau syn­chro­nisierten Ver­beu­gung. Und so fuhren sie dann auch fort. Klan­glich gelang ihnen der Spa­gat zwis­chen vol­lkommen­er Übere­in­stim­mung und behar­ren­der Indi­vid­u­al­ität erstaunlich gut. Obwohl kein­er der bei­den seine eige­nen Qual­itäten ver­leugnete, ergänzten sich Tur­bans deut­lich­es, präsentes Spiel und Lessigs emo­tionaler gefärbte Klang­welt vorzüglich. Die Vielfalt der Ein­fälle, die immer neuen Wen­dun­gen und nicht enden wol­len­der Mit­teilungs­drang Spohrs fan­den in den bei­den Solis­ten jeden­falls sehr ener­gis­che, detail­ver­liebte und sorgsame Für­sprech­er.
Stark war auch das Engage­ment Cather­ine Rück­wardts mit dem Phil­har­monis­chen Staat­sor­ch­ester für Cheru­bi­nis D‑Dur-Sin­fonie. Die birgt von sich aus einiges drama­tis­ches Poten­zial und viele Gele­gen­heit­en zum effek­tvollen Auftrumpfen. In solch­er Umge­bung bewährte sich die ruhige Hand der Diri­gentin ganz beson­ders. Denn Rück­wardt ließ sich nicht von der wirkungsmächti­gen Ober­fläche ver­führen, son­dern schaute tiefer. Und ent­deck­te da nicht nur zauber­hafte klan­gliche Bilder, son­dern auch ein gekon­nt aus­gear­beite musikalis­che Erzäh­lung. Diese Musik wogt im The­ater ganz plas­tisch hin und her, zwitschert und plätschert, stürmt voran, schreckt auch zurück, prallt sog­ar auf Wider­stände und lässt sich den­noch treiben, — und das alles ist auch noch in klas­sis­che For­men ver­packt: Ein typ­isch klas­sich­es Geniew­erk eben.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

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