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Schlagwort: wolfgang amadeus mozart

Mozart mit japanischer Disziplin: Masaaki Suzukis „Requiem“

mozart, requiemNun also auch Masaa­ki Suzu­ki: Der Diri­gent hat mit sei­nem Bach Col­le­gi­um Japan jetzt auch den namens­ge­ben­den Bach und sein direk­tes Umfeld ver­las­sen. Die gro­ßen Diri­gen­ten der his­to­risch infor­mier­ten Auf­füh­rungs­pra­xis machen das ja schon eini­ge Zeit vor und sind inzwi­schen bereits im 20. Jahr­hun­dert ange­langt. Ganz so weit reist Suzu­ki in der Zeit nicht – aber bis Mozart hat er es inzwi­schen auch geschafft. Und sogar bis ganz an des­sen Ende: Da steht das Requi­em – so dicht am Tod, dass es unvoll­endet blieb.

Fer­tig­stel­lun­gen des Frag­ments gibt es ohne Zahl, nur über­trof­fen von den Mythen, die sich um das Requi­em und den Tod sei­nes Schöp­fers ran­ken. Masaa­ki Suzu­ki fügt dem für sei­ne jetzt erschie­ne Auf­nah­me des Requi­ems eine eige­ne Ver­voll­stän­di­gung hin­zu – die aber wie­der­um sehr stark auf den bekann­ten Ergän­zun­gen Franz Xaver Süß­may­ers beruht, sie haupt­säch­lich um klei­ne Ände­run­gen in der Instru­men­ta­ti­on fort­schreibt sowie mit Joseph Eyb­lers Arbei­ten ergänzt. Neu ist hier vor allem eine kur­ze Amen-Fuge am Ende der Sequenz, die Suzu­ki selbst auf der Basis einer Mozart-Skiz­ze (die dem Requi­em nicht ein­deu­tig zuge­ord­net wer­den kann) gesetzt hat.

Und neu ist bei die­ser Auf­nah­me vor allem der herr­li­che Klang des Bach Col­le­gi­ums Japan, der Mozart bis­her ver­sagt blieb. Und da sie all ihre Vor­zü­ge, zu denen an ers­ter Stel­le ihr dis­zi­pli­nier­ter, kla­rer und hel­ler Klang mit deut­lichs­ter Arti­ku­la­ti­on gehört, auch bei Mozart ein­set­zen, wird das Requi­em zu einem sehr rei­nen Ver­gnü­gen. Zumal Suzu­ki auch hier emo­tio­nal sehr kon­trol­liert bleibt – es gibt zwei­fel­los über­schäu­men­de­re Auf­nah­men – und auf pathe­ti­sche Ges­ten oder auf­se­hen erre­gen­de Effek­te ganz ver­zich­tet. Die strin­gent leuch­ten­de Klar­heit, die er – und vor allem die Sän­ger des Bach Col­le­gi­ums – dem Lacri­mo­sa mit­ge­ben: Das ist groß­ar­tig. Denn die Haupt­qua­li­tät sei­ner Auf­nah­me ist unbe­streit­bar: Man hört ein­fach alles, was in der Par­ti­tur pas­siert. Suzu­ki musi­ziert das Requi­em mit einer schlan­ken Leben­dig­keit und poin­tier­ter Pla­ti­zi­tät: Nichts scheint sei­ner Auf­merk­sam­keit zu ent­ge­hen, alle Tei­le erklin­gen in einer vibrie­ren­den Aus­ge­gli­chen­heit. Die Prä­zi­si­on der Arti­ku­la­ti­on und Phra­sie­rung las­sen auch die durch­aus sehr zügi­gen Tem­pi ganz unpro­ble­ma­tisch und natür­lich erschei­nen: Die Span­nung bleibt über das gesam­te Requi­em hin­weg hoch, ein Nach­las­sen kennt Suzu­ki kaum. Der fei­ne, detail­rei­che Klang – an dem auch die um neu­tra­le und genaue Abbil­dung bemüh­te Ton­tech­nik von BIS gro­ßen Anteil hat – zeugt von akku­ra­ter Vor­be­rei­tung und prä­zi­ser Aus­füh­rung, selbst in beweg­ten und tur­bu­len­ten Sät­zen wie dem Kyrie. Chor und Orches­ter – bei­des nicht sehr groß besetzt – befin­den sich hier immer in wun­der­bars­ter Balan­ce. In jedem Moment hat man den Ein­druck, den gan­zen, den rei­nen Mozart zu hören – und ver­gisst dar­über ger­ne, dass hier gar nicht so viel vom Meis­ter selbst erklingt. Auch die Solis­ten, allen vor­an die Sopra­nis­tin Caro­lyn Sampson, pas­sen sich in die­ses fein aus­ta­rier­te Klang­ge­sche­hen fugen­los ein, wie das fast opern­haf­te Recorda­re schon beim ers­ten Hören beweist. Ergänzt wird das for­mi­da­ble Requi­em auf der vor­lie­gen­den SACD noch um eine ener­gisch strah­len­de Auf­nah­me der „Ves­per­ae solen­nes de con­fes­so­re“ (KV 339) aus Mozarts Salz­bur­ger Zeit.

Wolf­gang Ama­de­us Mozart: Requi­em d‑moll (KV 626), ver­voll­stän­digt von Masaa­ki Suzu­ki; Ves­per­ae solen­nes de con­fes­so­re (KV 339). Caro­lyn Sampson, Mari­an­ne B. Kiel­land, Mako­to Saku­ra­da, Chris­ti­an Immler, Bach Col­le­gi­um Japan, Masaa­ki Suzu­ki. BIS 2091, 2014.

(zuerst erschie­nen in „Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin“, #13 Febru­ar 2015)

Ins Netz gegangen (8.8.)

Ins Netz gegan­gen am 8.8.:

Messias mit angezogener Handbremse

Gut, dass es das moder­ne Urhe­ber­recht vor 225 Jah­ren noch nicht gab. Sonst hät­te sich Mozart womög­lich nie getraut, Hän­dels „Mes­siah“ zu bear­bei­ten. Oder Hän­dels Erben hät­ten gar nicht geneh­migt, dass da ein ande­rer Kom­po­nist die Instru­men­ta­ti­on des Ora­to­ri­ums ändert, die Ari­en umschreibt oder man­ches, was ursprüng­lich der Chor zu sin­gen hat­te, nun den Solis­ten anver­traut. Und das wäre scha­de gewe­sen, denn es hät­te uns um die Mozart-Fas­sung des Hän­del­schen „Mes­si­as“ gebracht.

So ein Cover ist natür­lich gera­de dann inter­es­sant, wenn das Ori­gi­nal sowie­so schon bekannt ist. Und das muss man für Hän­dels berühm­tes­tes Ora­to­ri­um auch heu­te noch anneh­men. Da ist eine Auf­füh­rungs­va­ri­an­te also eine ange­neh­me Abwechs­lung: Man hört die bekann­ten Chö­re – natür­lich wird auch bei Mozart ein kräf­ti­ges „Hal­le­lu­ja“ geju­belt – und die ver­trau­ten Ari­en, aber man hört auch etwas Neu­es, auch wenn Mozart die Par­ti­tur nur sehr behut­sam moder­ni­siert. Geän­dert ist vor allem die Instru­men­ta­ti­on, die mit zusätz­li­chen Holz­blä­sern mehr Far­be ins Spiel bringt. Und neu klin­gen auch eini­ge Ari­en. Oder zumin­dest weni­ger bekannt. Denn es ist ja nicht das ers­te Mal, dass der Bach­chor mit der Lud­wigs­ha­fe­ner Staats­phil­har­mo­nie die Mozart-Fas­sung in der Chris­tus­kir­che auf­führt.

Zum ers­ten Mal geschieht das aller­dings ohne Ralf Otto: Der erkrank­te Chor­lei­ter wur­de kurz­fris­tig durch Wolf­ram Kolo­seus ersetzt – immer­hin ein erfah­re­ner Mozart-Diri­gent. Das wird in der Chris­tus­kir­che aber nicht so recht deut­lich. Viel­leicht war die Vor­be­rei­tungs­zeit ein­fach zu kurz. Jeden­falls klingt das sel­ten so, als wären Sän­ger, Instru­men­ta­lis­ten und Diri­gent mit ein­an­der und dem Werk wirk­lich ver­traut. Von Num­mer zu Num­mer han­geln sie sich, mal bes­ser, mal etwas hake­li­ger. Aber über wei­te Tei­le bleibt der Ein­druck, dass alle Betei­lig­ten noch sehr in und an den Noten kle­ben – frei­es und leben­di­ges Musi­zie­ren ist das sel­ten.

Aus­ge­rech­net im ers­ten Teil, dem weih­nacht­li­chen Teil des Ora­to­ri­ums, wirkt die­ser „Mes­si­as“ des­halb selt­sam ent­rückt und fern: Das scheint die Musi­ker über­haupt nicht zu berüh­ren. Man­ches von die­ser groß­ar­ti­gen Musik ist sogar rich­tig schlaff. Sicher, da sind durch­aus anspre­chen­de Momen­te dabei – aber gut ver­steckt in viel Mit­tel­maß. Auch die Solis­ten kön­nen das nicht ret­ten: Klaus Mer­tens wirft sei­ne lang­jäh­ri­ge Erfah­rung ins Gewicht, die man der rou­ti­nier­ten, aber durch­aus poin­tier­ten Inter­pre­ta­ti­on immer anhört. Tenor Chris­ti­an Rath­ge­ber singt dage­gen auf­fal­lend jugend­lich und frisch, aber manch­mal auch etwas durch­set­zungs­schwach. Ähn­li­ches ist in der Damen­rie­ge zu beob­ach­ten: Sopra­nis­tin Sarah Wege­ner kann mit kla­rer und sub­ti­ler Gestal­tung über­zeu­gen, wird manch­mal – etwa in der Arie „Er wei­det sei­ne Her­de“ auch rich­tig ver­füh­re­risch, wäh­rend die Mez­zo­so­pra­nistn Nohad Becker etwas unschein­bar bleibt.
Blass bleibt aber eben auch vie­les vom Rest. Die Staats­phil­har­mo­nie klingt durch­weg recht schroff, der Chor anfangs erstaun­lich lust­los. Vie­le rhyth­mi­sche und dyna­mi­sche Akzen­te, die der sehr extro­viert diri­gie­ren­de Kolo­seus den Musi­kern und Sän­gern zu ent­lo­cken ver­sucht, ver­schlei­fen und ver­puf­fen wir­kungs­los. Immer­hin bes­sert sich das zuneh­mend: Vor allem der Bach­chor fin­det zur gewohn­ten Form, die hier sehr poliert und hell klingt. Gera­de im zwei­ten Teil fängt das an, zu strah­len. Scha­de nur, dass dann aus­ge­rech­net der Schluss­chor, das alles bestä­ti­gen­de gro­ße „Amen“, wie­der so über­vor­sich­tig zag­haft klingt, als wür­den Chor und Orches­ter mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se musi­zie­ren.

Ernsthaft gut: Doppelkonzerte im Meisterkonzert

Das Gan­ze ist ein Witz. Bei sei­ner neun­ten Sin­fo­nie – aus­ge­rech­net der Neun­ten! – hat Schost­a­ko­witsch es sich nicht neh­men las­sen, mit allen Erwar­tun­gen und Tra­di­tio­nen zu spie­len. Das hing natür­lich auch mit sei­ner eige­nen und der poli­ti­schen Situa­ti­on zusam­men – 1945 hat­te der Kom­po­nist schon eini­ge Erfah­rung mit Sta­lins Régime und des­sen Kri­ti­kern gesam­melt. Denen woll­te er kei­ne Tri­umph­mu­sik schrei­ben – aber was er dann mit der Neun­ten im Herbst ablie­fer­te, das muss für gera­de die­se Kri­ti­ker eine rei­ne Unver­schämt­heit gewe­sen sein: Die knap­pe hal­be Stun­de hei­te­rer Musik trieft nur so vor Iro­nie. Die gan­ze Sin­fo­nie spielt mit klas­si­schen For­men und Metho­den – bis zur Über­erfül­lung. Wahr­schein­lich ist sie eine der klas­sischs­ten Sin­fo­nien, die im 20. Jahr­hun­dert geschrie­ben wur­de. Und ein hin­ter­lis­ti­ges Spiel mit den Erwar­tun­gen, auch des Hörers. Man kann das als net­te, kunst­voll gemach­te Unter­hal­tung spie­len. Oder man kann, wie Mar­cus Bosch es beim 3. Meis­ter­kon­zert mit der Lud­wigs­ha­fe­ner Staats­phil­har­mo­nie in der Rhein­gold­hal­le mach­te, die abgrün­di­gen Sei­ten her­vor­kit­zeln und das Absur­de die­ser Musik beto­nen. Bosch gelang das der­ma­ßen gut, dass die Iro­nie aus jedem schö­nen Akkord und jedem schö­nen melo­di­schen Ein­fall nur so her­vor­quoll. Vor allem die Mischung aus unter­grün­dig-boh­ren­der Span­nung und schwung­voll-aus­ge­las­se­ner Spiel­freu­de, die Mar­cus Bosch im Fina­le bis zur tän­ze­ri­schen Über­mut aus­reiz­te, mach­ten die Neun­te zu einem so wun­der­ba­ren Hör­erleb­nis.

Dabei war Schost­a­ko­witschs Sin­fo­nie eigent­lich nur das Aus­ru­fe­zei­chen am Schluss eines span­nen­den Kon­zer­tes. Davor stand noch der sel­te­ne dop­pel­te Genuss eines Dop­pel­kon­zer­tes. Mit den Pia­nis­tin­nen Mona und Rica Bard spiel­te die Staats­phil­har­mo­nie näm­lich nicht nur ein Dop­pel­kon­zert, son­dern gleich zwei: von Mozart und Fran­cis Pou­lenc. Witz haben bei­de, aber auf jeweils ganz eige­ne Art.

Pou­lencs 1932 kom­po­nier­tes Kon­zert für zwei Kla­vie­re und Orches­ter ist mit sei­nen raschen Sprün­gen, viel­fäl­ti­gen Wech­seln und Reich­tum an bun­ten Ein­fäl­len und Stil­mi­schun­gen ein geschick­ter Kon­zert­auf­takt. Die zwei schlag­kräf­ti­gen Akkor­de des Beginns sind ein dop­pel­ter Start­schuss. Damit beginnt ein Feu­er­werk der Klang­far­ben und des Rhyth­mus – „reins­ter Pou­lenc“, wie der Kom­po­nist selbst ein­mal bemerk­te. Bei Mona und Rica Bard war das Feu­er­werk in guten Hän­den: Sie ach­te­ten sorg­sam dar­auf, dass auch in der Hit­ze des Gefechts alles mit rech­ten Din­gen zuging – wäh­rend Bosch mit dem Orches­ter ver­such­te, zumin­dest ein biss­chen zu zün­deln.

Mozarts ein­zi­ges Kon­zert für zwei Kla­vie­re ist der Gele­gen­heit des gemein­sa­men Musi­zie­rens mit sei­ner Schwes­ter geschul­det. Das merkt man der Musik auch ganz unmit­tel­bar an: Sel­ten sind die bei­den Solo­par­tien so eng und unauf­lös­bar inein­an­der ver­floch­ten wie hier. Und sel­ten hört man sie so har­mo­nisch inein­an­der gefügt wie von den Bard-Schwes­tern. Die bei­den pfleg­ten in der Rhein­gold­hal­le ein sehr kon­zen­trier­tes und kunst­vol­les Spiel. Das dabei der augen­zwin­kern­de Witz Mozarts manch­mal etwas hin­ten­an­ste­hen muss­te, ver­zieh man ihnen ger­ne. Zumal das Orches­ter alles tat, die klei­ne Lücke zu fül­len. Die Auf­ga­ben­tei­lung war dabei schnell klar: Die Staats­phil­har­mo­nie über­nahm die gro­ßen Ges­ten, die Pia­nis­tin­nen die fein­sin­ni­ge, fast kam­mer­mu­si­ka­li­sche Klang­tüf­te­lei. Zusam­men erklang so ein ernst­haft gutes Mozart-Kon­zert, das gewis­sen­haft und emo­tio­nal zugleich war – und alles ande­re als ein Witz.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Mozart und Paris

Mozart und Paris, das war alles ande­re als eine inni­ge Lie­bes­be­zie­hung. Und doch ist es sinn­voll, Mozarts Es-Dur-Quin­tett mit­ten in ein Kon­zert mit fran­zö­si­scher Musik zu plat­zie­ren. Denn auch wenn er über die Pari­ser und die Fran­zo­sen im all­ge­mei­nen in sei­ner unnach­ahm­lich direk­ten Art böse schimpf­te – hin­ge­hört hat Mozart genau, als er an der Sei­ne war. Blä­ser solo und im Ensem­ble hat er da zum Bei­spiel viel erlebt. Und viel­leicht wäre es ohne die­se Bekannt­schaft nicht zum Es-Dur-Quin­tett gekom­men. Ganz sicher aber wäre es nicht dazu gekom­men, hät­te Mozart nicht auch in Wien groß­ar­ti­ge Instru­men­ta­lis­ten erlebt.

Wie auch immer: Das Quin­tett für Blä­ser und Kla­vier ist jeden­falls ein ers­ter Höhe­punkt beim Kon­zert der Sti­pen­dia­ten der Vil­la Musi­ca um die bei­den Dozen­ten Ingo Goritz­ki und Johan­nes Peitz. Fast ein Dut­zend jun­ger Musi­ker bevöl­kern in die­sem Kon­zert abwech­selnd die Büh­ne. Und alle sehr sou­ve­rän dabei. Das war auch dem Mozart-Quin­tett anzu­hö­ren: Hohe Anspan­nung und Kon­zen­tra­ti­on ist zu mer­ken. So geschmei­dig der Klang sich dar­bie­tet, blei­ben doch eini­ge Kan­ten und ecki­ge Phra­sie­run­gen, die gera­de die Eck­sät­ze an man­chen Stel­len etwas schwer­fäl­lig wir­ken las­sen. Ande­rer­seits passt das auch ins Kon­zept, das die schwer­mü­ti­ge Stim­mung, den etwas gedämpf­ten Opti­mis­mus die­ser Musik beson­ders her­vor­hebt. Scha­de nur, das der Kla­vier­klang hin­ter der schö­nen Klang­wand der vier Blä­ser etwas ver­steckt bleibt.

150 Jah­re spä­ter klang die Stadt Paris ganz anders. Wie ein Kom­po­nist sie in der Zwi­schen­kriegs­zeit erleb­te, davon ver­mit­telt Fran­cois Pou­lencs Sex­tett für Blä­ser und Kla­vier ein unmit­tel­bar tönen­des Bild: Tru­bel und Ele­ganz, Läs­sig­keit und Hek­tik prä­gen die­ses Sex­tett, das in eini­gen Pas­sa­gen ein auf­re­gend rea­lis­ti­sches akus­ti­sches Abbild der Metro­po­le zeigt, ohne ande­rer­seits die kunst­vol­le Fer­tig­keit ihres Schöp­fers zu ver­ber­gen. Vor allem in einer so plas­ti­schen Auf­füh­rung wie in der Vil­la Musi­ca klingt das berau­schend. Da stört es auch kaum noch, dass die­se Musik im inti­men Kon­zert­raum auf der Bas­tei eigent­lich arg beengt ist – das ver­langt nach Grö­ße und Frei­heit. Unbe­küm­mert frisch, unver­braucht drän­gend spru­delt die reich­hal­ti­ge Rafi­nes­se Pou­lencs aber auch hier, von den Sti­pen­dia­ten mit Herz­blut ver­ge­gen­wär­tigt. Die vie­len prä­sen­ten Augen­bli­cke, die sich dank des Über­blicks der Inter­pre­ten zu grö­ße­ren Zusam­men­hän­gen for­men und bei­de Pole in einem auf­re­gen­den Gleich­ge­wicht hal­ten, sind genau so auf­re­gend, wie eben nur Paris sein kann.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Taglied 4.3.2012

ein­fach mals so (weil ich mich gera­de durch die Opern-Gesamt-Edi­ti­on von Gar­di­ner höre …):

Neu und alt, friedlich vereint – im Gedenken

Es war wie bei der Urauf­füh­rung: Das Publi­kum war von Béla Bar­tóks „Musik für Sai­ten­in­stru­men­te, Schlag­werk und Celes­ta“ so begeis­tert, dass das Orches­ter den letz­ten Satz wie­der­ho­len muss­te. Damals, vor fast 75 Jah­ren in Basel genau so wie jetzt im Kur­fürst­li­chen Schloss. Das Orches­ter der Main­zer Musik­hoch­schu­le unter Wolf­ram Kolo­seus war schuld an die­ser Par­al­le­li­tät. Denn beim Abschluss der dies­jäh­ri­gen „MainzMusik“-Konzertreihe bot es ein span­nen­des und über­ra­schen­des Pro­gramm, bei dem der Schluss­ap­plaus voll­kom­men gerecht­fer­tigt war.

Der Beginn des Kon­zer­tes war aber etwas aktu­el­ler, mit der Strei­cher­mu­sik „Der Opfer Hiro­shi­mas geden­kend“. Uwe Lohr­mann – gebo­ren im Jahr der Urauf­füh­rung der Bar­tók-Musik – schrieb die­ses Stück für dop­pel­tes Streich­or­ches­ter und Solo­vio­li­ne zur Erin­ne­rung an und aus Anlass des 60. Jah­res­ta­ges des ers­ten Atom­bom­ben­ein­satz. Dich­te, kom­ple­xe Akkor­de der vie­len Strei­cher­stim­men sind das, die das schreck­li­che Gesche­hen sehr bild­haft ein­fan­gen. Vor allem aber ist es eine Musik der Trau­er, des Schmer­zes und des Ver­lus­tes – und dar­in ganz unmit­tel­bar. Genau dar­auf legt es auch Kolo­seus, der 2005 schon die Urauf­füh­rung diri­gier­te, an. Und auch Ben­ja­min Berg­mann als Solist, der aber als sol­cher gar nicht sehr her­aus­sticht, son­dern sich eng in das Orches­ter­ge­sche­hen inte­griert, folgt ihm eng. Zusam­men wid­men sie sich Lohr­manns Musik sehr effek­tiv und kon­trol­liert: Sie machen bewe­gen­de, emo­tio­na­le Musik, ohne sich in Sen­ti­men­ta­li­tä­ten zu ver­lie­ren.
Der Trau­er­mu­sik folgt dann ein uner­war­te­ter Abste­cher in die Wie­ner Klas­sik: Mozarts gro­ße g‑Moll-Sin­fo­nie. Und es funk­tio­nier­te. Denn Mozarts vor­letz­te Sin­fo­nie erweist sich im Schloss als wun­der­ba­re Ergän­zung, wie ein Kom­men­tar aus der Ver­gan­gen­heit. In gewis­ser Wei­se ist das ein biss­chen wie ein Rück­kehr in die Nor­ma­li­tät, die aber auch nie eine hei­le Welt war – denn Kolo­seus führt auch die Abgrün­de und Brü­che die­ser Musik vor, ohne sich dar­in zu ver­lie­ren. Geschmei­dig und für ein Stu­den­ten­or­ches­ter sehr klang­kul­ti­viert navi­giert er sicher durch Mozarts Spät­werk.

Wie über­haupt vie­les klapp­te an die­sem Abend. Selbst die klei­nen Unge­nau­ig­kei­ten, die sich in Bar­tóks „Musik für Sai­ten­in­stru­men­te, Schlag­werk und Celes­ta“ hin und wie­der ein­schli­chen, gehö­ren dazu: Denn Kolo­seus wirft sich und das Hoch­schul­or­ches­ter betont unge­stüm in die kul­ti­vier­te Wild­heit Bar­tóks, ihre ewig drän­gen­den Unru­he und rast­lo­sen Bewe­gung, die nur kur­ze Momen­te des Inne­hal­tens, der idyl­li­schen Inseln der Har­mo­nie im Meer der Unrast erlaubt. Und das ist so mit­rei­ßend, dass selbst der Diri­gent auf­pas­sen muss, auf der Büh­ne nicht ein­fach los­zu­tan­zen.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

Kreuz und quer durch die Musikgeschichte

Von Mozart zu Šen­dero­vas, dann noch ein­mal von Mahler zu Are­n­sky (zurück ins tie­fe­re 19. Jahr­hun­dert): Das Kon­zert in der Vil­la Musi­ca mit den Dozen­ten Kal­le Ran­da­lu und David Gering­as sowie einer Men­ge Sti­pen­dia­ten fin­det kei­ne Ruhe:

Grö­ße­re Gegen­sät­ze sind kaum denk­bar: Einer­seits ste­hen Mozart und Mahler auf dem Pro­gramm. So hat die Vil­la Musi­ca ihr Sti­pen­dia­ten­kon­zert auch beti­telt. Aber das reicht noch nicht für ein Kon­zert. Also kom­men noch zwei Wer­ke von Ana­to­li­jus Šen­dero­vas und Anton Are­n­sky dazu. Zwei halb oder gar nicht bekann­te Kom­po­si­tio­nen, die dann aber wesent­lich span­nen­der und inter­es­san­ter waren als der Rest.

Denn Mozarts Kla­vier­quar­tett in Es-Dur schien hier eher belang­los und als brav absol­vier­te Pflicht­übung. Mahlers Quar­tett­satz immer­hin kam breit aus­ge­spielt und kraft­voll ent­schlos­sen mit gro­ßem Ges­tus daher – ein­deu­tig als ein unein­ge­lös­tes Ver­spre­chen: Was hät­te Gus­tav Mahler nicht auch für die Kam­mer­mu­sik leis­ten kön­nen, wenn er sich nicht auf orches­tra­le Groß­wer­ke beschränkt hät­te. Das kur­ze Werk des jugend­li­chen Genies ist eine ein­zi­ge Vor­ah­nung auf Spä­te­res. Und genau so, mit dem Wis­sen der spä­te­ren Ent­wick­lung des Kom­po­nis­ten, spiel­ten die die Sti­pen­dia­ten um Kal­le Ran­da­lu die ein­zi­ge erhal­te­ne Kam­mer­mu­sik Mahlers auch.

Im a‑Moll-Quar­tett des rus­si­schen Kom­po­nis­ten Anton Are­n­sky läuft das Den­ken in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung: In die Ver­gan­gen­heit. Denn die­ses Streich­quar­tett in der unüb­li­chen Beset­zung mit Vio­li­ne, Brat­sche und zwei Cel­li ist von Are­n­sky als Toten­kla­ge auf sei­nen Freund Tschai­kow­sky kom­po­niert. Vir­tu­os und weit aus­ho­lend beginnt es, spiel­tech­nisch anspruchs­voll bleibt es auch in den Varia­tio­nen über The­ma von Tschai­kow­sky – ein berüh­ren­der Satz, gründ­lich durch­ge­ar­bei­tet und getra­gen von der Dun­kel­heit des Abschie­des. Die drei Sti­pen­dia­ten und Dozent David Gering­as am Cel­lo spie­len das glei­cher­ma­ßen wuch­tig und ath­mo­sphä­risch, fol­gen den ele­gi­schen Erin­ne­run­gen mit viel Klang­sinn und Gespür für die mach­mal schmerz­vol­le, manch­mal weh­mü­ti­ge und manch­mal auch etwas ver­träum­te Musik.

Ath­mo­sphä­ri­sche und stim­mungs­vol­le Klän­ge bie­tet auch­das zwei­te Kla­vier­trio des Litau­ers Ana­to­li­jus Šen­dero­vas. 1984 kom­po­niert, wie Are­n­skys Quar­tett in memo­ri­am eines Freun­des geschrie­ben, bie­tet es in moder­ne Ton­spra­che eine brei­te Aus­drucks­pa­let­te. Und jun­gen Musi­ker wid­men sich dem mit viel Hin­ga­be und Kon­zen­tra­ti­on und kön­nen die vol­le Viel­falt die­ser Musik ein­dring­lich beschwö­ren. So ent­steht, von den ers­ten Fla­geo­letts als Bild der fah­le Wirk­lich­keit über wei­te Kan­ti­le­nen und harsch-dra­ma­ti­sche Ein­brü­chen, aus dem sprach­lo­sen Raum der Trau­er und der Erin­ne­rung eine ech­te See­len­mu­sik. Frei von for­ma­len Zwän­gen, ganz dem Aus­druck ver­schrie­ben, setzt Sen­dero­vas der scha­len Rea­li­tät die man­nig­fal­ti­gen Mög­lich­kei­ten der Kunst ent­ge­gen. Viel­falt ist eben immer wie­der ein gro­ßer Gewinn. Und wenn sie nur dazu führt, unbe­kann­te Musik zu ent­de­cken.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung.)

genies der klassik – bekannte und weniger bekannte

Genies waren sie egent­lich alle drei. Und doch hat nur Wolf­gang Ama­de­us Mozart geschafft, was Lou­is Spohr und Lui­gi Che­ru­bi­ni ver­wehrt blieb: Dau­er­haft im Bewusst­sein der Musik­lieb­ha­ber und auf den Kon­zert­po­di­en prä­sent zu sein. Sei­ne 29. Sin­fo­nie stand im vier­ten Sin­fo­nie­kon­zert des Thea­ters neben dem ein­zi­gen sin­fo­ni­schen Werk Che­ru­bi­nis, dass eher sel­ten zu hören ist. Auch Spohr ist wenn über­haupt mit Kam­mer­mu­sik zu hören – ganz bestimmt nicht mit sei­nem Con­cer­tan­te für zwei Vio­li­nen und Orches­ter. Denn wann sind schon zwei Vio­li­nis­ten von Rang bereit, sich gegen­sei­tig die Schau zu steh­len? Selbst Ingolf Tur­ban und Kol­ja Les­sing machen das nicht all­zu oft. Lei­der. Denn sie kön­nen es wahr­lich vor­treff­lich. Ihre per­fek­te, oft bei­na­he sym­bio­tisch schei­nen­de Ergän­zung in musi­ka­li­scher Hin­sicht demons­trier­ten sie im Staats­thea­ter schon vor dem ers­ten Ton – mit einer genau syn­chro­ni­sier­ten Ver­beu­gung. Und so fuh­ren sie dann auch fort. Klang­lich gelang ihnen der Spa­gat zwi­schen voll­kom­me­ner Über­ein­stim­mung und behar­ren­der Indi­vi­dua­li­tät erstaun­lich gut. Obwohl kei­ner der bei­den sei­ne eige­nen Qua­li­tä­ten ver­leug­ne­te, ergänz­ten sich Tur­bans deut­li­ches, prä­sen­tes Spiel und Les­sigs emo­tio­na­ler gefärb­te Klang­welt vor­züg­lich. Die Viel­falt der Ein­fäl­le, die immer neu­en Wen­dun­gen und nicht enden wol­len­der Mit­tei­lungs­drang Spohrs fan­den in den bei­den Solis­ten jeden­falls sehr ener­gi­sche, detail­ver­lieb­te und sorg­sa­me Für­spre­cher.
Stark war auch das Enga­ge­ment Cathe­ri­ne Rück­wardts mit dem Phil­har­mo­ni­schen Staats­or­ches­ter für Che­ru­bi­nis D‑Dur-Sin­fo­nie. Die birgt von sich aus eini­ges dra­ma­ti­sches Poten­zi­al und vie­le Gele­gen­hei­ten zum effekt­vol­len Auf­trump­fen. In sol­cher Umge­bung bewähr­te sich die ruhi­ge Hand der Diri­gen­tin ganz beson­ders. Denn Rück­wardt ließ sich nicht von der wir­kungs­mäch­ti­gen Ober­flä­che ver­füh­ren, son­dern schau­te tie­fer. Und ent­deck­te da nicht nur zau­ber­haf­te klang­li­che Bil­der, son­dern auch ein gekonnt aus­ge­ar­bei­te musi­ka­li­sche Erzäh­lung. Die­se Musik wogt im Thea­ter ganz plas­tisch hin und her, zwit­schert und plät­schert, stürmt vor­an, schreckt auch zurück, prallt sogar auf Wider­stän­de und lässt sich den­noch trei­ben, – und das alles ist auch noch in klas­si­sche For­men ver­packt: Ein typisch klas­si­ches Genie­werk eben.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

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