Gefühl ist Trumpf, ohne Gefühl geht hier gar nichts. Salo­me Kam­mer kann sich das aber auch leis­ten. Denn die Sopra­nis­tin – den meis­ten eher als Schau­spie­le­rin aus den „Heimat“-Filmen bekannt – ist ohne wei­te­res in der Lage, zwei Stun­den über und mit Gefühl zu sin­gen, ohne der Lan­ge­wei­le oder der Ein­tö­nig­keit den Hauch einer Chan­ce zu geben.
Lie­der auf Tex­te von Brecht hat sie sich aus­ge­sucht, von Kurt Weill und Hanns Eis­ler. Der Abend steht, als Teil des Begleit­pro­gramms zur Aus­tel­lung „Das vedäch­ti­ge Saxo­fon – ‚Ent­ar­te­te Musik’ im NS-Staat“, unter dem Titel „Lie­der aus der Hei­mat – Lie­der in der Frem­de“. Aber dar­um geht es gar nicht so sehr. Das erzwun­ge­ne Exil von Dich­ter und Kom­po­nis­ten, die Erfah­rung der Frem­de und der Unsi­cher­heit – all das steht für Kam­mer und ihren Beglei­ter Rudi Spring gar nicht unbe­dingt im Zen­trum des Pro­gramm. Denn den Mit­tel­punkt hat ganz ein­deu­tig die Unter­hal­tung besetzt. Das ist zwar ein klei­ner Eti­ket­ten­schwin­del. Aber kein schlim­mer – denn wer so gut unter­hal­ten kann wie die­se bei­den Musi­ker, der soll­te das auf jeden Fall mög­lichst häu­fig tun. Wesent­li­che Ingre­di­enz für den Erfolg ist die gro­ße Viel­falt. Und zwar in jeder Hin­sicht: Von der Aus­wahl der Lie­der bis zur stimm­li­chen Umset­zung und ange­deu­te­ten sze­ni­schen und mimi­schen Prä­sen­ta­ti­on – Lang­wei­le hat hier im Rat­saal über­haupt kei­ne Chance.
Aber auch die Sen­ti­men­ta­li­tät nicht. Denn Salo­me Kam­mer wird nie gefühls­du­se­lig. Auch bei den gro­ßen Hits von Brecht/​Weill, der See­räu­ber-Jen­ny etwa oder „Und was bekam des Sol­da­ten Weib“ zeich­net sich die Sän­ge­rin vor allem durch die cha­mä­loen­haf­ti­ge Ver­wand­lun­gen ihrer Stim­mun­gen aus, die sehr genau treffen.
Noch etwas kon­zen­trier­ter, fokus­sier­ter – und des­halb auch wir­kungs­stär­ker – sang sie die Eis­ler-Lie­der. Vor allem bei der Aus­wahl aus dem Hol­ly­wood-Lie­der­buch konn­te sie die knap­pen, trotz ihrer kunst­vol­len Form sehr aufs Wesent­li­che redu­zier­ten Lie­der stark machen, sie vital und char­mant vibrie­ren lassen.
Hier war das Duo ohne Zwei­fel am stärks­ten. Aber gera­de hier stell­te sich manch­mal doch die Fra­ge: Nimmt Salo­me Kam­mer das nicht alles ein wenig locker? So anre­gend es immer wie­der ist, ihr zuzu­hö­ren und zuzu­schau­en – man­ches Lied hat kom­ple­xe­re Inhal­te und mehr zu ent­de­cken, als sie ihm zuge­ste­hen will. Denn bei allem Witz und bei aller Raf­fi­nes­se, die Brecht und sowohl Weill als auch Eis­ler immer wie­der ver­sprü­hen: Alle die­se Lie­der sind bis auf ihren Kern geprägt von den tra­gi­schen Erfah­run­gen des 20. Jahr­hun­derts, wie sie ihre Schöp­fer mit­er­leb­ten. Doch die­ses Stim­mung und die­ses Gefühl woll­ten Kam­mer und Spring nicht mit ihrem Publi­kum teilen. 

geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.