Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: avantgarde Seite 1 von 2

spinnennetz mit tau

Ins Netz gegangen (24.8.)

Ins Netz gegan­gen am 24.8.:

  • Mein Dreiviertel­jahr mit Luther | Mein Jahr mit Luther → achim landwehr ist von der lang­weili­gen ideen­losigkeit des refor­ma­tion­sju­biläums so gelang­weilt, dass er sein blog zum “jahr mit luther” vorzeit­ig schließt — schade …

    ch hat­te mich zu Beginn dieses Blogs tat­säch­lich der Illu­sion hingegeben, das Refor­ma­tion­sju­biläum 2017 sei eine gute Gele­gen­heit, um sich der deutschen Geschicht­skul­tur des frühen 21. Jahrhun­derts zu wid­men. Im Prinzip bin ich immer noch dieser Mei­n­ung. Nur hat­te ich offen­bar unter­schätzt, wie dröge und phan­tasie­los diese Geschicht­skul­tur ist. Sie hat gewon­nen. Ich gebe auf.

    Das Prob­lem: Es wer­den die immer gle­ichen Inhalte in die immer gle­ichen For­men gegossen. Die Ein­fall­slosigkeit ist kaum zu über­bi­eten. Sicher­lich, dem hätte ich mit ein wenig mehr Ein­fall­sre­ich­tum mein­er­seits begeg­nen kön­nen. Aber nach meinen bish­er geschriebe­nen Tex­ten sah ich mich schon selb­st in eine ähn­liche Wieder­hol­ungss­chleife ein­biegen.

  • “Die SPD hat den Löf­fel längst abgegeben” | Fre­itag → recht inter­es­santes inter­view mit thomas fis­ch­er, der in ruh­e­s­tand geht — weil er meist sehr direkt antwortet und nur dann, wenn er sich selb­st kom­pe­tent fühlt, ist das gar nicht so unin­ter­es­sant …
  • „Die Post­mod­erne ist nicht post­fak­tisch“ | philoso­phie-mag­a­zin → inter­es­santes inter­view über niet­zsche, fak­tengläu­bigkeit, inter­pre­ta­tion und sprachkri­tik, und seine wirkung auf die die philoso­phie des 20. jahrhun­derts
  • Also wer­den See­len und Sil­ben gezählt | NZZ → michael braun berichtet vom lyrik­ertr­e­f­fen in der eifel

    In den Lyrik-Debat­ten seit Beginn des 21. Jahrhun­derts sind nun einige Tabus geschleift und einige liebge­wonnene Gewis­sheit­en und Übereinkün­fte aufgekündigt wor­den. Es gibt keine ver­lässlichen Ord­nungssys­teme mehr, keine trennschar­fen Unter­schei­dun­gen zwis­chen «herkömm­lichem» und «exper­i­mentellem» Schreiben, zwis­chen «Tra­di­tion­al­is­mus» und «Avant­garde» – und schon gar keine Ein­teilun­gen nach «Fre­und» und «Feind»
    […] Dieses Ineinan­der von Tra­di­tion­sz­i­tat und mod­ern­er Über­schrei­bung eines altherge­bracht­en Stoffs man­i­festierte sich in vie­len Gedicht­en, die im Kloster Ste­in­feld Gegen­stand der Werk­stattge­spräche waren. Bis hin zu Christoph Wen­zels konzisen Erkun­dun­gen der Sozialgeschichte des Dor­fes: Gedichte, in denen sich – wie in jedem guten Gedicht – der Autor zugle­ich aus­drückt und auch ver­birgt.

  • Rück­en­wind vom recht­en Rand: Wofür ste­ht der Wieder­auf­bau der Pots­damer Gar­nisonkirche? | FAZ → phillip oswalt über die selt­samen verbindun­gen und lügen beim sowieso reich­lich unsin­ni­gen bestreben, die pots­damer gar­nisonkirche wieder aufzubauen
  • Wenn Deutsch­land kolo­nial­isiert wor­den wäre | FR → aram ziai entwirft eine kon­trafak­tis­che szener­ie, in der deutsch­land von chi­ne­sis­chen erober­ern kolon­al­isiert wor­den wäre — um für eine postkolo­niale alter­na­tive der zusam­me­nar­beit statt der entwick­lung­shil­fe/-poli­tik zu wer­ben

Ins Netz gegangen (7.5.)

Ins Netz gegan­gen am 7.5.:

  • Volks­banken: Meine Bank ist krank | ZEIT ONLINE — heinz-roger dohms hat eine (sehr) kleine und nicht sehr prof­itable genoss­es­nchafts­bank besucht und berichtet von deren stel­lung prob­leme wohltuend unaufgeregt und ohne große lösun­gen …
  • His­torik­er über Erin­nerungskul­tur: „Mar­tin Luther als Spielfig­ur“ — taz.de — der his­torik­er valentin groeb­n­er im gespräch mit jan fed­der­sen über erin­nerung, gedenken und den zusam­men­hang von ver­gan­gen­heit, geschichte und gegen­wart

    His­torische Jubiläen haben ziem­lich viel mit Heils­geschichte zu tun, mit kollek­tiv­en Erlö­sungswün­schen plus Sin­nange­bot.[…] Wie viel Platz für Über­raschen­des kann denn in den kollek­tiv­en Insze­nierun­gen von Gedenken sein? 2017 ist Luther-Jubiläum – dann wird es ähn­lich sein. Ein biss­chen zuge­spitzt for­muliert: Das Ver­hält­nis zur Ver­gan­gen­heit wird über Gebets­ge­mein­schaften organ­isiert.

  • Der 8. Mai 1945 – Tag der Befreiung? | res­o­nanz­bo­den — huber­tus knabe find­et die beze­ich­nung “tag der befreiu­ung” für den 8./9. mai 1945 unpassend und schlägt eine zurück­hal­tendere, bit­terere lesart der erin­nerung an das kriegsende vor

    Die Deutschen tun gut daran, sich von solch­er Mythen­bil­dung fernzuhal­ten. Für sie sollte der 8. Mai vor allem ein Tag der Scham und der Trauer sein. Über 50 Mil­lio­nen Men­schen kamen durch die Poli­tik der dama­li­gen deutschen Regierung ums Leben – eine Last, die zu ein­er dif­feren­zierten und real­is­tis­chen Sicht der Geschichte verpflichtet.

  • Varo­ufakis ben­immt sich echt unmöglich (behaupten anonyme Quellen)… | misik.at — robert misik legt sehr schön dar, wie ungesichert und gefährlich die ange­blichen infor­ma­tio­nen der medi­en aus der poli­tik, ins­beson­dere der brüs­sel­er, sein kön­nen:

    Wenn aber der immer gle­iche Spin aus den offen­bar immer gle­ichen “anony­men” Quellen kommt, dann sollte Ihnen als Leser klar sein, dass hier Jour­nal­is­ten vorsät­zlich instru­men­tal­isiert wer­den, um eine “Sto­ry­line” unter die Leute zu brin­gen.

  • Mak­ing the Right Choic­es: A John Cage Cen­ten­ni­al Cel­e­bra­tion — videos von john-cage-werken — schön gemachte seite von michael tilson thomas & new world sym­pho­ny
  • Plat­ten aus dem Plat­ten­bau — taz.de — andreas hart­mann hat für die taz das kleine, aber sehr feine (vor allem, wenn man auf abge­fahrene musik so abfährt wie ich …) plat­ten­la­bel karl­records ent­deckt

    Karl ist eines dieser vie­len kleinen, aber feinen Labels, die es weltweit gibt und die nach der Krise der Musikin­dus­trie durch die Dig­i­tal­isierung in den nuller Jahren in ein­er Nis­che blühen und gedei­hen — wegen des über­raschen­den Vinyl-Revivals.

    (ich bin aber immer froh, dass die ihre sachen nicht nur auf vinyl, son­dern auch dig­i­tal — bei band­camp — anbi­eten)

  • Die Neuzeit und die Kul­tur der Unruhe: Das Gesumm der men­schlichen Dinge — NZZ.ch — ralf kon­ers­mann über die “ent­deck­ung” der unruhe und ihre beschrei­bung und analyse durch blaise pas­cal

    Das Neue der Neuzeit war die Bejahung der Unruhe, nicht jedoch das Empfind­en der Unruhe selb­st.

  • Dig­i­tale Agen­da der Bun­desregierung — Bös­es Netz — Chris­t­ian Heise vom Cen­tre for Dig­i­tal Cul­tures der Leuphana Uni­ver­sität in Lüneb­urg kom­men­tiert in der süd­deutschen zeitung das totalver­sagen der bun­de­spoli­tik bei dig­i­tal­en und net­zpolit. the­men:

    Die Net­zpoli­tik der schwarz-roten Koali­tion ist ein Witz. Sie ist gekennze­ich­net durch fehlen­den Sachver­stand und eine grundle­gende Abwehrhal­tung gegenüber der Dig­i­tal­isierung. Statt Pri­or­itäten zu deren Aus­bau zu definieren, konzen­tri­ert sich die Bun­desregierung darauf, die Poten­ziale des Dig­i­tal­en zur Kon­trolle und zur Überwachung der Bürg­er zu nutzen.

    — auch der rest ist pointiert, tre­f­fend und sehr lesenswert!

  • Zum Ver­ständ­nis | Postkul­tur — jan kuhlbrodt:

    Ich ver­steh nicht, was mit Ver­ste­hen gemeint sein soll. […] Ver­ste­hen im ästhetis­chen Sinne aber, wäre die Offen­heit der Kunst­werke auszuhal­ten, und ihre Ver­weigerung, sich in einem instru­mentellen Sinn über­set­zen zu lassen, dass heißt, sich erset­zen zu lassen durch Hand­lung oder Aus­sage.

    — ich glaube, dass “wäre” sollte durch ein “ist” erset­zt wer­den …

  • Spi­onage: Der BND, ein gefährlich­er Staat im Staat | ZEIT ONLINE — kai bier­mann sehr pointiert zur neuesten wen­dung im spi­onage-skan­dal (kann man das eigentlich noch so nen­nen?)

    Der Fall zeigt, wie krank das Geschäft der Geheim­di­en­ste ist. Er zeigt, wie ver­schoben deren moralis­che und rechtliche Maßstäbe sind. Sehen­den Auges nahm der BND hin, dass ihn die NSA dazu miss­braucht, Unternehmen, Behör­den und Poli­tik­er in Europa auszus­pähen. Ein Pakt mit dem Teufel, dem zuges­timmt wurde, weil man glaubte, ihn kon­trol­lieren und vor allem davon prof­i­tieren zu kön­nen.
    Aber wenn jed­er jeden betrügt und aus­trickst, wo bleiben dann Recht und Gesetz? Richtig, auf der Strecke. Kein­er der Beteiligten scherte sich darum, nie­mand inter­essierte sich für Grun­drechte der Bürg­er, auch das wurde in den Befra­gun­gen im Unter­suchungsauss­chuss klar. […] Wenn nicht ein­mal die Regierung ihre Spi­one im Griff hat, dann hat nie­mand sie im Griff.

  • Angesichts der von #Lidl proklamierten… — Bäck­erei Richter, Kub­schütz — eine schöne reak­tion eines bäck­er­meis­ters als reak­tion auf die ziem­lich bescheuerte (und die einkaufend­en ver­arschende) wer­bekam­pagne von lidl

Ins Netz gegangen (15.6.)

Ins Netz gegan­gen am 15.6.:

  • WM ver­sus The­ater: Sibylle Berg über deutsche Kul­tur — SPIEGEL ONLINE — wie eigentlich immer ist sibylle bergs kolumne diese woche sehr gut:

    Wenn Deutsch­lands Mannschaft nicht gewin­nen sollte, was für eine wun­der­bare Vorstel­lung! Tausende weinen­der Fußball­fans liegen sich heulend in den Armen. Und trösten einan­der schul­terk­lopfend mit den Worten: Ach komm, Schwamm drüber. Denk nur an unsere iden­titätss­tif­tende Kul­tur. Ja, du hast recht, Rudi, lass uns gle­ich mal wieder in ein gutes Berg-Stück gehen.

  • Der Briefwech­sel zwis­chen Schiller und Goethe — “Es ist unbe­grei­flich, wie eine Unklugheit auf die andere fol­gt und wie incor­ri­gi­bel er in seinen Schiefheit­en ist.”
  • Forschungsplatz Orgel­bank: Gerd Zach­er (1929–2014) | nmz — neue musikzeitung — Ein schön­er Nachruf von Georg Beck:

    Dass er sich seine Orgel­bank mit Vor­liebe als Forschungsplatz ein­gerichtet hat, war Wirkung fes­ter Überzeu­gung: „Kom­po­si­tions-Anwalt“ wollte er sein. Auf allen Feldern, dem des his­torischen Erbes wie dem der Zeitgenossen­schaft, musste sich für ihn die Inter­pre­ta­tion vor der Kom­po­si­tion ver­ant­worten. Egotripps  ver­achtete er. Ander­er­seits: Die „Köni­gin“ unter den Instru­menten, dies war ihm wichtig, sollte Staat machen, sollte neue Klei­der haben und sie auch stolz aus­führen. Dafür hat sich Gerd Zach­er eben­so einge­set­zt wie für neue For­men kirchen­musikalis­ch­er Prax­is, was für ihn mit der Fort- und Weit­er­bil­dung sein­er Hör­er notwendig zusam­men­fiel.

  • Last Week Tonight with John Oliv­er (HBO): FIFA and the World Cup — YouTube — Die FIFA als die Kirche des Fußballs: Ein wun­der­bar­er Überblick von John Oliv­er (Last Week Tonight with John Oliv­er)
  • Wie das Inter­net die Wahrnehmung von Men­schen verän­dert | schneeschmelze | texte — Der (bish­er) beste — und vielle­icht ehrlich­ste — Nachruf auf Frank Schirrma­ch­er:

    Das einzige, das sein Tod markiert, ist das Ende des Feuil­letons. Ein let­ztes Auf­bäu­men der Pressekonz­erne, um „Debat­ten“ zu insze­nieren, cross­me­di­al. Das kon­nte er.

  • “heute-show” im ZDF — Da lacht der Ochsen­frosch — Medi­en — Süddeutsche.de — Detlef Esslinger bringt mein Unbe­hange an/mit der “heute-show” gut auf den Punkt:

    Die “heute-show” gilt als Ret­ter der deutschen Fernsehsatire. Dabei scheuen die Pointen der ZDF-Sendung niemals ein Klis­chee. Eine Hal­tung erken­nt man bei den Mach­ern nicht.

  • Emser Depesche: Der Über­liefer­ungszusam­men­hang | Aktenkunde — Hol­ger Berwinkel set­zt seinen detail­lierten Bericht der aktenkundlichen Unter­suchung der berühmten “Emser Depesche” fort. Da find­et sich auch die schöne Anmerkung:

    Aus der Lit­er­atur ken­nen wir die mod­erne Archivsig­natur, R 11674, und auch Blattzahlen: 209–214. Also kön­nten wir uns sofort auf Abekens Bericht aus Ems stürzen. Viele Forsch­er tun das auch und verzicht­en darauf, “ihre” Funde im Akten­zusam­men­hang zu kon­tex­tu­al­isieren. Sie tun das auf eigene Gefahr.

Ins Netz gegangen (22.5.)

Ins Netz gegan­gen am 22.5.:

  • Kuriositäten aus den 1950er Jahren: Die Leug­nung der Zwölfton­tech­nik | „Musik – wohin?“ — Neben­schau­plätze der Musikgeschichte: Julia Zupan­cic weist auf einen Ver­such Hein­rich Schnip­per­ings von 1950 hin, zu argu­men­tieren, dass es die Zwölfton­tech­nik gar nicht gebe, weil sie nur eine auf die Spitze getriebene Weit­er­en­twick­lung der spätro­man­tis­chen Har­monik sei. So ganz klappt das Argu­ment aber lei­der nicht …
  • 1989 ǀ In Stein gemeißelt — der Fre­itag — Eliane Glaser wirft im “Fre­itag” aus Anlass des 25jährigen Jubiläums einen kri­tis­chen Blick auf Fran­cis Fukuya­mas These des “Ende der Geschichte”:

    Ist die heutige Skep­sis gegenüber Fukuya­ma Anlass für Opti­mis­mus? Er selb­st mut­maßte vor 25 Jahren, die Aus­sicht auf „jahrhun­derte­lange Langeweile“ könne möglicher­weise dazu führen, dass die Geschichte doch noch fort­ge­set­zt werde. Es beste­ht die leise Hoff­nung, dass es sich bei dieser Langeweile um einen Luxus han­delt, den sich die meis­ten von uns nicht leis­ten kön­nen.

  • Acht Mal Kraftwerk: Elek­troklänge über­all — KURIER.at — Georg Leyr­er über 8 “Kraftwerk”-Konzerte in Wien “find­et man Wieder­hol­ung wertvoll und feine Unter­schiede span­nend” >
  • Das geis­teswis­senschaftliche Buch im dig­i­tal­en Zeital­ter: Der Schweiz­erische Nation­al­fonds und seine Open-Access-Strate­gie — Über­sicht Nachricht­en — NZZ.ch — Cas­par Hirschi, Pro­fes­sor für Geschichte in St. Gallen, über Ver­lage (in) der Wis­senschaft:

    Arbeit­et man als Geis­teswis­senschafter mit Sub­ven­tionsver­la­gen zusam­men, bleibt vom schö­nen Bild der ver­legerischen Wertver­mehrung wenig übrig. In der Regel schickt der Ver­lag den Autoren oder Her­aus­ge­bern ein Stylesheet mit Angaben, wie die Text­dateien for­mal auszuse­hen haben. Eine Uni­ver­sität­sas­sis­tentin macht dann die Arbeit, für die der Ver­lag die Zuschüsse bekommt. Sie for­matiert, lek­to­ri­ert und redigiert, ohne dafür aus­ge­bildet zu sein, schickt die Datei anschliessend dem Ver­lag, und dieser gibt sie unge­le­sen und unverän­dert in den Druck. Ein Ver­lagslek­torat ist ein Glücks­fall, eine gründliche Redak­tion ein Wun­der. Der Grossteil der Sub­ven­tionsver­lage hat, um ein Bild des Ger­man­is­ten Car­los Spo­er­hase zu ver­wen­den, seine Beru­fung darin gefun­den, einge­sandte Dateien mith­il­fe gefäll­ter Bäume an Bib­lio­theken auszuliefern. Entsprechend grossar­tig sehen die Büch­er häu­fig aus.

    Auch mit den — beson­ders in der Natur­wis­senschaft wichti­gen — Zeitschriften­ver­la­gen wie Else­vi­er & Co. rech­net er sehr tre­f­fend ab

Ins Netz gegangen (3.10.)

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  • Ili­ja Tro­janow: “Ich möchte mit dieser Bun­desregierung nichts zu tun haben” | ZEIT ONLINE — Die “Zeit” hat mit Ilja Tro­janow gesprochen. Der ist aufge­bracht — nicht so sehr über die amerikanis­che, son­dern — zu Recht — vor allem über die deutsche Regierung. Denn die hätte ja eigentlich die Auf­gabe, ihn — und uns alle — vor solchen Schika­nen und Überwachun­gen zu schützen. Wenn sie denn ihre Verpflich­tung auf die Ver­fas­sung ernst nähme. Aber dass sie das nicht immer tut, ist ja keine Neuigkeit …

    Die Taten­losigkeit der Regierung macht mich wütend. Viel wüten­der als das Ein­rei­se­ver­bot. Die Bun­desregierung hat die Pflicht, die ver­fas­sungsmäßi­gen Rechte ihrer Bürg­er zu schützen. Und ich als deutsch­er Staats­bürg­er füh­le mich angesichts dieser in ihrem Umfang ja immer noch nicht über­schaubaren Überwachungssys­teme in meinen Recht­en abso­lut ange­grif­f­en. Eine Bun­desregierung, die einen Eid geschworen hat, diese Ver­fas­sung zu schützen und über­haupt nichts untern­immt, halte ich für mehr als skan­dalös. Das ist ein richtiger Ver­rat am eige­nen Volk
    […] Ich möchte mit dieser Bun­desregierung gar nichts zu tun haben. Sie ist so völ­lig unsen­si­bel gegenüber Bürg­er­recht­en und Frei­heit­srecht­en. Sie ver­tritt mich nicht und deswe­gen will ich sie auch zu nichts auf­fordern.

  • Schrift­steller als Net­zverächter: Vom Genre der Besser­halb­wis­serei — FAZ — Sascha Lobo nutzt die Auseinan­der­set­zung mit Botho Strauß’ “Pluri­mi-Fak­tor”, um seine eigene Hoff­nung für das Inter­net als große Aufk­lärungs-/Fortschritts-/Bil­dungs­mas­chine endgültig zu begraben

    Das Netz und vor allem die sozialen Net­zw­erke haben unter Schrift­stellern viele Verächter. Jüngst wagten sich Gün­ter Grass und Botho Strauß her­vor. Der eine hat’s vergeigt. Der andere weiß: Das Inter­net ist kein Bil­dungsautomat – man muss schon Bil­dung mit­brin­gen.

  • Ili­ja Tro­janows Ein­rei­se­ver­bot: Willkür und Frei­heit — FAZ — Ilja Tro­janow anlässlich der Weigerung der USA, ihn ein­reisen zu lassen:<blockqutoe>Es ist mehr als iro­nisch, wenn einem Autor, der seine Stimme gegen die Gefahren der Überwachung und des Geheim­staates im Staat seit Jahren erhebt, die Ein­reise in das „land of the brave and the free“ ver­weigert wird. Gewiss, ein klein­er Einzelfall nur, aber er illus­tri­ert die Fol­gen ein­er desas­trösen Entwick­lung und ent­larvt die naive Hal­tung viel­er Bürg­er, die sich mit dem Mantra „Das bet­rifft mich doch nicht“ beruhi­gen. Das mag ja noch zutr­e­f­fen, aber die Ein­schläge kom­men näher. Gegen­wär­tig erhal­ten diese Bürg­er nur stille Post von den Geheim­di­en­sten, aber eines nicht so fer­nen Tages wer­den sie die Rech­nung für ihre Arglosigkeit zugestellt bekommen.</blockqutoe>
  • AfD: Ein­fache Lösun­gen, viele Fra­gen — Inland — FAZ — RT @netzpolitik: FAZ über die Bie­der­män­ner und Brand­s­tifter der AfD: Ein­fache Lösun­gen, viele Fra­gen .
  • Das paßt den Deutschen nicht, Feb­ru­ar 1968 | Schmalenstroer.net — Das paßt den Deutschen nicht, Feb­ru­ar 1968 (via Pub­lished arti­cles)
  • Kom­men­tar Grüne Wahlkampf­fehler: Das Richtige falsch verkauft — taz.de — Ulrich Schulte analysiert für die taz in meinen Augen sehr schlüs­sig und überzeu­gend, warum die Grü­nen bei der Bun­destagswahl so schlecht abschnit­ten:

    Den Grü­nen kann nun man vor­w­er­fen, dass sie zu sehr einen Arbeit­erk­lassen-Sound bedi­en­ten, der an der zufriede­nen Mitte vor­bei zielte, wie es Ex-Außen­min­is­ter Josch­ka Fis­ch­er tut. Aber man kann ihnen nicht vor­w­er­fen, sie hät­ten die falschen Konzepte entwick­elt. Ihr Pro­gramm war kom­plett gegen­fi­nanziert, es war präzise und ja, es war auch mutig.

    Das ist eine erschüt­ternde Erken­nt­nis dieser Wahl. Die Grü­nen trat­en mit dem ehrlich­sten Pro­gramm an, und sie wur­den dafür am härtesten bestraft. Eine solche Mechanik passt gut in post­demokratis­che Ver­hält­nisse, sie ist aber für eine so papierver­liebte Partei, wie es die Grü­nen sind, katas­trophal.

    Auch seinen Schlussfol­gerung: “Die Wäh­ler wollen es offen­bar nicht so genau wis­sen. Sie möcht­en nicht gequält wer­den mit Details.” ist wohl lei­der nicht falsch …

Aus-Lese #14

Noah Sow: Deutsch­land Schwarz Weiß. Der alltägliche Ras­sis­mus. München: Gold­mann 2009. 320 Seit­en.

Deutsch­land Schwarz Weiß ist ein wichtiges Buch. Wichtig, um die vorherrschen­den Struk­turen des Ras­sis­mus in Deutsch­land zu erken­nen und so ver­suchen, sie zu bekämpfen, und zu über­winden. Sow zeigt an ein­er Fülle von Beispie­len, wie tief ver­ankert ras­sis­tis­ches Denken und Ver­hal­ten in der deutschen Gesellschaft ist, wie Ras­sis­mus in Deutsch­land zum All­t­ag gehört — weil er struk­turell-gesellschaftlich be“gründet“ und qua­si vererbt wird.

Ich bin zwar nicht in jedem Detail mit ihren Wer­tun­gen ein­ver­standen — aber darum geht es auch gar nicht. Son­dern darum, zu erken­nen, wie sehr ras­sis­tis­che Vorstel­lung unser Denken und eben auch unser Han­deln immer wieder immer noch prä­gen. Dafür ist Sow’s Buch her­vor­ra­gend geeignet und sollte fast so etwas wie Pflichtlek­türe für bewusste Teil­nehmer der deutschen Gesellschaft sein . Ich hätte es zwar gerne etwas strin­gen­ter und klar­er in Struk­tur und Sprache, aber das ist meine per­sön­liche Präferenz. Sow bemüht sich um Umit­tel­barkeit und Wirk­mächtigkeit — da hat sie wahrschein­lich die bessere und wirk­samere Strate­gie und Sprache gefun­den.

Let­ztlich läuft das ganze auf diesen einen Satz hin­aus: „Ras­sis­mus ist kein Schwarzes, son­dern ein weißes Prob­lem.“ (272) — das ist der zen­trale Punkt. Und den muss man erken­nen, bevor man etwas ändern kann.

Thomas Mei­necke: Ana­log. Mit Zeich­nun­gen von Michaela Melián. Berlin: Ver­brech­er 2013. 111 Seit­en.

Das neuese (schmale) schöne Bänd­chen (vor allem dank der Zeich­nun­gen Meliáns) von Thomas Mei­necke bringt den Buch­le­sern seine gesam­melte Kolum­nen aus dem „Groove“ von 2007–2013. Ganz sym­bol­isch aufge­laden sind das natür­lich 33 — denn es geht vor­wiegend um Plat­ten bzw. die Musik darauf (und auch hin und wieder um die Ungewis­sheit, ob eine Plat­te mit 33 oder 45 Umdrehun­gen abzus­pie­len sei): Das sind kurze (oder eigentlich sehr kurze) Text zur Musik über­haupt, zum DJ-Sein im Radio und im Club, und den Imp­lika­tio­nen der Pro­fes­sion und der Musik. Faszinierend ist dabei immer wieder, wie genau Mei­necke beobacht­en und erken­nen kann (so weit ich das zu ver­fol­gen und beurteilen ver­mag, nicht alles ist mir bekan­nt von dem Vie­len (ist nicht immer meine Musik …), über das er schreibt) — und wie präzise er diese Erken­nt­nisse in wenige Worte fasst. Zum Beispiel so:

  • „Respekt, dachte ich, da macht die Nacht dann gar nicht, was sie will, son­dern was West­bam will.“ (26)
  • „Sie ger­at­en ins Fach­sim­peln, und ich würde am lieb­sten mitre­den, aber ich habe ja die Lin­er-Notes geschrieben.“ (38)
  • „Ich kon­nte vor allem von The­olo­nious Monk meine Augen nicht lassen: Seine min­i­mal­is­tis­che Unruhe schien mir von utopis­chen Aus­maßen zu sein.“ (43)
  • „Ich habe (spätestens seit Hoy­er­swer­da) her­aus­ge­fun­den, dass ich eine nationale Iden­tität allein über den Holo­caust entwick­eln kann. (Eigentlich bräuchte ich gar keine.)“ (85f.)
  • „Ich hat­te das Gefühl, dass lauter Schaus­pielerIn­nen (in brand­neuen Led­er­jack­en) um mich herum standen, und irgend­wo stand sich­er auch Man­fred Eich­er, der den sonisch anrüchi­gen Muzak Jazz-Kat­a­log seines ECM Labels jüngst durch Vil­lalo­bos (dem ich hier mal die Ahnungslosigkeit des Spät­ge­bor­eren attestiere) vere­deln ließ.“ (87)
  • „Logisch bildet das Mys­teri­um der Musik für Schrift­steller (wie mich) einen Sehn­sucht­sraum: Wo die Sprache nur schw­er hinkommt, tut sich ein Gefühl von Frei­heit auf. (Sprache ist ja ein Knast.) Ander­er­seit meine (von dekon­struk­tivis­tis­chen Fem­i­nistin­nen erlernte) Erken­nt­nis: Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disko ist diskur­siv.“ (93)
Ernst Wün­sch: Sprizz bit­ter. Erzäh­lung. Wien: Sisy­phus 2009. 156 Seit­en.

Das ist über­haupt nicht bit­ter, aber dafür ganz beson­der spritzig: Eine kaum zu beschreibende Erzäh­lung voller Humor (weniger dage­gen witzig). Wild und ausufer­nd ist der Text, der dien Lebens­ab­schnitt eines Langzeitar­beit­slosen, der einen 97jährigen The­aterkün­stler als Mäd­chen für alles dient. Unwahrschein­lich und den Leser auch schon mal bedrän­gend stapel sich da die Ver­rück­theit­en. Der Rezensent von literaturkritik.de weist darauf hin, dass das zumin­d­est teil­weise trotz sein­er ger­adezu phan­tastis­chen Gestalt dur­chaus reale Begeben­heit­en der The­ater­szene der 1970er Jahre beschreibt. Davon aber mal abge­se­hen, ist das ein­fach grandios unter­hal­tend: Wild und ungezähmt ist dieser Text wie sein Sujet, frei vagabundierend zwis­chen Exkursen und Fußnoten, vielschichtig zwis­chen realen, irrealen und sur­realen Abschnit­ten wie in einem Traum hin und her sprin­gend. Faszinierend und sym­pa­thisch…

Ins Netz gegangen (4.9.)

Ins Netz gegan­gen am 4.9.:

  • Ephemera — Kein Fem­i­nis­mus bitte, wir sind Helden­verehrer -

    Zu fordern, dass die Fem­i­nistin­nen sich oder den Fem­i­nis­mus aus bes­timmten The­men her­auszuhal­ten hät­ten, zeugt nur von ein­er Igno­ranz gegenüber den Inhal­ten des Fem­i­nis­mus, und einem Wun­sch, unan­genehme Diskurse an den Rand zu drän­gen und aus ganzen Gesellschafts­bere­ichen her­auszuhal­ten.

    — mehr muss man dazu glaube ich nicht sagen …

  • Merkels Aser­baid­schan « Ste­fan Nigge­meier
    Ste­fan Nigge­meier weist darauf hin, dass Merkel — die die Enwick­lung der Men­schen­rechtssi­t­u­a­tion in Aser­baid­schan lobt — entwed­er lügt oder keine Ahnung hat (bei­des ja nicht neu und bei­des fatal für eine Bun­deskan­z­lerin …)
  • Diri­gent Pierre Boulez: “Wir woll­ten ein neues Evan­geli­um” | ZEIT ONLINE — Volk­er Hage­dorn hat Pierre Boulez besucht, anlässlich des 10. Geburt­stags der Lucerne Fes­ti­val Acad­e­my. Viel neues erfährt man in dem lau­nig geschriebe­nen Stück nicht, aber Begeg­nun­gen mit Meis­tern wie Boulez sind trotz­dem immer inter­es­sant …

    Dass ohne ihn die Geschichte der Musik seit 1945 eine andere wäre, lässt sich ohne die ger­ing­ste Übertrei­bung sagen. Er war das Super­hirn der Seri­al­is­ten, deren Vehe­menz eine der tief­sten ide­ol­o­gis­chen Spal­tun­gen in der Musik her­vor­rief. Was er in bril­lanten Polemiken forderte, über­traf er noch mit sein­er Kun­st. Das machte ihn so unschlag­bar wie sein Dirigieren. Ein Rev­o­lu­tionär, dem die berühmtesten Orch­ester aus der Hand fressen, der in Bayreuth Wag­n­er vom Waber befre­it und zugle­ich ein Zen­trum zur Klanger­forschung in die Mitte von Paris graben lässt, verse­hen mit ein­er Macht wie kein Kom­pon­ist vor ihm, fähig, die einen Kol­le­gen in den Schat­ten, die anderen ins Licht zu stoßen.

  • Silke Burmester über sex­is­tis­che Wer­bung: Dose trägt Dessous — SPIEGEL ONLINE — Silke Burmester zeigt, wie Ironie, Wer­bung und sex­is­tis­che Kackscheiße funk­tion­ieren:

    Ler­nen zu sehen, dass sex­is­tis­che Wer­bung immer mit “Augen­zwinkern” gemacht ist, dass sie am Ende ein­fach nur lustig ist. Ich habe das auch gel­ernt. Auch ich war mal so naiv zu meinen, ich müsse mich beim Wer­ber­at beschw­eren. Damals hat­te — wenn ich mich recht erin­nere — die Kon­ser­venin­dus­trie eine ganz­seit­ige Anzeige geschal­tet, in der auf pink­far­ben­em Unter­grund eine tail­lierte, mit Dessous bek­lei­dete Kon­ser­ven­dose abge­bildet war.

Taglied 13.3.2013: Hans-Joachim Hespos zum Geburtstag

Der großar­tige, nicht genug zu lobende Kom­pon­ist Hans-Joachim Hes­pos wird heute 75 Jahre alt — Her­zlichen Glück­wun­sch! Eine schöne Würdi­gung seines reich­halti­gen Schaf­fens & Treibens ste­ht unter dem tre­f­fend­en Titel “Quirlig ver­man­scht und näsel­nd ver­beult” in der Neuen Musikzeitung.

Es gibt von ihm unzäh­lige gute & span­nende Werke, da fällt die Auswahl nicht leicht. Vielle­icht ist das hier ganz gut: “iOSCH” für Trompete, Eupho­ni­um, Alphorn (hier gespielt von Malte Bur­ba)

Malte Bur­ba: Hans-Joachim Hes­pos — iOSCH 1/2

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Malte Bur­ba: Hans-Joachim Hes­pos — iOSCH 2/2

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Eine kleine Doku über ihn heißt “Tatort Gan­derke­see”:

Tatort Gan­derke­see — Der Kom­pon­ist hans-joachim hes­pos

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taglied 19.3.2012

heute mit hans-joachim hes­pos, einem sehr faszinieren­den kon­se­quenten indi­vid­u­al­is­ten:


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und dazu noch diesen kleinen doku­men­tarfilm, “tatort gan­derke­see”:

Tatort Gan­derke­see — Der Kom­pon­ist hans-joachim hes­pos

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An den Grenzen des Klangs

Die Energie im Roten Saal der Musikhochschule ist fast mit den Hän­den zu greifen. Dabei sind es bloß die Fin­ger der kanadis­chen Pianistin Cather­ine Vick­ers, die diese Energie freiset­zen. Und eigentlich war es ganz harm­los als „Klavier­abend“ angekündigt, in der Mitte des diesjähri­gen Mainz­Musik-Fes­ti­vals, das die Musikhochschule mit Unter­stützung der Streck­er-Dae­len-Stiftung aus­richtet. Aber es ist viel mehr als ein „nor­males“ Konz­ert gewor­den: Vick­ers untern­immt – mit ger­ade eine­mal drei Kom­po­si­tio­nen — eine Wel­treise, eine Expe­di­tion in die unzählbaren Möglichkeit­en des Klavierk­langs und sein­er kom­pos­i­torischen Gestal­tung im 20. Jahrhun­dert. Sie ist mehr als gut vor­bere­it­et für diese Ent­deck­ungs­fahrt. Mit makel­los­er Präzi­sion und unnachgiebiger Aus­dauer, unbe­d­ingter Konzen­tra­tion und höch­ster Sorgfalt macht sie sich auf den Weg. Aus­gangspunkt ist das Ameri­ka kurz nach 1900, in der Sonata No. 1 von Charles Ives, dem fast hun­dert Jahre alte Klas­sik­er der mod­er­nen Klavier­musik. Für diesen Abend bleibt das noch die „tra­di­tionell­ste“ Form – aber auch die ist bei Ives nur noch in Resten, in Bruch­stück­en erkennbar. Ein großes Panora­ma voller Dringlichkeit­en, gespickt mit rhyth­mis­chen und melodis­chen Ver­satzstück­en sowie Anklän­gen macht Vick­ers daraus. Schon vom ersten Beginn an war dabei vor allem die Präzi­sion – und die Begeis­terung der Pianistin für diese Musik — zu spüren. Und sie sollte bis in den Schluss der Zugabe, dem Walz­er aus Schön­bergs op. 23, zu hören sein.

Auch bei Lui­gi Nonos „… sof­ferte onde serene …“ bleibt sie ein wesentlich­es Moment von Vick­ers Inter­pre­ta­tion. 1976 für Klavier und Ton­band mit im Ton­stu­dio bear­beit­eten Klavierk­län­gen kom­poinert, führt Nonos Klavier­stück die Klang­forschung am Flügel mit enor­men Erre­gungspoten­zial in die Weite des Raums.

Diesen Weg schlägt auch Nico­laus A. Hubers „Dis­ap­pear­ances“ ein: Eine Studie, die das Ver­schwinden unter­sucht, die Auflö­sung der Klänge in den Blick nimmt – und das auch tran­szendiert. Ein fein­er, hauchzart ver­hal­len­der Beginn, in den einzelne Töne explodieren, die sich zu Haufen verdicht­en, zunehmend manip­ulierte Klänge, von insistierend häm­mern­den Rep­e­ti­tio­nen unter­brochen – damit lässt Cather­ine Vick­ers mit bren­nen­der Klarheit eine ganz unmit­tel­bar aufwüh­lende und ver­schreck­ende Musik entste­hen. Bei all dem ver­bis­se­nen Bohren in Details und Klangnu­an­cen schafft sie es aber tat­säch­lic auch noch, dieser Musik Offen­heit und vor­sichtige Unbes­timmtheit mitzugeben: Eine wun­der­bar energiere­iche, kom­plexe Vielfalt – und alles mit lediglich zehn Fin­gern aus dem Flügel ent­lockt.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

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