noch eine frucht des woch­enen­des: endlich habe ich ulrike draes­ners let­zten gedicht­band mit dem titel kugel­blitz (münchen: luchter­hand 2005) gele­sen – er lag ja schon eine weile bere­it und hat auch schon zwei anläufe hin­ter sich gehabt, die allerd­ings bei­de ins leere liefen. auch dieses mal reichte die begeis­terung nicht für den ganzen band, der in drei große abschnitte (mit vor­spiel und nach­spiel) unterteilt ist: „(lieben)“, „(kriege)“ und „(später)“. fasziniert hat mich vor allem der erste teil, im zweit­en abschnitt fand ich viel mehr rou­tine und langeweile für den leser, der dritte teil zeigt aber dann wieder stark nach oben.

das ist wirk­lich zeit­genös­sis­che, mod­erne (oder schon zweite mod­erne?) lyrik. wesentlich­es, immer wieder auf­tauchen­des moment ist die erfahrung der natur beziehungsweise die prob­leme mit der erfahrbarkeit von natur, mit dem kon­takt zwis­chen men­sch und natur, v.a. die unfähigkeit des ver­ste­hens ihrer zeichen und die unerk­lär­lichkeit ihrer vorgänge: „nie / sagte jemand / ein begre­fil­ich­es / wort dazu“ (9). eben­so wiederkehrend: die gemachtheit der natur­erfahrung. dazu passen die dun­klen ver­gle­iche natur – technik/zivilisation, wie sie in der „enten­brust“ der straßen­bahn auf­taucht. und fol­gerichtig heißt ein gedicht dann auch „novo e raro mira­col di natu­ra“.

natur ist dabei (natür­lich [!]) nie ein­fach nur noch natur, son­dern erst in abgren­zung vom men­schen zur natur gewor­den. dabei wird sie aber ger­ade in ihrer zwit­ter­stel­lung inter­es­sant: natur scheint hier als das andere auf, das große gegenüber – aber (zumin­d­est schein­bar) befind­et es sich auch als solch­es wenig­stens teil­weise in der ver­fü­gungs­ge­walt des men­schen – die elek­triz­ität ist, beim titel des buch­es nicht ver­wun­der­lich, ein gern genutztes bild dafür: „hüh­n­er säu­bern ihr ei während du dir bere­its / einen ihrer schenkel in den mund“ (16, novo e raro micaol di natu­ra)

das vor­drin­gen der (noch unge­bändigten) natur in den zivil­i­sa­tion­sraum, das hoheits­ge­bi­et des men­schen als ver­nun­ft­be­gabtem tier – dafür ste­ht natür­lich schon das titel­gebende bild des kugel­blitzes: als blitz ist er zwar ein ele­mentares und vol­lkom­men unmit­tel­bares natur­ereig­nis. aber er ist es nicht in nor­maler erschei­n­ung, son­dern qua­si geformt, in behaupteter (näm­lich vom men­schen) kugel-form, also ein­er geometrisch „per­fek­ten“ form, d.h. der blitz wird zu ein­er rein nach ver­nun­ft­grün­den geformten erschei­n­ung (gedeutet). nicht nur natur wird zur zivil­i­sa­tion, son­dern auch und vor allem geschieht der trans­for­ma­tionsvor­gang in ent­ge­genge­set­zter rich­tung, vom men­schen in die natur. aber das führt zu rei­bun­gen, zu zusam­men­stößen: die natur bleibt eben auch dann noch, wenn men­schen sie nach eige­nen „ideen“ for­men wollen, „ver­schlossen“, dunkel und unver­ständlich: “ er dachte auf ihn. / so ver­ste­hen wir ‚natur‘. ist toll­wut / wenn ein­er sich wehrt? ach, es bud­delt / nach zufall, pfeift auf gedächt­nis, mis­cht.“ (77)

dazu wird dann vor draes­ner als kun­stvoll erdachter und aus­ge­führter kon­tra­punkt das dial­o­gis­che moment der gedichte (in der ersten und der drit­ten per­son, im indika­tiv und kon­junk­tiv), die anrede des „du“ einge­führt: der ver­such, die liebe zu beschreiben, zu kon­sta­tieren, zu behaupten und selb­stver­ständlich auch wieder zu for­men – samt den notwendig damti ein­herge­hen­den zweifeln. der erste große teil des buch­es heißt nicht umson­st „(liebe)“. und später heißt es ein­mal: „falls dies stimmt // wird auch das paar eine ver­mu­tung sein“ (22). die liebe, also die verbindung von ich und du zum wir, ste­ht dabei genau wie schon das sub­jekt für sich, immer in frage, ist nicht mehr ohne weit­eres als gelin­gende vorauszuset­zen: „das röhrchen der liebe (ver­loren)“ (28), „sicher­er auch // du?“ (30)

das ganze geschieht eigentlich immer in sehr geziel­tem auf­bau und mehrdeutigkeit­en: über­lap­pende sätze ohne gliederungsze­ichen, per­fek­tion des enjambe­ments, sein­er mehrdeutigkeit im syn­tak­tis­chen sinn sind mit­tel, die draes­ner per­fek­tion­iert hat. dazu passt auch der hohe grad an reflekiertheit – nie etwas unbe­dacht­es, kein wort, über das nicht nachgedacht wurde – genau das, was lyrik eben aus­machen (sollte). das wiederum entspricht der unmöglichkeit der unmit­tel­baren erfahrung, von der eigentlich auch jedes gedicht berichtet – das wahre träu­men: „sie dachte wie solch ein tier wohl schläft mit dem blu­men­topfrück­en / und sah mit braunem zuck­er bestreut all das vertäumte trara / (ange­blich des traums) aber sofort war er wach (die ohren) sofort // fiel er wieder um wie ein kind – wie es weint – alle / gefüh­le also seien erlernt“ (19). schuld an dieser grundle­gen­den ent­frem­dung des men­schen von sein­er umge­bung und sein­er selb­st ist z.b. die „nähe von maschi­nen“ (19, so heißt das gedicht)

wie es sich für echt mod­erne lyrik gehört (und das vergessen ja viele autoren und andere lei­der immer wieder) wird außer­dem auch die generelle prob­lematik des sub­jek­tes, sein­er iden­tität und die der ander­er men­schen (als adres­sat­en – der sprache, der lyrik, der liebe) the­ma­tisiert. „dies löchrige tuch ich spreche // dich // durch es. wenn ich sage ‚du‘. wenn / cih sage ‚ich wollte …‘ ‚ich …‘ ein / kinder­gesicht. oh ges­per­rt! löchriger // busch: so sprech ich dich wenn. / ich sage: du, eben, lüstern“ an ander­er stelle heißt es dann: „du bist. doch wo? / […] du bist nicht / wo nicht wen, du / gehst, der wald ste­ht still. / […] / […] ein / schat­ten ruft. was altes / weiß von dir. die kehle / streckt sich schon. der / wolf liebt seinen satz. / das rudel ruft.“ (81, vor gram­matik). und damit wird auch der näch­ste große the­menkom­plex dieser lyrik deut­lich: außer­dem in frage gestellt wer­den die worte in all­ge­meinen. genauer gesagt, wird auch hier nur die grundle­gende erfahrung der mod­erne, das alles in frage ste­ht, nur noch bekräftigt, aufgenom­men und ver­ar­beit­et. beson­ders gilt dies natür­lich für die verbindung wort – ding: „das eich­hörnchen drehte / die nuss eifrig wie wir das wort ‚nuss‘ / im gehirn“ (23). auch ein titel greift das auf: „tauch­er, rade­brech / (vom vier­fachen sinn der schrift)“ (82). die verge­gen­wär­ti­gung der schiller­schen bal­lade geht dann unge­fähr so: „anzüge mit füßen hin­gen / am gelän­der, im trock­n­er / hin­gen köpfe // je weit­er ein boot ent­fer­nt ist / umso tiefer nach unten muss man / um es zu hören // mit dem andrang der schwärze / gegen die maske vorm gesicht. // ertrinken.verstehen“ (82) – das ist natür­lich die tragik über­haupt: erst ertrinken, dann ver­ste­hen … die bei­den let­zten gedichte führen das noch ein­mal alles zusam­men. da heißt es dann „sehn­sucht rief mich / hast du ner­ven / gern komme ich gern / bin dein­er stimme ich / gefol­gt / immer so blu­men / blitzend, ver­wirrt (84), während die let­zten zeilen, das post­skrip­tum (außer­halb der drei großen teile) die schrift­form schon nahezu voll­ständig ver­loren ist und nur noch sprache ist – in lautschrift notiert, auf englisch – wenn ich das richtig entz­if­fert habe, ste­ht da: „you too / loved you / was invent­ed“

der zweite teil, „(kriege)“, blieb mir zumin­d­est bei der ersten lek­türe jet­zt ver­schlossen­er, nüchtern­er und oft auch deut­lich gewoll­ter. die poli­tis­che absicht etwa lässt sich zu leicht spüren und fassen – das tut der (kunst-)erfahrung der lyrik nicht gut. dabei ver­lieren die gedichte gle­icher­maßen an deut­lichkeit wie an der so faszinierend, weil stu­pend beherrscht­en mehrdeutigkeit.
„mit eige­nen augen sehen: getrimmt / zoomen begriffe weg. bis wir tröpfel­nd / vor sehn­sucht und glauben daliegen wie / der kopf ein­er geliebten katze unter / ein­er hand, die uns stre­ichelt oder stre­icht,“ (62f)

das ist alles zusam­men natür­lich ein fast wahnsin­niges pro­gramm. wer glaubt, ob all dieser fra­gen, dieser the­o­retisch-reflek­tieren­den gedankengän­gen gin­ge der kun­stcharak­ter der gedichte ver­loren, der itt. denn es ist kein wahn, keine hybris. denn die gedichte bleiben trotz der gefahr der the­o­retis­chen über­las­tung meist, d.h. in ihren über­wiegen­den teilen, immer auch sinnliche gebilde. eine unmit­tel­bare qual­ität der fügung ihrer worte (weniger der rhyth­men, mehr aus dem klang und den ver­mis­cht­en, kreuz und quer geschichteten bildlichkeit­en gear­beit­et) fes­selt das lesende auge und hirn, die vorstel­lungskraft. und sie zeu­gen von der faszinieren­den konzen­tra­tion, die diese gedichte bes­timmt. mehr lässt sich von lyrik eigentlich kaum noch ver­lan­gen. manch­es ist dabei dur­chaus gren­zw­er­tig – qual­itätsmäßig gese­hen: wenn genau diese konzen­tra­tion sich ver­liert, wirkt das ganze sehr schnell nur noch manieris­tisch. aber es bleibt festzuhal­ten: das sind 85 seit­en pure poe­sie unser­er zeit mit der ver­heißung, diese auch zu über­dauern. w