Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: lyrik Seite 1 von 14

Tor August

schw­er­fäl­liger mahlt
der grosse motor som­mer
gedanken kauen­der tor
zum abend geneigt
ste­ht mit­tag im feld
prack­tvoll sinkt rot
unterm wolken­brokat
schon am herb­st­saum
treiben die wiesen
das tor in den tag
angelehnt
du ich zwis­chen
tür und angel

Ste­fan Döring (aus: Monate Jahre (in: WENN WELT. Berlin, Schup­fart 2024 (rough­books 064), S. 83.))

Juniverse

him­mel­wärts gezo­gen
die striche der gräs­er
mit lüften ver­flocht­en
unter fed­er­wolke gesang
flug auf unlin­iertem blatt
samen gefiedert steigt
hinge­sunkene fed­er
getaucht in hol­un­der­schat­ten
schreibt

Ste­fan Döring (aus: Monate Jahre (in: WENN WELT. Berlin, Schup­fart 2024 (rough­books 064), S. 81.))

Herbst

Die Blät­ter fall­en, fall­en wie von weit,
als welk­ten in den Him­meln ferne Gärten;
sie fall­en mit verneinen­der Gebärde.

Und in den Nächt­en fällt die schwere Erde
aus allen Ster­nen in die Ein­samkeit.

Wir alle fall­en. Diese Hand da fällt.
Und sie dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Ein­er, welch­er dieses Fall­en
unendlichen san­ft in seinen Hän­den hält.

Rain­er Maria Rilke, Herb­st (Das BUch der Bilder)

Gedichte

Bei Gedicht­en hil­ft zwei Mal lesen immer. Das kann nie falsch sein. Denn meis­tens ist schon nach dem zweit­en Mal klar, ob das Ding vor uns über­haupt ein Gedicht ist oder nicht. Wenn näm­li­uch nach dem zweit­en Mal klar ist, was da ste­ht, und eben­so duelitch, dass da nichts weit­er ist, als was man ver­standen hat, dann ist es kein Gedicht. Weil ein Gedicht eben nicht das ist, was man gemein­hin meint, wenn man sagt: Ich habe ver­standen.

Urs Engel­er, Mein Lieber Lühr (in: MÜtze #33, 1671)

Waldwege

Borsten und räu­berisch sind meine spezialen
Ver­stärk­er auf Waldp­faden, Käfer spiegelns
Hase-Fuchs-Reh, selb­strufend Herr und Frau
Kuck­uck. Der Men­sch, ide­alisch, sei immer
dem Walde zu, sin­gend. Beeren‑, Pilzkörbe
neben sich an dem gluck­senden Bache sitzen
gle­ich­sam zaubrisch. Nicht achte Zwer­gen-
werk niedrig und ‑horte in Ger­maniens Adern.
Neb­st Dis­po, Glatzen, Spuk, mag sein, auch
ächt­es Gold … Denn wer hat nachge­forscht.

Wald­wege

Stef­fen Popp, 118, 65

Gebirge

              There are the Alps,
fools! Sit down and wait for them to crum­ble!

Basil Bunting, On the Fly­leaf of Pound’s Can­tos

Er ist’s.

Früh­ling läßt sein blaues Band
Wieder flat­tern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekan­nte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träu­men schon,
Wollen balde kom­men.
– Horch, von fern ein leis­er Har­fen­ton!
  Früh­ling, ja du bist’s!
Dich hab’ ich ver­nom­men!

Eduard Mörike

Wochenblog 11/2023

Stür­mis­che Woche. Ganz wörtlich — am Mon­tag und Dien­stag war es zeitweise so windig (vor allem auf dem Heimweg), dass ich momen­tan sog­ar zwei Gänge run­ter­schal­ten musste: Ich kam ein­fach nicht mehr gegen den Sturm an.

Stür­misch auch, weil viel Pla­nung zu organ­isieren war, damit ich mich in den näch­sten Wochen auf mein neues Pro­jekt konzen­tri­eren kann und nicht von dem ganzen alltäglichen Aller­lei immer wieder abge­lenkt werde. Aber irgend jemand muss das ja trotz­dem machen … Ich bin ges­pan­nt, wie sich das in den näch­sten Wochen entwick­eln wird — ich kann es mir noch nicht so ganz vorstellen.

Text: “Kriegslyrik” von Her­mann Plagge. Ein (nicht nur mir) abso­lut unbekan­nter Dichter aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, for­mal und sprach­lich jet­zt nicht unbe­d­ingt die besten Gedichte aus dieser Zeit, aber doch immer wieder sehr ein­drück­lich und lebendig in den Schilderun­gen und Stim­mungen. Die Lek­türe habe ich der wun­der­baren Edi­tion Versen­sporn von “Poe­sie schmeckt gut” zu ver­danken — das ist ein sehr zu rüh­mendes Unternehmen, das mehrmals im Jahr kleine Hefte mit Lyrik von meist vergesse­nen, unbekan­nten Dichter*innen, meist aus dem weit­en Feld des Expres­sion­is­mus (wie Plagge) oder ver­wandten Strö­mung, zum kleinen Preis versendet und meinen lit­er­arischen Hor­i­zont immer wieder angenehm erweit­ert.

Ton: Ein­stürzende Neubaut­en. Und die Münch­en­er Auf­nah­men von “Fol­low me” und “Where are you” von Ondřej Adámek.

Bild: You Peo­ple von und mit Jon­ah Hill. Ziem­lich cool, ziem­lich gelun­gen, witzig und tre­f­fend die Prob­leme der (amerikanis­chen) Gesellschaft bzw. ihrer Teile im Umgang miteinan­der darstel­lend.

Draußen: Der Streak hält, ich ver­suche es sog­ar mal wieder mit struk­turi­ertem Train­ing. Und dabei habe ich mir gle­ich am Mon­tag ein ordentlich­es Prob­lem einge­han­delt: Für den Tem­potest­lauf fand ich es sin­nvoll, die passenden Schuhe anzuziehen. Nur hat­te ich die seit min­destens 15 Monat­en nicht mehr an den Füßen. Das endete, ich hätte es mir denken kön­nen, im Blut­bad: Zwei große, fette Blasen an den Fersen. Vor allem die rechte Ferse war mit ein­er flächi­gen, bluti­gen Blase verse­hen. Mit Blasenpflaster und Com­peed ging es dann aber immer­hin auch am Dien­stag weit­er. Doch für den Rest der Woche blieb das Andenken noch, wenn auch allmäh­lich verblassend/verheilend. Dafür kon­nte ich diese Woche sowohl beim schö­nen Son­nenun­ter­gang als auch im spek­takuläre bun­ten Son­nenauf­gang laufen — der Früh­ling macht’s möglich.

Wochenblog 7/2023

Eine etwas selt­same Woche war das.

Am Fre­itag bin ich schon wieder heimge­fahren, weil am Woch­enende eine Gen­er­al­probe für den Auftritt am näch­sten Woch­enende geplant war. Die Zug­fahrt, dieses Mal später in der Nacht (bin erst um 20.35 in Regens­burg weg) hat prob­lem­los funk­tion­iert. Dafür war es mit der Gen­er­al­probe nichts: Ein Sänger kam ger­ade aus Coro­no und hat­te am Son­ntag mor­gen den ersten neg­a­tiv­en Test, ein ander­er meldete sich am Sam­stag krank. Also war das nichts. Dafür machen wir jet­zt eine Online-Probe. Da bin ich ja noch sehr ges­pan­nt.

Anson­sten war das Woch­enende im Oden­wald aber doch recht schön. Kurz entschlossen bin ich dann doch schon am Son­ntag wieder zurück­ge­fahren und nicht wie ursprünglich geplant am Mon­tag in der Frühe, das macht den Wochen­be­ginn etwas entspan­nter.

Text: Eine inter­es­sante Lek­türe hat­te ich: Wulf Sege­brechts Studie “Goethes Nachtlied ‘Über allen Gipfeln ist Ruh’ ”. In der erweit­erten Fas­sung von 2022 (ursprünglich war das schon ein­mal 1978 erschienen) geht es hier auf über 200 Seit­en nur um das kurze Gedicht. Aber das ist schließlich das Gedicht über­haupt. Und genau darum geht es Sege­brecht: Um die Rezep­tion des Achtzeil­ers, vom ersten Druck (oder der ersten Nieder­schrift, was schon alles erstaunlich unklar ist) bis zu Par­o­di­en und Inter­pre­ta­tio­nen (ernst gemein­ten und weniger ern­sten) in der Gegen­wart. Die Ver­to­nun­gen streift er dabei nur, und hat doch mehr als genug Mate­r­i­al für inter­es­sante Beobach­tun­gen und Schlussfol­gerun­gen.

Draußen: Brav weit­er gelaufen, weit­er­hin ohne beson­dere Vorkomm­nisse, aber immer­hin jet­zt schon über 50 Tage in Folge. Das kann man dann wohl wieder mal einen Streak nen­nen.

Herbstbild

Dies ist ein Herb­st­tag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und den­noch fall­en raschel­nd, fern und nah,
Die schön­sten Früchte ab von jedem Baum.

O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie sel­ber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

Friedrich Hebbel

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