Ulf Stolter­fo­ht: holzrauch über hes­lach. Basel, Weil am Rhein: Urs Engel­er Edi­tor 2008. 122 Seit­en.

Eine Schande, dass ich das erst jet­zt lese — irgend­wie hat sich das immer wieder in meinem Stapel unge­le­sen­er Büch­er ver­steckt. Dabei bin ich ein großer Bewun­der­er und Schätzer der Stolterfoht’schen Dichtkun­st, seine “fachsprachen”-zyklen habe ich mit großer Begeis­terung gele­sen. holzrauch über hes­lach ist denen ganz ähn­lich, und doch ganz anders: In stren­gen, metrisch klaren sechs-ver­si­gen Stro­phen, aufgeteilt in neun Teile zu 36 Stro­phen (und einen kurzen Pro­log), schreibt Stolter­fo­ht ein Porträt des Örtchens Hes­lach. Oder lässt schreiben, denn wie gewohnt nutzt er eine Mis­chung aus ecri­t­ure automa­tique, mas­sivster Inter­tex­tu­al­ität, Zitat­en und Allu­sio­nen, gepaart mit ein­er unbändi­gen deskrip­tiv­en Phan­tasie — das ist sehr ein­drück­lich und faszinierend. Und wer einen Text unter ein Mot­to aus Klaus Hof­fers Bei den Bieresch-Roma­nen stellt, der hat bei mir sowieso fast schon gewon­nen. Zu Recht ist das von der Kri­tik ein “eth­nol­o­gis­ches” Gedicht genan­nt wor­den. Denn genau das macht Stolter­fo­ht: Er nimmt den eth­nol­o­gis­chen Stand­punkt ein und find­et dafür, für seine Beschrei­bung der Wirk­lichkeit (s)einer Jugend in Hes­lach in den 1970er Jahren, eben eine eigene poet­is­che Sprache, so dass Inhalt und Form zu ein­er faszinieren­den Deck­ung kom­men. Wenn schon auto­bi­ographis­ches Schreiben, dann bitte doch so.

Timur Ver­mes: Er ist wieder da. Der Roman. Köln: Eich­born 2012. 396 Seit­en.

Nun ja, auch wenn (fast) alle begeis­tert sind: Ich fand das nur mäßig — mäßig über­raschend, mäßig orig­inell, mäßig lustig. Natür­lich ist die Idee ganz nett und erst­mal auch witzig, Hitler im Herb­st 2011 aus ein­er Art Schlaf nach dem miss­glück­ten Selb­st­mord­ver­such mit Kopf­schmerzen aufwachen zu lassen, ihn auf die verän­derte Gegen­wart mit ihren neuen Medi­en und Gewohn­heit­en tre­f­fen zu lassen. Aber da wird es schon schwierig: Dieses Aufeinan­dertr­e­f­fen ist schon nicht so span­nend und komisch (oder wenig­stens tragisch), wie es hätte sein kön­nen und eigentlich müssen. Dass Hitler dann als schein­bar per­fek­ter Komö­di­ant gle­ich beim Fernse­hen lan­det, ist auch eine nette Idee. Aber die Leute und das Geschehen beim Fernse­hen ist schon wieder so ober­fläch­lich und banal geschildert, dass es nicht ein­mal die Ober­fläch­lichkeit und Banal­ität des Fernse­hens abbilden kann. Und so geht das halt dann weit­er — zum “lit­er­arischen Kabi­nettstück erster Güte”, dass der Umschlag ver­heißt, ist da noch ein gutes Stück Weg …

Arnold Stadler: Mein Stifter. Por­trait eines Selb­st­mörders in spe und fünf Pho­togra­phien. München: btb 2009. 196 Seit­en.

Das ist auch so ein selt­sames Büch­lein. Stadler, der ja als Romanci­er sog­ar den Georg-Büch­n­er-Preis bekam (auch wenn ich nie so recht ver­stand, warum), schickt sein­er Auseinan­der­set­zung mit Adal­bert Stifter vor­sicht­shal­ber eine “Notiz” voran. Da heißt es:

Dies ist kein Sach­buch, son­dern eine — vielle­icht son­der­bare — Liebe­serk­lärung. […] Es ist ein Verge­gen­wär­ti­gunsver­such von einem, der selb­st schreibt, Romane und so weit­er. Der Ver­such ein­er Liebe­serk­lärung, ein Essay.

Und das ist es auch, da hat er schon recht. Dabei ist es aber nicht nur vielle­icht, son­dern wirk­lich son­der­bar und selt­sam. Er berichtet von sein­er Lek­türe und vom Leben Stifters — aber immer unge­heur sprung­haft und wie unkonzen­tri­ert wirk­end. Kluge Beobach­tun­gen, vor allem zu Stifters rei­hen sich mit Banal­itäten, Ein­sicht­en ver­steck­en sich im Geschwafel. Das mag etwas hart klin­gen, aber Stadler nutzt die Frei­heit der Form “Essay” ziem­lich aus — für mäan­dern­den und repet­i­tive Bruch­stücke, die in der Summe mehr über Stadler als über Stifter erzählen. Wie immer geht das natür­lich nicht ab ohne den Ver­weis auf seine Herkun­ft und sein Koket­tieren mit der Reli­gion bzw. der katholis­chen Kirche — für mich blieb das eher unergiebig und auch ein wenig freud­los: Von Liebe (zu Stifter) ist nur hin und wieder etwas zu spüren.

Kon­stan­tin Ames: sTiL.e(ins) Art und Welt­waisen. Berlin und Solothurn: rough­books 2012 (rough­book 024). 112 Seit­en mit CD.

Ames ist ein Genie — ein Genie, das sich (so ist mein Ein­druck bish­er) nicht immer ganz im Griff hat: Vieles ist ein­fach großar­tig, auch hier, in sTiL., manch­es aber auch manieris­tisch und aufge­setz und nervig. Aber, davon bin ich ja felsen­fest überzeugt, das Scheit­ern gehört zum Gelin­gen immer dazu: Nur wer den Unter­gang wagt, kann den Gipfel erre­ichen. Jeden­falls: Mir macht solche Poe­sie großen Spaß — mehr dazu im passenden Blo­gein­trag.