Es ist immer ein schön­er Tag, wenn die Post so einen unschein­baren grauen Umschlag aus Solothurn bringt. Denn darin ver­steckt sich immer ein großes Leseer­leb­nis (wirk­lich, bis jet­zt war das immer so!). Und dieses Mal ist beim neuen Lyrik­band sTiL.e(ins) Art und Welt­waisen von Kon­stan­tin Ames sog­ar noch eine CD dabei — das ist also ein mul­ti­me­di­ales Erleb­nis …

Die Vor­freude ist also gle­ich mehrfach hoch: Die rough­books sind eigentlich (fast) immer eine span­nende Lek­türe. Und gele­sene Lyrik ist eben­falls ein Faszi­nosum. Und schließlich ist Kon­stan­tin Ames ein Dichter, der viel ver­heißt.

Als Leser bleibt er aber spröde, finde ich: Mir sind seine Texte näher, wenn ich sie vor mir sehe — vor allem, weil ich dann halt mein Tem­po selb­st bes­tim­men kann. Und das ist oft wesentlich langsamer als die Lesegeschwindigkeit von Ames.

Denn seine Gedichte brauen Zeit. Ames ist ein Sprachjon­gleur, der seine Art des Sprach­spiels, manch­mal auch der Spiel­ereien immer mehr per­fek­tion­iert. Voraus­set­zung ist zunächst ein­mal ein bewusstes Mei­den der Nor­mal­ität. Oder zumin­d­est untern­immt er keine Anstren­gung, in kon­ven­tionelle Raster einzu­passen — höch­stens eben im Spiel, etwa mit den manch­mal auf­tauchendne Bin­nen- oder End-Reimen.

Ames also als Sprach­spiel­er vor dem Her­ren: Er klopft die Sprache ab, bohrt und quetscht, sucht die Dop­peldeutigkeit­en (und ist sich auch für Kalauer nicht zu schade), häm­mertt an die ver­steck­ten Türen, kriecht in die Fal­ten, taucht in die Tun­nel … Und immer geht es darum: Was steckt eigentlich in der — unser­er — Sprache? Und was dahin­ter? Vielle­icht ist das wirk­lich dekon­stru­ierende Dich­tung (gibt es so etwas eigentlich über­haupt?): Ames nimmt auseinan­der, tren­nt und analysiert, split­tet und reißt an den Worten, den Fügun­gen, den Sätzen. Nicht immer kommt dann dabei “etwas” her­aus, nicht immer enste­ht dabei etwas Neues. Das muss es aber ja auch gar nicht: Es geht ja zunächst ein­mal darum, Bewusst­sein zu schaf­fen, Aufmerk­samkeit auf das Ver­bor­gene zu lenken.

Dazu gehört vor allem, die Vielschichtigkeit der Sprache zu offen­baren. Vielle­icht deshalb sind diese Gedichte immer in Bewe­gung, ken­nen keine Einkehr oder Kon­tem­pla­tion, son­dern nur ein “fort”, ein “vor­wärts” und ein “zurück” — die Rich­tung scheint beina­he egal, so lange die Bewe­gung nicht ins Stock­en gerät. Und das ver­langt auch, nicht nur mit Assozi­a­tio­nen und Destruk­tion sowie Dekon­struk­tion von Wörtern und Sätzen zu spie­len, son­dern auch abzu­tauchen in die Sozi­olek­te und Dialek­te von heute und von früher — genau­so größen­wahnsin­ng wie sich das hier als Pro­gramm liest ist es auch manch­mal. Aber ohne Größen­wahnsinn ja auch keine große Kun­st … Die Kun­st zumin­d­est manch­er dieser Gedicht, kön­nte man vielle­icht auch sagen, beste­ht dann aber darin, dieses aufdeck­ende (oder zer­störende) Spiel in Szenen, Abläufen, Erzäh­lun­gen, Geschicht­en zu ermöglichen. Oder ermöglichen erst diese Ver­läufe das Spiel? Ich weiß nicht mehr, wo vorn oder hin­ten ist, was Anfang oder was Ende, was Grund und was Folge … — her­rlich!

Kon­stan­tin Ames: sTiL.e(ins) Art und Welt­waisen. Berlin und Solothurn: rough­books 2012 (rough­book 024). 112 Seit­en mit CD.