Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2019 Seite 1 von 2

Goethe und Schiller

Nichts ist so egal wie etwas, das neben Goethe und Schiller ste­ht. Nie­mand besucht es. —Clemens J. Setz, Bot, 38

Vergangenheit

The past is frag­ile, as frag­ile as bones grown brit­tle with age, as frag­ile as ghosts seen in win­dows or the dreams that fall apart upon wak­ing and leave noth­ing behind them but a feel­ing of unease or dis­tress or, more rarely, a kind of eerie sat­is­fac­tion.

—Siri Hustvedt, Mem­o­ries of the Future, 13

Docere

quodque parum novit, nemo docere potest
[Nie­mand kann lehren, was er wenig ver­ste­ht.]Ovid, Tris­tia, 2,348

spinnennetz vor natur

Ins Netz gegangen (10.10.)

Ins Netz gegan­gen am 10.10.:

Aus-Lese #53

Jür­gen Beck­er: Die fol­gen­den Seit­en. Jour­nalgeschicht­en. Frank­furt am Main: Suhrkamp 2006. 156 Seit­en. ISBN 978–3‑518–41820‑8.

becker, seiten (cover)Schon der Unter­ti­tel zeigt die Ambivalenz des Buch­es: Ist das ein Jour­nal oder sind es Geschicht­en? Man muss das wohl wirk­lich zusam­mendenken: Das ist kein Tage­buch, also schon Fik­tion. Aber es simuliert das tägliche Schreiben: Der Erzäh­ler nimmt sich ein Notizbuch mit 200 Seit­en vor und beschreibt jeden Tag eine Seite mehr oder weniger voll. Vielle­icht hat Beck­er das auch so gemacht — aber das ist ja auch egal. Schade ist nur, dass der Ver­lag die Idee, die 200 Seit­en eines Jour­nale fik­tion­al zu beschreiben (des Erzäh­lers), nicht im realen Buch abbilden wollte — das wäre doch eine schöne Per­for­manz des Textes gewe­sen, der sein Organ­i­sa­tion­sprinzip ja immer­hin selb­st erläutert. Dafür sind die Jour­nalgeschicht­en aber immer­hin ohne Seiten­zahlen gedruckt.

Man erlebt, seufzt der Men­sch, das Wet­ter gar nicht mehr, wie es kommt, wie es ist, wie es geht. Man erlebt nur noch, wie es eine Prophezeiung erfüllt. (150)

Der Text ist eine Mis­chung aus grund­sät­zlichen Reflex­io­nen, leicht und fast neben­bei, als Zufall und Fund­stücke etc präsen­tiert, mit den Erin­nerun­gen und vielfälti­gen Erin­nerungsan­lässen eines alt(ernd)en Mannes, die immer wieder vom Ein­bruch der “Real­ität” der Schreibge­gen­wart, zum Beispiel den wieder­holt auf­tauchen­den “Gästen”, unter­brochen wer­den. Vieles sind “nette”, fre­undliche, zuge­wandte Tage­buch­skizzen mit viel untergemis­chter (per­sön­lich­er) “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung”, auch viel Hitler & Co. Das ist dann — nicht nur hin und wieder — schon etwas sen­ti­men­tal, aber dank der Wortkun­st Beck­ers noch auszuhal­ten. Den­noch ist mir das ins­ge­samt etwas zu belan­g­los, das plätschert zu ziel­los vor sich hin. Die sym­pa­this­che kurze/kleine Form wird für meinen Geschmack nicht aus­re­ichend für die poet­is­che Verdich­tung genutzt, deshalb wirkt vieles doch etwas blass und bleibt ohne tief­ere Wirkung für mich.

In diesem Jahr kön­nte es soweit sein. Im ver­gan­genen Jahr hätte es auch soweit sein kön­nen, eben­so im Jahr davor, oder vor zwei, drei, vor zehn Jahren schon. Vielle­icht ist es erst im näch­sten Jahr soweit, oder im übernäch­sten; dabei müssen es nicht ein­mal Jahre, es kön­nen auch kürzere Fris­ten sein, Wochen, Tage, Stun­den, wer weiß. Ganz sich­er ist, irgend­wann ist es soweit, ob plöt­zlich, oder ob es sich hinzieht. (16)

Giu­lia Beck­er: Das Leben ist eines der Härtesten. Ham­burg: Rowohlt 2019. 224 Seit­en. ISBN 978–3‑498–00689‑1.

giulia becker, das leben ist eines der härtesten (cover)
Giu­lia Beck­ers erster Roman mit dem schö­nen Titel Das Leben ist eines der Härtesten fällt hier wahrschein­lich etwas aus dem Rah­men. Denn das ist, auch wenn es im Lit­er­aturver­lag Rowohlt erschienen ist, keine Kun­st, son­dern Unter­hal­tung. Und auch noch recht derbe Unter­hal­tung dazu. Die kurze, episo­den­haft erzählte Geschichte um einige Ver­lier­ertypen aus Borken ist aber immer­hin dur­chaus komisch oder, um das gle­ich etwas einzuschränken, hat zumin­d­est viele komis­che Momente in der Übertrei­bung und Zus­pitzung der Charak­tere (die eher ziem­lich flache Typen sind).
Aber, und das ist halt ein großes Aber: Lit­er­arisch taugt das nicht, wed­er for­mal noch stilis­tisch trägt das irgend­wie. Ästhetisch ist das belan­g­los (so wie der Inhalt der Geschichte ja auch eigentlich eher belan­g­los bleibt). Das funk­tion­iert als nette — und recht flache — Unter­hal­tung, als eine unkom­plizierte, anspruch­slose Lek­türe für zwis­chen­durch, mit dem einen oder anderen Lach­er. Die Süd­deutsche hat das in ihrer Rezen­sion als “Pri­vat­fernsehlit­er­atur” beze­ich­net (behauptet der Per­len­tauch­er) — und das trifft es ziem­lich genau: Mit und vor allem über die ver­murk­sten Leben der anderen lachen, sich selb­st dabei wohlig über­he­blich und sich­er fühlen — viel mehr will und kann dieser Text nicht.

Sin­clair Lewis: Bab­bitt. Über­set­zt von Bern­hard Robben. Mit einem Nach­wort von Michael Köhlmeier. München: Manesse 2017. 784 Seit­en. ISBN 978–3‑641–211476‑0.

lewis, babbitt (cover)
Bonaven­tu­ra hat mich darauf gebracht, doch mal wieder außer­halb des deutschsprachi­gen Bere­ichs zu lesen. In der Tat war mir Sin­clair Lewis bish­er ger­ade so dem Namen nach bekan­nt, gele­sen hat­te ich noch nichts. Das hat sich nun geän­dert: Bab­bitt ist eine dur­chaus vergnügliche Lek­türe. Von den über 700 Seit­en sollte man sich nicht abschreck­en lassen. Erstens sind das Seit­en im kleinen Manesse-Ver­lag, wo die Neuüber­set­zung von Bern­hard Robben (mit eini­gen weni­gen Stellen, die mir selt­sam schienen, ohne sie am Orig­i­nal geprüft zu haben) 2017 erschienen ist. Zweit­ens lässt sich das, zumin­d­est in der Über­set­zung, recht flott lesen. Bab­bitt ist, da würde ich Michael Köhlmeiers selt­samen Nach­wort doch wider­sprechen, eine Satire. Eine Satire auf den amerikanis­chen Mit­tel­stand kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Der namensgebende Titel­held, George F. Bab­bitt, ist Immo­bilien­mak­ler und vor allem ein Ange­ber und Schwätzer vor dem Her­ren. Der Roman bestätigt schön meine Vorurteile über die ober­fläch­liche, kap­i­tal­is­tis­che, patri­ar­chalis­che und weit­ge­hend un- bzw. amoralis­che Gesellschaft der USA im 20. Jahrhun­dert (ja, ich weiß, böse Vorurteile — und nicht, dass es in Europa bess­er wäre …). Lewis macht das aber auf eine sehr amüsante Weise und erzählt Bab­bitt vor allem als einen imper­fek­ten Men­schen, der nach mehr — dem Sinn des Lebens, der Erfül­lung, irgend­was neben dem erwarteten und vorgeze­ich­neten Leben eines amerikanis­chen Geschäfts­man­nes eben — sucht, ohne selb­st zu wis­sen, das er auf der Suche ist und schon gar nicht, wonach ihm eigentlich dürstet und gelüstet (jen­seits des Alko­hols natür­lich …). Bab­bitt fängt sehr dicht am Pro­tag­o­nis­ten an, fol­gt ihm sozusagen zunächst auf Schritt und Tritt, in fein­er Detailau­flö­sung. Zunehmend löst sich das, die Hand­lung springt, beschle­u­nigt und bremst wieder, was mir doch hin und wieder den Ein­druck eines for­malen Ungle­ichgewichts erweck­te: Nach der äußerst detail­lierten und aus­führlichen Expo­si­tion scheint sich die Fabel ger­ade im let­zten Vier­tel immer mehr zu beschle­u­ni­gen und weniger genau erzählt zu wer­den. Das funk­tion­iert natür­lich trotz­dem, ger­ade durch und wegen des hyper­de­tail­lierten Beginns. Dabei wird die Gesellschaft der fik­tiv­en Großs­tadt Zenith, in der Bab­bitt spielt, aber immer deut­lich­er als eine restrik­tive und strat­i­fizierte erkennbar, in der ger­ade nicht­snutzige Schwätzer wie Bab­bitt durch ihre Verbindung mit anderen ihres­gle­ichen (in den Clubs und Vere­ini­gun­gen) die Macht und vor allem das wirtschaftliche Geschehen, ungeachtetet ihrer im Roman ziem­lich deut­lich zutage tre­tenden Inkom­pe­tenz und Amoral­ität, fest in der Hand haben und behal­ten.

Daniela Krien: Die Liebe im Ern­st­fall. Frank­furt am Main: Büchergilde Guten­berg 2019. 288 Seit­en. ISBN 978–3‑85420–978‑2.

daniela krien, liebe im ernstfall (cover)

Ich weiß ja wieder ein­mal nicht so recht: Von der Kri­tik recht ein­hel­lig sehr pos­i­tiv bew­ertet und besprochen, finde ich das Buch dann doch eher belan­g­los. Ja, die fünf Lebensläufe der Frauen, die lose miteinan­der verknüpft diesen Roman bzw. dessen fünf Abschnitte bilden, sind inter­es­sant zu ver­fol­gen (auch ger­ade als männlich­er Leser wahrschein­lich). Aber das bleibt im Erzählen wieder so schreck­lich banal und gewöhn­lich. Vielle­icht sind solche Büch­er, ger­ade in ihrer Stil­losigkeit (oder zumin­d­est in ihrem neu­tralen, unauf­fäl­li­gen Stil) notwendig — aber pack­en oder gar begeis­tern kann mich das nicht.

Das mag auch daran liegen, dass mir das arg pes­simistisch grundiert zu sein scheint: Änderun­gen, Entwick­lun­gen der Pro­tag­o­nistin­nen zum Beispiel, scheinen hier kaum bis gar nicht möglich. Ansätze dazu gibt es, die wer­den aber gerne und immer wieder von der Außen­welt, von den anderen, von Män­nern und Kindern und anderen Ver­wandten vor allem, ver­nichtet und zer­schmettert.

Sie weiß mehr als damals, doch was nützt es ihr? (125)

Inter­es­sant übri­gens, das nur am Rande, dass alle Frauen auf­fäl­lig viel Musik — und zwar in erster Lin­ie klas­sis­che Musik — hören. Das wäre wahrschein­lich einen genaueren Blick wert. Beim ersten Lesen scheint mir das aber, ger­ade im Zusam­men­hang mit den erzählten Lebensläufen und deren Prob­le­men, nicht beson­ders ergiebig. Aufge­fall­en ist es mir vor allem, weil es mir zumin­d­est zu einem Teil der Fig­uren nicht so recht zu passen scheint. Aber typ­isch für Die Liebe im Ern­st­fall ist, dass auch dies — wie nahezu alle äußere Hand­lung (abseits von der Gefühlsin­nen­welt der Pro­tag­o­nistin­nen) nur Neben­sache ist, nur so anbei geschieht. “Sätze ohne Span­nung, ohne Klang, ohne Zauber” beschreibt eine der Pro­tag­o­nistin­nen, die als Schrift­stel­lerin arbeit­et oder zu arbeit­en ver­sucht, wenn die Kinder ihr Zeit und Energie lassen, ein­mal ihre Tage­spro­duk­tion (125). Und das trifft auch Die Liebe im Ern­st­fall ziem­lich genau.

außer­dem gele­sen:

  • Moritz Föllmer: “Ein Leben wie im Traum”. Kul­tur im Drit­ten Reich. München Beck 2016. 288 Seit­en. ISBN 978–3‑406–67905‑6.
  • Jan Philipp Reemts­ma: Gewalt als Lebens­form. Zwei Reden. Stuttgart: Reclam 2016. 64 Seit­en. ISBN 9783150193822.
  • Heinz Gärt­ner: Der Kalte Krieg. Bünd­nisse — Krisen — Kon­flik­te. Wies­baden: mar­ix 2017. 254 Seit­en. ISBN 9783737410335.
  • Hans Eisen­träger: Der Mann sein­er Frau. Nov­el­le. Hrsg. von Niko­la Roßbach. Han­nover: Wehrhahn 2018. 68 Seit­en. ISBN 978–3‑86525–641‑6.

Epirrhema

Müs­set im Naturbe­tra­cht­en
Immer eins wie alles acht­en;
Nichts ist drin­nen, nichts ist draußen:
Denn was innen ist das ist außen.
So ergreifet ohne Säum­nis
Heilig öffentlich Geheim­nis

Freuet euch des wahren Scheins,
Euch des ern­sten Spieles:
Kein Lebendi­ges ist ein Eins,
Immer ist’s ein Vieles.Johann Wolf­gang von Goethe, Epir­rhe­ma (aus: Samm­lung von 1827, Abschnitt “Gott und Welt”)

Bücherreihe

Aus-Lese #52

Ich pro­biere mal wieder etwas Neues … Da ich meine Mel­dun­gen “Aus-Lese” mit ein­er kurzen sub­jek­tiv­en Skizze der jew­eili­gen Lek­türe und meines Ein­druck­es dazu verse­hen habe, bedeutet das einen (zwar kleinen) gewis­sen Aufwand, der mich in der let­zten Zeit weit­ge­hend davon abge­hal­ten hat, die Serie fortzuführen. Also gibt es jet­zt einen neuen Ver­such im deut­lich reduzierten For­mat …

Heim­i­to von Doder­er: Unter schwarzen Ster­nen. Erzäh­lun­gen. München: Deutsch­er Taschen­buch-Ver­lag 1973. 153 Seit­en. ISBN 978–3‑423–00889‑1.

Der schmale Band mit Erzäh­lun­gen — über­wiegend aus den 1950er und 1960er Jahren — hat es nicht geschafft, meine respek­tvolle Dis­tanz zu Doder­er zu ver­ringern. Ich erkenne (und schätze) die Kun­st­fer­tigkeit und das Stil­be­wusst­sein des Autors, aber davon abge­se­hen bleiben mir die Texte (das ging mir mit seinen Roma­nen ähn­lich) eher fremd.

Wolf­gang Schuller: Cicero. Ditzin­gen: Reclam 2018 (Reclam 100 Seit­en). 101 Seit­en. ISBN 978–3‑15–020435‑1.

Eine nette kurze Feier­abendlek­türe, die den Men­schen Mar­cus Tul­lius Cicero flott, unter­halt­sam, auch pointiert porträtiert. Dabei klingt das große (selb­stver­ständliche) Fach­wis­sen der römis­chen Geschichte immer mit. Mir fehlt allerd­ings etwas die genauere und aus­führlichere Beschäf­ti­gung mit den Inhal­ten von Ciceros Werken. Der Band bleibt (absichtlich) weit­ge­hend (nicht nur, aber doch über­wiegend) am Äußeren von Ciceros Leben. — Natür­lich wäre das auch viel ver­langt, bei­des auf 100 Seit­en zufrieden­stel­lend zu erledi­gen, das ist mir dur­chaus bewusst. Für meinen Geschmack hätte eine zumin­d­est teil­weise Ver­schiebung des Fokus aber den­noch gut getan.

Ger­hard Pop­pen­berg: Herb­st der The­o­rie. Erin­nerun­gen an die alte Gelehrten­re­pub­lik Deutsch­land. Berlin: Matthes & Seitz 2018 (Fröh­liche Wis­senschaft 111). 239 Seit­en. ISBN 978–3‑95757–386‑5.

Ein faszinieren­der Text. Ich kön­nte aber nur schw­er genau sagen, was das eigentlich ist — und worauf der Text hin­aus will. Auf der Suche nach so etwas wie ein­er geisti­gen Sig­natur der BRD liest Pop­pen­berg Autoren und ihre Rück­blicke auf die let­zten Jahrzehnte. So kom­men Philipp Felsch, Frank Witzel, Ulrich Raulff und Friedrich Kit­tler gemein­sam in den Blick, wer­den genau (!) gele­sen und mit dur­chaus sujek­tive gefärbten Darstel­lun­gen und Erin­nerun­gen kom­biniert. Das klingt jet­zt viel selt­samer als es im Text ist. Der ist näm­lich dur­chaus faszinierend und gelehrt — eine über­aus anre­gende Mis­chung und auch eine anre­gende Lek­türe.

Valentin Sen­ger: Kaiser­hof­s­traße 12. 4. Auflage der Neuaus­gabe. Frank­furt am Main: Schöf­fling 2012. 316 Seit­en. ISBN 978–3‑89561–485‑9.

senger, kaiserhofstraße 12 (cover)Roman oder auto­bi­ographis­che Erzäh­lung — eigentlich ist das ja egal. Was es auf jeden Fall ist: Eine — angesichts des Sujets — erstaunlich leichte und leicht­füßige Erzäh­lung der jüdis­chen Fam­i­lie Sen­ger vor und während des Nation­al­sozial­is­mus. Das einzi­gar­tige daran ist, das merkt der Erzäh­ler auch selb­st, wie wun­der­voll das gelingt: Ein Wun­der ist das Über­leben, ein Wun­der ohne Staunen. Natür­lich gibt es, ganz klas­sisch, Schwierigkeit­en zu über­winden. Aber um Ende siegt doch die Leichtigkeit, das Leben, die fast unver­schämte Unver­nun­ft und Unbe­sorgth­eit des Erzäh­lers und sein­er Fam­i­lie. Das ganze ist sehr direkt, unmit­tel­bar erzählt — ein Text, dem man sich kaum entziehen kann (und es ja eigentlich auch nicht möchte). Die meis­ten­teils knap­pen Kapi­tel, fast Erin­nerungs­bruch­stücke (vor allem im ersten Teil, der frühen Kind­heit des Erzäh­lers) machen dne Text auch gut zugänglich und kon­sum­ier­bar — sicher­lich auch ein Fak­tor, der zum Erfolg des Buch­es, das seit 1978 in mehreren Aufla­gen und Aus­gaben (und Ver­la­gen) erschienen ist.

Nor­bert Frei/Christian Morina/Franka Maubach/Maik Tändler: Zur recht­en Zeit. Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus. Berlin: Ull­stein 2019. 224 Seit­en. ISBN 978–3‑550–20015‑1.

frei et al., zur rechten zeit (cover)Der Titel kündigt eigentlich eher eine Stre­itschrift an: “Wider die Rück­kehr des Nation­al­is­mus”. Das kann der Band aber kaum ein­lösen. Was er aber kann, und das dur­chaus recht gut und überzeu­gend: Hin­ter­gründe für Entwick­lun­gen geben. Die Autor*innen bieten näm­lich eine Rückschau auf die deutsche Geschichte seit 1945, in West und Ost, mit dem Fokus auf die diversen recht­en, nation­al­is­tis­chen Strö­mungen, Diskus­sio­nen und Parteien, von der Ent­naz­i­fizierung bis in die unge­fähre Gegen­wart. Das ist als Einord­nung und Argu­men­ta­tion­shil­fe gut gemacht und gut zu nutzen. Die gesamt­deutsche Per­spek­tive ist dabei dur­chaus hil­fre­ich — unsich­er bin ich allerd­ings, ob Büch­er wie diese ihr Ziel wirk­lich erre­ichen kön­nen …

geknüpftes netz (knoten)

Ins Netz gegangen (9.5.)

Ins Netz gegan­gen am 9.5.:

wirkkraft der dichtung

immer stärkere leserge­hirne bedro­hen die wirkkraft der dich­tung.—Ulf Stolter­fo­ht, fach­sprachen XXIV, dog­ma für dich­tung, 2005

Da Capo – Effektvolle Zugaben für Chöre

carsten gerlitz, da capo
Zugaben­stücke sind offen­bar gefährlich: Wenn der Ton­set­zer selb­st schon vor ihrem über­mäßigem Genuss warnt, dann sollte man wohl wirk­lich mit Vor­sicht genießen. Dabei gibt es kaum einen Grund, den Band „Da Capo!“ von Carsten Ger­litz mit spitzen Fin­gern anz­u­fassen. Im Gegen­teil, man sollte den unbe­d­ingt auf­schla­gen und (ein)studieren. Auch wenn der Titel nicht so ganz passt. Denn nicht die Wieder­hol­ung ist das Ziel von Ger­litz, son­dern neues Mate­r­i­al für die Zugabe bei Chorkonz­erten zu liefern. Echte „Knaller“ sollen es also sein, pep­pige Arrange­ments ver­spricht der Unter­ti­tel. Und das find­et man in den sechs Sätzen von über­schaubar­er Schwierigkeit dann dur­chaus – wenn auch nicht in jedem einzel­nen.

Denn einen Schlusspunkt für ein Konz­ert set­zen sie alle auf ganz ver­schiedene Weise: „Auf uns“ als groovig-poppige Soul­bal­lade, die Ger­litz‘ Fähigkeit als Arrangeur effek­tvoller Chor­musik beson­ders deut­lich zeigt, „Das Pub­likum war heute wieder wun­der­voll“ als schnell ein­studierte und schnell gesun­gene, unkom­plizierte Miniatur, die schon als Abspan­n­musik bei Bugs Bun­ny gut funk­tion­iert hat. Es geht aber auch roman­tis­ch­er, mit dem von Brahms entlehn­ten „Guten Abend, gute Nacht“, dem san­ft und sehr fein aus­gear­beit­eten „Der Mond ist aufge­gan­gen“ oder auch mit dem Abschied­slied der Come­di­an Har­monists, „Auf Wieder­sehn, my Dear“, das Ger­litz sehr nah an deren Klang und Arrange­ment set­zt. Und damit auch wirk­lich jed­er gemis­chter Chor hier etwas find­et, gibt es noch eine unkom­pliziert swin­gende, ja, fast harm­lose „Sen­ti­men­tal Jour­ney“ dazu. Und wenn man den schmalen Band so durch­blät­tert, trifft die War­nung des Vor­worts vielle­icht doch zu: Zu viel Feuer­w­erk ermüdet. Dafür reichen diese sechs Sätze aber nicht aus – schon allein deshalb nicht, weil sie so ganz und gar unter­schiedlich sind.

carsten gerlitz, in my life (beatles)
Und wer noch nicht weiß, wie er sein Pub­likum dazu bringt, Zugaben zu fordern, kann sich zweier ander­er kür­zlich erschiener Arrange­ments von Carsten Ger­litz bedi­enen – die sind jet­zt aber nicht mehr für jeden Chor und jeden Geschmack geeignet. Denn mit ABBAs „Danc­ing Queen“ und „In My Life“ von den Bea­t­les legt der ver­sierte Arrangeur zwei Sätze vor, die sehr genau und gut in die neue Rei­he Pop-Choir-Classics passen.Nah am Orig­i­nal empfehlen sie sich vor allem für im Pop schon ver­traute und geübte Chöre – bei­de set­zen auch ein fün­f­s­tim­miges, rhyth­misch sicheres Ensem­ble voraus. Mit weni­gen, oft nur punk­tuellen Änderun­gen, geschick­ter Stim­mverteilung und dra­matur­gis­chem Gespür wird aus bloßen a-cappella-Coverversionen bei Ger­litz ein Hit fürs näch­ste Konz­ert. Dabei arbeit­et er sehr ökonomisch mit Ein­fällen: Seine Arrange­ments sprühen nicht vor Ideen, sind aber stets wirkungsvoll gear­beit­et. Nicht zulet­zt liegt das auch an den Orig­i­nalen: Das sind eben echte Klas­sik­er, die Kraft und Inspi­ra­tion genug haben – die Rei­he trägt den Titel „Pop-Choir-Classics“ schließlich nicht umson­st.

Carsten Ger­litz: Da Capo! Zugabestücke in pep­pi­gen Arrange­ments für gemis­cht­en Chor. Mainz: Schott 2015 (ED 20577).
Carsten Ger­litz: Bea­t­les, In My Life. (Pop-Choir-Classics) Berlin: Bosworth 2015 (BOE7741).
Carsten Ger­litz: ABBA, Danc­ing Queen. (Pop-Choir-Classics) Berlin: Bosworth 2015 (BOE7742).

(Zuerst erschienen in „Chorzeit – Das Vokalmagazin“)

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