Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Jahr: 2013 Seite 3 von 31

Aus-Lese #22

Nils Minkmar: Der Zirkus. Ein Jahr im Inner­sten der Poli­tik. Zwis­chen­bericht. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2013. 220 Seit­en.

Das vorzügliche Buch von Nils Minkmar ist — da darf man sich vom Unter­ti­tel nicht irreführen lassen — keine Reportage im eigentlich Sinne, und schon gar keine, die uns über Poli­tik und Macht wirk­lich aufk­lärt. Minkmar ist näm­lich zuallererst ein Meis­ter der Wahrnehmung, Beschrei­bung und Deu­tung von (poli­tis­chem) Han­deln als sym­bol­is­chen Han­deln: Er kann Zeichen lesen — da ist er guter Kul­tur­wis­senschaftler. Und er kann es präzise (be-)schreiben. Dabei beschränkt er sich im Zirkus aber nicht auf den Zeichen­charak­ter des von ihm beobachteten Wahlkampf von Peer Stein­brück und seinen Hand­lun­gen, son­dern verbindet das mit poli­tis­ch­er Erdung. So tauchen immer wieder die Fra­gen nach der tat­säch­lichen und medi­alen Macht der ver­schiede­nen Akteure auf. Sehr gut gefall­en hat mir, wie er seinen konkreten Gegen­stand — Peer Stein­brück und seinen Wahlkampf — in größere Kom­plexe ein­bet­tet, etwa in Über­legun­gen zum Ver­trauen in die/der Poli­tik, zur psy­chol­o­gis­chen Sit­u­a­tion der deutschen Bevölkerung 2013, zu Post­demokratie und den Medi­en.

Aber immer wieder ist auch Verzwei­flung zu spüren: Verzwei­flung, dass der Kan­di­dat, der so richtig und gut ist, an so vie­len eigentlich banalen und neben­säch­lichen Din­gen scheit­ert, dass so vieles ein­fach nicht funk­tion­iert (bei ihm selb­st, im Appa­rat, in der SPD, in den Medi­en …). Das wird manch­mal für meinen Geschmack etwas sug­ges­tiv. Deshalb fall­en vor allem die gantz konkreten Analy­sen beson­ders pos­i­tiv auf: Wie Minkmar das Wahl­pro­gramm und vor allem den Slo­gan der SPD (“Das Wir entschei­det”) auseinan­dern­immt und deutet, das hat große Klasse.

Immer wieder treibt ihn bei sein­er Beobach­tung des Wahlkampfs vor allem das Ver­hält­nis von Kan­di­dat und Partei um: Stein­brück schildert er als klu­gen, sach­lich und nuanciert denk­enden und argu­men­tieren­den Überzeu­gungstäter, die Partei vor allem als unfähig, chao­tisch und unwillig. Unwilligkeit kommt beim Kan­di­dat­en in Minkmars Beschrei­bung vor allem in einem Punkt auf: In der Weigerung, die Medi­en­mas­chine bzw. ihr Sys­tem wirk­lich zu bedi­enen und zu benutzen — was im Vere­in mit der unfähi­gen PR der Partei zu den entsprechen­den Katas­tro­phen führt.

Aber dann ist das Buch für sich auch ein biss­chen hil­f­los: Das ganze ist, wenn man es so beschreibt, halt ein Zirkus, da kann man nichts machen. Und wenn man, wie Stein­brück, nach eige­nen Regeln zu spie­len ver­sucht oder auf seinen bewährten Stan­dards behar­rt, scheit­ert man eben und ver­liert …

Wolf­gang Schlenker: Dok­tor Zeit. Solothurn: rough­books 2012 (rough­book 020) 54 Seit­en.

Ein kleines Erin­nerungs­buch an den 2011 ver­stor­be­nen Schlenker mit zwei Zyklen sein­er Gedichte. Auf­fäl­lig ist bei diesen schnell ihre sug­ges­tive Sprach-/Versmelodie mit den kurzen Versen. Die Sprache wird hier präg­nant durch Glasklarheit und efährt dadurch auch eine gewisse Härte. Immer wieder greift Schlenker auf kurze Paar­verse zurück: Knap­pheit und Dichte, starke Konzen­tra­tion auf Zustände und Ergeb­nisse sind vielle­icht wesentliche Merk­male sein­er Lyrik. Nicht so sehr inter­essieren ihn dage­gen Prozesse und Abläufe: Ver­ben sind deshalb gar nicht so bedeut­sam in diesen Texte:

genauigkeit
als gäbe es
keine gren­zen (sankt nun, 49)

Schlenkers Lyrik, die hier immer wieder um das Prob­lem der Frei­heit kreist (“gut wäre auch freier wille” (15)), entwick­elt dabei so etwas wie eine Topogra­phie des Denkens mit Orten der Reflek­tion und der Selb­stvergewis­serung. Wege, Pfade etc. spie­len hier eine beson­dere Rolle. Vor allem aber schafft sie es, durch ihre pointierten Erken­nt­nisse dabei sehr “schlau” zu wirken:

die zeit ist nun lin­ear
wie ein fadenkreuz

ich weiß du bist da
bevor ich glaube wer ich bin. (4)

Deut­lich wird das auch in dem wun­der­baren “Lich­tung” (8), für mich wohl das beste dieser Gedichte:

als ich einige glaubenssätze
zum ersten mal
laut nach­sprechen kon­nte
hörte ich den don­ner
in der leitung
legte auf
und wählte neu

Moni­ka Rinck: Hasen­hass. Eine Fibel in 47 Bildern. Ostheim/Rhön: Peter Engstler 2013. 40 Seit­en.
Hasenhass - der Umschlag

Hasen­hass — der Umschlag

Ein befremdlich­es und erheit­ern­des Buch: Moni­ka Rinck treibt sich schreibend und zeich­nend in ein­er Phan­tasiewelt herum, in der Hasen­hass ein geweisse Rolle spielt, in der Haydn zwis­chen Disko-Kugel und Scheiben­qualle disku­tiert wird und ähn­lich Unge­heuer­lichkeit­en geheuer sind. Das sind kurze Ver­suche in & mit Sprach- und Denkbe­we­gun­gen, dazu noch skurile Zeich­nun­gen in und um die Witze herum — vielle­icht kann man das auch als dozierende Sprach­spiele lesen, die assozia­tiv ver­ket­tet und mäan­dernd über das Nichts, die Leere und andere Abwe­sen­heit­en nach­denken (“unschöne Über­legun­gen zur Prax­is des Nicht­ens” (9)) und als eine “Reform der See­len­gram­matik” (14) erheit­ern. “Die Dinge ver­wan­deln sich, die Beziehun­gen bleiben beste­hen.” (37) heißt es im kurzen “Nach­trag”. Und so ver­wan­deln sich auch Text und Zeich­nung, Wort und Bild in dieser Fibel:

Der Wind der Apoka­lypse weht durch das kaputte Gedächt­nis. Und wieder tre­f­fen wir auf ein Ver­hält­nis von taumel­nder Äquiv­alenz. (7)

Der geme­in­ste Witz ver­steckt sich übri­gens auf der let­zten Seite, im Impres­sum — und ich bin mir immer noch nicht sich­er, ob das ein Witz sein soll oder nur ein banaler Fehler ist — nach der Lek­türe solch­er Texte sucht (und find­et) man eben über­all Sinn ;-):

Hinrichtung

Hin­rich­tung

Datenschutz

Der beste Daten­schutz, das ist eine Bin­sen­weisheit, ist die Ver­mei­dung von Dat­en. Deshalb haben SPD & CDU in ihrer unendlichen Weisheit im Koali­tionsver­tragsen­twurf beschlossen, die Dat­en aller Bürg­er ein­fach mal auf Vor­rat zu spe­ich­ern — vielle­icht will ein Geheim­di­enst ja wis­sen, wo dich du vor ein paar Wochen so rumgetrieben hast. Wer die Logik dahin­ter nicht ver­ste­ht, ist sich­er nicht allein. Auch wenn es halt im Sep­tem­ber zu wenig waren, die darauf geachtet haben.

Wir speichern das. (Schamlos geborgt von der Digitalen Gesellschaft.)

Wir spe­ich­ern das. (Scham­los geborgt von der Dig­i­tal­en Gesellschaft.)

Verzaubert in der Phönixhalle

Hex­en, Trolle, Prinzessin­nen und Außerirdis­che tollen durch die Phönix­halle. Sie lieben und stre­it­en sich – aber nur in der Phan­tasie. Die Sin­foni­et­ta Mainz hat unter dem Mot­to „Zauber­Film­Musik“ zur Verza­uberung aufgerufen. Und fast, als ob sie ihren eige­nen Fähigkeit­en nicht traute, hat sie mit Christoph Demi­an noch Ver­stärkung organ­isiert. Dessen Fähigkeit­en kann man nun wirk­lich nicht trauen: Man weiß bei diesem Illu­sion­is­ten nie, was als näch­stes passiert. Und was ger­ade geschehen ist, ver­ste­ht man sowieso nicht.

Die Musik der Sin­foni­et­ta hätte allerd­ings auch alleine schon gere­icht, das Pub­likum zu beza­ubern und zu verza­ubern. Das groß beset­zte Ama­teu­rorch­ester hat näm­lich für so ziem­lich jeden Geschmack etwas in sein Pro­gramm gepackt: Von dem fast unver­mei­dlichen Zauber­lehrling von Paul Dukas und dem Hex­ens­ab­bath aus Hec­tor Berlioz’ Sym­phonie fan­tas­tique über die Ouvertüre zu Hänsel und Gre­tel von Engel­bert Humperdinck bis zu John Williams, Howard Shore und Klaus Badelt reichte das aus­ge­sprochen umfan­gre­iche Pro­gramm. Nicht nur in ihren eige­nen Gewässern – der klas­sis­chen Musik – fis­chen sie. Geza­ubert wird schließlich ger­ade im Film ganz beson­ders viel. Und deshalb war auch ganz viel phan­tastis­che Film­musik zu hören, von Lord of the Rings über Har­ry Pot­ter bis zum Fluch der Karibik.

Dass so eine ordentliche Verza­uberung allerd­ings auch viel Arbeit sein kann, wurde eben­so gewürdigt: Ober­bürg­er­meis­ter Michael Ebling zeich­nete die Erste Vor­sitzende der Sin­foni­et­ta, Nico­la Wöhrl, mit dem Mainz­er Pfen­nig aus. Über zwanzig Jahre und damit von Beginn an ist sie im Vere­insvor­stand dabei – und natür­lich immer auch auf der Bühne, als eine der Hor­nistin­nen. Als „Motor ein­er kon­tinuier­lichen Aufwärt­sen­twick­lung“ lobte Ebling in sein­er kurzen Lau­da­tio ihre Arbeit, die ein „wichtiger Beitrag zur Kul­turvielfalt in Mainz“ sei.
Das war nicht die einzige Unter­brechung der Musik. Denn da war ja auch noch Christoph Demi­an: Der Solist, der kein Instru­ment dabei hat­te. Nur mit dem Diri­gen­ten­stab von Michael Mil­lard spielte er: Er ließ ihn ver­schwinden und auf­tauchen, aus dem Feuer aufer­ste­hen und zeigte auch son­st so einige Illu­sio­nen – damit die Zauberei nicht nur in der Phan­tasie des Pub­likums stat­tfand. Dazu gehörten auch Auf­gaben aus Har­ry Pot­ters Abschlussprü­fung wie das magisch schwebende Tis­chchen – raf­finiert und mit garantiert live gespiel­ter Musik auch über­haupt nicht alltäglich.

Die Haupt­last lag aber bei der Sin­foni­et­ta Mainz und ihrem Diri­gen­ten Michael Mil­lard. Und die hat­ten kein­er­lei Prob­leme, der Phan­tasie zu ihrem Recht zu ver­helfen. Sie kön­nen näm­lich so ziem­lich alles: Geis­ter beschwören, Zauber­sprüche raunen, übersinnliche Ereignisse schildern, bedrohliche Zeichen malen oder satanis­che Tänze anfeuern – alles kein Prob­lem. Mil­lard treibt die Sin­foni­et­ta in der Phönix­halle zu sehr plas­tis­chem und viel­seit­igem Spiel. Geschmei­dig wech­selt er mit ihr zwis­chen den vielfälti­gen Stim­mungen. Am besten aber klingt das immer dann, wenn die Musik­er es so richtig krachen lassen kön­nen: Die mas­sive Klan­gaus­beute der Sin­foni­et­ta nutzt Mil­lard sehr geschickt – so raf­finiert, dass man oft gar nicht mehr viel Phan­tasie benötigt, son­dern ein­fach verza­ubert ist.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Ins Netz gegangen (24.11.)

Ins Netz gegan­gen am 24.11.:

Verlust

Nicht nur Dieter Hilde­brandt (an den ich mich nur als alten Mann erin­nere, seine große Zeit lag eher vor mein­er Wahrnehmungss­chwelle …) ist gestor­ben, auch der große Dichter Hans-Jür­gen Heise hat die Erde ver­lassen, wie Fix­po­et­ry heute ver­meldet. Son­st scheint diesen Ver­lust noch nie­mand reg­istri­ert zu haben …

Aus-Lese #21

Jochen Beyse: Rebel­lion. Zwis­chen­bericht. Zürich, Berlin: Diaphanes 2013. 166 Seit­en.

Jochen Bey­ses Rebel­lion ist wieder ein ver­schlun­ge­nes Spiel inmit­ten eines Auflö­sungs- und Erken­nt­nis­prozess. Der Erzäh­ler, der sich hier in einem bruch­stück­haften Wahrnehmungsstrom äußert, taumelt zwis­chen Appa­rat­en, Real­ität, Lit­er­atur und Ein­bil­dung. Durch reich­halti­gen Medi­en- und Alko­holkon­sum wird das Ver­wirr- oder Vex­ier­spiel noch ange­heizt. Nur langsam kristallisiert sich her­aus, was erzählt wird — die Erleb­nisse ein­er Nacht in Algi­er, die der Erzäh­ler aber zugle­ich in Kairo ver­bringt: Dort ist näm­lich, rund um den Tahrir-Platz zur Zeit der ägyp­tis­chen Rev­o­lu­tion, der von ihm gespielte Egoshoot­er “Tod in Kairo” ange­siedelt. Das ver­mis­cht sich dann noch mit weit­eren Nachricht­en, der Ein­nerung an Camus’ “Der Fremde” und diversen Para­noien und hyper­bolisierten Stereo­typen, bis völ­lig unklar ist, was echt ist und was Spiel, was Nachricht, was Infor­ma­tion, was Erleben, was Fik­tion. Phan­tasie, Delir­i­um, Wirk­lichkeit sind so hoff­nungs­los durcheinan­der ger­at­en und in einan­der verzwirbelt, dass die Zuge­hörigkeit des Erlebens und Erzäh­lens zu einem der Reiche höch­stens momen­tan, phasen­weise gelingt.

Ich habe auch nie geglaubt, dass das Leben­sziel erre­icht ist, wenn Spiel und Wirk­lichkeit eins gewor­den sind. (104)

- und doch geht es in Rebel­lion ja ger­ade ganz span­nend um diese Gren­ze und ihre Übergänge.

Michael Ser­res: Erfind­et euch neu!. Eine Liebe­serk­lärung an die ver­net­zte Gen­er­a­tion. Berlin: Suhrkamp 2013. 77 Seit­en.

Michael Ser­res hat über die Gegen­wart nachgedacht — was eigentlich mit dem, was wir so ein­fach “Ver­net­zung” oder ähn­lich nen­nen, gemeint ist und was hier passiert. Der Über­gang zur Netz-Gen­er­a­tion (oder so ähn­lich) ist für ihn ein ähn­lich entschei­den­der und bedeu­ten­der Schritt wie die Schwelle zur Schrift in der Antike und zum Buch in der Renais­sance — ein Über­gang, der (noch) nicht aus­re­ichend in seinen Kon­se­quen­zen — unter anderem für das Bild des Men­schen — gewürdigt wird. Dazu gehört auch die Fol­gerung für die Päd­a­gogik: nicht Wis­sen erzählen kann mehr ihr Zweck sein, sie soll/darf, so Ser­res, die neue Kom­pe­ten­zver­mu­tung an die Stelle der Inkom­pe­ten­zan­maßung (wie in den let­zten jahrhun­derten) set­zen — denn das Wis­sen, das früher müh­sam ver­mit­telt und bewahrt wer­den musste, ist heute ja mit einem Fin­ger­tip ver­füg­bar.

Er nutzt dafür in seinem stilis­tisch beein­druck­en­dem Essay (mir haben die harten, klaren Sätze, die fast eine lange Rei­he von The­sen sind, sehr viel Vergnü­gen bere­it­et) das Bild des Kleinen Däumlings/Däumelinchen: Das sind — dur­chaus mit Emphase gedacht — neue Men­schen, die über neue Kör­p­er-/Raum-/Zeit-/Lebenser­fahrun­gen ver­fü­gen und deshalb etwa auch eine neue Moral nötig haben. Und notwendig ist in diesem Moment der Wende, des Über­gangs: neue/gewandelte Insti­tu­tio­nen (wie Schule, Uni­ver­sität, Arbeit, Klinik …): wie längst gestor­bene Sterne strahlen sie in ihrer alten Form noch, obwohl sie eben­falls schon tot sind, was sich in der per­ma­nen­ten Unruhe, dem Ger­aune & Geschwätze dort, wo sie noch anzutr­e­f­fen sind, man­i­festiert.

Wie schön wäre es doch, wenn ein paar mehr von den Men­schen, die ger­ade halb so alt wie Ser­res (Jahrgang 1930!) sind, ähn­lich viel von dem ger­ade geschehen­den Wan­del der Welt und der Men­schen begrif­f­en hät­ten — und mit entsprechen­der Liebe reagieren wür­den. Wun­der­bar etwa, wie er Face­book (als Symp­tom) vertei­digt — ger­ade im Ver­gle­ich mit anderen Kollek­tivierun­gen wie Nation, Klasse etc. — und ihrem Blut­zoll, der jet­zt (zunächst mal) mit den virtuellen Ver­net­zun­gen und Kollek­tivierun­gen wegfällt …

Der orig­i­nale franzö­sis­che Titel ist fast noch bess­er: “Petite Poucette” — da schwingt mehr von der Begeis­terung, der Emphase, Liebe und zärtlich­er Hin­wen­dung und auch dem Spiel, das den Essay durchzieht, mit. Das Imper­a­tive des deutschen Titels find­et sich im Text gar nicht so sehr, sug­geriert also eine ganz falsche Rich­tung — denn die Neu-Erfind­ung geschieht ja bere­its, nur die Anpas­sung des/der System(e) — und der „älteren“ Gen­er­a­tion — lässt noch zu wün­schen übrig. (Typ­isch übri­gens, dass genau das bei den Rezensen­ten zu beobacht­en ist: Wenn man der Zusam­men­fas­sung beim Per­len­tauch­er glauben darf, störte die vor allem die Begeis­terung Ser­res von den Möglichkeit­en, die sich eröff­nen, und sie monieren, dass er die neg­a­tiv­en Fol­gen nicht aus­re­ichend reflek­tiere …)

Ernsthaft gut: Doppelkonzerte im Meisterkonzert

Das Ganze ist ein Witz. Bei sein­er neun­ten Sin­fonie – aus­gerech­net der Neun­ten! — hat Schostakow­itsch es sich nicht nehmen lassen, mit allen Erwartun­gen und Tra­di­tio­nen zu spie­len. Das hing natür­lich auch mit sein­er eige­nen und der poli­tis­chen Sit­u­a­tion zusam­men – 1945 hat­te der Kom­pon­ist schon einige Erfahrung mit Stal­ins Regime und dessen Kri­tik­ern gesam­melt. Denen wollte er keine Tri­umph­musik schreiben – aber was er dann mit der Neun­ten im Herb­st ablieferte, das muss für ger­ade diese Kri­tik­er eine reine Unver­schämtheit gewe­sen sein: Die knappe halbe Stunde heit­er­er Musik trieft nur so vor Ironie. Die ganze Sin­fonie spielt mit klas­sis­chen For­men und Meth­o­d­en – bis zur Über­erfül­lung. Wahrschein­lich ist sie eine der klas­sis­chsten Sin­fonien, die im 20. Jahrhun­dert geschrieben wurde. Und ein hin­terlistiges Spiel mit den Erwartun­gen, auch des Hör­ers. Man kann das als nette, kun­stvoll gemachte Unter­hal­tung spie­len. Oder man kann, wie Mar­cus Bosch es beim 3. Meis­terkonz­ert mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie in der Rhein­gold­halle machte, die abgründi­gen Seit­en her­vork­itzeln und das Absurde dieser Musik beto­nen. Bosch gelang das der­maßen gut, dass die Ironie aus jedem schö­nen Akko­rd und jedem schö­nen melodis­chen Ein­fall nur so her­vorquoll. Vor allem die Mis­chung aus unter­gründig-bohren­der Span­nung und schwungvoll-aus­ge­lassen­er Spiel­freude, die Mar­cus Bosch im Finale bis zur tänz­erischen Über­mut aus­reizte, macht­en die Neunte zu einem so wun­der­baren Hör­erleb­nis.

Dabei war Schostakow­itschs Sin­fonie eigentlich nur das Aus­rufeze­ichen am Schluss eines span­nen­den Konz­ertes. Davor stand noch der sel­tene dop­pelte Genuss eines Dop­pelkonz­ertes. Mit den Pianistin­nen Mona und Rica Bard spielte die Staat­sphil­har­monie näm­lich nicht nur ein Dop­pelkonz­ert, son­dern gle­ich zwei: von Mozart und Fran­cis Poulenc. Witz haben bei­de, aber auf jew­eils ganz eigene Art.

Poulencs 1932 kom­poniertes Konz­ert für zwei Klaviere und Orch­ester ist mit seinen raschen Sprün­gen, vielfälti­gen Wech­seln und Reich­tum an bun­ten Ein­fällen und Stilmis­chun­gen ein geschick­ter Konz­er­tauf­takt. Die zwei schlagkräfti­gen Akko­rde des Beginns sind ein dop­pel­ter Startschuss. Damit begin­nt ein Feuer­w­erk der Klang­far­ben und des Rhyth­mus — „rein­ster Poulenc“, wie der Kom­pon­ist selb­st ein­mal bemerk­te. Bei Mona und Rica Bard war das Feuer­w­erk in guten Hän­den: Sie achteten sorgsam darauf, dass auch in der Hitze des Gefechts alles mit recht­en Din­gen zug­ing – während Bosch mit dem Orch­ester ver­suchte, zumin­d­est ein biss­chen zu zün­deln.

Mozarts einziges Konz­ert für zwei Klaviere ist der Gele­gen­heit des gemein­samen Musizierens mit sein­er Schwest­er geschuldet. Das merkt man der Musik auch ganz unmit­tel­bar an: Sel­ten sind die bei­den Solopar­tien so eng und unau­flös­bar ineinan­der ver­flocht­en wie hier. Und sel­ten hört man sie so har­monisch ineinan­der gefügt wie von den Bard-Schwest­ern. Die bei­den pflegten in der Rhein­gold­halle ein sehr konzen­tri­ertes und kun­stvolles Spiel. Das dabei der augen­zwinkernde Witz Mozarts manch­mal etwas hin­te­nanste­hen musste, verzieh man ihnen gerne. Zumal das Orch­ester alles tat, die kleine Lücke zu füllen. Die Auf­gaben­teilung war dabei schnell klar: Die Staat­sphil­har­monie über­nahm die großen Gesten, die Pianistin­nen die feinsin­nige, fast kam­mer­musikalis­che Klangtüftelei. Zusam­men erk­lang so ein ern­sthaft gutes Mozart-Konz­ert, das gewis­senhaft und emo­tion­al zugle­ich war – und alles andere als ein Witz.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Ins Netz gegangen (14.11.)

Ins Netz gegan­gen am 14.11.:

  • Hip | waahr — Joachim-Ernst Berendt referiert 1962 in “Twen” Nor­man Mail­ers Hip­ster-The­o­rie und ergänzt sie um einige Beobachtungen/Bemerkungen zum Jazz:

    Daß die „Botschafter“ so schnell wech­seln – in drei Jahren von Miles über Min­gus zu Coltrane -, hat nichts mit modis­ch­er Unbeständigkeit zu tun. Es ist erforder­lich – drin­gend notwendig. Fast alles näm­lich, was Jazz bedeutet, ist ver­drängt wor­den – und zwar im Zeichen der wach­senden Akzep­tierung des Jazz. Es ist ver­drängt wor­den von denen, die ihn akzep­tieren: von der Tol­er­anz und Großzügigkeit über die Direk­theit und Ehrlichkeit bis zur Freizügigkeit und Frei­heit. Deshalb muß das, worauf es ankommt, immer noch konzen­tri­ert­er und noch inten­siv­er gesagt wer­den. Die Inten­sität von gestern wird heute schon von den Squares ver­harm­lost. Miles-Davis-Phrasen taucht­en zwei Jahre nach Beginn seines Hip-Erfolges in der Schlager­musik auf./

  • Prozess ǀ Ziem­lich feste Fre­unde — der Fre­itag — Wahrschein­lich das Beste, was ich bish­er zum Wulff-Prozess gele­sen habe (wenn auch etwas über­spitzt). Nur die Kom­mentare darf man natür­lich nci­ht lesen …

    Dieses Ver­fahren aber wird zeigen, dass es eben um mehr geht als nur gut 750 Euro. Näm­lich um eine von allen Beteiligten als nor­mal emp­fun­dene Nähe zwis­chen Poli­tik und Wirtschaft, in der gegen­seit­ige Gefäl­ligkeit­en zur Regel gehören, um abseits eines öffentlichen Nutzens per­sön­liche Vorteile zu erzie­len. Wenn man so will, ste­ht der Fall Wulff/Groenewold für das Anfangssta­di­um von Entwick­lun­gen, die zu solchen End­punk­ten wie Schröder/Gazprom, Koch/Bilfinger oder eben Klaeden/Daimler führen. Das Gericht in Han­nover kön­nte, wenn es klug und mutig genug urteilt, solche ger­adlin­i­gen Entwick­lun­gen für die Zukun­ft zumin­d­est erschw­eren.

  • Voy­ant Tools: Reveal Your Texts — Voyeur is a web-based text analy­sis envi­ron­ment. It is designed to be user-friend­ly, flex­i­ble and pow­er­ful.
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  • “In vie­len Krip­pen herrschen hanebüch­ene Zustände” — Poli­tik — Süddeutsche.de — RT @SZ: “In vie­len Krip­pen herrschen hanebüch­ene Zustände”: ein Inter­view zum #Kita-Aus­bau im Rah­men der #Agenda2017
  • Kom­men­tar: Sch­land­netz gegen NSA — die feucht­en Schen­gen-Träume der Telekom | heise online — heise.de zum Sch­land­netz-Unsinn der Telekom:

    Das wäre die schlecht­este Kon­se­quenz, die man aus dem NSA-Skan­dal ziehen kön­nte: Eine Nation­al­isierung des Inter­nets, mit regionalem Peer­ing unter Ägide der Telekom. Mit Peer­ing-Punk­ten, an denen sich die nationalen Regierun­gen mit ihrem Überwachung­shunger gütlich hal­ten kön­nen.

  • Super­virus bad­BIOS ist möglich­er Nach­fol­ger von Stuxnet | ZEIT ONLINE — crazy: bad­BIOS: Super­virus oder Schar­la­taner­ie? Com­put­er­virus mit spek­takulären Fähigkeit­en elek­trisiert die Fach­welt
  • Klaus­poli­tik » Lieber Franz Josef Wag­n­er — Eine Reak­tion auf Franz Josef Wag­n­ers offe­nen Brief an Edward Snow­den — Auch “Klaus­poli­tik” nimmt sich noch Franz-Josef Wag­n­ers Brief an Edward Snow­den an:

    Der Autor hat eine Face­book-Fan­page, einen Wikipedia-Ein­trag und offen­sichtlich einen Dachschaden./

    und kommt zu dem Schluss:

    Seine Argu­men­ta­tion ist wirr, sprung­haft und so naiv, dass das doch irgend­wie Satire sein muss. Dass sie es nicht ist, ist erschreck­end — mit Jour­nal­is­mus hat der Beitrag nichts mehr gemein und erin­nert allen­falls an einen kon­fusen, längst in die Unsicht­barkeit downgevoteten Spon­tan­post ein­er unmod­erierten Kommentarspalte./

  • Induk­tion­ss­chleife auf Rad­weg — YouTube — so geht’s also auch: RT @FahrradClub: Jet­zt anse­hen: Induk­tion­ss­chleife auf dem Rad­weg — — so muss das gehen!

Nette Anarchisten

…, die rück­sichtsvoll und entspan­nt mit ihres­gle­ichen und anderen Verkehrsteil­nehmern umge­hen — das sind die Ams­ter­damer Rad­fahrer:

— nach Copen­hag­e­nize kommt jet­zt eben Ams­ter­damize (via itstart­ed­with­afight)

Kampf der Philosophen

Aus dem Beetle­bum-Blog stammt diese vorzügliche Darstel­lung des Kampfes “Philoso­phie vs. Kampf-Robot­er”, die mich heute mor­gen sehr erheit­ert hat:

Philoso­phie vs. Kampf-Robot­er

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